Am 26. September ist Bundestagswahl – an diesem Tag entscheidet sich, welche Menschen künftig im Parlament sitzen und die Politik des Landes in den nächsten Jahren mitgestalten werden. Zur Wahl stehen nicht nur erfahrene Politiker:innen, sondern auch Menschen, die zum ersten Mal gewählt werden wollen. Manche haben gute Chancen, über Listenplätze in den Bundestag einzuziehen, andere müssen sich als Direktkandidat:innen in ihren Wahlkreisen behaupten. Wir stellen euch einige dieser Menschen vor. Was sind ihre Ziele und Hoffnungen? Was motiviert sie, Politik zu machen?
Statt politischen Gestaltungswillen zu zeigen, setzen Parteien zunehmend auf persönliche Angriffe. Kein Wunder, dass manche Menschen derzeit vom Wahlkampf die Nase voll haben. Dabei bräuchte es im Angesicht von Pandemie, gesellschaftlicher Ungleichheit und Klimakrise dringend neue Perspektiven.
Nach denen klingen zumindest die Wahlplakate einer Kleinpartei, die man derzeit vor allem in deutschen Großstädten entdecken kann.
sie ist klar pro-europäisch und erst 4 Jahre alt. Gegründet wurde Volt 2017 als internationale Bewegung. Nationale Sektionen der europäischen Partei traten zur Europawahl
und erzielten vor allem in Luxemburg und den Niederlanden erste Erfolge im 2%-Bereich. In Deutschland errang Volt ein Mandat für das EU-
Seitdem macht die Partei Bewegungspolitik auf regionaler Ebene, konzentriert auf Großstädte und deren nahe Umgebung.
In diesem Artikel erfährst du mehr über die Entstehungsgeschichte von Volt:
Ansonsten hat Volt alles, was die großen Parteien auch haben: Grundsatzprogramm, Landeslisten und Spitzenkandidat:innen. Mit einer von ihnen, Rebekka Müller, Spitzenkandidatin auf Bundesebene und für NRW habe ich mich in Münster getroffen. Sie ist 32 Jahre jung und damit noch unter dem Altersdurchschnitt ihrer Partei (der liegt derzeit bei 35,
Seit 2020 sitzt sie für Volt im Kölner Stadtrat. Im Interview sprechen wir darüber, was Volt anders macht, besser machen will und welchen Einfluss eine junge Partei überhaupt haben kann.
»Mir geht es nicht so sehr um ein Mandat an sich, sondern darum, etwas politisch umsetzen«
Dirk Walbrühl:
Du hast BWL studiert und 7 Jahre erfolgreich in dem Bereich gearbeitet. Dann, das schreibst du von dir selbst auf der
haben dich Trump, Brexit und die Klimakrise in die Politik gebracht. Wieso?
Rebekka Müller:
Brexit war der eigentliche Auslöser. Damals hatte ich den Eindruck: Die Welt läuft gerade in die völlig falsche Richtung. Ich war beruflich viel unterwegs, auch mit dem Flugzeug, und hatte irgendwann dieses Störgefühl, dass das nicht mit den Dimensionen der Klimakrise vereinbar ist. Seitdem verzichte ich nicht nur auf das Fliegen, sondern habe grundsätzlich beschlossen, dass ich mich selbst einsetzen möchte für positive Veränderung. Davor war ich nie parteipolitisch aktiv gewesen, hatte in einer beruflichen Auszeit aber die Möglichkeit, bei Volt politische Arbeit auszuprobieren.
Und dann?
Rebekka Müller:
Das war 2019. In Köln habe ich dann das Kommunalwahlprogramm mitgeschrieben, mich als
innerhalb der Partei aufstellen lassen und wurde gewählt. Im Kommunalwahlkampf konnte ich erleben, wie viel wir bewegen können und dass wir vor allem Menschen gewinnen, die vorher nie politisch aktiv oder interessiert waren.
Und wie sieht es mit dem Erfolg aus? Die Kommunalwahlen in NRW haben euch ja einige Sitze in Kommunen gebracht.
Rebekka Müller:
Volt ist derzeit in 7 Stadtparlamenten in NRW vertreten. Eines davon ist Köln, wo ich selbst politisch arbeite. Ich sitze im Stadtrat in der »erweiterten Fraktion« als Bündnis mit Grünen und CDU, in das wir 4 Mandatsträger:innen entsenden konnten. In den Niederlanden sitzen wir seit März sogar mit 3 Vertreter:innen im nationalen Parlament.
