Gegen den Rechtsruck, gemeinsam für die Demokratie: So geht es!
Angriffe auf Politiker:innen häufen sich, Rechtsextreme streuen gezielt Hass. Das gefährdet die Demokratie. Wie wir uns gemeinsam dagegen wappnen.
Die Europawahl endete mit einem Rechtsruck – auch in Deutschland. Die als
Die Vorfälle spielten sich fast gleichzeitig zum Angriff auf den Dresdener SPD-Europaabgeordneten Matthias Ecke ab, der beim Aufhängen von Plakaten
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Wahlkampf-Helfer:innen sollten nicht mehr alleine in den späten Abendstunden plakatieren gehen, sondern nur tagsüber und in einer Gruppe von 3–4 Personen. »Verängstigt waren unsere Mitglieder durch die Ereignisse nicht. Das Ganze zeigte uns nur umso mehr, warum wir uns für die Demokratie engagieren«, sagt Schneider, Kreisverbandsvorsitzender der Grünen Dresden.
Nach der Europawahl stehen im September Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg an, ein heftiger Rechtsruck scheint auch hier ausgemacht. Nach Umfragen liegt die AfD in allen 3 Ländern vorn.
Die
Politisch motivierte Straftaten haben deutlich zugenommen
Nach Angaben des Bundeskriminalamts (BKA) gab es 2023 einen deutlichen Anstieg bei
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Expert:innen zufolge sind die gewalttätigen Übergriffe vor den Europawahlen kein neues Phänomen gewesen, sondern ein längerfristiger Trend. »Wir haben bereits in der Vergangenheit spektakuläre Angriffe gesehen, wie das Messerattentat auf die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker oder den Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke«, sagt Beate Küpper, Professorin für Gruppen und Konflikt an der Hochschule Niederrhein. Sie ist auch Mitautorin der Mitte-Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung, in denen alle 2 Jahre rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland untersucht werden.
Politiker:innen auf Kommunal-, Landes- und Bundesebene sind seit der Coronapandemie vermehrt Angriffen ausgesetzt. »Was wir nun sehen, ist, dass die äußerste Rechte sich im Superwahljahr formiert. Nach den Demonstrationen gegen Rechtsextremismus Anfang des Jahres gehen sie in den Kampf um Raum und um Deutungshoheit«, sagt Beate Küpper. Der Wahlkampf im Vorfeld der Europawahlen habe dabei eine Gelegenheit geboten, bei der alle, die mit Politik zu tun hätten und im öffentlichen Raum unterwegs seien, leicht anzugreifen gewesen seien.
Rechtsextreme Meinungen haben zugenommen und sind in die Mitte gerückt
Der Trend zeigt sich auch im gesellschaftlichen Klima. Im vergangenen Jahr gaben die Herausgeber:innen der Mitte-Studie bekannt, dass
Zudem beobachten die Wissenschaftler:innen, dass sich ein Teil der Befragten radikalisiert hat: Knapp 60% gaben an, dass ihr Vertrauen in staatliche Institutionen und in das Funktionieren der Demokratie gesunken sei. Ein Teil der Befragten behauptet etwa, dass die »regierenden Parteien das Volk betrügen«, dass »unser Land inzwischen mehr einer Diktatur als einer Demokratie gleicht« und sie sich »politisch machtlos« fühlten. Parallel dazu hat die Billigung und Rechtfertigung politischer Gewalt deutlich zugenommen. 13% sind der Auffassung, einige Politiker:innen hätten es verdient, wenn »die Wut gegen sie« in Gewalt umschlage. Dabei richtet sich die Wut besonders gegen Politiker:innen, die im demokratischen System als »etabliert« gelten, also als zugehörig verstanden werden. Mit 1.219 gemeldeten Vorfällen im Jahr 2023 sind derzeit
Die äußere Rechte trägt zunehmend Hass in den Diskurs hinein
»Bei dem Angriff auf den SPD-Politiker Matthias Ecke etwa hat es sich
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Eine Erklärung dafür, wie es dazu kommen kann, liefert Beate Küpper zufolge ein verhaltenspsychologisches Modell. 3 Faktoren können demnach das menschliche Verhalten und Handlungen beeinflussen: »Erstens, wenn Menschen, die einem wichtig sind, die gleiche Meinung haben oder die eigene Meinung bestätigen. Das können
Da wir ja nun offensichtlich drittstärkste Partei sind, kann sich diese Bundesregierung […] warm anziehen. Wir werden sie jagen, wir werden Frau Merkel oder wen auch immer jagen – und wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen.
