Wie ein Mann Design dazu nutzte, den Menschen Autos zu verkaufen, die sie nicht brauchten
Alfred Sloan gründete die erste Designabteilung bei einem Autohersteller. Er ist ein Pionier des heutigen Massenkonsums. Seine Geschichte hilft uns zu verstehen, wie Unternehmen Menschen nahezu alles verkaufen können.
Hast du schon mal ein neues Handy gekauft, obwohl dein altes noch funktioniert hat? Neue Möbel, weil dir die alten nicht mehr gefallen haben? Oder einen neuen Rucksack, weil du den auf Instagram gesehen hast? Wenn du in Deutschland lebst oder einem anderen reicheren Land, ist die Antwort wahrscheinlich »ja klar«.
Ergebnisse einer Forschungsgruppe an der Technischen Universität Berlin zu
Viele Menschen kaufen Dinge, die sie nicht brauchen, und besitzen so viel, dass sie regelmäßig aussortieren oder den Großteil nicht benutzen. Es ist schwierig, sich dem Massenkonsum zu entziehen. Denn Unternehmen haben tausend Strategien, um uns möglichst viel zu verkaufen. Das war nicht immer so.
Alfred Sloan, Chef von General Motors, erkannte Anfang des 20. Jahrhunderts, dass es nicht mehr ausreichte, ein gutes Produkt zu erstellen, damit die Leute es kauften. Denn in gesättigten Märkten, in denen viele Menschen schon die Dinge besitzen, die sie brauchen und womit sie zufrieden sind, können Unternehmen kaum große Gewinne machen. Er stand vor der Frage:
»Wenn ich einen Gegenstand bereits habe, warum brauche ich ihn noch mal?«
Sloan ließ sich als Antwort eine Strategie einfallen, die Unternehmer:innen heute noch nutzen. Ihre Entstehungsgeschichte kann uns helfen, einen zentralen Trick des Massenkonsums zu durchschauen und im Alltag zu bemerken, wie Unternehmen uns beeinflussen wollen.
Nicht besser sein, nur besser aussehen
Sloan wächst als Sohn einer reichen Handelsfamilie auf. Er studiert am MIT und ist schon damals ehrgeizig. Anstatt es gemütlich anzugehen, arbeitet er in jeder freien Minute, um sein Studium ein Jahr früher als die anderen aus seinem Jahrgang abzuschließen.
Danach fängt Sloan bei einer Firma an, die Autoteile herstellt. Hier arbeitet er sich hoch und profitiert davon, dass sein Vater Geld hat. Dieser finanziert nämlich die Expansion der Firma. Nach etwa 20 Jahren hat sie 4.000 Mitarbeiter:innen und Sloan hat sich in der Branche einen Namen gemacht. Er kommt zu General Motors und übernimmt dort schnell eine Führungsrolle. Im Jahr 1923 wird er Chef des Unternehmens.
Nun steht Sloan vor einer großen Herausforderung, denn er hat einen geradezu übermächtigen Konkurrenten: Henry Ford. Dieser dominiert den Automarkt. Sein Unternehmen hat einen Marktanteil von über 50% –
Doch er nimmt die Herausforderung an: Er will die Autos von General Motors besser machen als die von Ford – und seinen Konkurrenten mit neuer Technologie schlagen. Etwa 10 Jahre zuvor hatte schon einmal eine technische Neuerung quasi alle alten Autos verdrängt: der elektrische Anlasser. Niemand wollte mehr ein Auto fahren, das erst mit einer großen, schweren Handkurbel gestartet werden musste.
Wie das E-Auto vor über 100 Jahren die Welt erobert und mit welchen Methoden Henry Ford es verdrängt hat, kannst du hier nachlesen:
So etwas hat Sloan also im Kopf, um das Model T, das Ford verkauft, auf einen Schlag obsolet zu machen. Doch der luftgekühlte Motor, den Sloans Ingenieure entwickeln, ist laut und verursacht allerlei Probleme am Auto. Die große technische Errungenschaft ist er also nicht – und Sloan stellt den Versuch schnell wieder ein.
Er hat eine andere (aus heutiger Perspektive bahnbrechende) Idee: Vielleicht müssen die Autos gar nicht besser sein, sondern nur besser aussehen. General Motors nimmt sich den Chevrolet 1923 vor, ein Auto der unteren Mittelklasse. Und verändert dessen Look so, dass es den damaligen Luxusautos ähnelt. Das Auto ist ein großer Erfolg und Sloan erkennt, dass die Designstrategie vielversprechend ist.
Heute kennen wir auch die Mechanismen der menschlichen Psyche dahinter.
Konsum ist eng mit der Identität verbunden
In der Psychologie ist schon lange bekannt, dass wir unter anderem aus emotionalen Gründen Dinge kaufen. Dahinter steht die Theorie des »Extended Sense of Self«, worauf etwa die walisische Sozialpsychologin Olaya Moldes Andres und andere Forschende im Journal of Economic Psychology eingehen. Die Theorie besagt, dass wir mit den Produkten oder auch Erlebnissen, die wir kaufen, einen Teil unserer Identität aufbauen. Dass wir uns zum Beispiel unter anderem darüber definieren, welche Kleidung wir tragen, zu welchen Konzerten wir gehen, welches Fahrrad wir fahren.
