Das beste Konjunkturprogramm
Klimawandel und die Weltwirtschaft: 2 Dauerbrenner unter den globalen Herausforderungen unserer Zeit. »Gemeinsam« können wir sie beide lösen.
Wer schon mal 2 Ökonomen nach ihrer Sicht auf die Lage der Welt gefragt hat, kennt die Verwirrung, die eine solche Befragung meist hinterlässt: Seit der Finanzkrise ist unsere Weltwirtschaft nicht mehr richtig in Schwung gekommen. Die Aussichten auf eine baldige Erholung sind äußerst trübe.
Was also tun? Was ist das für ein unübersichtliches Hin und Her? Haben wir es hier etwa mit höchst widersprüchlichen wirtschaftspolitischen Handlungsvorschlägen zu tun? Keineswegs!
Was tun? In der neuen Unübersichtlichkeit …
Die scheinbar gegensätzlichen Anforderungen an nationale und internationale Politik und Wirtschaft deuten eher auf eine »Win-win-Option« hin, der in den bisherigen Debatten zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Fast scheint es zu paradox, um wahr zu sein: Wir können den Einstieg in neues, weltweites Wachstum mit dem Ausstieg aus einem alten Wachstumsmodell verbinden. Konkret heißt das: Wir »kick-starten« unsere nationale und globale Wirtschaft nicht durch traditionelle
- Neue Produkte und Produktionsverfahren, die Ressourcen schonen,
- Neue Formen von Energieversorgung und -einsparung
- Neue energieeffiziente Infrastruktur, vor allem für den Transportsektor
Die Botschaft der Klimaforscher ist eindeutig. Wir müssen diese Transformation angehen, je früher desto besser. Warum also nicht jetzt?
Das klingt zugegebenermaßen fast zu simpel und vielleicht auch etwas abenteuerlich. Gehen wir die Frage also ein wenig systematischer an. Also: Wie können wir neues Wachstum ankurbeln bei gleichzeitigem Ausstieg aus dem alten Wachstum, das uns die aktuellen Probleme eingebrockt hat?
Was tun? Mit der Weltwirtschaft …
Die Auswirkungen der letzten globalen Finanzkrise und der anschließenden wirtschaftlichen Rezession sind zwar bei Weitem nicht vergleichbar mit der Krise der 1930er-Jahre, aber nach wie vor deutlich sichtbar. Der Ausgang bleibt ungewiss. So schlugen sich die unterschiedlichen Rettungsmaßnahmen für den Finanzsektor und die unterschiedlichen Konjunkturprogramme in den meisten Ländern zunächst in hohen Staatsdefiziten nieder,
3,1% bzw. 3,4% lautet die Prognose für die Weltwirtschaft insgesamt im Jahr 2016 bzw. 2017. In Japan verbleibt das Wachstum anhaltend niedrig, ähnliches gilt für die USA und die EU. Zwar schneiden Indien und China deutlich besser ab, aber die meisten anderen Schwellenländer schwächeln, wie zum Beispiel Russland oder Brasilien mit negativen Wachstumsprognosen für dieses Jahr. Die negativen sozialen Folgen dieser Entwicklung sind gut bekannt, denn Arbeitsplätze werden abgebaut und die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt nimmt zu.
Bei der Antwort auf die Frage, wie wir aus der
3 Vorschläge bestimmen die Diskussion:
- Strukturreformen umsetzen: Eine Minderheit an Fachleuten fordert: Man sollte aufgrund der bereits hohen Staatsverschuldung an Strukturreformen festhalten, sprich:
- Staatliche Ausgaben erhöhen: Die Mehrheit der Ökonomen sieht eine weltweite Nachfrage-Lücke und tendiert eher zu einer massiven Erhöhung staatlicher Ausgaben,
Auch der häufig geforderte Abbau von Überschüssen in der deutschen Handelsbilanz ist kompliziert. Die Idee dabei: Deutsche Unternehmen und Konsumenten müssten deutlich mehr importieren, um so die ausländische Produktion zu erhöhen. Fraglich ist dabei, wie und wer die so entstehende Importnachfrage genau in die Länder und Regionen lenkt, - »Schöpferische Zerstörung«: Hans-Werner Sinn, langjähriger Präsident des
Gerade diese letzte Option der »kreativen Zerstörung« klingt nach einem Schockrezept. Sie findet in der Praxis in allen Wirtschaftsprozessen statt, allerdings meist eher über längere Zeiträume. Erinnern wir uns an das »Automobil« in den 1990er-Jahren, dann an das heutige Auto und danach an das, was kommen soll. Veränderungen brauchen meist Zeit. Werden neue Generationen von Produkten mit einem Paukenschlag eingeführt, bringt das sicher große soziale und politische Unsicherheiten mit sich. Und wäre nicht zuletzt auch politisch schwer durchsetzbar.
