Um den deutschen Wald steht es schlimmer, als wir glauben
Wegen Hitze, Trockenheit und Borkenkäfern droht riesigen Waldflächen in Deutschland der Kahlschlag. Viele Förster sind verzweifelt – und wollen doch den Grundstein für einen gesunden Wald von morgen legen.
Eine sanfte Dusche aus Fichtennadeln rieselt auf unsere Köpfe. Die Nachmittagssonne strahlt zwischen den majestätischen Stämmen hindurch, es riecht unglaublich gut. Doch trotz dieser malerischen Szenerie ist die Stimmung gedrückt.
Wir stehen auf der Haincher Höhe, einem Gebirgskamm an der Grenze zwischen Nordrhein-Westfalen und Hessen. Von hier aus reicht der Blick bei klarer Sicht auf der einen Seite bis in den Taunus, auf der anderen bis ins Bergische Land. Doch egal, wohin wir schauen: Überall sehen wir rot schimmernde Nadelbäume. Das bedeutet, dass die Bäume gerade sterben oder schon tot sind. Das ist auch der Grund, weshalb ihre Nadeln auf unsere Köpfe rieseln.
Georg Debus, mit dem ich das Waldsterben begutachte, wirkt nicht, als würde er mit Fremden schnell über seine Gefühle sprechen. Aber in diesem Sommer ist alles anders. »Als ich vor 4 Wochen hier war, war alles noch sattgrün. Jetzt ist schon die Hälfte der Bäume kaputt. Als ich nach meinem Urlaub das erste Mal hergekommen bin, stiegen mir die Tränen in die Augen.« Er trägt ein kariertes Hemd und eine Funktionshose. Sein gesamtes Leben ist eng mit diesem Wald verwoben.
Europas größte Dürre seit Beginn der Wetteraufzeichnungen
Geschichten wie die von Georg Debus gibt es in diesem Jahr viele in Deutschland. Waldbesitzer, Naturfreunde, Spaziergänger – wer mit offenen Augen durch die Natur geht oder auch nur auf der Autobahn durch Mitteldeutschland fährt, sieht sofort: Unseren Wäldern geht es schlecht.
In den Jahren 2018 und 2019 durchlitt Europa die
»Ein einzelner Käfer kann bis zu 30.000 Nachkommen entwickeln. Schon 200 können reichen, um eine geschwächte Fichte zu töten.«
Besonders hart getroffen sind Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Hessen und Thüringen. »Die Lage hier ist ziemlich dramatisch«, sagt Peter Thorn. Er ist Förster im Forstamt in Herborn, einer kleinen Stadt an der hessischen Grenze zu Nordrhein-Westfalen. Anfang 2018 traf ein starker Sturm die Region. Das heruntergebrochene Holz bot ideale Brutbedingungen für den Borkenkäfer, erklärt er. »Dann hat es hier 4 Monate lang nicht geregnet.« Die Käferpopulation explodierte. Normalerweise hat der Borkenkäfer von Frühjahr bis Herbst 2–3 Generationen an Nachkommen. In den vergangenen Jahren waren es 4. »Ein einzelner Käfer kann bis zu 30.000 Nachkommen entwickeln.« Allein 200 Tiere reichten aus, so Peter Thorn, um eine geschwächte Fichte zu töten.
Der Borkenkäfer ist ein natürlicher Schädling, der kranke Bäume angreift: Die Käfer bohren sich unter die Rinde, wo die Männchen sogenannte
Ein gesunder Baum kann den Angriff mit Harz abwehren. Aber um Harz zu bilden, braucht er Wasser – wovon es in den vergangenen Jahren in weiten Teilen Deutschlands nicht genug gab.
