So wehren sich Studierende gegen die Pharmalobby im Hörsaal
Fast keine medizinische Universität hat Richtlinien zum Umgang mit Pharmakonzernen – zeigt eine neue Studie von Nachwuchsmedizinern. Wie wir die Ärzte von morgen besser vor Beeinflussung schützen können, erklären sie im Interview.
Es beginnt mit einem harmlosen Kugelschreiber mit einem dezenten Schriftzug. Firmennamen sind da dann zu lesen, oder gleich ganz konkrete Produktnamen. Diese simple Werbestrategie kommt harmlos daher – jedenfalls solange, wie nur die harmlose Handwerksfirma um die Ecke auf diese Weise ihre Dienste antreibt.
Ist jedoch der Firmenname eines Pharmakonzerns auf dem Schreibgerät zu lesen, mit dem der Hausarzt gerade eine Unterschrift unter ein Rezept setzt, wird die Sache kritisch. Denn was mit einem einfachen Kuli beginnt, endet dann schnell mit einer persönlichen Einladung zum Mittagessen oder zu einer gesponsorten Fortbildung in einem schicken Hotel.
Die Pharmaindustrie scheut keine Kosten und Mühen, um diejenigen zu beeinflussen, die die Macht über den Rezeptblock haben – und nicht alle Mediziner wollen darin einen Interessenkonflikt erkennen. Dabei beweisen Studien immer wieder, dass sich bereits eine Einladung zum Essen auf das Verschreibungsverhalten der Mediziner auswirkt.
Weniger bekannt hingegen ist, wie früh die Pharmavertreter die nachfolgenden Medizinergenerationen ins Visier nimmt. Das haben nun Medizinstudierende des Netzwerks Universities Allied for Essential Medicines in einer bekanntgemacht. Dieser zufolge haben lediglich 2 von 38 medizinischen Universitäten in Deutschland überhaupt ein offizielles Statut zum Umgang mit Interessenkonflikten gegenüber der Pharmaindustrie.
Zukunftsorientiert, verständlich, werbefrei. Dafür stehen wir. Mit Wohlfühl-Nachrichten hat das nichts zu tun. Wir sind davon überzeugt, dass Journalismus etwas bewegen kann, wenn er sowohl Probleme erklärt als auch positive Entwicklungen und Möglichkeiten vorstellt. Wir lösen Probleme besser, wenn wir umfassend informiert und positiv gestimmt sind – und das funktioniert auch in den Medien. Studien haben gezeigt, dass Texte, die verschiedene Lösungen diskutieren, zu mehr Interesse führen, positive Emotionen erzeugen und eine erhöhte Handlungsbereitschaft generieren können. Das ist die Idee unseres Konstruktiven Journalismus.
Wir haben mit 2 der Autorinnen der Studie gesprochen, die selbst Medizin studieren:
Sophie, wie lange dauert es, bis man als Medizinstudierende das erste Mal mit der Pharmaindustrie in Berührung kommt?
Sophie Tragert:
In Vorlesungen kommt es nicht selten vor, dass einfach die Produktnamen bestimmter Medikamente im Lehrmaterial abgedruckt sind, anstatt der Namen der eigentlichen Wirkstoffe. Ich habe sogar schon erlebt, dass ein bestimmtes Medikament zu Anschauungszwecken von einer Dozentin mit in die Vorlesung gebracht wurde. Ich glaube zwar nicht, dass sie die Absicht hatte, für dieses Mittel zu werben, aber solche Dinge kommen trotzdem ab dem ersten Tag im Studium vor.
Sophie Gepp:
Gleichzeitig verfolgen die Pharmakonzerne direktere Werbestrategien und verschenken zum Beispiel Kugelschreiber oder laden zu Veranstaltungen ein, die von ihnen gesponsort werden.
Sind die Werbestrategien immer gleich oder verändern sie sich im Laufe des Medizinstudiums?
Sophie Tragert:
In den höheren Semestern nimmt das Ganze dann noch weiter an Fahrt auf, etwa wenn es später um die Praktika in Arztpraxen geht und wir die ersten direkten Patientenkontakte haben. Ich arbeite zurzeit in einer Hausarztpraxis, da kommen jede Woche 1–2 Pharmavertreter vorbei. Während der Arzt noch im Patientengespräch ist, quatschen die Vertreter dann auch gerne mal mit uns Nachwuchsmedizinern und sind dabei natürlich immer super nett und freundlich. Dabei lassen sie dann wie nebenbei Werbematerial von ihrem Unternehmen da. Sogar Gummibärchen werden da manchmal mitgebracht, die wir dann an die Patienten verteilen sollen.
