3 Beispiele, wie uns Zahlen in die Irre führen
Spiegel, Zeit und Perspective Daily: Wer Daten nicht richtig aufbereitet, erzählt nur die halbe Story – oder eine falsche. So geht es besser.

Wie gefährlich ist Fahrradfahren? Droht wegen Tönnies der Kollaps in deutschen Schweineställen? Kann man Nahrung aus der Ferne ohne Klimagewissensbisse verzehren?
Vielleicht hast du zu diesen Fragen in letzter Zeit etwas gelesen, gehört oder selbst deine Meinung dazu kundgetan. Nicht unwahrscheinlich, dass du dabei versehentlich etwas Falsches geglaubt oder gar verbreitet hast.
Der Stille-Post-Effekt
Schuld daran könnte der sogenannte
sein: Wir suchen eher danach, was wir hören wollen, und merken uns Dinge besser, die zu dem passen, was wir schon vorher dachten. Solche Informationen geben wir auch eher weiter. Nicht selten verfälschen wir dabei sogar – mal gewollt, mal in Kauf genommen, oft unwissentlich.Dieser (meist unbeabsichtigte) Stille-Post-Effekt betrifft auch Journalisten: Bei der Eingrenzung ihrer Fragestellung, bei der Auswahl der Gesprächspartner oder der Daten. Der Effekt setzt sich fort bei vereinfachenden (und dadurch oft verfälschenden) Überschriften. Oft beginnt die Stille Post schon vorher, wenn aus Zeitdruck ohne Eigenrecherche aus der Pressemitteilung abgeschrieben wird.
Deshalb möchte ich dich hier in unregelmäßigen Abständen anhand typischer Negativbeispiele für einen datenkritischen Blick begeistern.
Heute: 3 Beispiele zum »Scheuklappen-Effekt« oder »Wer zu sehr auf’s Detail achtet, verliert den Überblick«.
1. Die Mär vom gefährdeten Fahrradfahrer
Der Spiegel titelte jüngst Beängstigendes: Spiegel vom 19.08.2020 »Zahl der getöteten Radfahrer seit 2010 um 16,8 Prozent gestiegen« und urteilte untertitelig: »Fahrradfahrer leben in Deutschland zunehmend gefährlich«.
Hier der zur Aussage passende Datenausschnitt, der diese Behauptung scheinbar zweifelsfrei als korrekt adelt:
In den Jahren 2010–2019 ist die Zahl der tödlich verunglückten Radfahrer gestiegen
Betrachtet man diesen Zahlenausschnitt mit Scheuklappen, scheint Radfahren tatsächlich gefährlicher geworden zu sein.
Der Datennerd in mir fragt sich allerdings: Warum hat der Spiegel eigentlich einen unüblichen 9-Jahres-Vergleich gewählt (2010 mit 2019)?
Vielleicht weil er beim 10-Jahres-Vergleich weniger klickfähig hätte titeln müssen:
Doch auch an dieser Schlagzeile wäre noch einiges auszusetzen. Fangen wir klein an:
- Die Nachkommastelle ist ziemlich überflüssig. Sie suggeriert ein Erfordernis für Genauigkeit, das angesichts der starken Schwankungen dieser Zahl nicht besteht. Mehr Ziffern sind schwerer zu merken und fast eine Garantie für Stille Post.
- Der Dass E-Bikes 3-mal so gefährlich sind wie Fahrräder, berichtet die Berliner Morgenpost und bezieht sich auf Daten der Allianz (2019) stetig steigende Anteil an den etwa 3-mal so gefährlichen E-Bikes verzerrt die Statistik. E-Bikes und Fahrräder sind statistisch gesehen Äpfel und Birnen, für eine Vergleichbarkeit mit dem Jahr 2010 muss man elektrisch betriebene Fahrräder herausrechnen –
- Die Kennzahl »Tote pro Jahr« ist nicht sachgerecht, um eine Gefahr für die einzelne Radfahrerin zu berechnen: Wenn zum Beispiel doppelt so viele Fahrradfahrer doppelt so viele Unfälle verursachen, bleibt die Gefahr für die einzelne Radlerin gleich. Eine geeignete Kennzahl zur Darstellung der Gefahr wäre zum Beispiel »tödliche Unfälle pro Millionen gefahrener Straßenkilometer«.
So sehen übrigens die absoluten Zahlen der für Radfahrer tödlichen Unfälle in Deutschland seit 1979 aus:
Titelbild: Perspective Daily
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