Teile des Lahn-Dill-Kreises, der Heimat von Peter Thorn und Georg Debus, durchleben laut dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung gerade
In nur 2 Jahren ging die Arbeit mehrerer Generationen verloren
Besonders hart treffen die Hitze und der Wassermangel die Fichte. Sie hat eine flache Wurzel, die nicht an das Wasser in tieferen Bodenschichten heranreicht. »Hier gibt es an einigen Stellen über 50% Fichten. Wir haben Waldbesitzer, die innerhalb von 2 Jahren alles verloren haben«, sagt Thorn. Wie die Landschaft in ein paar Jahren aussehen wird, wenn ortsweise die Hälfte aller Bäume fehlt, mag sich hier niemand ausmalen.
Weiter im Süden ist die Lage etwas weniger dramatisch. In Bayern waren die vergangenen Jahre zwar auch viel zu warm, aber es hat mehr geregnet. Abgeholzte Berghänge blieben der Region bisher erspart, nicht aber die wirtschaftlichen Folgen. »Die Waldbesitzer haben keinen Bock mehr«, erzählt Raimund Sorter. Der 29-Jährige ist Forstwirt im Allgäu. »Stürme, Käfernester – und die Holzpreise sind total im Keller.« Noch 2017 brachte ein Kubikmeter Fichte über 90 Euro auf dem Holzmarkt ein, erzählt er. Jetzt seien es 30 Euro.
Der Wald basiere auf einem Generationenvertrag. Sorter fällt die Bäume, die seine Ururgroßväter gepflanzt haben. Fällt der Verdienst der alten Bäume weg, ist auch kein Geld für die Wiederaufforstung für Sorters Urenkel da. Der Staat muss
Mit Spraydose und Computer auf Borkenkäferjagd
Viele Forstämter und Privatwaldbesitzer fahren zusätzliche Geschütze gegen die Käferplage auf. Monitoringteams durchkämmen Wälder und identifizieren befallene Bäume, bevor die nächste Käfergeneration schlüpft, ausfliegt und weitere Bäume befallen kann. Mancherorts werden
Raphaela Wolf kämpft sich mit Computer und Spraydose durch das Dickicht in einem Allgäuer Wald. Ein lokaler Bauer hat ein Käfernest gefunden. »Ich schaue erst mal nach oben, ob von der Baumkrone etwas fehlt oder es eine Verfärbung gibt«, sagt sie und inspiziert die Rinde einer Fichte mit einer besonders lichten Krone. »Okay, hier sind die Einbohrlöcher. Wir sind zu spät. Der Baum ist leider schon tot und die Käfer sind ausgeflogen.«
Insgesamt sind 10 Bäume im direkten Umkreis befallen. Sie müssen gefällt und abtransportiert werden. Wolf markiert die Bäume mit pinker Sprühdose und trägt die Geodaten in den PC ein. In einem anderen Waldstück liegt ein Baum auf dem Boden. »Mist, so etwas will niemand finden«, sagt sie und schält ein Stück Rinde mit einem kleinen Beil ab. Ein über 100 Jahre alter Baum ist dem letzten Sturm zum Opfer gefallen und liegt, riesengroß und eingekeilt, zwischen seinen Artgenossen auf dem Waldboden. Unter der Rinde wuselt und krabbelt es. Frisches Totholz ist eine ideale Brutstätte. Tausende Käfer und Larven fressen sich emsig durch die Borke und brüten neue Generationen. »Der Baum muss so schnell wie möglich abtransportiert werden«, sagt Wolf und schickt den Standort an ihr Büro. Borkenkäfer können bis zu 500 Meter weit fliegen. Daher muss befallenes Holz schnellstmöglich aus dem Wald geschafft werden.
