Warum es uns so schwer fällt, »das Richtige« zu tun
Wir wissen um die Gefahren des Klimawandels. Trotzdem handeln wir nicht. Die Kognitionswissenschaftlerin Imke von Maur erzählt im Interview, wie es ihr gelingt, ihre Ideale in die Tat umzusetzen, und warum dafür kein eiserner Wille nötig ist.
Das macht den Deutschen Sorgen: Nichtsdestotrotz ändern die wenigsten ihr Verhalten, viele fahren weiterhin mit dem Auto statt mit dem Fahrrad zur Arbeit und verzichten weder auf Fleisch noch auf Inlandsflüge. Es besteht also eine Kluft zwischen unseren Überzeugungen und unserem tatsächlichen Verhalten.
Imke von Maur ist Philosophin und Kognitionswissenschaftlerin. Sie forscht unter anderem zur Relevanz von Emotionen in Erkenntnisprozessen. Im Interview spricht sie darüber, woher die Diskrepanz zwischen unseren Werten und unserem Handeln kommt, wie wir alte Denk- und Verhaltensmuster überwinden können und warum wir nicht unbedingt auf etwas verzichten müssen, um nachhaltig zu leben.
Zukunftsorientiert, verständlich, werbefrei. Dafür stehen wir. Mit Wohlfühl-Nachrichten hat das nichts zu tun. Wir sind davon überzeugt, dass Journalismus etwas bewegen kann, wenn er sowohl Probleme erklärt als auch positive Entwicklungen und Möglichkeiten vorstellt. Wir lösen Probleme besser, wenn wir umfassend informiert und positiv gestimmt sind – und das funktioniert auch in den Medien. Studien haben gezeigt, dass Texte, die verschiedene Lösungen diskutieren, zu mehr Interesse führen, positive Emotionen erzeugen und eine erhöhte Handlungsbereitschaft generieren können. Das ist die Idee unseres Konstruktiven Journalismus.
Menschen leben in »kleinen Welten«
Imke, du lebst ziemlich im Einklang mit deinen ökologischen Idealen. Du besitzt kein Auto, fliegst nicht in den Urlaub, kaufst Bio-Lebensmittel, bist bei einer Ethik-Bank, beziehst Ökostrom und so weiter. Bei mir ist das leider anders. Obwohl ich weiß, wie sehr Flüge die Umwelt belasten, und ich mich als umweltbewussten Menschen bezeichnen würde, überwiegt bei mir meist die Bequemlichkeit und ich schaue auf den Preis: Statt den Zug oder das Schiff zu nehmen, fliege ich in den Urlaub. Warum tue ich mich so schwer damit, nach meinen Überzeugungen zu leben und »das Richtige« zu tun?
Imke von Maur: Menschen sind komplex und widersprüchlich. Es hilft aber auch nicht zu sagen: »Naja, wir sind eben manchmal auch ein bisschen unperfekt«. Vielmehr sollten wir das gängige Bild einmal hinterfragen, bei dem Menschen dann als rational gelten, wenn sie gefühl-los erkennen, entscheiden und handeln. Meine These dagegen ist, dass wir ohne angemessene Emotionen einen systematischen Erkenntnisfehler begehen. Um zu verstehen, warum wir uns widersprüchlich zu unseren Überzeugungen verhalten, schlage ich vor, mit der These zu beginnen, dass Menschen in ihrem Leben so etwas wie »kleine Welten« erzeugen, in denen sie Bedeutsamkeit suchen.
Kannst du dazu ein konkretes Beispiel geben?
Imke von Maur:
Nehmen wir einmal an, ich wäre Modebloggerin. Dann hätte ich viel größere Schwierigkeiten, meine Überzeugung zu revidieren, als wenn mir jemand erzählt, meine Idee von Fotosynthese wäre falsch, weil ich damit meine ganze Lebenswelt in Frage stellen würde. Menschen wissen, dass diese Lebenswelten extrem fragil sind. Daher wehren wir uns unbewusst ständig gegen potenzielle Gefährdungen, die diese Lebenswelten in Frage stellen.
Was du schilderst, erinnert an das Modell der Wir suchen unbewusst nach Konsistenz in unseren Überzeugungen, unserem Verhalten und unseren mentalen Rahmenbedingungen. Die Modebloggerin würde demnach erst einmal die Probleme der Näherinnen herunterspielen, bevor sie ihr Verhalten ändert und damit ihre Identität als Modebloggerin in Frage stellt. Außerdem würde sie künftig gezielt Informationen über diese Missstände vermeiden, damit sie sich nicht damit auseinandersetzen muss.
Imke von Maur:
Menschen sind extrem »gut« darin, mit kognitiven Dissonanzen umzugehen und sie einfach zu unterdrücken.