Was genau willst du politisch erreichen und bewegen?
Rebekka Müller:
Mir geht es nicht so sehr um ein Mandat an sich, sondern darum, etwas politisch umzusetzen. 3 Aspekte sind mir dabei wichtig. Als Erstes möchte ich den europäischen Zusammenhalt stärken und dafür kämpfen, dass wir auch auf deutscher Ebene europäische Politik machen. In der Reisebranche habe ich in vielen Ländern gesehen, wie wichtig Europa ist. Klar haben wir unterschiedliche Identitäten, aber auch ein europäisches Wertesystem. Für mich liegt in Europa die Zukunft.
Der zweite Aspekt ist das Thema Klimaneutralität. Ich habe im Projektmanagement gearbeitet und sehe deutlich, wie groß die Herausforderungen sind und dass wir unseren gemeinsamen Zielen nicht näher kommen. Das liegt vor allem an den verkrusteten politischen Strukturen: An vielen Stellen fehlen einfach, das muss man leider so sagen, der politischer Wille und Fähigkeiten, die Projekte umzusetzen.
Und der dritte Punkt ist eine neue Art von Politik.
Dafür möchte Volt stehen. Was genau verstehst du darunter?
Rebekka Müller:
Für Volt heißt das: Wir denken und handeln europäisch. Wir arbeiten evidenzbasiert und hören auf Experten und Expertinnen aus der Wissenschaft. Wir sehen ja immer wieder, wie Menschen, die sich sehr intensiv mit Themen auseinandersetzen und die Lage beurteilen können, warnen – etwa während der Pandemie oder aktuell in Afghanistan – und in der Politik einfach nicht auf sie gehört wird. Wir wollen dabei vor allem auf die Inhalte schauen, also Sachpolitik machen. Das ist etwas, was ich im Wahlkampf derzeit sehr vermisse.
Und damit lassen sich junge Menschen wieder politisch aktivieren?
Rebekka Müller:
Wir sehen ja gerade, dass sich unglaublich viele junge Menschen politisch aktivieren wollen und das auch tun – etwa bei Fridays for Future. Aber sie engagieren sich eher nicht in der CDU oder SPD. Dabei sollte Politik einen integrativen Charakter haben. Nur funktioniert das bei den etablierten Parteien so nicht mehr, die schaffen es nicht mehr, junge Menschen für Politik zu begeistern. Ich gehörte ja dazu. Auch ich hatte nie das Gefühl: Ich werde da gehört, ich kann da etwas bewegen. Das hat sich für mich erst bei Volt verändert.
Woran liegt das deiner Ansicht nach?
Rebekka Müller:
Ich kriege von Politiker:innen anderer Parteien oft hautnah mit, dass sie so was sagen wie: »Ergebnisse? Klare Ziele? Nein, uns dazu zu verpflichten, das können wir nicht. Wir können das ja nicht beeinflussen.« Und ich denke immer: »Liebe Leute, ihr seid Politiker:innen. Wenn es jemand beeinflussen und etwas bewegen kann, dann ihr.«
Was genau könnte man denn Großes bewegen, wenn man wollte – hast du ein Beispiel?
Rebekka Müller:
Ein Projekt, was ich sehr wichtig finde, ist ein europäisches Schienen-Hochgeschwindigkeitsnetz. Ich verzichte wie gesagt derzeit ganz auf das Fliegen und finde, Menschen müssen
Im Wahlkampf Visionen bieten statt gegen etwas sein
Solche konkreten politischen Visionen findet man derzeit auffallend selten. Stattdessen scheinen – und das passt ja zu deiner Motivation – populistische Taktiken, die etwa auch beim Brexit erfolgreich waren, schleichend Einzug in den Wahlkampf zu halten. Macht dir das Sorgen?
Rebekka Müller:
Klar! Und das ist ja auch ein Gründungsgedanke von Volt, genau dem eine Option entgegenzusetzen. Wir setzen explizit nicht auf Nationalismus, Populismus und vermeintlich einfache Lösungen …
Was ist Populismus für dich?
Rebekka Müller:
Populismus ist im Endeffekt der Versuch, Macht mit jedem Mittel anzuhäufen, statt für das Gemeinwohl zu arbeiten. Und das hat Konsequenzen, die wir deutlich im Vertrauensverlust der Menschen in Politik per se und auch in staatliche Institutionen sehen. Um dieser Politik- und Parteiverdrossenheit zu begegnen, wollen wir politische Beteiligung bei Volt so inklusiv wie möglich gestalten.
