So sieht das Öko-Paradies von innen aus
Das Energie-Märchen kann sich in ganz Deutschland wiederholen. Auf 3 Dinge kommt es dabei an.
Auf der To-do-Liste eines ambitionierten Landrates sollten sich bei Amtsantritt in etwa folgende Punkte finden:
- Wirtschaft ankurbeln,
- Jobs schaffen,
- Zusammenhalt und Gemeinwohl fördern.
In den vergangenen 20 Jahren hat sich im Kreis Steinfurt viel getan: Die
Zur Erinnerung:
Heute fragen wir: Wie hat Steinfurt das erreicht? Was waren die Voraussetzungen dafür? Worauf kommt es an bei einer solchen Entwicklung? Und kann das, was die Steinfurter geschafft haben, auch anderen gelingen? Können Gemeinden überall in Deutschland – ob in Bayern, Rheinland-Pfalz oder Brandenburg – denselben Weg gehen oder ist Steinfurt nur ein Spezialfall, dessen Projekte für die Allgemeinheit nichts taugen?
Dass der Landkreis in allen Bereichen gleichzeitig das Tempo anzieht, ist jedenfalls kein Zufall. Es ist das Ergebnis sorgfältiger Planung und gründlicher Arbeit. Viele der rund 430.000 Menschen im Landkreis machen vor, was viele Menschen vom Fach längst erkannt haben:
Der Weg der Steinfurter zeigt, dass es im Wesentlichen auf 3 Dinge ankommt:
1. Kluge Köpfe
»Ohne Uli Ahlke wäre das hier nichts geworden«, sagt Christof Wetter, Professor an der Fachhochschule Münster im Fachbereich für Energie, Gebäude und Umwelt. Damit bringt er die erste und vielleicht grundlegende Voraussetzung für den Steinfurter Aufstieg auf den Punkt: Es braucht eine Handvoll hochmotivierter Menschen, die zutiefst von der Notwendigkeit überzeugt sind, dass die Nachhaltigkeit der richtige Weg ist. Sie müssen den Stein ins Rollen bringen. Im Kreis Steinfurt gilt das, so sehen es einige, wohl für niemanden so sehr wie für Ulrich Ahlke, der das Amt für Klimaschutz und Nachhaltigkeit leitet.
Auf Ahlke geht die ursprüngliche Initiative zurück, eben dieses Amt einzurichten, das er nun leitet. Das Amt ist inzwischen die Schaltzentrale der Steinfurter Transformation, mit Ahlke im Zentrum. Aus einer »intrinsischen Motivation« heraus, wie er sagt, setzt er das Thema Nachhaltigkeit in Steinfurt auf die Agenda. Und »ohne Klimaschutz kommt man da überhaupt nicht aus«.
Welche Fähigkeiten bringt er mit ein? »Uli Ahlke ist jemand, der Ziele definieren und umsetzen kann, der Menschen begeistern und mitnehmen kann«, sagt Christof Wetter. Auch ihn kann man wohl zur Gruppe der Initiatoren und Antreiber in Steinfurt zählen. Er begleitet die Transformation seit 1999 mit allem, was ihm zur Verfügung steht. Das ist vor allem wissenschaftliche Expertise: »Über die Jahre haben wir Dutzende Projekte zusammen gemacht«, sagt er über die Zusammenarbeit mit Ahlke.
Weitere im Kreise sind der CDU-Landrat Thomas Kubendorff, der Ahlke beim Aufbau seiner Klima-Schaltzentrale viel Raum und viele Freiheiten einräumte. Bürgermeister Wilfried Roos, durch den die Gemeinde Saerbeck zum Vorreiter im Bereich der Erneuerbaren Energien wurde. Die Vorstände der ortsansässigen Banken, die viele der Projekte bereitwillig finanziert haben. Rolf Echelmeyer, Geschäftsführer der
2. Kommunikation und Geduld
Wie haben diese Köpfe ihre Ideen in die Tat umgesetzt? »Das liegt an der Vielzahl der guten Projekte«, sagt Christof Wetter. »Jedes einzelne Projekt für sich war gut und sinnig.« Immer wieder haben Ahlke und sein Team aus der Klimaschutz-Zentrale Treffen organisiert, die Leute an einen Tisch gesetzt und Aufklärung betrieben. Sie sind in die Schulen gegangen, zu den Banken, zu den Bauern, zu den Einzelhändlern, zu den Anwohnern – zu allen. Kommunikation ist für sie das A und O.
Das gilt auch für die Verwaltung selbst, sagt Ahlke: »Eine Querschnittsaufgabe wie Klimaschutz und Nachhaltigkeit wird es allein auf der Sachbearbeiter-Ebene immer schwer haben. Die Menschen auf diesen Positionen brauchen eine große Gestaltungsfreiheit, die Dienstwege müssen kurz sein.« Außerdem versteht Ulrich Ahlke sein Amt auch als Anlaufstelle für die 24 Gemeinden innerhalb des Kreises. Für komplizierte Anträge auf Fördergelder gibt es Unterstützung. Konzepte und Verfahren, die sich für den einen Bürgermeister bewährt haben, wandern direkt weiter zu den anderen.
