Im Jahr 2011 forderte Thilo Sarrazin sie auf, sich zu integrieren. Da musste die muslimische Feministin Kübra Gümüşay losprusten. 2017 ist sie eine der wichtigsten muslimischen Stimmen gegen Rassismus, Sexismus und Lagerdenken in Deutschland.
17. Januar 2017
– 10 Minuten
Britta Pedersen / dpa
Die gebürtige Hamburgerin Kübra Gümüşay ist Journalistin und Netz-Aktivistin mit türkischen Wurzeln. In ihrem Blog befasst sie sich nachhaltig mit den aktuellen Themen unserer Zeit. Nur einen Tag nach Neujahr habe ich mit ihr über die aufgeheizte Stimmung im Wahljahr 2017 in Deutschland gesprochen und wie wichtig es ist, politisch Position zu beziehen.
Frau Gümüşay, Sie kommunizieren von Berufs wegen viel. Bei welchen Themen 2016 ist unsere Kommunikation gescheitert?
Kübra Gümüşay:
Islam, Rassismus, Frauenrechte und Feminismus, Migration und Geflüchtete – das sind Themen, die scheinbar stark polarisieren. Dabei sind diese Themen nicht per se polarisierend, sondern werden es erst, indem die einschlägigen Blogs, Foren und Websites, wo zu diesen Themen gehetzt wird, unsere Kommentarspalten fluten und auf unsere öffentliche Debatte einen starken – negativen – Einfluss nehmen. Außerdem sehe ich derzeit die Kommunikation bei jedem Thema scheitern, sobald wir die Einstiegsfrage falsch formulieren. Zum Beispiel: eine Diskussion, die wir jetzt im Jahre 2017 bereits seit 7 Jahren führen. In dem wir die richtigen Fragen stellen, haben wir aber auch auf jeden Fall das Potenzial, konstruktive Debatten zu führen.
Welche Art von Fragen brauchen wir also in Bezug auf die Kommunikation?
Kübra Gümüşay:
In der Debatte um »Gehört der Islam zu Deutschland?« haben wir mittlerweile die absurdesten Antworten legitimiert. Wir haben damit jenen eine Plattform gegeben, die sagen, dass der Islam und die Muslime nicht zu Deutschland gehören, und die dementsprechend gegen Muslime mobilisieren. Das ist eine Schattenseite von Endlosdiskussionen, die ausschließlich nach Unterschieden fragen. Ähnlich ist das in der die wir auch immer noch passioniert-leidenschaftlich führen, ohne dass es dabei neue Argumente gibt.
Wir reden nur darüber, was uns voneinander abgrenzt.
Wir reden nur darüber, was uns voneinander abgrenzt, anstatt unser Miteinander anhand von Dingen, die man tun kann, und Werten, die uns verbinden, zu hinterfragen. Damit hangeln wir uns lediglich an den Verboten – usw. – entlang. Natürlich sollten wir über die Grenzen in dieser offenen Gesellschaft sprechen. Aber der Tenor und die Fragestellung darf sich dann nicht nur auf Verbote konzentrieren und auf die Definition, Ich bin keineswegs dagegen, dass man bestimmte Fragen stellt oder diskutiert. Ich habe nur den Anspruch, dass die Diskussionen, an denen ich mich beteilige,
Wie wir den Rechtspopulisten den Weg ebneten
Wie bereits schon in einigen Punkten angeschnitten, gewinnen die AfD und andere Rechtspopulisten in der öffentlichen Debatte und auch parteipolitisch insgesamt an Zuspruch. Was hat Ihrer Ansicht nach dazu geführt?
Kübra Gümüşay:
Ich denke, wir haben einen großen Fehler gemacht, und der ist, Jede Provokation aus dieser Richtung haben wir scheinbar bereitwillig angenommen und in Feuilletons, Talkshows, in Radiosendungen, in den Zeitungen und Magazinen rauf und runter diskutiert. Damit haben sie unsere politische Debatte und unsere politische Agenda bestimmt.
Können wir das verhindern?
Kübra Gümüşay:
Ja, wir müssen nicht jede einzelne Diskussion führen, die aus dieser Richtung kommt. Ich war letztens wieder einmal enttäuscht, als ich am Morgen zur besten Sendezeit im Radio hörte, dass mal wieder einen provokativen Tweet abgesetzt hatte. Ich denke nicht, dass das die Art und Weise sein sollte, wie wir mit provokativen Statements oder Personen umgehen sollten. Unsere Reaktion darauf sollte es nicht sein, alle Inhalte sofort aufzugreifen und grundlegend zu diskutieren. denn sie sind emotional aufgeladen und kochen schnell hoch.
Auch der damit verbundene gesellschaftliche Rechtsruck ist spürbar, wie zum Beispiel durch offene Diskriminierungen, Anfeindungen usw. Wie nehmen Sie das im Alltag oder andernorts wahr?
