Streamst du noch oder stiehlst du schon? Warum Raubkopieren wieder in Mode kommt
Online Serien und Filme zu stehlen ist nach Jahren des Rückgangs wieder im Kommen. Das hat auch etwas mit »Netflix«, »Star Wars« und dem Konkurrenzkampf der Unterhaltungsindustrie zu tun. Was dagegen hilft und was dabei meist vergessen wird.
Die Piraten sind wieder da! Nein, nicht die Kleinpartei mit den Internet-Themen, die immer dann in den Medien auftaucht, wenn die Bundesregierung versucht, den Überwachungsstaat auszubauen.
Ganz andere Piraten sind gerade weltweit wieder im Kommen, nämlich diejenigen, die Inhalte illegal aus dem Internet beziehen. Seit 2018 wächst etwa die Nutzerschaft von
Und weltweit sprießen illegale Anbieter wie Pilze aus dem Boden und versorgen Nutzer kostenlos mit den neuesten Blockbustern und Serienhits – bis sie eben erwischt werden. So etwa Ende vergangenen Jahres ein 36-jähriger Programmierer aus Las Vegas, der die Website iStreamItAll betrieben hatte. Daran lässt sich das Ausmaß solcher Dienste erahnen:
Und während iStreamItAll mittlerweile
Dabei hatte sie bereits eine effektive Lösung gegen die Piraten. Bis sie anfing, selbst an ihr zu sägen. Aber der Reihe nach.
Warum Menschen online Inhalte stehlen
Natürlich ist es einfach, den Online-Piraten allein alle Schuld für die Online-Piraterie zu geben. Doch es ist ein wenig komplizierter als das – und hat direkt etwas mit zentralen Eigenschaften der digitalen Welt zu tun:
- Kopierbarkeit von Daten: Mit nur einem Klick lassen sich aus jeder Datei 2 machen und die Kopie mit anderen teilen. Und genau diese Copy-Arbeitsweise sind wir aus unserem Alltag etwa mit Texten, Fotos oder Excel-Dateien gewohnt.
- Freie Verfügbarkeit vieler Daten: Wikipedia und Youtube machen es vor. Dort sind Inhalte jederzeit verfügbar und zwar kostenlos, in hoher Qualität und von jedem Gerät aus. Und weil Plattformen wie Youtube bei der Masse an täglich hochgeladenen Inhalten
Doch es gibt eben auch Dateien, die nicht jederzeit kostenlos abrufbar sind und nicht vervielfältigt werden dürfen – nämlich wenn es sich um digitale Güter handelt, die unter das Urheberrecht fallen. Und wenn diese dann auch noch schwer auf legalem Weg zu beschaffen sind, entsteht ein Anreiz dazu, nach Alternativen im Netz zu suchen.
Und dieser Anreiz war Ende der 90er-Jahre und Anfang des Jahrtausends stark, als BitTorrent und andere Filesharing-Dienste wie die MP3-Tauschbörse Napster erste Erfolge feierten. Diese illegalen Dienste sind auch ein Eigentor einer Unterhaltungsindustrie, die den Schritt in die digitale Welt verschlafen und zu lange auf gepresste Silberscheiben gesetzt hat, anstatt gute digitale Angebote zu schaffen. Anders gesagt: Online zu stehlen war nicht nur günstiger als zu kaufen (weil kostenlos), es war – nach etwas Einarbeitungszeit in die Technik – auch viel bequemer.
Die Risiken von Piraterie im Netz
Und dieser Anreiz scheint so stark zu sein, dass Piraten im Netz die bekannten Risiken einfach ignorieren:
- Viren und Schadsoftware: Download-Dateien auf legalen Plattformen werden gründlich auf Viren sowie auf andere schädliche Software überprüft und das Unternehmen dahinter steht dafür gerade. Bei illegalen Online-Tauschbörsen ist das nicht der Fall; deshalb sind sie ein beliebtes Mittel, um schädliche Programme an ahnungslose Nutzer zu verteilen. Gerade digitale Spiele erfordern fast immer einen sogenannten »Crack«, also eine illegale ausführbare Datei, die den eingebauten Kopierschutz ausschaltet. Darin lassen sich besonders leicht Schadprogramme verstecken.
- Betrügerische Absichten: Manche Portale für Raubkopien verlangen vom Nutzer das Hinterlegen von Daten wie Name, E-Mail-Adresse oder sogar Kreditkarteninformationen. Eine Garantie, dass diese sensiblen Angaben nicht in falsche Hände gelangen, gibt es natürlich nicht – die Portale sind schließlich illegal. Da ist die Hürde, die gesammelten Daten weiterzuverkaufen oder gleich selbst für betrügerische Zwecke zu verwenden, eher niedrig.
- Juristische Konsequenzen: Strafrechtlich verfolgt werden nicht die Nutzer, sondern vor allem die Anbieter illegaler Tauschbörsen und Plattformen, wie auch der Fall von iStreamItAll zeigt. Das erzeugt leicht ein falsches Gefühl von Sicherheit, dass einzelne Online-Piraten, die Inhalte nur für den Eigengebrauch nutzen, straffrei davonkommen. Das ist nicht der Fall, denn auch ihre Urheberrechtsverletzungen sind sowohl strafbar als auch vor Zivilgerichten verfolgbar – zum Beispiel durch Abmahn-Anwälte, die sich darauf spezialisiert haben und daraus ein gutes Geschäft machen.
- Herunterladen: Nach § 106 Urheberrechtsgesetz (UrhG) droht bei einer unerlaubten Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke eine Freiheitsstrafe von bis zu 3 Jahren oder eine Geldstrafe.
- Gewerbliche Verwertung: Nutzen Täter Raubkopien gewerblich, drohen nach § 108a UrhG für (gewerbsmäßige) unerlaubte Verwertung sogar bis zu 5 Jahren Gefängnis.
- Infrastruktur bereitstellen: Wer eine Urheberrechtsverletzung nicht selbst begeht, sondern zum Beispiel als Plattform die Infrastruktur dafür bereithält – in dem Wissen, wie sie genutzt wird – kann wegen Beihilfe bestraft werden.
- Hochladen: Das unerlaubte Kopieren und Hochladen urheberrechtlich geschützter Werke ins Internet kann zivilrechtlich verfolgt werden. Hierbei kann eine Abmahnung (§ 97a UrhG) erfolgen und Schadensersatz gefordert werden – der je nach anwaltlichem Ermessen zusammen mit den Aufwendungen für die Abmahnung in die Tausende Euro gehen kann.
Manche Online-Piraten rechtfertigen das eigene Verhalten sogar, so wie der Nutzer, der sich »Umaxx« nennt, den ich während meiner Recherche in einem Onlineforum zu Tauschbörsen traf: »Ich habe schon Hunderte Gigabyte aus dem Internet geladen. Schließlich scheffelt die Unterhaltungsindustrie sowieso genug Kohle.«
Wer sich hinter »Umaxx« verbirgt, ist kaum auszumachen, denn er wird von seinem Pseudonym geschützt. Meine Einschätzung nach einem längeren Gespräch in einem privaten Chat: männlich, unter 30, solides Einkommen, absoluter Film- und Serienfan mit leicht kapitalismuskritischen Ansichten.
Ob er auch für digitale Inhalte zahlen würde? »Klar«, sagt er. »Ich kaufe ja auch zum Beispiel immer wieder Filme oder Games für meine DVD-Privatsammlung und habe auch einige Accounts bei legalen Sachen. Aber da gibt es halt nicht alles und manches ist in Deutschland auch echt schwer online zu kriegen, wie etwa
Auch Untersuchungen bestätigen, dass Raubkopierer nicht grundsätzlich abgeneigt sind, Geld für Medien auszugeben, wie mehrere Marktforschungsstudien aus den Jahren
Wie aber überzeugt man solche Raubkopierer davon, komplett legal zu handeln? Eine mögliche Antwort: Netflix.
Streaming hätte das Ende der Online-Piraterie sein können. Bis die Konkurrenten von Netflix gierig wurden
Weder Klagewellen noch Kopierschutzsoftware der Konzerne haben Online-Piraten bisher vom Stehlen abgehalten.
