Klar atmen, klar denken? Wie deine Atmung dein Denken beeinflusst
Glaubt man den Versprechungen von Yogis, Meditationsgurus und Atemtherapeut:innen, dann scheint richtiges Atmen der Schlüssel zu einem guten Leben zu sein. Was sagt die Wissenschaft dazu?
Einatmen.
Ausatmen.
Das ist das Erste, was wir machen, wenn wir auf die Welt kommen. Doch im Alltag nehmen wir unsere Atmung kaum noch wahr. Immerhin funktioniert sie vollkommen automatisch. Zum Glück! Denn sie ist enorm wichtig für unseren Körper: Atmen bringt Sauerstoff ins Blut – täglich etwa 500–2.000 Liter bei einem Erwachsenen. Wer aber falsch, zu flach oder verkrampft atmet, reduziert diese Menge deutlich.
Kein Wunder, dass sich mittlerweile Gesundheitsratgeber häufen, die das Thema Atmen neu entdecken. Sie versprechen Hilfe bei zahlreichen Krankheiten wie Asthma oder Diabetes, weniger Alltagsstress und bessere Konzentration. Was ist da dran? Und wie kannst du dir die positiven Aspekte des Atmens zunutze machen – ganz ohne teuren Ratgeber oder Atemkurs?
»Und je freier man atmet, je mehr lebt man.« – Theodor Fontane
Wie wir verlernten, gut zu atmen
Halte an dieser Stelle beim Lesen kurz inne und überlege einen Moment: Wie atmest du gerade? Bewegt sich dein Bauch beim Atmen oder nur dein Brustkorb, sitzt du
Atmen ist eng mit unserem Gehirn, unserem Denken und Bewusstsein verknüpft. Das kann jede:r beim Durchatmen spüren. Denn tiefes Atmen beruhigt – nicht umsonst gibt es das Sprichwort »Erst mal tief durchatmen!« für Situationen, in denen Menschen aufgeregt sind, ob aus Wut, Stress, Frustration oder Schmerz. Konzentrierst du dich auf tiefes Atmen, fällt es dir leichter, klar zu denken und Abstand zu dem zu gewinnen, was dich gerade beschäftigt.
Kinder machen dies übrigens noch ganz automatisch. Sie atmen tief über den Bauchraum, weswegen sich dieser bei Babys sichtbar hebt und senkt. Doch im Laufe des Erwachsenwerdens verlernen wir diese ganz natürliche, beruhigende Atmung. Das ständige Sitzen in Büros und das Arbeiten an Laptops mit gerundetem Rücken lassen kaum tiefe Atemzüge zu. Und je mehr sich der Alltagsstress auf Körper und Geist niederschlägt, desto
Diese Atemübung hilft dir, deinen Körper in Einklang zu bringen
Yogis, Meditationslehrer:innen und
Und da ist etwas dran. Denn ihre Effekte ähneln auffällig denen der reinen Atemtherapie. Es deutet also einiges darauf hin, dass die Verbindung, die unsere Atmung zwischen Körper und Geist herstellt, ein zentrales Element der Erfolgsgeschichte von Yoga,
Schließe kurz die Augen und atme bewusst und langsam ein. Atme 4 Sekunden ein und 6 Sekunden aus und das für 10 Atemzüge. Spürst du, wie es dich beruhigt und sich dein Puls verlangsamt?
