Hören wir nur noch hin, wenn wir unterhalten werden?
Viele Metalle in unseren Smartphones und Laptops stammen aus Minen in Afrika. Doch Nachrichten darüber, wie sie gefördert werden, erreichen uns kaum noch. Deshalb probieren diese beiden Männer es auf eine ganz andere Art.
Der Sänger und Komponist Elia Rediger gilt in seiner Heimatstadt Basel als Enfant Terrible. Im Jahr 2012 ließ sich der damals 27-Jährige dort als Bürgermeister aufstellen, um auf den, wie er sagte, »androhenden Schlaf« der Stadt aufmerksam zu machen. Mit Konzerten und Tanzaktionen wollte er die Schweizer aus ihrer Bräsigkeit wachrütteln. Doch nach einer
Einen Tag später erhielt Elia Rediger einen Anruf vom Pressesprecher des Unternehmens, der ihn in der Lobby des Hotels Schweizerhof am Zürcher Bahnhof treffen wollte. Offenbar wollte man sich den »Unruhestifter« einmal aus der Nähe ansehen. »Ich war überrascht und dachte: Braucht es so wenig, dass sich solch unnahbare Wirtschaftsgötter für einen so kleinen Fisch wie mich interessieren?« Wo gestichelt wird, zieht es den Künstler hin. Aus Neugier willigte er ins Gespräch ein.
Einige Monate später erwarteten Elia Rediger in dem Hotelfoyer 2 »aalglatte Promotypen«, wie er erzählt. Der »Head of PR« der Firma war sogar extra aus England eingeflogen. »Der Schweizer Pressesprecher hat mir Honig um den Bart geschmiert, dass seine Tochter ja so ein großer Fan meiner Band
»Wenn wir es nicht machen, machen’s die Chinesen!«
Elia Rediger kontaktierte seinen Freund Dorine Mokha, Choreograf und Autor aus der Demokratischen Republik Kongo, mit dem er bereits zusammengearbeitet hatte. Die beiden Künstler trafen sich in Berlin, im Kongo, in der Schweiz, schrieben E-Mails, Whatsapp-Nachrichten, telefonierten, skypten – stets mit einem tollkühnen Ziel vor Augen: eine Art Super-Pop-Oper, die den Leuten hier die Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen aufgrund von Rohstoffabbau im Kongo nahebringt, die gleichzeitig aber auch eine abendfüllende Unterhaltung bietet, am besten noch mit einem heiteren Ende. Wie kann man Problemen wie Umweltzerstörung oder Kinderarbeit mit Kunst begegnen?
Was man nicht sagen kann, muss man singen
Ein Fabrikgelände in Berlin-Wedding. Versteckt in einem der Backsteingebäude auf dem Hof liegt ein Tanzraum. Hier proben Elia Rediger und Dorine Mokha ihr Tanztheaterprojekt. Es ist kein einfaches Werk, und es muss gut werden. Aber jetzt gönnen sie sich eine Mittagspause in einem Bistro um die Ecke. Elia Rediger hat sich eine Cremesuppe bestellt, aber er kommt vor lauter Erzählen nicht dazu, sie zu essen. Denn Elia Rediger hat viel zu sagen. Dorine Mokha zupft nachdenklich an dem Etikett seiner Wasserflasche. »Wenn wir die Verstrickungen der globalen Wirtschaft ins Auge fassen, hat unser hübsches europäisches Leben sehr viel mehr mit dem der Menschen im Kongo zu tun, als wir glauben«, sagt Elia Rediger. Er spricht ruhig und eindringlich. »Der Kongo ist nicht weit weg.«
Die meisten Menschen wissen mittlerweile, dass die Metalle in unseren Smartphones, Laptops und E-Autos aus Minen in Afrika stammen. Ihre Förderung verletzt Menschenrechte, zerstört die Natur und finanziert Waffen. Aber Elia und ich hatten den Eindruck, dass die Menschen zu all den Nachrichten über Korruption und Leid keinen Bezug hatten. Heutzutage wird man mit Negativschlagzeilen überhäuft. Es berührt uns nicht mehr. Man stumpft ab.