Trotzdem sehe ich in allen 3 vorgeschlagenen Maßnahmen interessante Potenziale. Dafür bedarf es jedoch eines neuen, veränderten Kontexts. Und der könnte folgendermaßen aussehen.
Was tun? Mit dem Klima von 2015–2050 …
Die vorletzte Klimakonferenz in Paris endete im Dezember 2015 mit einer überraschend klaren Übereinkunft aller Vertragsstaaten. Sie waren sich einig, dass das Klimaproblem in den nächsten Jahrzehnten angegangen werden müsse, um so die globale Erderwärmung auf 2 Grad Celsius zu beschränken. Im Idealfall würden wir sogar darunterbleiben.
Mittlerweile hat die Mehrheit der Vertragsstaaten das Pariser Klimaprotokoll ratifiziert.
Ein Blick auf die jetzigen und erforderlichen Emissionskurven der OECD-Länder, der großen Schwellenländer wie China, Indien und Indonesien, zeigt, wie ehrgeizig diese Ziele sind. Aber die Zeit drängt. Denn je später wir beginnen, desto energischer müssen wir die Treibhausgase in Zukunft reduzieren, um das 2-Grad-Limit einzuhalten. Ab 2050 müssen laut Plan nicht nur weltweit aggregiert »0-Emissionen« vorliegen, sondern sogar »negative Emissionen« stattfinden. Das bedeutet, dass wir der Atmosphäre
In Paris gab es nicht nur Zusagen zu den Emissionszielen: Ab 2020 sollen Entwicklungsländer Finanztransfers in Höhe von jährlich rund 100 Milliarden US-Dollar und seit dem Jahr 2025 jährlich weitere 100 Milliarden US-Dollar erhalten. Damit sollen Anpassungs- und Reduktionsmaßnahmen finanziert werden und neue Technologien zur Verfügung gestellt werden. Wir haben es also mit beachtlichen Transfers zu tun, die vom Umfang her ab 2025 mehr als das Doppelte der heutigen jährlichen Entwicklungshilfeleistungen der OECD-Länder betragen. Die lagen 2015 bei 132 Milliarden US-Dollar.
Unabhängig von diesen Transfers werden weltweit weitere beachtliche Umbaukosten entstehen, und zwar für alle gesellschaftlichen Gruppen. Insbesondere ressourcenintensive Branchen müssen dergestalt umgebaut werden, dass ein emissionsarmes, »grünes« Wachstum möglich ist. Dies betrifft beispielsweise
- Energieversorgung
- Transportwesen
- Industrielle Produktion
- Landwirtschaft
Das dürfte einerseits klare politische und gesetzliche Vorgaben erfordern. Denn erst, wenn Regierungen – idealerweise im Verbund – klare und glaubwürdige Startsignale geben, werden private Unternehmen und Haushalte die erforderliche Planungssicherheit für größere Ausgaben haben. Andererseits bedarf es aber auch massiver Investitionen seitens der öffentlichen Hand selbst, zum Beispiel in Forschung und Entwicklung und in die (produktive) Infrastruktur, also etwa in die »Dekarbonisierung« der Energieversorgung und des Transportwesens. Regierungen und Verwaltungen müssten sich überdies auf Programme verständigen, die finanzielle Anreize für alte und neue Unternehmen setzen, zu neuen, emissionsarmen wie ressourcenschonenden Produktionsverfahren zu wechseln und vor allem auch diejenigen angemessen entschädigen, die in emissionsstarken Branchen – also beispielsweise in der Kohleförderung – beschäftigt sind.
