»Das ist die erste wirklich aufregende soziale Idee unserer Zeit!«
Die ehemalige »Wir sind Helden«-Sängerin Judith Holofernes hat der Musikindustrie den Rücken gekehrt und ist nun eine crowdfinanzierte Künstlerin. Im Interview spricht sie über ihre neue Sicherheit und die Begeisterung für ein bedingungsloses Grundeinkommen.
Judith Holofernes kennen viele als Sängerin und Songschreiberin der Band »Wir sind Helden«, mit der sie in den 2000er-Jahren große Erfolge feierte. Danach machte sie Solo weiter mit der Musik. Ihre Texte hinterfragen gesellschaftliche Selbstverständlichkeiten und kritisieren Konsum, Konformismus und Leistungsdruck. Dazu passt, dass die Künstlerin begeisterte Verfechterin der Idee eines bedingungslosen Morgen, am 9. Dezember,
20 Gewinner:innen bekommen dann ein Jahr lang 1.000 Euro im Monat – einfach so. Im Interview spricht Judith Holofernes darüber, warum die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens so reizvoll für sie ist und weshalb sie es vielen ihrer Freund:innen wünscht. Sie erzählt auch davon, dass sie inzwischen selbst bekommt – wenn auch kein bedingungsloses.
Zukunftsorientiert, verständlich, werbefrei. Dafür stehen wir. Mit Wohlfühl-Nachrichten hat das nichts zu tun. Wir sind davon überzeugt, dass Journalismus etwas bewegen kann, wenn er sowohl Probleme erklärt als auch positive Entwicklungen und Möglichkeiten vorstellt. Wir lösen Probleme besser, wenn wir umfassend informiert und positiv gestimmt sind – und das funktioniert auch in den Medien. Studien haben gezeigt, dass Texte, die verschiedene Lösungen diskutieren, zu mehr Interesse führen, positive Emotionen erzeugen und eine erhöhte Handlungsbereitschaft generieren können. Das ist die Idee unseres Konstruktiven Journalismus.
»Ich bin einfach wahnsinnig gespannt, welche Auswirkungen ein Grundeinkommen auf die Gesellschaft hätte.«
Benjamin Fuchs:
Du beschäftigst Dich schon länger mit der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens. Warum fesselt Dich das Thema so?
Judith Holofernes:
Als ich davon das erste Mal gehört habe, hat es etwas bei mir ausgelöst. Ich beschäftige mich mit Arbeit, seit ich Songs schreibe oder vielleicht sogar schon länger. Es geht in meinen Liedern immer viel um Arbeit, gesellschaftliche Normen und Ehrgeiz. – ich könnte eine ganze Playlist zum Thema Arbeit zusammenstellen. Ich habe in meinen Texten immer darüber nachgedacht, wie Arbeit funktioniert. Darüber, wie sehr wir uns über Arbeit identifizieren, wie viel Bedeutung und Lebensglück wir an ihr aufhängen und für wie wenige Leute das überhaupt aufgeht.
Und als ich dann von einem Grundeinkommen gehört habe, dachte ich: »Okay, das ist die erste groß angelegte, wirklich aufregende soziale Idee unserer Zeit.« Eine Idee, die radikal an der Wurzel vieler gesellschaftlicher Probleme ansetzt. Ich bin einfach wahnsinnig gespannt, welche Auswirkungen ein solcher Schritt auf die Gesellschaft hätte.
Welche könnten das sein?
Judith Holofernes:
Als Künstlerin muss ich mich viel mit Motivation beschäftigen, mit Wenn man mit Leuten über das Grundeinkommen redet, dann kommt ja ganz oft das Gegenargument, dass wir dann alle ganz faul werden würden. Viele Leute sagen: »Wer würde dann Straßenbau machen? Oder Bauarbeiter sein?« Aber wenn Bauarbeiter unglücklich oder unmotiviert sind, dann denke ich, dass es an beschissenen Arbeitsbedingungen liegt und weil sie schlicht zu viel arbeiten müssen. An sich finden sie aber vielleicht gar nicht so viel falsch an ihrem Job.
