… Tischtennis spielt, können gute Ideen dabei herauskommen. Deshalb bringt das Wissenschaftskolleg zu Berlin Intellektuelle, Wissenschaftler und Künstler zusammen – und dazu, über ihren Tellerrand zu blicken.
24. Januar 2017
– 8 Minuten
Was passiert, wenn ein Islamwissenschaftler 1 Jahr lang mit einem Dokumentarfilmer zu Mittag isst? Wenn sich ein Soziologe regelmäßig mit einer Schriftstellerin im Tischtennis misst? Oder eine Biologin mit einem Komponisten Theater spielt? Im sind genau diese ungewöhnlichen Begegnungen erwünscht: Hier treffen sich Vertreter aller möglichen Fachrichtungen, um miteinander zu diskutieren und Projekte zu realisieren.
Zukunftsorientiert, verständlich, werbefrei. Dafür stehen wir. Mit Wohlfühl-Nachrichten hat das nichts zu tun. Wir sind davon überzeugt, dass Journalismus etwas bewegen kann, wenn er sowohl Probleme erklärt als auch positive Entwicklungen und Möglichkeiten vorstellt. Wir lösen Probleme besser, wenn wir umfassend informiert und positiv gestimmt sind – und das funktioniert auch in den Medien. Studien haben gezeigt, dass Texte, die verschiedene Lösungen diskutieren, zu mehr Interesse führen, positive Emotionen erzeugen und eine erhöhte Handlungsbereitschaft generieren können. Das ist die Idee unseres Konstruktiven Journalismus.
40 Wissenschaftler, Künstler und Intellektuelle verbringen über 1 Jahr hinweg Zeit miteinander, um mit fachfremden Impulsen die eigene Arbeit zu bereichern und voranzutreiben. Seit 10 Jahren ist Luca Giuliani Rektor des Kollegs. Gastautor Achim Engelberg hat ihn in seiner Wirkungsstätte besucht.
Wie muss man sich die Zusammenarbeit im Wissenschaftskolleg vorstellen?
Luca Giuliani:
Am besten, man stellt sich nichts vor, sondern lässt es geschehen. Wir laden Intellektuelle aus ganz verschiedenen Bereichen ein, wir mischen so stark wie möglich. Nach der Zeit am Wissenschaftskolleg soll jeder das Gefühl haben, er hat Leute kennengelernt, mit denen er sonst nie diskutiert und gearbeitet hätte.
Kreativität braucht Impulse, Konstellationen, manchmal Gewohnheiten, manchmal auch Abstruses. Es gibt kein Genie außerhalb der Geschäftsstunden, meinte ironisch Heinrich Mann. Sein Bruder Thomas hatte streng geregelte Schreibzeiten. Friedrich Schiller benötigte faule Äpfel für seine Muse. Welche Gewohnheiten gibt es im Wissenschaftskolleg?
Luca Giuliani:
Sie halten sich in Grenzen. Es gibt jeden Dienstag ein Kolloquium, um 11:00 Uhr einen einstündigen Vortrag, danach Diskussion, um 13:00 Uhr gemeinsames Mittagessen. Insgesamt finden pro Woche 5 gemeinsame Essen statt, 4-mal zu Mittag, 1-mal am Abend. Das sind wichtige Termine. Man trifft sich nicht, um zu diskutieren, aber man sitzt zusammen, kommuniziert.
Man spielt auch, wie ich vorhin sah, Tischtennis zusammen?
Luca Giuliani:
Ja, wichtig ist auch: Es gibt kaum Klatsch. Man hat keine gemeinsamen Bekannten, man macht keine Fakultätspolitik und dergleichen. Jeder weiß, der andere versteht wenig oder nichts von der eigenen Arbeit.So ist man schnell bei dem, woran man arbeitet. Und es gibt diese Hürde: Jeder weiß, der andere versteht wenig oder nichts von der eigenen Arbeit. Das ist ein Crash-Kurs in Vermittlung. Das verändert die Diskussionen. Fast keiner ist vom gleichen Fach, aber alle haben Vorstellungen von Wissenschaft oder Kunst. Sie müssen ein Problem und eine Frage haben, die sie den anderen erklären können.