»Den Fichten da oben gebe ich keine Chance mehr«
Raimund Sorter sagt, er habe Angst, die Fichte könnte bald komplett aus der Region verschwinden. Für viele Waldbesitzer ist sie der ertragreichste Baum, da sie schnell und
Im Winter war Sorter 3 Monate zum »Holzmachen« im Sauerland – nur wenige Kilometer von der Heimat von Peter Thorn und Georg Debus entfernt. Hektarweise haben sie dort Bäume fällen müssen. Den Schmerz der Menschen dort verstehe er gut, erzählt Sorter. »Als Forstwirt liebe ich den Wald. So viele Bäume abzumachen tut einfach weh«, sagt er und malt gleichzeitig ein düsteres Bild. »Wir haben hier Glück, die Berge bringen uns noch Regen. Den Fichten da oben gebe ich keine Chance mehr. Da müsste sich das Wetter schon extrem ändern.« Ein Verlust, der für die Betroffenen nur schwer zu akzeptieren ist.
Der Waldbesitzer und
Die derzeitige Situation ist besonders herausfordernd, da nicht nur die Fichte, sondern auch Laubbäume stark unter dem Trockenstress leiden. Besonders die Buche zeige schon enormen Blattverlust, erklärt Förster Thorn. Die Auswirkungen von einem Kollaps des Buchenbestands wären mindestens so katastrophal wie bei der Fichte: »Das wollen wir uns gerade gar nicht vorstellen. Die Buche ist der in Hessen am weitesten verbreitete Laubbaum.« Auch Ulmen und Kastanien sind derzeit häufig von Pilzen befallen. Insgesamt geht es nur 22% der deutschen Bäume gut. Der Rest leidet bereits unter Kronenverlichtung, heißt es im
Der Wald der Zukunft bietet auch eine große Chance
Thorn sieht in der Neuaufforstung auch eine Chance. Er sagt, der Wald der Zukunft müsse anders aussehen. Da viele Wälder aus Monokulturen (oder Reinkulturen) bestehen, sind sie besonders anfällig für Stürme und Schädlinge. Monokultur bedeutet, dass im Wald hauptsächlich Bäume derselben Art und oft auch desselben Alters stehen.
Im Wald der Zukunft sieht Förster Thorn wieder mehr einheimische Eichen und Weißtannen, aber auch neuere Sorten wie Douglasien und Küstentannen. Ob er wütend sei auf die vorangegangene Generation, die aus wirtschaftlichen Gründen zu viele Fichten gepflanzt hat? »Die meisten Bäume wurden nach dem Ersten Weltkrieg gepflanzt. Das war keine leichte Zeit und die Menschen brauchten Bauholz.« Zudem habe es damals viele wissenschaftliche Erkenntnisse noch gar nicht
»Auch ich muss heute Entscheidungen treffen, die noch in 100 Jahren Bestand haben müssen. Das mache ich mit Blick auf die heutigen Klimaverhältnisse und die Klimavorhersagen für die nächsten 50 Jahre«, erklärt Thorn. »Diese Verantwortung macht auch mir ein bisschen Bauchschmerzen. Ich hoffe sehr, dass wir die richtigen Entscheidungen treffen.«
Deutschland hat jetzt die Chance, den schon lang von Wissenschaftlern geforderten Umbau des Waldes voranzutreiben, damit er langfristig gesünder wird und Lebensraum für unterschiedliche Tieren und Pflanzen bietet. Auch Naturwälder könnte es bald wieder häufiger geben. In Deutschland werden
Nach so vielen schlechten Nachrichten bleibt die Frage:
Der größte Stressfaktor für den Wald ist allerdings der menschenverursachte Klimawandel. Derzeit ändern sich die klimatischen Bedingungen schneller, als die Natur sich anpassen kann. Deshalb ist es für den Wald die größte Hilfe, so entschlossen wie möglich den Klimaschutz voranzutreiben.
Raimund Sorter, der 29-jährige Forstwirt aus Bayern, fasst es etwas pathetisch, aber doch treffend zusammen: »Wir müssen den Wald im Herzen mittragen. An unsere Kinder müssen wir weitergeben, dass der Wald wichtig ist.« Denn, und damit schließt er: »Wir brauchen die Bäume, ohne Fotosynthese sind wir am Arsch.«
Titelbild: wikicommons - CC BY-NC-ND 2.0