Die keinen Einfluss sehen, also das Gefühl haben, machtlos zu sein. Keinen Einfluss zu haben auf die Ergebnisse ihrer Arbeit. Keinen erleben. Das finde ich in Bezug auf das Grundeinkommen wahnsinnig interessant und wichtig.
»Unser Sozialstaat spricht den Menschen ab, ihr Leben selbst zu gestalten«
Erwartest du, dass sich etwas daran ändert, wie wir Arbeit betrachten?
Judith Holofernes:
Ich denke, ein Grundeinkommen würde helfen, die Wichtigkeit verschiedener Arbeiten in der Gesellschaft neu zu kalibrieren. Und dass es eine Chance dafür gäbe, dass sich unsere Vorstellung von sinnvollen Tätigkeiten revolutioniert und sich realistischer gestaltet. Was ist denn wichtig?
Es ist sehr wichtig, dass wir, wenn wir alt sind, betreut werden. Wir werden alle alt. Natürlich ist es dann entscheidend, wie wir betreut werden, wer uns hilft und uns wendet, wenn wir uns wund liegen. Und trotzdem ist es ein unglaublich schlecht bezahlter Job. Und das Gleiche gilt für alle anderen Formen von Care-Arbeit. Ich finde das total spannend und vielversprechend, was sich da gesamtgesellschaftlich tun würde. Ich bin zuversichtlich, dass das ganz wahnsinnig fruchtbare Folgen hätte.
Diese Einwände, die du beschrieben hast, hängen auch mit unserem Menschenbild zusammen: Der Mensch als angeblich egoistisches Wesen, das vor allem auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist. Glaubst du, das ist aus den Leuten rauszubekommen?
Judith Holofernes:
Es würde sicher auch weiterhin Leute geben, die trotz Grundeinkommens nichts Tolles und Kreatives machen. Wir müssen aber auch über unser aktuelles System sprechen. Wir haben einen Sozialstaat, der den Leuten ihre Eigenständigkeit und Eigenmächtigkeit nimmt. Er zwingt Menschen in reaktive, passive Haltungen und spricht ihnen ab, ihr Leben selbst zu gestalten. Das macht etwas mit den Leuten. Natürlich gibt es dadurch Generationen, die in so eine Passivität hinein erzogen sind. Ich weiß nicht, wie schnell da Bewegung reinkommen würde, aber ich bin zuversichtlich.
Ich habe mir Menschen sehr gut angeguckt, das ist ja mein Beruf. Und ich schaue sehr tief in mich selbst hinein. Ich bin überzeugt – und das ist auch wissenschaftlich untermauert –, dass Menschen glücklich sind, wenn sie proaktiv sein können, wenn sie sich sinnvoll betätigen. Wenn sie an die Grenzen ihrer Fähigkeiten kommen durch das, was sie tun. Aber eben nicht drüber hinaus. Und das widerspricht diesem Gedanken, dass Menschen überall immer für sich rausschlagen, was sie können. Ich glaube daran, dass Menschen Verbindung suchen, dass sie sich nützlich machen wollen, dass sie das Gefühl haben wollen, etwas von Wert beizutragen.
Du hast eben die Care-Arbeit (Sorgearbeit) angesprochen. Durch die Pandemie ist auch vielen die Wichtigkeit pflegender und anderer gesellschaftlich zentraler Berufe deutlich geworden. Hast du durch die aktuelle Situation einen anderen Blick darauf bekommen, was das Grundeinkommen hier bringen könnte?
Judith Holofernes:
Was die Care-Arbeit angeht, fand ich es gut, dass diese Schieflagen jetzt so sichtbar geworden sind. Auch für Leute, die sich bisher nicht damit beschäftigt haben. Es geht auch um die Care-Arbeitsverteilung innerhalb von Beziehungen, von Familien. Da wird so vieles sichtbar, auch wie aufgeschmissen wir alle sind, wenn die Kinder nicht in die Schule gehen können. Daran, wohin das Geld fließt, wird wiederum sichtbar, welchen Bereichen wie viel Wert beigemessen wird. Kunst und Kultur zum Beispiel gelten offensichtlich als nicht so wahnsinnig wertvoll. Für meinen Berufsstand hat das drastische, vernichtende Auswirkungen.