Dabei glauben derzeit gerade populistische Parteien wie die Basis oder die AfD Aufwind zu haben, weil etablierten Parteien Antworten fehlen …
Rebekka Müller:
Das fand ich ganz schrecklich, etwa im Landtagswahlkampf in Sachsen-Anhalt. Dort wurde explizit Wahlkampf gegen etwas gemacht – gegen die AfD. Dabei ist die AfD doch viel eher ein Symptom einer verzweifelten Gesellschaft in einem Bundesland. Stattdessen muss man doch fragen: Wie soll es denn weitergehen? Was ist denn die konstruktive Zukunftsperspektive? Wo wollen wir gemeinsam hin?
Dann lass uns über Zukunft sprechen. Was ist deine konstruktive große Vision?
Rebekka Müller:
Eine europäische parlamentarische Demokratie. Also ein geeintes, reformiertes, starkes Europa. Das ist eine krasse Vision, aber für mich die Lösung für viele unserer aktuellen Probleme. Anders werden wir auch als Deutschland international abgehängt. Die Handlungsfähigkeit der EU ist für uns der Schlüssel hin zu positiver Veränderung.
Europa ist das große Thema bei Volt. Aber es gibt sicher viele Menschen, die gerade keine Begeisterung für die EU aufbringen können. Wie würdest du so jemandem Europa als Lösung näherbringen?
Rebekka Müller:
Ich bin ja nicht einfach so Europafan; die EU hat einen Zweck. Wir wissen, dass die großen Herausforderungen vom Umgang mit Geflüchteten über die digitale Transformation bis zur Klimakrise europäisch sind und alle Mitgliedsländer betreffen. Wenn wir das anerkennen, dann brauchen wir auch europäische Lösungen dafür. Europa teilt ein eigenes Wertesystem. Und das möchte ich nicht mit einem chinesischen oder einem US-amerikanischen tauschen. All das lässt mich sagen: Ich setze lieber auf Europa als auf irgendetwas anderes.
Nun hat die EU in den vergangenen Jahren in vielen Bereichen politisch keine sonderlich glänzende Figur gemacht – von Uploadfiltern mit Artikel 13 bis zu fragwürdigen Deals in der sogenannten Flüchtlingskrise. Etwas böse könnte man nun sagen, dass am Ende der Bürokratie oft nicht das Beste herauskommt.
Rebekka Müller:
Das Europa von heute funktioniert nicht. Wir sehen das an noch viel mehr Bereichen, etwa auch am Investitionspaket im Rahmen der Pandemie, mit dem man so viel mehr machen könnte. In Brüssel sitzen Vertreter:innen nationaler Parlamente. Auch Deutschland handelt dort nur europäisch, wenn es vor allem nationalen Interessen dient.
ein großer Faktor, der bremst. All das sind für mich aber nur Argumente zu sagen: Wir müssen Europa reformieren. Weg von einem bürokratischen Verwaltungsapparat hin zu einem Parlament, das direkt von den Bürger:innen gewählt ist und sie vertritt – eine echte parlamentarische Demokratie auf europäischer Ebene mit einer europäischen Öffentlichkeit, europäischen Medienhäusern und einer stärkeren europäischen Identität. Denn, und davon bin ich absolut überzeugt: Nur wenn es uns in Europa allen gut geht, geht es auch Deutschland gut.
Gegen die Politikverdrossenheit: Eine kleine Partei zum Mitmachen?
Europa ist eine große politische Bühne. Demgegenüber ist Volt noch eine kleine Partei. Ärgert es dich, wenn jemand sagt: »Das klingt alles schön und gut, aber die können ja eh nichts erreichen«?
Rebekka Müller:
Eigentlich nicht. Man muss es so sehen: Uns gibt es seit 4 Jahren. Wir haben einen Vertreter im
der einen Mega-Job macht und als einzelne Person schon viel erreicht. Wir sitzen in Köln mit 4 Personen im Stadtrat – hebeln das aber über eine erweiterte Fraktion.
Also der Kooperation mit anderen Parteien.