Kübra Gümüşay:
Neben Anfeindungen und Diskriminierungen erlebe ich auch eines: Denn die Mehrheit dieser Gesellschaft, davon bin ich überzeugt, teilt nicht die Werte und Einstellungen von Rechtspopulisten – und sie versuchen, sich immer mehr dagegen aufzulehnen. Und das macht mir sehr viel Hoffnung. Daher sehe ich nicht, warum wir das Feld den Rechtspopulisten überlassen oder uns der Hoffnungslosigkeit hingeben sollten. Ja, es kann alles schlimmer werden, aber das muss es nicht. Weil wir ganz klar in der Mehrheit gegenüber den Rechtspopulisten sind.
Wie kann ich Diskriminierung im öffentlichen Raum entgegentreten?
Kübra Gümüşay: Sei es nun, dass jemand eine Frau bedrängt, sich rassistisch äußert, gewalttätig wird oder einen anderen wegen seiner Behinderung diskriminiert. Wir sollten immer wachsam sein. Bei Gewalt natürlich sofort die Polizei verständigen, Umstehende in Verantwortung ziehen, wenn möglich, das Opfer aus der Situation befreien und bis zur Ankunft der Polizei als Zeuge zur Verfügung stehen. Aber wenn wir Diskriminierung wahrnehmen – zum Beispiel jemand schreit einen anderen nieder – gibt es eine ganz simple Methode, um zu helfen. Wir solidarisieren uns mit dem Opfer, indem wir uns zu ihm stellen und ein Gespräch beginnen. Wir müssen uns ja nicht gleich mit dem Täter anlegen, um das Opfer zu verteidigen. Oftmals trauen wir uns das nicht. Das führt aber dazu, dass wir vor lauter Angst erst gar keine Zivilcourage zeigen.
Gekränkte Journalisten
Spätestens seit PEGIDA wird auch die Rolle der Medien heftig diskutiert und kritisiert, »Lügenpresse« ist dort in aller Munde. Halten Sie die Vorwürfe für berechtigt?
Kübra Gümüşay:
Nein. Mich hat vielmehr überrascht, wie gekränkt viele Journalistinnen und Journalisten darauf reagiert haben. Im Reflex haben sie dann angefangen, extensiv über Dinge zu berichten, über die sie eigentlich nicht berichtet hätten. In einigen Zeitungen wurde beispielsweise umfassend über sexuelle Belästigung, die von Geflüchteten ausgeht, berichtet – ohne aber die gleiche Hellhörigkeit bei anderen Tätern zu zeigen. Das entspricht nicht den journalistischen Maßstäben. Wir verändern uns in der Auseinandersetzung mit und in Reaktion auf Rechtspopulismus – wir sollten aufpassen.
Was sollten wir dann für den Wahlkampf 2017 in Deutschland beachten?
Kübra Gümüşay:
»Political Correctness« ist eigentlich lediglich eines der Werkzeuge in unserem Streben nach einer gerechteren Gesellschaft. Wir sind nicht zu politisch korrekt, zu gerecht, zu rücksichtsvoll. Die deutsche Autorin und Feministin schrieb, dass wir aber einen anderen Fehler gemacht haben: Wir haben nicht ausreichend für unsere Werte geworben. Es fehlt die Vermittlung von »Political Correctness« an alle Teile unserer Gesellschaft, damit sie ihre Werte und Positionen respektvoll gegenüber anderen Positionen vertreten können.
Und gleichzeitig dürfen nicht diejenigen weggelacht oder als rückständig bezeichnet werden, die nicht für die eigenen Werte stehen. Ein guter Vorsatz für 2017 könnte also sein: »Ich werde dieses Jahr Wahlkampf machen, für meine Werte, für die ich stehe.« Ich finde, dass das ein sehr schöner und sehr konstruktiver Ansatz ist, um dieses Jahr tatsächlich etwas zu bewegen.
Ich werden dieses Jahr »Wahlkampf« machen für meine Werte, für die ich stehe.
Und was für eine Berichterstattung brauchen wir in Zeiten wie diesen?
Kübra Gümüşay:
Medienschaffende brauchen eine eigene journalistische Agenda, dazu gehört journalistische Neugier und kritische Betrachtung der Ereignisse und ihrer Hintergründe. Und vielleicht sollten wir Medienschaffenden uns ein stückweit davon lösen, dass wir neutral wären. Natürlich haben wir den Anspruch der Objektivität in der Berichterstattung. Wir bemühen uns darum, möglichst auszublenden, aber niemand schafft das – die allermeisten reflektieren ihren eigenen Bias nicht einmal. Daher finde ich, dass wir damit bewusst umgehen sollten – bewusst für die eigene soziale Klasse, den eigenen politischen Hintergrund, die eigene Sozialisierung, die Hautfarbe, Religion, Weltanschauung. Das beeinflusst unsere Perspektive auf diese Gesellschaft. Wir müssen auch aufhören, die Wahrheit, die wir als Individuum erleben, zur absoluten und universellen Wahrheit zu erklären.
Triff einen Muslim
Mit Blick auf den wachsenden antimuslimischen Rassismus: Welchen Beitrag kann die muslimische Community leisten, um diesen Entwicklungen entgegen zu wirken?