Wie viele Medizinstudierende sind betroffen? Und haben die alle so ein hohes Problembewusstsein wie ihr?
Sophie Gepp: oder zu einer gesponsorten Veranstaltung eingeladen wurden. Gleichzeitig gibt es sehr wenig Aufklärungsarbeit zu solchen Interessenkonflikten. Daher ist es nicht unwahrscheinlich, dass vielen Studierenden nicht bewusst ist, wie die Beeinflussung durch die Pharmaunternehmen wirkt.
Vor diesem Hintergrund habt ihr eine Studie durchgeführt, wie medizinische Fakultäten mit Interessenkonflikten zwischen Lehre und Pharmaindustrie umgehen. Was ist dabei herausgekommen?
Sophie Tragert:
Schon 2014 gab es eine Studie, die das untersucht hat. Damals gaben die Universitäten an, dass sie mehr Aufklärung betreiben wollten.
Heute, 5 Jahre später, haben wir in unserer Studie herausgefunden: Es hat sich nicht viel getan. Sowohl, was das Problembewusstsein seitens der Universitäten angeht, als auch in Sachen Lehrangebot, um die Studierenden zu sensibilisieren. Es gibt nur sehr vereinzelt Kurse, die sich mit Pharmamarketing befassen. Die sind aber weder verpflichtend noch überall verfügbar.
Welche Rolle spielen die Dozierenden dabei?
Sophie Tragert:
Die meisten sind sowohl in der Lehre als auch in der praktischen Medizin aktiv und kommen dort natürlich auch mit der Industrie in Kontakt. Viele von ihnen forschen und sind häufig, aber nicht immer, auf sogenannte Drittmittel von Pharmaunternehmen angewiesen. Diese Zusammenarbeit mit der Industrie an sich ist unumgänglich. Uns geht es vor allem darum, dass diese Zusammenarbeit klaren Regeln unterliegt – und dabei spielt Transparenz eine zentrale Rolle. Auf Kongressen oder in wissenschaftlichen Arbeiten legen Dozierende auch offen, mit wem sie kooperieren, und weisen auf potenzielle Interessenkonflikte hin. Das tun sie gegenüber uns Studierenden aber nicht.
Was müsste eurer Meinung nach anders laufen, damit ihr möglichst frei von Beeinflussung der Pharmakonzerne studieren könnt?
Sophie Gepp:
Die Medizinstudierenden sollten von Anfang an konsequent über das Pharmamarketing aufgeklärt werden. Das muss dann im Laufe des Studiums immer wieder aufgegriffen und vertieft werden. Das Thema wird nämlich umso relevanter, umso mehr Kontakt wir später zu Patienten haben. Und deswegen sorgen wir uns so sehr darum. Denn am Ende kann man klar nachweisen, dass das Verschreibungsverhalten der Ärzte beeinflusst wird – und damit eben auch das Patientenwohl.
Sophie Tragert:
Deswegen haben wir 3 konkrete Forderungen.
Wir wünschen uns mehr Lehre zum Umgang mit Interessenkonflikten, damit Studierende schon möglichst früh für Pharmawerbung sensibilisiert werden.
Mögliche Interessenkonflikte der Lehrenden müssen am Ende jeder Vorstellung und jeder Präsentation klar und transparent offengelegt werden, damit wir objektiv beurteilen können, was da gelehrt wird.
An jeder Fakultät muss es bundesweit verbindliche Regelungen zum Umgang mit Interessenkonflikten geben, damit sich auch wirklich alle Universitäten mit dem Thema auseinandersetzen.
Hier findest du die beiden anderen aktuellen Dailys:
Die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit hat wenig Reibungspotenzial: Wer würde schon ernsthaft behaupten, für weniger Gerechtigkeit zu sein? Chris zeigt, wie das konkreter geht. Dafür hat er erst Politik und Geschichte studiert und dann als Berater gearbeitet. Er macht die Bremsklötze ausfindig, die bei der Gesundheitsversorgung, Chancengleichheit und Bildung im Weg liegen – und räumt sie aus dem Weg!