Der Konsum kann dabei verschiedene Funktionen erfüllen, die mit der Identität zu tun haben. Zum Beispiel kann er uns helfen, uns von anderen zu unterscheiden und uns selbst als einzigartig auszudrücken. Das kennen wir vielleicht von Kleidung oder Tätowierungen. Ganze Unternehmen wie Online-T-Shirt-Shops – die ein immer gleiches T-Shirt mit individuellen Mustern ihrer Kund:innen bedrucken – setzen ausnahmslos auf diesen Mechanismus. Menschen kaufen solche individualisierten Gegenstände, weil sie damit etwas über sich selbst ausdrücken und nach außen zeigen wollen – zum Beispiel je nach gedrucktem Logo: »Ich höre gerne diese Band«, »Ich bin sarkastisch«, »Ich bin gegen Tierversuche«. Doch auch weniger individualisierte Gegenstände können einen solchen Ausdruck ermöglichen. Entscheidend ist dabei vor allem, was der oder die Tragende assoziiert und hineininterpretiert.
Eine andere Funktion von Konsum in der Theorie des »Extended Sense of Self«: das Selbstbewusstsein steigern – indem wir uns durch den Kauf näher an unsere ideale Vorstellung von uns selbst bewegen. Wenn wir uns also als finanziell erfolgreiche Business-Menschen sehen, wollen wir vielleicht eine teure Uhr oder einen feinen Anzug haben.
Konsum kann so auch dazu dienen, unsere Zugehörigkeit zu einer Gruppe auszudrücken. Zum Beispiel dadurch, welche Bücher wir lesen, was wir auf Partys trinken oder welche Musikrichtung wir hören. Mit Konsum sind also sehr viele Gefühle verbunden – und die können sich Unternehmen zunutze machen, um immer mehr zu verkaufen.
Genau das ahnte auch Alfred Sloan in den 30er-Jahren.
Im »Journal of Historical Research in Marketing« schreiben die Autor:innen einer
Fords Skepsis gegen den entfesselten Massenkonsum – und Sloans Siegeszug
Nun aber noch mal zurück zu Sloans Hauptkonkurrenten Henry Ford. Wir befinden uns jetzt im Jahr 1925 und bei Ford kriselt es. Sein Marktanteil ist von 50% auf 40% gesunken und der von General Motors von 13% auf 20% gestiegen.
Sloans Strategie scheint zu funktionieren, doch Ford widerstrebt der Gedanke, immer neue Modelle herauszubringen. Er ist ein bodenständiger Autobauer. Ihm ist es wichtig, ein Auto zu produzieren, das möglichst lange hält. Noch 1926 sagt er:
Doch ein Jahr später knickt Ford ein. Er entwickelt eine neue Serie mit Autos in verschiedenen Preisklassen und verschiedenen Farben. Das Model T gab es nämlich nur in schwarz. Eigentlich steht er aber immer noch nicht so richtig dahinter. Am Abend, bevor er das neue Auto vorstellt, sagte er, er wolle es so gut produzieren, dass niemand sich je ein zweites kaufen müsse. Ford möchte durch Qualität überzeugen – und wenig sonst.
Am Anfang ist Fords Auto auch ziemlich erfolgreich. Aber bald verliert er wieder an Marktanteil. Sloan spielt nämlich weiter das Spiel, bei dem Ford nicht so richtig mitmachen will. Er hat dazu die erste Designabteilung überhaupt bei einem amerikanischen Autohersteller gegründet. »Arts and Colors Section« heißt sie. Und ihr Leiter ist der kalifornische Industriedesigner Harley Earl.
Dieser hat schon eine Weile Sonderanfertigungen für berühmte Personen hergestellt und weiß genau, wie die Identitäten und Bedürfnisse der US-Käufer:innen bedient werden können. Auf einer Party hat er etwa damit angegeben, dass er einen Chevrolet (das untere Mittelklasse-Auto) wie einen Cadillac (Auto der Oberklasse) aussehen lassen könnte. Kurze Zeit später kriegt er den Job von Sloan. Earl fertigt für seine Designs Autos aus Ton in Lebensgröße an. Dadurch kann er die geschwungenen Linien entwerfen – während die meisten anderen Designer:innen zu der Zeit mit Holz und Metall arbeiten. Die Autos von General Motors werden immer stylisher und die Leute kaufen fleißig neue Modelle.
Diese Details kennen wir heute aus zahlreichen Dokumenten und Aufarbeitungen der damaligen Zeit. Sie zeigen auch, wie grundlegend für unsere moderne Konsumgesellschaft das ist, was damals passierte. In dem Buch »Made to Break« etwa zitiert der Autor Giles Slade den Designer Earl bei einer Veranstaltung im Jahr 1955 und seine Absichten: »Unsere große Aufgabe ist es, die Veralterung zu beschleunigen. 1934 hatten die Menschen ihr Auto im Durchschnitt 5 Jahre, heute sind es 2 Jahre. Wenn es 1 Jahr ist, haben wir einen perfekten Wert.«
Ein Punkt für Earl, Sloan und ihr Massenkonsumdesign.
Design weckt den Wunsch, etwas Neues zu besitzen
Wir sind nun am Ende der 20er-Jahre und in den USA gewinnt Design in vielen Bereichen an Bedeutung. Ein Sofa ist nicht mehr nur ein Möbelstück, worauf man sitzt – sondern ein modischer Einrichtungsgegenstand, der mit der eigenen Identität verbunden ist. Neue Farben, neue Formen und Materialien wecken in den Menschen den Wunsch, etwas Neues zu besitzen. Dinge, die einwandfrei funktionieren, werden ersetzt – weil andere noch mehr Komfort, Individualität oder Prestige versprechen. Die Gesellschaft entwickelt sich zur Massenkonsumgesellschaft und individueller Ausdruck über Gegenstände wird zur neuen Norm.
Giles Slade beschreibt es in »Made to Break« so: »Die Obsoleszenz des Stils – eine spezielle Form der psychologischen Obsoleszenz – zieht die Aufmerksamkeit der Konsument:innen auf optische oder Design-Merkmale von persönlichen Dingen, die wir nach außen zeigen. […] In einer Konsumkultur schätzen die Menschen sich laufend gegenseitig ab, um Status-Hierarchien basierend auf Einkommen und Geschmack zu etablieren.«
Und diese Status-Hierarchien sind nicht statisch, sondern beginnen sich – das ist der nächste Trick – in immer neuen Trends abzuwechseln. Das »neueste Modell« zu besitzen und »mit dem Trend« zu gehen wird selbst Ausdruck einer neuen Form des »guten Geschmacks«, der direkt an Massenkonsum gekoppelt ist.
Und vor dieser Entwicklung knickt 1933 auch Ford endgültig ein und bringt jährlich neue Modelle seiner Autos heraus.
Heute ist das alles gängige Praxis. Viele Unternehmen inszenieren die Veröffentlichung neuer Modelle als großes Ereignis. Modelabels bringen sogar mehrmals jährlich neue Kollektionen heraus. Und über soziale Medien und Influencer:innen – die ihr Geschäft mit Trends und Werbung für Unternehmen machen – hat sich der Trenddruck auf Menschen noch verstärkt.
Daher hilft es, sich gerade heute mit einem Rückblick auf Alfred Sloan klarzumachen, wie bewusst dieses System aufgebaut wurde und welchen Zweck es eigentlich hat: Massenkonsum und Profit von Unternehmen in einem übersättigten Markt. Und wir können uns auch fragen, wie viel Macht wir den Unternehmen über uns geben wollen.
Aufgeklärte Konsument:innen sind den Trends und »Veralterungszyklen« nicht unterworfen. Mit dem Wissen um Sloans und Earls Strategien können wir uns davon befreien. Wenn du das nächste Mal einen Gegenstand kaufen möchtest, den du eigentlich schon besitzt, stelle dir daher folgende 3 Fragen:
- Bist du mit deinem jetzigen Modell wirklich unzufrieden? Überlege, welche Vorteile dir das neue Modell bringt und ob sie den Preis wert sind. Denke auch darüber nach, wie oft du den Gegenstand wirklich nutzen wirst. Vielleicht reicht es, dein aktuelles Modell zu reparieren, zumindest noch für eine Weile – das wäre auch umweltschonender.
- Hat dich eine Werbung beeinflusst? Versuche herauszufinden, ob eine Werbung schuld ist oder ob dein Wunsch, den Gegenstand zu kaufen oder zu besitzen, vorher schon da war. Überlege, ob es wirklich notwendig ist, das Produkt neu zu erwerben, und welches Unternehmen du damit unterstützt. Etwas secondhand zu kaufen oder auszuleihen ist heute absolut normal und durch das Internet viel einfacher geworden.
- Welche Emotionen sind mit deinem Wunsch verbunden? Versuche herauszufinden, ob du mit dem Kauf etwas ausdrücken möchtest und ob sich das nicht auch auf anderem Weg ausdrücken lässt. Gegenstände lassen sich mit ein wenig Geschick und Einfallsreichtum auch individualisieren, ohne sich Neue zuzulegen. Vielleicht tut es ja auch ein Band-Aufkleber auf deinem Laptop statt des exklusiven Band-T-Shirts.
Wenn wir uns diese Mechanismen bewusst machen und wir verstehen, wie sie mit unseren Emotionen spielen, können wir öfter entscheiden, ob wir uns davon einnehmen lassen wollen oder nicht. Den Fokus weniger stark aufs Materielle zu legen hat noch einen Vorteil: Es kann bewirken, dass es uns generell besser geht. Das sagen zumindest Studien: Je weniger wir uns auf materialistische Ziele fokussieren, desto höher das Wohlbefinden.
Die meisten Studien haben erst einmal nur den Zusammenhang festgestellt. Es könnte also auch sein, dass es sich umgekehrt verhält:
Redaktion: Dirk Walbrühl
Titelbild: Alden Jewell - CC BY 3.0