Interessant sind in diesem Zusammenhang Schätzungen des
Das sind sehr beachtliche Summen. Wenn wir sie mit der derzeitigen Summe der jährlichen Investitionen im Energiesektor (rund 1200 Milliarden US-Dollar) weltweit vergleichen, sind diese Transformationskosten jedoch durchaus vertretbar. Die Investitionsströme müssten nur möglichst zügig und dann anhaltend über mehrere Dekaden in Richtung einer massiven
1 + 2 … ergibt Wachstum
Spätestens jetzt sollte klar sein, wie sich die bisherigen Diskussionen miteinander verbinden lassen – und Antworten auf offene Fragen liefern. Wir können entgegen der Befürchtungen vieler Skeptiker den Übergang in eine nachhaltigere Zukunft nicht nur finanzieren, sondern sogar davon »profitieren«. Von einem »High carbon«- zu einem »Low carbon«-Wachstumsmodell. Alle Ausgaben dafür wären angesichts der Diskussionen um eine weltweite Nachfragelücke und notwendige fiskalische Stimuli wirtschaftlich ein höchst willkommener »Big push«.
Natürlich würden sich viele Staaten bei der Übernahme solcher Investitionen weiter und hoch verschulden. Aber dies wäre eher eine strategische Verschuldung, die die Finanzmärkte – so vermute ich – anders wahrnähmen als bei klassischen Konjunkturprogrammen. Es handelt sich dabei um ohnehin anstehende Zukunftsinvestitionen, die nur noch nicht als solche wahrgenommen werden. Auch könnte man sich einen gezielten Einsatz von »Helicopter Money« für derartige Transformationen vorstellen. Damit wären jene Ökonomen vermutlich zufrieden, die Erhöhungen staatlicher Ausgaben fordern.
Sicher aber benötigen wir bei derartigen massiven Ausgabenprogrammen neue, möglichst internationale Regeln und funktionierende Überwachungsbehörden. Den »Geldhahn aufdrehen« zu können, kann Politiker auch veranlassen, waghalsige Prestigeprojekte durchzuführen. In vielen Ländern müssten daher Reformprogramme (nach wie vor) sicherstellen, dass öffentliche Mittel nicht nur zweckbestimmt, sondern auch effizient ausgegeben werden. Es müsste klar sein, dass das öffentliche Finanzmanagement verbessert und auch eine spätere fiskalische Konsolidierung ermöglicht würde. Das bedeutet, dass die Ausgaben bei Bedarf auch wieder zurückgefahren werden könnten. Gerade die letztgenannte Fähigkeit dürfte ein wichtiges Signal an die Finanzmärkte sein. Begleitende Strukturreformen dieser Art dürften also die erste Gruppe von Ökonomen zufriedenstellen.
Eigentlich nichts Neues …
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie der Diskurs zu Umweltschutzmaßnahmen in den späten 1970er- und frühen 1980er-Jahren ablief. Obwohl das Ruhrgebiet seinerzeit noch das grauschwarze Ruhrgebiet war, galten Investitionen in den Umweltschutz als klarer Jobkiller und als Wachstumsbremse. Als sicher galt auch damals, dass sie »unsere Konkurrenzfähigkeit« erodieren, und auch die Gewerkschaften trugen sich zumeist mit Bedenken und befürchteten den Verlust von Arbeitsplätzen. Seit gut 20 Jahren beobachten wir allerdings genau das Gegenteil.
Maßnahmen zum Umweltschutz – das heißt heute: die Erderwärmung minimieren – könnten in den nächsten Jahren erneut zum Wachstumsmotor werden. Und das in einer Zeit, in der Neuinvestitionen weltweit dringend erforderlich sind. Angesichts der gewaltigen Aufgaben könnte es sich sogar um ein jahrzehntelanges Wachstum handeln und zur Herausbildung neuer Wettbewerbsfähigkeit bei denjenigen führen, die entschiedener Innovationen voranbringen.
Das Ausmaß der anstehenden Veränderungen dürfte dabei so immens sein, dass die »Revolution« durch die – mittlerweile nicht mehr ganz so »neuen« – Informations- und Kommunikationstechnologien der vergangenen beiden Jahrzehnte dagegen ein Klacks wäre.
Wir hätten es wohl auch mit einer Art der »kreativen Zerstörung« zu tun. Stellen wir uns vor, wir blickten – wie unlängst Leonardo DiCaprio in seinem neuen
Warum nutzen wir also den Klimawandel – und die erforderliche Dekarbonisierung – nicht, um unsere Weltwirtschaft wieder in Gang zu bringen?
Titelbild: Karsten Würth - CC0 1.0