Von Beobachter:innen wurde
Der dritte und letzte Faktor, der zur Radikalisierung beitrage, seien laut Beate Küpper Gelegenheiten wie die Europawahlen und die kommenden Landtagswahlen. Dies alles ermögliche eine Zunahme der Gewalt gegen Politiker:innen, die zugleich von den Täter:innen als begründet verstanden werde.
Zivilgesellschaft und staatliche Institutionen müssen sich hinter die Demokratie stellen
Welche Lösungen es im Umgang mit der zunehmenden Bedrohung von rechts gibt,
Ihre Strategie geht auf, sobald weniger Menschen bereit sind, sich politisch oder ehrenamtlich zu beteiligen. Die zunehmenden Angriffe auf Kommunalpolitiker:innen zeigen bereits Wirkung: Laut einer Umfrage der Körber-Stiftung ist in Deutschland mehr als die Hälfte der
Aus Sorge vor Beleidigungen oder Angriffen verzichtet ein Teil der Befragten weitgehend auf die Nutzung sozialer Medien oder äußert sich zu bestimmten politischen Themen seltener als früher. Auch wenn das für die Mehrheit nicht infrage kommt, hat immerhin 1/5 der befragten Bürgermeister:innen (19%) aus Sorge um die eigene Sicherheit oder die der Familie schon über einen Rückzug aus der Politik nachgedacht. Was die Grünen in Dresden betrifft, kann Klemens Schneider zumindest sagen, dass er trotz der Zunahme von Gewalt gegen Politiker:innen bislang keinen Rückgang an Nachwuchs bei seinem Kreisverband beobachten könne. »Wir nehmen einen großen Zuspruch wahr. Nach der correctiv-Recherche hatten wir sogar viele neue Beitritte«, sagt Schneider.
Schlussendlich bedeuten die Angriffe auf Politiker:innen und ehrenamtliche Wahlkampf-Helfer:innen vor den Europawahlen eine direkte Bedrohung der Demokratie: Sie gefährden den
Politische Akteur:innen könnten zum Beispiel Signale aussenden, indem sie bewusst kleine Orte im Wahlkampf besuchten und dort zivilgesellschaftliche Arbeit für Demokratie öffentlich unterstützten, sagt Beate Küpper. Ziel sollte es sein, das Zeichen zu senden, dass die Mehrheit der Bevölkerung immer noch für demokratische Werte einstehe sowie für eine offene Gesellschaft, in der sich niemand bedroht fühlen müsse. Ein Beispiel für demonstratives Zusammenrücken seien die Demonstrationen
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Systematisches Konfliktmanagement hilft bei akuter Bedrohung
Um sich sowohl kurz- als auch langfristig gegen potenzielle Bedrohungen von rechts zu schützen, brauche es zudem ein striktes Bedrohungs- bzw. Krisenmanagement. »Diese Angriffe erfolgen nicht als Angriffe auf einzelne Menschen, sondern auf demokratische Institutionen. Um sich davor zu wappnen, braucht es Schutzkonzepte, die da sind, wenn man sie braucht«, sagt Beate Küpper. Anstatt abzuwarten und zu hoffen, dass nichts Schlimmes passiere, sollten Organisationen potenziellen Krisen also aktiv vorbeugen.
Dazu ist es wichtig, zu definieren, was unter einer Krise zu verstehen ist. Diese kann beispielsweise eintreten, wenn Politiker:innen vor der Herausforderung stehen, eine Lösung für ein lokales Problem zu finden und sich Kritik in Beleidigungen, Bedrohungen oder Hassmails verwandelt. Das führt bei Betroffenen zu Stress und überfordert sie, mit der Situation umzugehen. Um solche Krisensituationen zu bewältigen,
Besonders gefragt ist Beate Küpper zufolge jedoch auch das Engagement der Zivilgesellschaft, um dem Rechtsruck entgegenzuwirken: 20% der Befragten der Mitte-Studie 2023 befinden sich mit ihren Einstellungen
Denn die Mitte-Studie zeige auch, dass ein Großteil der Menschen immer noch für eine offene und tolerante Gesellschaft einstehe, betont Beate Küpper. Mehr denn je kommt es nun also für jede:n Einzelne:n darauf an, die Unterstützung für eine solche Gesellschaft offen zu zeigen.
Redaktion: Benjamin Fuchs
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily