Deshalb flüchtete Isa doch nicht nach Deutschland
Vor einem Jahr erzählte mir Isa, dass er aus dem Libanon nach Deutschland flüchten will – wegen der Bomben und Kämpfe in seiner Stadt. Aber etwas hat ihn davon abgehalten.
»Ich will nicht sterben«, sagt
Was fürchtet der 24-Jährige so sehr? Es sind die Scharfschützen in dem Nachbarviertel, die ihn jederzeit wieder ins Visier nehmen könnten; das Risiko, noch einen geliebten Menschen zu verlieren, wie seinen 12-jährigen Cousin, der auf offener Straße erschossen wurde. Deshalb will Isa über das Meer Richtung Deutschland. Vielleicht. Denn erst vor ein paar Tagen hat er gehört, dass 2 seiner Freunde bei der Überfahrt nach Griechenland ertrunken seien. Die Gefahr sitzt Isa nicht nur im Nacken, sie lauert auch vor ihm auf dem Meer.
Der Hass der anderen
Isa wächst in einen Konflikt auf. Keine 30 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt, bekämpfen sich auch im Libanon bis vor 2 Jahren
Ihr Geld entscheidet, wann die Gefechte beginnen und wann sie enden. Und auch radikale Islamisten nutzen das Misstrauen, um die Bewohner der 2 Viertel gegeneinander aufzubringen. Arbeitslosigkeit und fehlende Perspektiven tun ihr Übriges, treiben vor allem junge Tripolitaner an den Rand der Gesellschaft und damit direkt in die Arme von
Im Libanon sagt man, dass wir aus Tripoli alle Terroristen seien. Für andere Libanesen und für unsere Politiker sind wir schon längst gestorben. Und du fragst mich, warum ich weg möchte?!
Je mehr er mir über sein junges Leben und die destruktiven Umstände erzählt, desto schwerer wiegt der weinrote deutsche Pass in meinem Rucksack. Wir sind fast gleich alt. Doch mir sitzt kein Konflikt im Nacken. 4 Stunden dauert der Flug vom Libanon nach Deutschland. Isa wäre mindestens einen Monat lang zu Wasser und zu Land unterwegs. Ob er danach wirklich in einem neuen, besseren Leben ankommen würde, ist ungewiss. Und eigentlich will er auch nicht weg, aus seiner Heimat, von seiner Familie, von seinen Freunden.
Gehen oder bleiben?
Isa ist geblieben. Vor 3 Wochen habe ich ihn wieder getroffen. An der
Mit anderen jungen Tripolitanern betreibt Isa jetzt das Kulturcafé. Gemeinsam mit Alawiten, obwohl er Sunnit ist. Das ist das Konstruktive an dem Projekt: Das Café hat sich zu einem Treff für Jugendliche aus den verfeindeten Vierteln entwickelt. Lokale NGOs buchen den Ort für Kunstworkshops oder Kindertheater, und die erste gemischte Rap-Gruppe
Ein Nachbarschaftsprojekt wie dieses wäre vor 2 Jahren, auf dem Höhepunkt der Kämpfe, noch unvorstellbar gewesen. Doch dann rückte die libanesische Armee in die Viertel ein. Wo einst bewaffnete Milizen die Straßen kontrollierten, stehen heute Soldaten mit Sturmgewehren. Für die Bewohner bedeutet das Sicherheit und dass sie wieder ihrem Alltag nachgehen können.
Daraufhin öffneten sich die Quartiere auch für Initiativen lokaler NGOs. So entstand das Kulturcafé zusammen mit der
Ihre jungen Stimmen müssen gehört werden, ansonsten werden sie auf sich nur destruktiv aufmerksam machen. Sie müssen also spüren, dass sie etwas in ihren Vierteln verändern können.
Dem Hass mit Perspektiven begegnen
Baroudi und ihr Team legen bei ihrer Arbeit mit den Jugendlichen viel strategisches Fingerspitzengefühl an den Tag, um Vertrauen aufzubauen und die Idee einer Aussöhnung zu verbreiten.
»Die gemeinsame Tragik ihres Lebens verband sie.«
»Je länger die Jugendlichen einander zuhörten, desto mehr erkannten sie, dass sie von denselben Dämonen heimgesucht werden: Armut, fehlende Perspektiven und der Verlust geliebter Menschen. Die gemeinsame Tragik ihres Lebens verband sie«, erzählt Baroudi. In dem Theaterprojekt galt es dann, gemeinsame Interessen zu stärken: Musik und Humor. Heraus kam die Tragikomödie »Krieg und Frieden auf den Dächern Tripolis« – eine moderne Adaption von William Shakespeares »Romeo und Julia«.
Es ist letztendlich nicht nur ein Theaterprojekt oder ein Kulturcafé, weswegen junge Menschen wie Isa in ihrer Heimat bleiben. Mit jeder Chance, die ihnen gegeben wird, schwindet der Hass. Die giftigen Narrative von Extremisten, die das politische und religiöse Vakuum über Jahrzehnte füllten, prallen zunehmend an der jungen Generation in Tripoli ab. Denn die wünscht sich einen Imagewechsel, weg von dem Tripoli als »Terroristenhochburg«, hin zu einem positiven Bild seiner Bewohner. Deshalb geht Isas Blick nicht mehr raus aufs Meer, sondern er schaut auf die Zukunft seiner Stadt und die Perspektiven, die er mitgestalten kann.
Titelbild: Juliane Metzker - copyright