Das beunruhigt mich sehr, auch wenn mich persönlich diese Krise nicht so hart trifft, weil ich schon im November 2019 zu gewechselt bin und seitdem als crowdbasierte Künstlerin eine große Unabhängigkeit genieße. Ich habe jetzt tatsächlich so etwas wie ein Grundeinkommen, das meine Fans mir zahlen. Es ist beileibe nicht bedingungslos, sondern ich mache schöne Kunst dafür und kümmere mich um die Menschen dort. Das hat also kein richtiges Feldversuchspotenzial (lacht). Natürlich habe ich jetzt auch Einbußen, weil keiner mehr meine Songs auf irgendwelchen Stadtfesten spielt, was tatsächlich einen Teil meines Einkommens ausmacht. Das wird sich nächstes Jahr dann relativ drastisch zeigen. Aber ich habe wenigstens die Urheberrechte an meinen Songs.
»Leute, die sich sicher fühlen, haben garantiert bessere Ideen«
Und dann sehe ich meine Freunde, darunter vor allem Musikerinnen und Musiker, die völlig verloren sind. Das sind ja nicht alles Songschreiber und Frontleute. Die meisten davon spielen in 6 Bands, um über die Runden zu kommen, unterrichten 3 Tage die Woche – und beides konnten sie von einem Tag auf den anderen nicht mehr machen. Der Berufsmusikerjob ist wunderschön, aber der ist richtig hart und vielen Künstlern wird jetzt sichtbar, wie prekär ihr Job auch schon vor Corona war. Und wenn diese Leute ein Grundeinkommen hätten? Dann würden die jetzt, anstatt irgendwie panisch mit den Armen zu rudern, noch tollere Sachen machen. »Not und existenzielle Sorgen tragen nicht zur Kreativität bei«
Das kann ich aus meiner eigenen »Kreativitätsforschung« sagen, die ich ja im Prinzip auch betreibe: Not und existenzielle Sorgen tragen nicht zur Kreativität bei. Das Gefühl, einigermaßen getragen zu sein, ist die beste Voraussetzung, um Arbeit von Wert zu schaffen. Und es ist natürlich nicht nur in »kreativen« Berufen so, sondern überall. Angst, Not, Stress, Druck und zu lange Arbeitszeiten – alles Insignien eines landläufig erfolgreichen Arbeitslebens – sind dem völlig entgegengesetzt. Leute, die sich sicher fühlen, haben garantiert bessere Ideen.
Ein wichtiger Punkt in ihrem Buch »Die Elenden« war, dass man ohne finanzielle Sicherheit keine Aktionsfreiheit in unserer Welt hat.
Judith Holofernes:
Genau, man kann sich auch nicht die Zeit nehmen, etwas zu entwickeln. Erstens wird man vom Arbeitsamt dazu gezwungen, die ganze Zeit irgendwie Regale einzuräumen, anstatt sein Ding zu entwickeln. Finanzielle Not schränkt den Handlungsspielraum ein und hält Leute in Schwierigkeiten fest, die verhindern, dass sie tolle Sachen machen würden. Solche Nöte binden unglaublich viel Energie. Und das tut, absurderweise, auch ein klassisch erfolgreiches Arbeitsleben.
Du hast auf der einen Seite Hartz-IV-Empfänger, die gebunden sind von ihrem »Nicht-arbeiten-Können«, und auf der anderen Seite hast du viele Leute, die wahnsinnig gebunden sind durch ihr »Zuviel-Arbeiten«, wo ja meistens auch ein Sicherheitsbedürfnis hinter steckt. Das ist eigentlich das Interessante am Grundeinkommen, dass es das aufhebt. In beiden Extremen wird so viel Energie gebunden durch Arbeit oder Nicht-Arbeit.
Anna Mayr zum Beispiel ist allerdings gegen das bedingungslose Grundeinkommen und möchte stattdessen eine höhere und bedingungslose Grundsicherung, nur für arbeitslose Menschen.
Judith Holofernes:
Es wäre für mein Gefühl auch schon ein Gewinn, das Sozialsystem zu vereinfachen. Aber ich finde, das Spannende würde dann wegfallen, nämlich grundsätzlich an den Begriff von Arbeit und wertvoller Beschäftigung ranzugehen. Das ist auch meine große Hoffnung: das Potenzial, kollektiv zu wachsen. Und auch einer Realität entgegen zu wachsen, in der nie wieder alle Leute Arbeit haben werden.
Selbst dann, wenn man nicht davon ausgeht, dass die Roboter wirklich alles erledigen werden. Aber auf dem Weg dahin gibt es viele Zwischenstufen. Vollbeschäftigung ist sicher keine davon. Und deswegen sollten wir darüber nachdenken, wie alle Leute weniger arbeiten könnten, wie sie sinnhafter arbeiten können und dabei ihre Würde, ihr Selbstwertgefühl und ihre Begeisterung intakt halten.
Würde ein Grundeinkommen für dich persönlich auch einen Unterschied machen? Würde das für dich etwas ändern?
Judith Holofernes:
Natürlich gehöre ich nicht zu den Leuten, für die das existenziell ist. Meine Begeisterung dafür hat eher mit dem gesellschaftlichen Potenzial zu tun. Auf der anderen Seite habe ich einfach unheimlich viele Freunde, denen ich das sehr wünschen würde, dass es das gäbe, deren Leben dann sehr viel einfacher wäre und wo ich sicher bin, dass sie coole Sachen machen würden.
»Was würde passieren, wenn alle nicht mehr ganz so in Not wären?«
Wie würde in deinen Augen so eine Welt aussehen, in der das BGE existiert? Wie ist deine konkrete Utopie?
Judith Holofernes:
Mein Wunsch ist, dass wir von der Fetischisierung der Arbeit wegkommen, also von Erwerbsarbeit als Selbstzweck und etwas, was den Menschen adelt. Dass wir dazu kommen, Arbeit nach einem realen, inneren Wert zu beurteilen, also nach dem Wert, den sie für die umstehenden Menschen hat und für einen selbst hat. Ich halte zum Beispiel Kunst für absolut essenziell für die kollektive Psyche. Das ist auch im weitesten Sinne Care-Arbeit (lacht). »Kunst ist absolut essenziell für die kollektive Psyche«
Und meine kurzfristigere Vision oder Neugierde wäre, dass ich einfach wahnsinnig gerne zugucken würde, welche Auswirkungen das bedingungslose Grundeinkommen auf verschiedene Themen hätte. Das war immer schon ein Forschungsthema von mir. Ich habe das Gefühl, das könnte an der Wurzel ansetzen von Consumerism. »I’ve seen the needy and the damage done« singe ich in »Danke, ich hab schon«. Dass wir konstant kaufen und konsumieren, funktioniert nur, weil wir konstant unglücklich, ängstlich und unerfüllt sind.
Was würde damit passieren, wenn plötzlich alle nicht mehr ganz so in Not wären? Was würde mit feministischen Themen passieren? Was würde mit echter Gleichberechtigung passieren? Was würde mit allen möglichen sozialen Themen passieren, an deren Wurzel reale finanzielle Nöte liegen? Das fände ich wahnsinnig spannend.
Jeder weiß: Unsere Arbeitswelt verändert sich radikal und rasend schnell. Nicht nur bei uns vor der Haustür, sondern auch anderorts. Wie können wir diese Veränderungen positiv gestalten und welche Anreize braucht es dafür? Genau darum geht es Benjamin, der erst Philosophie und Politikwissenschaft studiert hat, dann mehr als 5 Jahre als Journalist in Brasilien gelebt hat und 2018 zurück nach Deutschland gekommen ist. Es gibt viel zu tun – also: An die Arbeit!