Rassismus im Wappen? Wie sich diese Kleinstadt nun mit ihrer Geschichte beschäftigen muss
In Coburg gibt es Streit um das Stadtwappen. Zwei Aktivistinnen aus Berlin wollen es ändern, Teile der Stadtgesellschaft reagieren empört. Was eine lokale Debatte über strukturellen Rassismus in Deutschland verrät.
Coburg ist leer in Zeiten von Corona. Der sogenannte »Coburger
Tahir Della von der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD) sagt, in der Darstellung fänden sich rassistische Stereotype wieder. Der Coburger Historiker und Stadtheimatpfleger Hubertus Habel dagegen bezeichnet die Darstellung gegenüber dem Coburger Tageblatt als
Als Coburgerin habe ich mich schon oft gefragt, warum das Stadtwappen bislang noch nie zur Diskussion stand. Die Schwarze Antidiskriminierungstrainerin Tupoka Ogette liefert in ihrem Buch »Exit Racism. Rassismuskritisch denken lernen« vielleicht einen Erklärungsansatz: Als
Rassistische Strukturen in Coburg?
Doch jetzt wird die Stadtgesellschaft auf einmal mit ihrem Selbstverständnis und rassistischen Strukturen in der Stadt konfrontiert. Die Proteste nach dem gewaltsamen Tod des Schwarzen George Floyd in den USA und die darauffolgende Debatte um Polizeigewalt und Rassismus beschäftigen auch Deutschland.
»Das Coburger Stadtwappen stellt ein verletzendes, rassistisches, kolonialistisches Stereotyp eines Schwarzen Menschen dar« – Aus der Petition zur Änderung des Coburger Stadtwappens
In Coburg rücken die
In ihrer Petition benennen Reuther und Archie sowohl die Bezeichnung des Heiligen Mauritius als »Coburger M*« als auch seine stereotype Darstellung als Rassismus – und fordern eine »Änderung des Wappens, um Schwarzen Menschen den Respekt zu geben, den sie verdienen, und sie nicht weiter auf ein diskriminierendes Klischee, das man so aus der Zeit der Sklaverei kennt, zu reduzieren.«
In einem Brief an den Coburger Oberbürgermeister Dominik Sauerteig kritisieren die Berliner Journalistinnen, die in Oberfranken aufgewachsen sind, das M*-Wort als Fremdbezeichnung für Schwarze Menschen, die den Begriff als
Verfechter:innen des Coburger Stadtwappens versuchen, diese Argumentation mit dem Hinweis
Mauritius als Märtyrer und Schutzpatron
Rückblick in eine Zeit vor über 1.700 Jahren und an einen Ort mehr als 3.300 Kilometer Luftlinie von Coburg entfernt. Hier, am Rande des Nilufers im heutigen Luxor in Ägypten, soll der Mann namens Mauritius, der heute Coburgs Stadtwappen, Infotafeln, Gullydeckel und Gebäude ziert, Anführer einer römischen Legion gewesen sein. 285 nach Christus wurde seine Truppe im Kampf gegen den gallischen Aufstand im Römischen Reich eingesetzt. Vor der Schlacht in der heutigen Schweiz weigerten sich die mehr als 6.000 christlichen Soldaten und ihr Legionsführer Mauritius, in einem Feldgottesdienst den römischen Kaiser Maximilian zu verehren, und meuterten. Mauritius wurde enthauptet – und wird seitdem als Märtyrer unter Christ:innen und als Schutzpatron unter Soldat:innen verehrt.
In Agaunum (dem heutigen St. Moritz), am vermeintlichen Ort seines Todes, wurde eine Kirche und später ein Kloster errichtet, das den Reliquienkult und den Heiligenstatus von Mauritius weiter in den europäischen Norden brachte: Im Jahr 888 wurde Mauritius zum Schutzpatron des Burgundischen Reiches ernannt und 960, nach der ehelichen Vereinigung burgundischer Prinzessinnen und deutscher Kaiser, wurden die ersten Reliquien dem Benediktinischen Moritzkloster in Magdeburg übergeben.
Es war die Hochzeit der Mauritiusverehrung, und in ganz Deutschland entstanden Mauritiuswappen und sogenannte Morizkirchen, wie sie heute auch Coburg prägen.
Ich frage mich, ob das Wappen wirklich so wichtig für die Bürger:innen der Stadt ist, und starte eine Onlineumfrage, an der 128 Menschen teilnehmen. Rund die Hälfte von ihnen gibt an, dass sie das Coburger Wappen als wichtig für das Selbstverständnis der Bürger:innen empfinden. Trotzdem kennen nur weniger als die Hälfte der Teilnehmenden die Geschichte des Heiligen Mauritius.
Mauritius wird zum »Coburger M*«
Wann genau Mauritius der Schutzherr Coburgs wurde, ist ungeklärt. Das Mauritiuspatrozinium von Coburg ist erst ab 1323 urkundlich benannt, der Legende nach soll die Stadt bei der Überführung der Reliquien nach Magdeburg in den Jahren ab 960 als Rast- und Übergabeort der heiligen Überreste gedient haben.