Produktiver Austausch trotz weniger Gemeinsamkeiten
Ein kleiner Auszug aus dem Jahrgang 2016/17: Shaheen Dill-Riaz, aus Bangladesch stammend, in Deutschland ausgebildet, plant einen Kino-Dokumentarfilm über die Musikszene Teherans, in dem das Leben junger Iraner anhand von Einzelschicksalen gezeigt werden soll. Der habilitierte Schriftsteller Navid Kermani will Verbindungen zwischen den großen monotheistischen Religionen aufzeigen, die alle im Nahen Osten entstanden sind. Diesmal geht es um den Der Ideenhistoriker und Soziologe Wolf Lepenies setzt sich angesichts der EU-Krise mit dem New Deal auseinander, mit dem die USA die Depression nach 1929 überwanden, dem Marschallplan, der den Wiederaufstieg Europas ermöglichte, und der Montanunion, dem Motor auf dem Weg zur EU.
Wie schaffen Sie Kontinuität und verhindern angesichts der Vielzahl von Ansätzen und Deutungen, dass das Ganze in ein Sammelsurium abgleitet?
Luca Giuliani:
In einer solchen Konstellation wie hier gibt es kein Imponiergehabe nach dem Motto, ich weiß mehr als du. Jeder weiß auf seinem Gebiet mehr als die anderen und weiß von den Gebieten der anderen wenig oder nichts. Interessant ist, dass man anspruchsvolle Diskussionen führen kann, auch wenn das gemeinsame Wissen spärlich ist. Allerdings können Naturwissenschaftler das oft besser, da sie öfter in Gruppen arbeiten.
Wie steuern sie bei Missverständnissen gegen?
Luca Giuliani:
Nicht direkt. Wir laden nur ein. Wir vermitteln nicht, aber wir bringen sie zusammen, sie reden miteinander und dann fallen oft Verkrustungen ab.
Ein kleiner Auszug aus den Kontinuitäten der Einrichtung, die dagegen helfen: Es gab und gibt Arbeitsschwerpunkte, die über Jahre existieren. So setzte in seinem Rektorat lange vor dem 11. September 2001 den Problemkomplex »Moderne und Islam« auf die Agenda, der am Anfang schwer zu finanzieren war und mittlerweile erfolgreich ausgegliedert wurde. Gleich im ersten Jahrgang gab es – ein Jahr nach der Gründung von – 3 kritische Fellows aus Polen; gerade überlegt man, einige türkische Intellektuelle einzuladen.
Beim Abschlussfest eines jeden Jahrganges führen die Fellows Grotesken über Geschehnisse aus dem jeweiligen Jahr auf. Bauen sie so entstandene Spannungen ab?
Luca Giuliani:
Im Allgemeinen ist der Ton freundschaftlich, aber es wird auch nicht mit Samthandschuhen diskutiert. Gerade am Ende des Jahres kennen sich die Fellows recht gut, und da kann es bei den Debatten auch mal hart zur Sache gehen. Gerade in großen Universitäten wird die Kommunikation immer enger, man spricht nur noch mit Gleichgesinnten. Das Wissenschaftskolleg versucht, ein Gegengewicht zu schaffen.Freundschaftlich, nach dem Motto: Eigentlich schätze ich dich, aber was du jetzt gesagt hast, leuchtet mir überhaupt nicht ein. Die Gespräche werden im Laufe des Jahres direkter, besser und schärfer.
Wie groß ist der Spielraum bei den Ansätzen?
Luca Giuliani:
Je bunter das Methodenspektrum ist, umso sinnvoller wird es, miteinander zu reden. Nicht um die richtige Methode zu finden, sondern um voneinander zu lernen. Gerade in großen Universitäten wird die Kommunikation immer enger, man spricht nur noch mit Gleichgesinnten. Das Wissenschaftskolleg versucht, ein Gegengewicht zu schaffen. Die Ausnahmebedingungen müssen nicht zu einer fundamentalen Entdeckung führen, aber sie stellen eigene Routinen in Frage. Die Fellows sehen, dass das Beet, das sie beackern, auch von außen sichtbar ist, von anderen Beeten aus.
Die weltweiten Mitstreiter
Gerade in der Literatur las ich, sei das Vorbild zum Wissenschaftskolleg gewesen …
Luca Giuliani:
Wir sind das Gegenmodell zu Princeton. Princeton hat viele Kollegs, in denen beispielsweise Historiker zusammenkommen, das sind jedes Jahr 80. Die reden fast nur untereinander. Wir sind kleiner, wir haben jedes Jahr rund 40 Fellows.
Gibt es denn ähnliche oder befreundete Kollegs wie das Wissenschaftskolleg im Ausland?
Luca Giuliani:
Wir haben einen Club von »Institutes for Advanced Study«, der sich einmal im Jahr trifft. 4 Einrichtungen liegen in den USA: Princeton, Stanford, dazu kommt Radcliffe (Harvard) und das National Humanities Center (Durham). In Europa gibt es 4 weitere Institute, das NIAS in Amsterdam, eines im schwedischen Uppsala, eines in Nantes und wir. Dazu kommt noch das israelische Institut für Advanced Study, aber die agieren etwas anders. Die laden Arbeitsgruppen ein, die sehr konzentriert an einem Thema arbeiten.