Und Elia Rediger ergänzt: »Wenn das Unrecht, das schwarz auf weiß in der Zeitung steht, in den Menschen nichts mehr auslöst, dann muss man es anders rüberbringen. Ohne Moralpredigt. Wir dachten uns: Wenn man es nicht sagen kann, dann muss man es singen!«
Wenn Elia Rediger von Unrecht spricht, meint er vor allem: Glencore. Es ist erstaunlich, wie unbekannt diese Firma ist – dafür, dass sie so mächtig ist. Der Rohstoffgigant gilt Medien gegenüber als verschwiegen. Der Geschäftsführer Ivan Glasenberg gibt praktisch keine Interviews. Glencore fördert in Dutzenden Ländern Bodenschätze wie etwa Kupfer oder Kobalt und treibt Handel mit diesen – unter anderem im Kongo. Zum Portfolio gehören laut eigenen Angaben
Das schmutzige Geschäft mit den Metallen
Glencore beschäftigt nicht nur Künstler wie Elia Rediger und Dorine Mokha – sondern auch Strafverfolger, Investigativjournalisten und NGOs. Allerhand Vorwürfe liegen vor:
»Glencore« beschäftigt nicht nur Künstler wie Elia Rediger und Dorine Mokha – sondern auch Strafverfolger, Investigativjournalisten und NGOs.
All das wird der Firma zur Last gelegt – und noch mehr:
Betroffen ist vor allem auch
Das Leben der Menschen in Lubumbashi gehört den Firmen, die Rohstoffe abbauen. Lubumbashi wird nicht umsonst die ›Kupferstadt‹ genannt: Die gesamte Stadt wurde ausschließlich aufgrund der Gewinnung von Rohstoffen gegründet und um diese herum gebaut. Das staatliche Bergbauunternehmen ›Gécamines‹ beschäftigte bis zu 30.000 Arbeiter und ist mit allen Lebensbereichen verbunden: Es betreibt zum Beispiel eigene Krankenhäuser, Schulen und sogar ein Orchester. Schon als Kind wurde mir klar, dass Minen das Herzstück unseres Landes, ja unseres Überlebens sind.
Eine Stimme für die Grubenarbeiter
Dorine Mokhas Eltern haben ihre gesamte berufliche Laufbahn für das staatliche Bergbauunternehmen gearbeitet. »Manchmal frage ich mich, warum meine Eltern sich ihr Leben lang so abhängig gemacht haben«, sagt er und blickt nachdenklich auf den Tisch. Für ihren Sohn wünschten sie sich einen ordentlichen Beruf: Jurist. Dorine Mokha absolvierte sein Jurastudium erfolgreich, während er abends nebenher tanzte. Noch heute flammen manchmal Diskussionen über seine Berufswahl auf. Aber Dorine Mokha lässt sich nicht beirren. »Als Künstler fühle ich mich dafür verantwortlich, soziale und politische Themen anzugehen in der Hoffnung, eine Änderung zu bewirken, und sie nicht nur Journalisten und NGOs zu überlassen.«
In Herkules vom Lubumbashi sollen die Minenarbeiter eine Stimme bekommen. Die Leinwand auf der Bühne zeigt Videos, in denen sie vom Krankenhausbett aus über das Grubenunglück vom Juni 2019 erzählen. Während die Arbeiter am Rande einer Glencore-Mine – oft mit bloßen Händen und ohne Helm – nach verwertbaren Kupfer- und Kobalterzen gruben, wurden sie von einem Erdrutsch überwältigt. Mindestens 36 Menschen kamen dabei ums Leben. Elia Rediger und Dorine Mokha filmten vor Ort außerdem einen Chor aus Bergarbeitern, der – mitten in einer Kobaltgrube versammelt! – ein kongolesisches Volkslied anstimmt. Während die Musik zum Mitwippen animiert, stellt man plötzlich fest: Das ist gar keine Folklore, der Liedtext ist eine Aneinanderreihung von Firmen wie Nokia, Samsung, Huawei und Co!