Es gibt viele Beispiele dafür, in denen Menschen inkonsistente Überzeugungen beibehalten können, ohne damit direkt in Berührung kommen zu müssen. Denken wir an die Nachkriegszeit, wo der eigene Opa kein Nazi sein durfte. Dann kommt direkt ein ganzes Narrativ, warum das einfach nicht sein darf.
Uns fehlt der emotionale Kontakt
Naomi Klein schreibt in ihrem Buch unter anderem über Greta Thunberg, welche mit dem Asperger-Autismus diagnostiziert ist: »Menschen mit Autismus neigen dazu, extrem wörtlich zu sein, und haben daher oft Schwierigkeiten, mit kognitiver Dissonanz umzugehen. […] [Greta Thunberg] sah und spürte die volle Auswirkung der Krise und konnte sich nicht von ihr ablenken lassen.«
Imke von Maur:
Wenn wir uns die Fridays-for-Future-Bewegung anschauen, gibt es derzeit einen scheinbaren Erkenntniszuwachs. Aber auch dort existiert noch eine große Diskrepanz: Eltern fahren einerseits dicke Autos und jetten durch die Welt, während sie gleichzeitig sagen, sie liebten ihre Kinder. Wenn sie aber den direkten Zusammenhang spüren könnten – zwischen ihrem jetzigen Verhalten und dem, was sie ihren Kindern damit in Zukunft antun –, würde ihre Entscheidungsgrundlage ganz anders aussehen.
In unserer Lebenswelt fehlt der direkte Kontakt zur Klimakrise. Wir sehen weder die Auswirkungen noch die Schäden. Zwar wissen wir aus den Nachrichten, dass die Pole schmelzen und die Malediven bald untergehen, aber es hat keinen Bezug zu unserem Leben.
Imke von Maur:
Ja. Die Klimakrise berührt uns nicht in dem Maße, in dem sie uns berühren müsste, damit wir wirklich etwas ändern würden. Wir scheinen zu wissen – aber wir verstehen nicht richtig. Und zwar weil wir nicht affiziert – also emotional berührt – sind. Wir werden mit Zahlen, Fakten und Statistiken konfrontiert, doch die lösen nichts aus. Der Psychologe Paul Slovic nennt das »psychische Taubheit«: Wir sind abgestumpft und diese Informationen prallen einfach an uns ab.
Im Kontext von Flucht hat das Bild des angespülten Leichnams eines kleinen Kindes einen extremen Wandel hervorgebracht, weil uns das wirklich bewegt hat. Es hat das ganze Leid eines konkreten Menschen mit einem Namen – nämlich Alan Kurdi – erfahrbar gemacht, und damit von vielen Menschen: Menschen mit konkreten Hoffnungen, Bedürfnissen und Zielen, die auf dem Meer ihr Leben lassen. Wenn man das nur in Zahlen ausdrückt, die von dem konkreten, unermesslichen Leid abstrahieren, kommt genau dieses Phänomen nicht bei uns an. Doch erst dann ist der Begriff »rational« gerechtfertigt. Anders ausgedrückt: Informationen ohne Gefühle oder mit irgendwelchen emotionalen Wallungen sind nicht rational. Es reicht ja auch nicht, irgendetwas zu denken, um die strengen Kriterien für Rationalität zu erfüllen.
Wenn wir versuchen, das Problem lediglich über Informationsdefizite zu lösen, treffen wir zwar einen Kern, gehen aber auch an dem Problem vorbei. Wir haben nämlich ein Erkenntnisproblem in unserer Gesellschaft, das auf fundamentalen Bildungsproblemen beruht.
Also haben wir eigentlich ein Bildungsproblem?
Imke von Maur:
Ja, aber damit meine ich nicht Bildung in Form von »Fakten« und »Wissen«, sondern zum Beispiel die Unfähigkeit, Kritik zu äußern. Wir wollen nicht die Zerstörer von bestimmten Situationen sein. Das kann man schon am Weihnachtstisch sehen: Der patriarchalische Onkel macht während des gemeinsamen Essens einen sexistischen Witz – und ich lache nicht darüber. Dann bin ich, wie Sara Ahmed sagt, der »Kill Joy« und mache die ganze Situation kaputt. Das ist extrem unangenehm.
Wenn wir Menschen schon in der Grundbildung helfen würden, sich zu Persönlichkeiten zu entwickeln, die Widersprüche in ihrer Person einsehen und auch annehmen können, dann wären wir schon viel resistenter gegenüber einer einzigen starren Identität oder Gruppenzugehörigkeit.
Neue Gewohnheiten sind ein erster Schritt
Wie können wir diese Analyse jetzt nutzen, um uns nachhaltiger zu verhalten?