Rebekka Müller:
Richtig. Das sind in Köln 50 Personen, unterstützt von Arbeitskreisen. Und in dem Rahmen reizen wir unser politisches Mitspracherecht extrem aus und können viel bewegen. In Köln waren wir etwa diejenigen, die angestoßen haben, dass die Verwaltung einen Plan entwickelt, bis 2035 klimaneutral zu werden. Oder dass flächendeckend in Flüchtlingsunterkünften geimpft wird, wo Menschen auf engstem Raum zusammenleben. Da haben wir einfach mit Sachargumenten überzeugt. Ich finde das bis heute irritierend, weil ich das früher so nie gesehen habe: Man kann auch mit wenigen unheimlich viel bewegen, wenn man sich in Themen einarbeitet, konstant hinterher ist und bereit ist, mit Betroffenen und Expert:innen zu sprechen – also wenn man, platt gesagt, einfach seine Hausaufgaben macht.
Und das machen die anderen einfach nicht?
Rebekka Müller:
Ich spüre bei Politiker:innen derzeit vor allem eine große Müdigkeit. Es herrscht Überforderung und es fehlt nicht nur an Visionen, sondern auch an Managementkompetenzen. Die Krisen verschärfen sich und die aktuelle Politik findet darauf keine Antworten. Deshalb bleibt vieles beim Kleinklein und dem Hin- und Herschieben von Verantwortungen. Und wenn wir dieses Loch dann füllen und es konstruktiv machen und festgefahrene Gewohnheiten aufbrechen, dann stößt das erst mal auf Irritationen.
Wie kann man bei euch mitgestalten?
Rebekka Müller:
Das ist das, was Volt ausmacht! Wir wollen alle Leute mitnehmen, selbst wenn jemand nur 2 Stunden pro Woche in das Ehrenamt investieren kann.
Auch dann kannst du Verantwortung übernehmen. Dieses Angebot kenne ich so von anderen Parteien nicht. Wir geben Menschen die Möglichkeit, schnell in politische Ämter zu kommen.
Diesen Ansatz gab es schon mal so ähnlich bei der Piratenpartei. Die sind damals aber auch auf die Nase gefallen, weil sie sich so Menschen in Ämter geholt haben, die dann viele interne Probleme gemacht haben. Wie habt ihr daraus gelernt?
Rebekka Müller:
Wir haben auch einige ehemalige Pirat:innen bei uns und sprechen mit ihnen darüber. Unsere Antwort lautet: Ganz viel und sehr enge Kommunikation ist das A und O. Natürlich gibt es dabei harte Diskussionen und Konflikte. Aber die müssen eben auf der Sachebene ausgetragen werden. Und wenn Fehler passieren – und die passieren uns wie anderen –, müssen wir daraus immer lernen. Denn das ergibt ein starkes Team, das dann das Gefühl gibt: Du musst es nicht allein machen.
Trotz starkem Team sind die Chancen für Volt, bei der Bundestagswahl über die 5%-Hürde zu kommen, dennoch eher niedrig. Wenn Volts Inhalte nun jemandem zusagen und er oder sie dennoch lieber strategisch die Grünen wählt – etwa um einen Kanzler Laschet zu verhindern –, hast du dafür Verständnis?
Rebekka Müller:
Ich kann nur allen sagen, die strategisch wählen wollen: Es gibt so viele Szenarien aktuell und es ist so viel Volatilität im Spiel, dass strategisches Wählen leicht nach hinten losgehen kann. Ich empfehle: Wählt aus Überzeugung! Niemand »stiehlt« jemandem eine Stimme, nur weil er oder sie ein politisches Gegenangebot macht – was ist das denn überhaupt für ein Verständnis von Demokratie? Und jede Stimme für uns ist zumindest eine Stimme für europäische und konstruktive Politik.
Was ist deine persönliche Hoffnung für den Bundestagswahlkampf 2021?
Rebekka Müller:
Vor allem eine politische Verjüngung in den Gremien, die wir derzeit haben. Das Durchschnittsalter im Bundestag liegt bei um die 60. Der Frauenanteil ist gesunken und liegt unter 30%. Von Menschen mit internationaler Geschichte fange ich gar nicht erst an. Dabei ist genau das tragisch, denn – und das wissen wir ja auch aus Forschungen – von Menschen, mit denen ich mich stärker identifiziere, fühle ich mich auch stärker repräsentiert.
Zum Abschluss: Was sagst du den Menschen, die noch nach ihrer Partei suchen?
Rebekka Müller:
Macht den
Denn dort bekommt man gute Anhaltspunkte darauf, welche Partei inhaltlich zu einem passt –