Nach Angaben des Coburger Historikers Harald Sandner prägte Mauritius’ Abbild etwa ab 1380 Coburger Münzen und Wappen. Seine Bezeichnung als M*-Kopf wurde im Jahr 1493 zum ersten Mal schriftlich festgehalten. Während Mauritius’ Profil auf Wappen, Münzen und Siegeln der Stadt Coburg zunehmend dem Meißner Löwen seinen Rang als städtisches Symbol streitig machte, durchlief sein Name, das M*-Wort, eine weniger ehrenwerte Entwicklung.
Die Soziologen Wulf D. Hund und Malte Hinrichsen beschreiben in ihrem Text »Metamorphosen des ›Mohren‹. Rassistische Sprache und Historischer Wandel« verschiedene Umbruchphasen in der Entwicklung des Wortes, das bereits zu Beginn seiner Nutzung negativ besetzt war. Einerseits kann das Wort auf die reine Herkunftsbezeichnung »Maure«, andererseits aber auch auf das griechische »moros« (»töricht«, »gottlos«) zurückgeführt werden. Auch Alisha Archie und Juliane Reuther gehen in ihrer Petition auf diese Ursprünge ein.
Der Coburger Stadtheimatpfleger Hubertus Habel zweifelt diese Herleitung des Wortes in einem Interview mit der Bayerischen Staatszeitung an. Er meint:
In meiner Umfrage finden 56% der befragten Coburger:innen, das M*-Wort sei nicht negativ konnotiert. Fast 50% der Coburger:innen, die an der Umfrage teilnehmen, geben gleichzeitig zu, nur sehr wenig über den deutschen Kolonialismus zu wissen.
M* als Fremdbezeichnung und Kategorisierung
Seit dem 18. Jahrhundert wurde das M*-Wort von Weißen Menschen genutzt, um Schwarze Menschen anhand ihrer Erscheinung zu kategorisieren.
Ein Beispiel für diese rassistische Fremdbezeichnung ist der im Jahr 1784 erschienene Beitrag »Über die körperliche Verschiedenheit des M* vom Europäer« von Samuel Thomas Soemmering. Darin beschreibt Soemmering das vermeintlich kleinere Gehirn eines M*, das seine »Wildheit […] erläutern« würde. Die rassistischen Ideologien, die den ab 1500 expandierenden Sklavenhandel und den europäischen Kolonialismus rechtfertigten, beinhalteten auch die Vorstellung von Schwarzen Menschen als Diener:innen und Unterlegenen. Oftmals wurden diese explizit als M* bezeichnet.
Hinrichsen und Hund zitieren aus dem »Universal-Lexicon der Völker- und Ländergeschichte, von der ältesten bis auf die gegenwärtige Zeit« von Karl Friedrich Köppen und Samuel Christoph Wagener aus dem Jahr 1806, man nenne »einen ganz schwarzen Afrikaner, welche vornehme Herren zu ihrer Bedienung halten«, einen M*.
Nach Angaben des Historikers Harald Sandner beschäftigte auch Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha am Coburger Hof einen ostafrikanischen Kammerdiener, den er 1842 von seiner Hochzeitsreise mitbrachte. Dieser aus seiner Heimat entführte Diener wurde von der Coburger Bevölkerung der »lebendige M*« gerufen.
Für die Aktivistinnen Alisha Archie und Juliane Reuther sowie die Unterstützer:innen der Petition sind diskriminierende Klischees in das Coburger Wappen und seinen Namen eingeschrieben, obwohl der Ursprung des Mauritiuskultes weit vor der Zeit des deutschen Kolonialismus liegt. Ich frage bei 11 Schwarzen Personen und People of Colour (PoC) aus verschiedenen afrodeutschen Vereinen und Initiativen nach. Alle empfinden die Bezeichnung »Coburger M*« als Ausdruck von Rassismus und 10 von ihnen fühlten sich von der Benutzung des M*-Wortes generell verletzt. Alle 11 Befragten, denen zuvor die vorkoloniale Geschichte des Coburger Mauritius erklärt wurde, waren außerdem der Meinung, Mauritius’ begriffliche Darstellung als »Coburger M*« habe mit kolonialen Strukturen zu tun.
Koloniale Fantasien – damals wie heute
Der peruanische Soziologe Aníbal Quijano fasst die heute noch wirkenden Abhängigkeiten aus Zeiten des Kolonialismus unter dem Begriff der »Kolonialität der Macht« zusammen: Spuren des Kolonialismus in Sprache und Darstellung, die noch immer wirken.
»Die Darstellung Schwarzer Menschen beruht leider auch heute noch auf stereotypen und diskriminierenden Vorstellungen und kolonialrassistischen Fantasien«, meint auch Tahir Della von der ISD.