Längst ist auch die Wissenschaft neugierig auf das »Wundersystem Atem« geworden. Die Hinweise darauf,
Das weiß die Wissenschaft über den perfekten Atemrhythmus – und was er mit dem Körper macht
Die Idee der Lunge als »Luftpumpe, die den Körper mit Sauerstoff versorgt«, ist nicht grundsätzlich falsch, aber in der Wissenschaft längst überholt. Zahlreiche Forschungen können einen Zusammenhang zwischen Atmung und Geist belegen. Zum Beispiel zeigten Wissenschaftler:innen des Trinity College in Dublin, dass langsames und tiefes Atmen
Diesen Effekt erklären sich die Forscher:innen vor allem damit, dass unser Atem eine Verbindungsstelle zwischen bewussten und unterbewussten Körperprozessen darstellt. Dabei wirkt sie vor allem auf 2 Ebenen:
- Vegetatives Nervensystem: Mithilfe unseres Atems können wir Einfluss auf unser
- Herzschlag: Mit der Atmung können wir so auch unseren Herzschlag aktiv beruhigen – und damit unser Stresslevel senken. Dabei ist der Atemrhythmus quasi der Taktgeber unserer Herzfrequenz. Denn beim Einatmen schlägt unser Herz
Heute ist bekannt, dass eine nicht konstante Herzschlagfolge gut und gesund ist. Die hat
Bei den meisten Untersuchungen hat sich ein ganz bestimmter Atemrhythmus als besonders wirkungsvoll herausgestellt: Die sogenannte »10-Sekunden-Taktaktmung« oder »entschleunigte Atmung«, bei der man
Diese Effekte der langsamen Atmung hat auch Thilo Hinterberger, Professor für Angewandte Bewusstseinsforschung am
Für die meisten der Studienteilnehmer:innen sei diese Frequenz aber gleichzeitig auch am ungewohntesten gewesen, merkt Thilo Hinterberger an. Er rät deshalb, den eigenen Atem ab und an bewusst zu entschleunigen, um sich ans richtige Atmen zu gewöhnen und die Anpassungsfähigkeit
Wie viel Training notwendig ist, um einen Effekt zu spüren, darüber ist sich die Forschung noch uneins.
Langsame Atmung kurbelt dein Gehirn an, sagt die Forschung. So lernst du es richtig
Die Versprechen von Atemexpert:innen und Meditationslehrer:innen gehen aber über Fitness und Herzfrequenzen hinaus. Sie betreffen vor allem die psychische Leistungsfähigkeit. Vereinfacht formuliert: Wer einmal gelernt hat, besser zu atmen, soll auch besser denken können.
Stimmt das?
Die Wissenschaft sagt auch hier: ja – sehr wahrscheinlich sogar! So konnte eine Studie an der Universität in Peking im Jahr 2017 zeigen, dass richtiges, langsames Atmen dabei hilft, bei schwierigen emotionalen oder kognitiven Herausforderungen
Von regelmäßigen Übungen mit langsamem Atmen versprechen sich die Forscher:innen sogar noch mehr – sie könnten zum Beispiel langfristig unsere Aufmerksamkeit verbessern. Erste Studien zeigen, wie unsere Atmung unser Gehirn auf direktem Weg beeinflussen könnte:
- Gehirn und Atmung im Takt: Langsames Atmen scheint die neuronale Aktivität der Großhirnrinde mit
- Ausgeglichener Geist: Einige Studien deuten darauf hin, dass langsames Atmen uns dabei unterstützt, Abstand zu dem zu nehmen, was uns gerade beschäftigt, und die aktuelle Situation im größeren Kontext neu zu bewerten. Das kann dabei helfen, auch unter großem Stress
- Anti-Aging fürs Gehirn: Zusätzlich konnten einige Studien zeigen, dass langsames Atmen auch einen wichtigen chemischen Botenstoff in unserem Gehirn beeinflusst:
Was die enge Verknüpfung zwischen Gehirn und Atmung angeht, steckt die Wissenschaft jedoch noch in den Kinderschuhen. Es braucht einige Jahre wissenschaftlicher Untersuchung, um diese Effekte bestätigen zu können. Die Ergebnisse zeigen aber schon jetzt, welches Potenzial in Übungen zum langsamen Atmen steckt. Und eine davon kannst du ganz leicht selbst erlernen – sie wurde von den Atemforscher:innen rund um Thomas Loew und Thilo Hinterberger bereits ausführlich in der Praxis getestet:
Mit dieser Übung lernst du, besser zu atmen!
Wenn du die Konzentration verlierst, dich ein starkes Gefühl überrollt, du gestresst oder demotiviert bist – in nur 10 Minuten kannst du dir den Fokus aufs Wesentliche zurückholen.
- Achte auf eine aufrechte Körperhaltung.
- Atme 4 Sekunden tief durch die Nase ein und 6 Sekunden durch den Mund wieder aus.
- Lege deine Hand auf den Bauch: Beim tiefen Einatmen sollte sich der Bauch wölben, beim Ausatmen wieder flacher werden.
Für einen natürlichen Rhythmus hilft es, sich Wellen am Meer vorzustellen: Sie schwappen hoch, ziehen sich zurück – und zwischendurch gibt es einen Moment der Pause.
Mache daraus eine Routine!
Titelbild: unsplash/ Xevi Casanovas - CC0 1.0