Imke von Maur:
Ich glaube, eine wesentliche Lösung auf der individuellen Ebene besteht darin, aus diesen Spiralen auszusteigen und die eigenen Verhaltensweisen zu dekonstruieren. Ein gesellschaftliches Problem, das uns davon abhält, anders zu leben, ist zum Beispiel dieser unfassbar übersteigerte Konsumismus. Viele Dinge, die wir für normal, selbstverständlich oder unser gutes Recht halten, sind einfach Illusionen. Dieser ganze Markt ist eine komplette Illusion, weil Trinkwasser einfach aus der Leitung kommt.
Das heißt, du strukturierst dein Leben so um, dass du erst gar nicht mit den Reizen des Konsumismus in Berührung kommst?
Imke von Maur:
Der erste Schritt ist, das zu tun, was wirklich Wert hat, was »gut« ist und was mich nicht dauernd ablenkt. Ich kriege zum Beispiel jede Woche diese grüne Bio-Kiste und muss dadurch so gut wie gar nicht mehr in den Supermarkt gehen. So werde ich gar nicht erst vor die Frage gestellt, ob ich die ganzen Dinge, die dort beworben werden, haben will oder brauche. Das zieht dann lauter andere Veränderungen mit sich, ohne dass ich mich explizit für diese entscheiden muss.
Wenn ich dich richtig verstehe, hat das aber immer etwas mit Verzicht zu tun.
Imke von Maur:
Das glaube ich eben nicht. Wir sehen diesen übersteigerten Konsumismus und die Freiheit, überall hinzufliegen, als Normalzustand an – das ist aber nicht so.
Es wird uns aber so vorgelebt. Wir sind mit dem Versprechen aufgewachsen, dass Produkte im Supermarkt immer billiger, Reisen immer einfacher und Wachstum immer mehr wird.
Imke von Maur:
Zumindest die Sache mit dem Wachstum liegt ja auf der Hand: Es gibt kein unendliches Wachstum in einer endlichen Welt. Wenn wir glauben, wir könnten alles auf einmal und für uns haben, nehmen wir auf jeden Fall jemandem etwas weg. Mitunter machen wir uns sogar des Totschlags schuldig, weil wir Menschen ihre komplette Lebensgrundlage entziehen. Verzicht würde aus dieser Perspektive lediglich bedeuten, dass ich andere Menschen nicht schädige: Das ist grotesk.
Wir klammern uns an dem Glauben fest, unendliche Möglichkeiten zu haben, ohne uns einschränken zu wollen. Dabei stillen wir mit diesem Konsum nicht einmal Bedürfnisse, die wir wirklich haben, sondern welche, die wir systematisch erzeugen. Wir haben eine Druck- und Überforderungsgesellschaft kultiviert, in der niemand mehr zur Ruhe kommt, in der die Depressionsraten immer weiter steigen und Menschen sich sinnentleert fühlen. Uns fehlt eine Reflexion darüber, was für Lebensentwürfe wir eigentlich gewählt haben. Es geht nicht darum, auf Dinge zu »verzichten«, die unser Leben vermeintlich besser machen, sondern sich wirklich einmal hinzusetzen und zu überlegen: Was will ich eigentlich mit dem kleinen Zeitfenster, das ich auf diesem Planeten habe, Sinnvolles tun?
Was kann ich jetzt ganz konkret tun?
Imke von Maur:
Vielleicht könntest du damit anfangen, dich in bestimmten Situationen wahrzunehmen und zu fragen: Warum tue ich das überhaupt? Brauche ich das wirklich? Tut mir das überhaupt gut?
Sich auf Fehler zu konzentrieren löst Reaktanz aus. Es wäre eine bessere Idee, konstruktive Narrative zu erzählen – zum Beispiel die Befreiung aus einer Stressgesellschaft. Dann wird aus dem vermeintlichen Verzicht auf einmal ein Gewinn.
Dieser Artikel ist Teil des journalistischen Projekts »Tu, was du für richtig hältst!«, das dir helfen soll, dein Verhalten mit deinen Idealen in Einklang zu bringen. Um mehr darüber zu erfahren und herauszufinden, wie groß die Lücke zwischen deinen Idealen und deinem Verhalten ist, klicke hier! Das Projekt erfolgt in Kooperation mit dem Wuppertal Institut (WI) und wird gefördert von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU).
Mit Illustrationen von
Doğu Kaya
für Perspective Daily
Niklas Bub studierte 4 Jahre Medizin, bevor er seinen Bachelor-Abschluss in Kognitionswissenschaften machte. Seit 2018 arbeitet er als freier Autor für »Perspective Daily«.