Kübra Gümüşay:
Ich denke, die effektivste Maßnahme gegen antimuslimischen Rassismus ist das Leben von Normalität. Indem wir Filme, Serien, Comedy, Musik produzieren, um damit ein sowie in der Wahrnehmung dieser Gesellschaft zu sein und dabei unsere eigenen Geschichten selbst zu erzählen; ohne großes Aufsehen um das Kopftuch, den Bart oder die Religion überhaupt. Gleichzeitig soll das aber nicht bedeuten, dass wir vollkommen ignorieren sollten, dass es Rassismus in unserer Gesellschaft gibt. Es ist sehr wichtig, zum Beispiel für Intellektuelle, die Politik, Aktivistinnen und Aktivisten, sich mit Rassismus, den dazugehörigen Prozessen und den jeweiligen Theorien auseinanderzusetzen. Wir brauchen diese Sensibilisierung weiterhin und verstärkt – das muss parallel laufen.
Welche Rollen spielen Moscheen in diesem Zusammenhang?
Kübra Gümüşay:
Moscheen sind häufig die Reflexion der jeweiligen Gemeinden, im Guten wie im Schlechten – deshalb kann ich ihnen keine pauschale Rolle zuordnen. Aber es gibt sehr viele muslimische Gemeinden, die sich seit Jahren engagieren und um Verständigung bemühen. Kürzlich erfuhr ich beispielsweise vom Projekt der eine Art Speed-Dating ohne Dating, bei dem sich Muslime und Nichtmuslime kennenlernen.
Wird das öffentlich wahrgenommen?
Kübra Gümüşay: Die wichtige Berichterstattung über Moscheen, die radikale Prediger und extremes Gedankengut beherbergen, überschattet die Arbeit der durchschnittlichen, normalen Moscheegemeinden. Moscheen sind oft nicht gut darin, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zu machen. Und ehrlich gesagt weiß ich auch gar nicht, ob das sein muss, denn eine Moscheegemeinde ist kein Werbeprojekt.
Eine Moscheegemeinde ist kein Werbeprojekt.
Im Islam ist es erstrebenswert zu helfen, ohne viel Aufsehen zu erregen – »sodass die linke Hand nicht weiß, was seine rechte Hand gegeben hat«, heißt es in einer Überlieferung. Aber genau das fordert unsere Gesellschaft von Muslimen: das Prahlen mit dem Engagement, wo und wann sie sich engagiert und irgendwas Positives geleistet haben. Es ist fast so, als müsse sich ein Muslim mit viel Tamtam für diese Gesellschaft engagieren, um zugestanden zu bekommen, dass er ein Mensch mit guten Absichten sein könnte.
Projekt #Ausnahmslos
galt als Reaktion auf die Silvesternacht in Köln vor einem Jahr. Was genau verbirgt sich dahinter?
Kübra Gümüşay:
Die Debatte wurde damals dominiert von dem Bild, dass sexuelle Gewalt ausschließlich von geflüchteten Männern und von Männern aus Nordafrika ausgehe, als sei das ein rein »importiertes Problem«. Diese Schräge in der Debatte war es, wogegen wir uns mit #Ausnahmslos gewendet haben. Wir hatten seinerzeit innerhalb von 3 oder 4 Tagen über 10.000 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner, die lautstark gesagt haben: »Wir sind gegen sexualisierte Gewalt, aber auch gegen Rassismus und wir lassen das eine nicht gegen das andere ausspielen!«
Gab es dazu auch Reaktionen aus der Politik?
Kübra Gümüşay:
Ja, die gab es. Es ist damals deutlich geworden, dass Politikerinnen und Politiker sich derartige Zeichen und Initiativen aus der Zivilgesellschaft wünschen. Wenn derart viele Menschen sagen: »Wir sind gegen sexualisierte Gewalt, aber auch gegen Rassismus!«, das heißt, eine entsprechende Differenzierung derart laut einfordern, dann kann der Politikbetrieb sehr gut Bezug darauf nehmen. Sie können damit eine differenzierte Debatte viel selbstverständlicher einfordern.
Ein Wunschkonzert mit Kübra Gümüşay: Wie sieht Deutschland im Jahr 2020 aus? Welche Herausforderungen müssen wir meistern?
Kübra Gümüşay:
Also Herausforderungen, ja! Aber kein Wunschkonzert (lacht). Ich hoffe, dass wir es bis 2020 geschafft haben, Orte zu kreieren, an denen wir diese heißen Themen, die in unserer Gesellschaft derart polarisierende Debatten auslösen, sehr besonnen und konstruktiv diskutieren können. Es sind dann Orte, an denen wir kluge Lösungen und Ideen entwickeln. Für mich persönlich ist wichtig, dass wir wohlwollend miteinander streiten, das heißt, es geht nicht darum, dass polarisierende Themen ausgeklammert werden. Dazu gehört auch, dass man sich selbst und auch seinem Gegenüber erlaubt, Gesagtes zu revidieren. Um über entsprechende Symboldebatten auch hinwegzukommen, müssen wir einander zuhören, damit wir das, was tatsächlich darunterliegt, konstruktiv diskutieren können. Ich für mich persönlich habe dieses Experiment bereits begonnen und bin ganz gespannt, was am Ende dabei herauskommt.