Gerade wenn man den Aufstieg Asiens bedenkt, wären hier vielleicht Ausweitungen möglich und interessant.
Luca Giuliani:
Unbedingt. Wir versuchen das, aber die Chinesen zum Beispiel finden unser Herangehen etwas abstoßend. Sie misstrauen unserem Ansatz. Man darf auch nicht vergessen: Wo der Einfluss von Thinktanks groß ist, die einzelne Probleme abarbeiten, da schwindet der Boden, auf dem Einrichtungen wie unsere wachsen können.
Frischer Wind für Westberliner Intellektuelle
Können sie etwas über die Anfänge des Kollegs erzählen?
Luca Giuliani:
In Princeton entstand die Idee, auch ein Institut für Advanced Study zu gründen, aber 1980 war die Stoßrichtung eine andere. West-Berlin war isoliert, man besaß 2 Universitäten, die Freie Universität und die Technische Universität, aber beide schmorten ziemlich im eigenen Saft.
Vor dem Mauerfall war es schwer, hochkarätige Leute hierher zu locken. Die kluge Idee des Wissenschaftssenators war es, das zu verändern, um frischen Wind einzulassen, indem er das Wissenschaftskolleg gründete. Er dachte an eine Parole, gegen die niemand etwas einwenden könnte, und fand sie auch: Wir wollen die jüdischen Intellektuellen, die die Nazis vertrieben haben, wieder zurückholen.
Im ersten Jahr, 1981, ist der bekannte jüdische Intellektuelle unter den ersten Fellows, aber viele Juden aus Deutschland findet man nicht.
Luca Giuliani:
Wir haben nie bewusst Juden eingeladen. Das Ziel, jüdische Intellektuelle zurückzuholen, war eine Taktik, um Bedenken auszuräumen, denn am Anfang empfanden uns gerade die beiden Universitäten als unliebsame Konkurrenz. Aber wenn sie herausragende Intellektuelle einladen, ist es unwahrscheinlich, dass nicht etliche Juden dabei sind. Am Anfang kamen Gesellschafts- und Geisteswissenschaftler. Erst allmählich gesellten sich, da mussten wir werben, Naturwissenschaftler dazu, zunächst fast nur Biologen. Das war Ende der 1980er-Jahre. Es begann mit Wissenschaftsgeschichte, die damals in Deutschland ganz schwach entwickelt war, fast gar nicht existierte.
Alle 3 Gründungsrektoren des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte waren Fellows vom Wissenschaftskolleg. Wir etablierten das Fach »Wissenschaftsgeschichte« in Deutschland. Dann kamen Künstler dazu, das heißt einige Schriftsteller und Komponisten. Glücklicherweise bekamen wir einige große Namen. Einer der ersten war der italienische Komponist Luigi Nono.
Heute ist es leicht, gute Leute anzulocken, zumal der Reiz von Berlin stark ist.
Was hat es denn mit dem schönen Gebäude auf sich, in dem das Kolleg zu Hause ist?
Luca Giuliani:
Nach der ersten deutschen staatlichen Einheit 1870/71 war die Fahrt in diese Gegend im Grunewald ein Ausflug aufs Land. Die mit der Bismarck’schen Reichsgründung freigesetzten Energien und Möglichkeiten ließen Berlin zur Weltstadt wachsen. Deshalb baute der Staatsanwalt Franz Linde im Jahre 1910 das Gebäude als geräumige Villa. 1935 übernahm Görings Reichsluftschutzbund das Haus, nach 1945 nutzte es das britische Militär als Offizierskasino. 1974 gelangte es wieder in den Besitz der Stadt, und 1980 zog hier das neu gegründete Wissenschaftskolleg zu Berlin ein.
Kann man sagen, dass solche Institute die intellektuellen Blüten des Liberalismus sind?
Luca Giuliani:
Ja, das glaube ich. Allerdings braucht man auch in liberalen Demokratien Forschung, die langfristig geplant wird und die wie eine Maschine arbeitet. Wo alle Beteiligten sich wie Rädchen drehen. So funktionierte das am Ende kam die Atombombe heraus. Egal, ob man diese Waffe gut findet oder nicht: Ein solches Herangehen ist zuweilen notwendig. Aber in den letzten 20 Jahren haben die Einrichtungen, die nach diesem Schema funktionieren, überhandgenommen. Deshalb ist es wichtig, ein Ventil wie das Wissenschaftskolleg zu Berlin zu haben.