Nicht zu vergessen ist aber auch: Die Erfolge in Steinfurt – bis 2018 erwartet der Kreis rund 70% erneuerbaren Stromverbrauch – kamen nicht über Nacht. Seit dem ersten Konzeptpapier 1997 sind 20 Jahre vergangen.
»Ganz wichtig ist: Schaut auf die Zeiträume«, sagt Ulrich Ahlke. »Ohne Geduld und Ausdauer geht nichts. Die Prozesse brauchen Zeit. Eine geförderte Stelle von 3 Jahren bringt schon was, aber die Verstetigung fängt später an.« Dass die Menschen ihn kennen und wissen, woran sie sind, wofür er steht; das sei wesentlich – und erfordere viel Geduld.
3. Viele Köpfe
Gibt man der Handvoll Antreiber also Raum, Mittel und Zeit, streuen sie ihr Wissen und ihre Überzeugungen durch Projekte in die Menge.
In Genossenschaften oder Kommandit-Gesellschaften haben die Menschen viele Millionen Euro zusammengetragen,
Und auch das Geld lockt: An den Stadtwerken, die außer Strom auch Wärme, Gas und Wasser liefern, verdienen ebenfalls viele Bürger mit. Biogas und Fotovoltaik werden durch verschiedene Initiativen vorangetrieben,
Was hat Steinfurt nun vom Klimaschutz?
Für Idealisten ist die Frage, was Steinfurt die Mühen nun genutzt haben, leicht zu beantworten: Über 50% des Stromverbrauchs wird mittlerweile in der Gegend erzeugt. Bis 2050 sollen es 100% sein.
Für alle anderen gibt es diese Zahlen:
So geht’s weiter – in Steinfurt und in Deutschland
Natürlich gibt es noch viel zu tun auf dem Weg zur kompletten Energiewende; denn Strom macht nur etwa 1/3 des Energieverbrauchs aus – und im Verkehr und bei der Wärme sieht es noch ziemlich mau aus mit den Erneuerbaren. Zwar eröffnet in diesen Tagen die neunte E-Ladesäule in einem Verbund der Stadtwerke Steinfurt, für nur 5 Euro im Monat können die Bürger hier so viel sauberen Strom tanken, wie sie wollen. »Das wird aber ehrlich gesagt sehr schleppend angenommen«, sagt Rolf Echelmeyer, Geschäftsführer der Stadtwerke Steinfurt. »Die Teilnehmerzahlen sind verschwindend gering.« So bleibt Öl vorerst konkurrenzlos als Energieträger im Verkehr.
Und auch bei der Wärme, dem dritten großen Energieposten, fängt die Stadt erst nach und nach an, von ineffizienten Öl-Heizungen auf Wärmepumpen oder Kraft-Wärme-Kopplung umzustellen.
Ein erster Schritt ist aber getan: Die Stadtwerke Steinfurt haben das Heizungssystem einer Anlage für betreutes Wohnen gekauft und dieses komplett erneuert. Der Gasverbrauch habe sich seitdem etwa halbiert und die Wohnungen würden wieder ordentlich warm, erzählt Geschäftsführer Echelmeyer. Die Einsparungen bei den Heizkosten würden nun zwischen den Mietern und den Stadtwerken geteilt, sodass unterm Strich beide Parteien daran verdienten. Dieses sogenannte »Energie-Einspar-Contracting« habe viel Potenzial, sei den Leuten aber nicht so einfach näherzubringen.
Der Musterschüler Saerbeck ist bereits einen Schritt weiter:
Die Gemeinde hat eine »gläserne Heizzentrale« geschaffen, die einige öffentliche Gebäude mit
Das Beispiel von Steinfurt sorgt inzwischen auch landesweit für Aufsehen: »Wir beraten eine ganze Reihe von Landkreisen«, sagt Ahlke, der erst vor Kurzem seine Kollegen in München getroffen hat. »Das ist einer der reichsten Landkreise in Deutschland – und die haben gerade mal 4 Mitarbeiter für Klimaschutz.« In Steinfurt sind es 18.
Viel Luft nach oben für München – und für den Rest Deutschlands. Denn Steinfurt habe keine besonderen Voraussetzungen mitgebracht, die den Landkreis für die Transformation prädestinierten, meint Christof Wetter von der Fachhochschule. Die Wirtschaft sei eine solide Mischung aus Landwirtschaft, Handwerk, etwas Einzelhandel – aber auch einigen industriellen Spezialisten, die es in ihren Nischen zu etwas gebracht haben. So eben der Weltmarktführer Saertex. Auch was die geografischen Bedingungen angeht, ist Steinfurt »Durchschnitt«. Der stellvertretende Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Robert Habeck, hat den Landkreis und Ulrich Ahlke 2015 besucht. Sein Eindruck: »Ich komme ja aus Schleswig-Holstein, wo wir viel Wind haben. Da war mir gar nicht klar, wie viel Windausbeute man auch als Binnenlandkreis haben kann.« Also im wahrsten Sinne des Wortes: viel Luft nach oben.
Titelbild: David Ehl - copyright