Mit Netflix entstand ein Service, der dem Nutzer für einen geringen monatlichen Beitrag legal einen riesigen Schatz an Filmen und Serien bietet. Und die Zahlen zeigen:
Mit Spotify hat sich im Bereich Musik längst eine ähnliche Streaming-Plattform etabliert. Und obwohl sehr viele Musikstücke teilweise illegal auf Youtube verfügbar sind, zahlen immerhin
Doch an Netflix zeigt sich, wie die Unterhaltungsindustrie die Lösung gegen Online-Piraterie untergräbt: mit härterer Konkurrenz. Im Jahr 2020 wollen viele Unternehmen ein Stück vom Video-Streaming-Kuchen abhaben und bauen ihre Konkurrenzprodukte am Markt aus. So buhlen heute etwa Amazon Prime, Maxdome, Apple TV+, Hulu und brandneu Disney+ um Filmliebhaber im Netz. Und das mit harten Bandagen und exklusiven Titeln: So lief die Erfolgsserie Game of Thrones exklusiv auf HBO, die neue Star-Wars-Serie The Mandalorian exklusiv auf Disney+ und die viel diskutierte Fantasy-Serie The Witcher nur bei Netflix. Die Liste ließe sich lange fortführen.
Das Problem dabei: Je mehr Titel sich exklusiv auf verschiedene Plattformen verteilen, die ja einzeln bezahlt werden wollen und eigene Software erfordern, desto unbequemer wird Streaming als Ganzes für die Nutzer.
Und es ist schlichtweg ärgerlich,
Kleine Ärgernisse? Vielleicht.
Klar hab ich The Mandaloran gesehen. Das ist für echte Star-Wars-Fans einfach Pflicht! Aber der Disney-Konzern kriegt dafür keinen Cent von mir. – Online-Pirat »Umaxx«
Doch so wird erkennbar, was eben auch hinter der bequemen Streaming-Welt steckt: eine Veränderung der Besitzverhältnisse weg vom Nutzer und hin zu den Plattformen. Der Einzelne besitzt nichts mehr, kann nichts mehr verleihen, keine eigene Bibliothek nach seinem Geschmack mehr aufbauen. Er ist auf den guten Willen seiner Anbieter angewiesen – und dem von dessen Konkurrenten.
Und so drohen illegale Piraten-Websites wie iStreamItAll wieder zu den bequemsten und zentralsten Orten im Netz zu werden, um digitale Güter zu beziehen. Der Online-Piraterie im Bereich Filme und Serien blüht ein zweiter Frühling.
Doch Konkurrenz ist im Kapitalismus normal und lässt sich kaum verhindern. Das gilt wohl auch für illegale Angebote. Vielleicht sind diese gar ein Übel, das am Ende positive Auswirkungen hat, wenn die Abwanderung von Nutzern Unternehmen dazu bringt, die eigenen Rechte wieder an Konkurrenten zu verleihen und den Kampf mit exklusiven Titeln einzustellen.
Notwendig erscheint, dass die Unterhaltungsindustrie hier umdenkt und illegale Anbieter als das begreift, was diese für viele Nutzer gerade wieder werden – echte Alternativen und damit direkte Konkurrenz. Und anstatt darauf zu warten, dass die Behörden diese Konkurrenz dichtmachen, sollten Unternehmen wie Disney, Netflix und Co. genauer bei den illegalen Plattformen hinschauen. So könnten sie besser verstehen, warum diese Nutzer anziehen und wie der eigene Service verbessert werden kann, um Nutzer dauerhaft legal zu binden.
Was in der ganzen Debatte zu kurz kommt …
Was in der Debatte über Online-Piraterie und Streaming leider meist zu kurz kommt, ist das Urheberrecht sowie die Künstler und Kreativen, deren geistige Schöpfungen dadurch geschützt werden sollen. Die Vielfalt von kostenlosen legalen wie illegalen Angeboten im Internet spielt nämlich auch einer grassierenden »Gratismentalität« in die Hände. Das im echten Leben selbstverständliche Bezahlen für Inhalte wird im Netz (»paid content«) als nervig empfunden.
Höchste Zeit, dass wir uns wieder ins Gedächtnis rufen, dass Inhalte nicht kostenlos produziert werden und die Schaffenden dafür entlohnt gehören. Und da auch online der freie Markt regiert, kann dazu jeder Nutzer mit seinem Onlineverhalten und Geldbeutel ein kleines Zeichen setzen. Hier sind 4 ganz unterschiedliche Wege dazu:
- Freiwillig Künstler direkt bezahlen
- Gemeinsam Projekte aus der Taufe heben
Auch Perspective Daily hätte es ohne Crowdfunding nie gegeben
- Digitale Güter direkt von den Künstlern kaufen und behalten
- Öffentliche Mediatheken besser nutzen
Kennst du jemanden, der schon einmal raubkopiert oder illegal gestreamt hat? Erzähle mir in den Kommentaren über seine Gründe.
Mit Illustrationen von Tobias Kaiser & Mirella Kahnert für Perspective Daily