Eine erste Debatte um diese Fantasien und Klischees im Coburger Wappen entspann sich in den 50er-Jahren. Nachdem die Nationalsozialist:innen in Coburg das Wappen aus dem öffentlichen Raum verbannt hatten, wurde es im Jahr 1945 nach Kriegsende vom kommissarischen Bürgermeister Alfred Sauerteig rehabilitiert, wobei verschiedene Darstellungen von Mauritius in Coburg kursierten. Tatsächlich ist das Aussehen des Heiligen Mauritius bis heute nicht eindeutig erforscht. Der Bildhauer Edmund Meusel führte um 1950 herum das aktuell geführte Wappen der Stadt wieder ein, das in dieser Form bereits Anfang des 20. Jahrhunderts in Coburg verbreitet war – in einer Zeit, in der Kolonialismus und Rassendenken die Gesellschaft prägten.
Emil Steiner, der in den 50er-Jahren als Kulturamtsleiter der Stadt Coburg fungierte, plädierte daraufhin in einem Schreiben an den Stadtrat für eine »künstlerisch einwandfreie und auch menschlich sympathische Darstellung des Mauren«. Steiner sprach von einer Darstellung von Mauritius als »Menschenfressertyp«. Er riet dazu, die »Verachtung und Verspöttelung« zu beenden und Unwahrheiten aufzuklären. Ein Designwettbewerb sollte eine Alternative zur »meist zur Karikatur entarteten Darstellung« des Heiligen Mauritius finden.
Der erfolgreichste Entwurf wurde 1953 gekürt und als Gestaltungsvorlage festgelegt, aber vom damaligen Oberbürgermeister Walter Langer ignoriert. Er hielt an Edmund Meusels Darstellung fest, die nun bis heute das Stadtwappen ziert.
Warum klammern sich viele Menschen an das stereotype Erscheinungsbild und die diffamierende Bezeichnung des Mauritius? In meiner Umfrage unter Coburger:innen ist rund die Hälfte der Befragten gegen eine Änderung der Darstellung oder des Namens im Wappen.
Wo fängt Rassismus an?
Stadtheimatpfleger Hubertus Habel gibt im Interview mit der Bayerischen Staatszeitung zu, dass es schon vorgekommen sei, dass sich Schwarze Menschen – beispielsweise Tourist:innen aus Südafrika – von der Darstellung des Heiligen Mauritius auf den städtischen Kanaldeckeln schockiert gezeigt hätten. Trotzdem mag er keinen Rassismus erkennen. In einem Beitrag für das Coburger Tageblatt erklärte Habel schon im Jahr 2018, die Thematik eigne sich nicht für eine »Kolonialismus- beziehungsweise Diskriminierungsdebatte«, da das Wappen nur für die Geschichte des Heiligen Mauritius stehe,
»Grundlage einer Einordnung, was rassistisch ist und was nicht, muss die Einschätzung der Betroffenen sein« – Tahir Della, Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland
Die Antirassismustrainerin Tupoka Ogette erklärt in ihrem Buch, dass Rassismus jede:n von uns betrifft: Wir alle wachsen in einem System auf, das Schwarze Menschen tagtäglich als anders brandmarkt. Rassismus findet ihr zufolge auf einer viel subtileren Ebene statt, als Weiße Menschen es oft erkennen und wahrhaben wollen. Tahir Della von der ISD betont: »Menschen, die nie zum Ziel rassistischer Diskriminierung werden, fehlt schlicht und einfach das Verständnis über dessen Wirkungen. Grundlage einer Einordnung, was rassistisch ist und was nicht, muss deshalb die Einschätzung der Betroffenen sein. Anders gesagt, Sie würden ja auch nicht Männer fragen, was sexistisch ist.«
Die Mehrheit der Coburger:innen (wie viele von ihnen sind wohl Schwarz oder People of Colour?), die an meiner Umfrage teilnahmen, sahen in dem Wappen und seiner Bezeichnung keinen Zusammenhang mit Rassismus. Über die Hälfte der Befragten empfinden einen oder mehrere Aspekte des Wappens problematisch und würden Infotafeln in der Stadt zur Thematisierung und Aufarbeitung seiner Geschichte unterstützen. Ich habe den Eindruck, viele Menschen erkennen die Problematik – aber wagen es nicht, sie als Rassismus zu benennen.
In den Dialog mit Betroffenen treten
Juliane Reuther und Alisha Archie schreiben in der Begründung ihrer Petition: »Als Weiße Person ist es nicht immer einfach nachvollziehbar, wieso etwas rassistisch ist, und wir werfen Coburg auch nicht vor, dass absichtlich Rassismus betrieben wird.«
Auf eine E-Mail, die Archie und Reuther an das Rathaus der Stadt Coburg richteten, haben sie bisher keine Antwort erhalten. Louay Yassin, Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Stadt, verweist darauf, dass in der E-Mail keine explizite Antwort verlangt wurde. »Die Petition wurde zur Kenntnis genommen.«
Alisha Archie und Juliane Reuther wünschen sich nun vor allem, dass jetzt »Betroffenenverbände und Anti-Rassismus-Expert:innen« gehört werden. Einige Expert:innen unterstützen sie bereits in ihrem Vorhaben. Louay Yassin von der Stadt Coburg sagt: »Von Seiten der Stadt ist keine Einladung von Expert:innen oder den Initiatorinnen geplant«. Doch ob sich das Rathaus beteiligt oder nicht: Die Debatte um das Wappen ist noch längst nicht beendet.
Titelbild: Nelly Ritz - copyright