»Als Künstler fühle ich mich dafür verantwortlich, soziale und politische Themen anzugehen in der Hoffnung, eine Änderung zu bewirken, und sie nicht nur Journalisten und NGOs zu überlassen.«
Elia Rediger gefällt dieser Bruch. Seine Kunst ist gewissermaßen eine Neuinterpretation des Sprichworts »Wer nicht hören will, muss fühlen«: Wer nicht hören will, für den muss man singen und tanzen. Herkules von Lubumbashi ist eine Herzensangelegenheit. Elia Redigers Nähe zum Kongo kommt nicht von ungefähr: Er wurde im Jahr 1985 in Kinshasa als Sohn von Entwicklungshelfern geboren und wuchs bis zu seinem fünften Lebensjahr im Kongo auf. Er besitzt auch den kongolesischen Pass. Ob Orchesterstücke, Werke für das Konzerttheater Bern oder Multimediaaktionen mit The bianca Story: Seine Themen wählte Elia Rediger schon immer ambitioniert. Herkules von Lubumbashi soll seine politischste, kontroverseste Arbeit werden – und damit könnte er Erfolg haben. Im
Der Kongo wartet auf seinen Superhelden
Das Stück soll eine Brücke schlagen zwischen Europa und Afrika. Das Orchester besteht aus 11 kongolesischen und europäischen Musikern; es wird auf Deutsch, Französisch und Swahili vorgetragen; es verbindet westliche klassische mit kongolesischer Musik. Die Herangehensweise der beiden Macher: Große Themen brauchen große Inszenierungen. Deswegen sollte es eine
Dorine Mokha fand das naheliegend: »Ich habe nie verstanden, warum wir Kongolesen immer noch auf jemanden warten, der uns von unserem Leid befreit«, erklärt er. Die erlernte wirtschaftliche Abhängigkeit habe zu Passivität geführt – und die Bevölkerung des Kongo scheine noch immer auf einen Superhelden zu warten, der alle Probleme löse. »In der Geschichte des Kongo haben sich viele als eine Art Herkules präsentiert, mit unterschiedlichen Namen und unterschiedlicher List – aber keiner hat bis jetzt seine Prüfungen bestanden.«
Dorine Mokha spielt damit auf die 12 Aufgaben an, die Herkules in den antiken Sagen gestellt wurden. Sie galten als unlösbar – doch Herkules bewältigte alle und wurde daraufhin zu den Göttern berufen.
Eine Figur zwischen Macht und Ohnmacht, auf die man unerreichbare Erwartungen projizieren konnte, schien genau richtig für das idealistische Projekt. Die Befreiung des Kongo von Rohstoffriesen wie Glencore ist gewissermaßen die 13. Aufgabe des Herkules. »Wir gehen in unserem Stück der Frage nach: Welche Art von Herkules brauchen wir heutzutage?«
Elia Rediger erzählt, wie er während der Proben im Kongo an jeder Straßenecke von Leuten angehalten wurde, die auf seine langen dunklen Haare und den ebenso langen dunklen Bart des hochgewachsenen Mannes zeigten: Sie alle wollten ein »Selfie mit Jesus«! »Ich dachte: Die Nachfrage nach Helden scheint im Kongo ungebrochen!«, scherzt Elia Rediger. »Wir hätten anfangen sollen, etwas Geld damit zu verdienen«, sagt Dorine Mokha augenzwinkernd.
Die konstruktive Macht der Kunst
Einer der Höhepunkte von Herkules von Lubumbashi ist sicher, wenn Elia Rediger alias Glencore-Boss Ivan Glasenberg mit glockenhellem Tenor einen
Wir glauben, dass unsere globale Präsenz und unsere Stärke sich vor allem auf die Gemeinschaften auswirken, in denen wir arbeiten. Wir suchen nicht nur nach Aktivitäten und Programmen, die die Lebensqualität der Menschen in diesen Gemeinschaften verbessern sollen, sondern führen diese auch durch und tragen zu ihnen bei.
Auf der Leinwand: Selbstbeweihräucherung. Dazwischen: leidende Minenarbeiter. Elia Rediger gefällt es, wenn das Publikum auch mal nicht weiß, ob es lachen oder weinen soll. »Man muss manchmal die Anmaßung versuchen!«, findet er. Er möchte dorthin, wo es wehtut. »Die Skandale des Milliardenkonzerns sollen in den Körper rein!«, sagt Elia Rediger. Dorine Mokha findet: Hauptsache, der Zuschauer fühlt überhaupt irgendetwas. »Es hilft niemandem, immer nur wieder zu betonen, wie schrecklich alles ist. Wir wollen mit unserem Stück auch zu Lösungen inspirieren.« Deswegen steht ein Happy End für die beiden Künstler auch nicht im Widerspruch zur ernsten Thematik. Wie kann man also Problemen wie Umweltzerstörung oder Kinderarbeit mit Kunst begegnen? Indem man die Macht eines Weltkonzerns mit der Macht der Kunst herausfordert.
Titelbild: Herc De Lub - copyright