Sind »die Flüchtlinge« schuld, wenn Deutschland die Krise kriegt?
5 Irrtümer über die »Flüchtlingskrise«
– Andreas Scheuer, CSU-Generalsekretär am 20. Juli 2015 in der Passauer Neuen Presse
Weder heute noch im Sommer 2015 standen »60 Millionen Flüchtlinge« an der deutschen oder europäischen Grenze. Und mit einem Blick auf die Statistiken des
(UNHCR) hätte das auch Andreas Scheuer erkennen können.
Das Zitat ist ein extremes, aber nicht untypisches Beispiel dafür, wie die Fakten in der politischen Debatte um die »Flüchtlingskrise« eine oft untergeordnete Rolle spielen. Schon das Wort »Krise« ist aus mehreren Gründen
Absichtlich oder unabsichtlich verbreiten politische Akteure jeder Richtung Irrtümer und Fehlinterpretationen.Es wird Zeit, eine sachliche Grundlage für die Debatte zu schaffen. Die Daten und Fakten stehen zur Verfügung und können von jedem ausgewertet werden. Politische Lösungen, die auf Irrtümern aufbauen, können nicht funktionieren. Im Gegenteil: Politische Destabilisierung, wirtschaftlicher Schaden und soziale Probleme sind nicht in erster Linie Ergebnis der Wanderungsbewegungen selbst. Sie sind das Resultat eines unverantwortlichen politischen Diskurses und fehlerhaften politischen Handelns.
Fertige Lösungen, das sei vorweggesagt, wird dieser Artikel nicht bieten. Aber er wird mit einigen der häufigsten Fehlannahmen über die »Flüchtlingskrise« aufräumen.
– Titel bei ZEIT ONLINE, Januar 2015
Irrtum 1: Wir erleben derzeit eine »Flüchtlingskrise«
Die Pressemitteilung des UNHCR zur Rekordzahl der Vertriebenen 2015 (englisch) »65,3 Millionen Menschen galten Ende 2015 als Vertriebene im Vergleich zu 59,5 Millionen 12 Monate früher«, hieß es in der Mitteilung des UNHCR Mitte 2016. Presse und Politiker rufen daraufhin die »Die Welt« betitelt im August 2015 einen Artikel mit einem gekürzten Zitat des EU-Innenkommissars Dimitris Avramopoulos. »schlimmste Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg« aus.
Die Zahlen stimmen. Für die Diskussion in Deutschland und Europa sind sie in dieser Form aber gar nicht relevant. Das UNHCR zählt alle Vertriebenen weltweit. Dazu gehören neben
und auch und Nur etwa 1/3 aller Vertriebenen weltweit überschreiten eine internationale Grenze. Schon seit 1980 ist ihre Zahl nur in wenigen Jahren unter 10 Millionen gesunken. Weltweit erleben wir derzeit also keine »Flüchtlingskrise«, denn die Zahl der Geflüchteten ist gegenüber früheren Jahrzehnten nicht dramatisch gestiegen.
Während es 2005 noch 6,6 Millionen Menschen gab, die zu dieser Gruppe zählen, ist ihre Zahl seitdem auf mehr als 37 Millionen gestiegen. Binnenvertriebene sind das Ergebnis schwerer politischer Krisen und für Hilfe viel schwieriger zu erreichen als Menschen, die in relativ sichere Drittländer fliehen. Hier ist das Wort »Krise« tatsächlich angebracht. Genau diesen Menschen hilft die aktuelle Debatte in Deutschland, die sich auf Geflüchtete konzentriert, aber nicht weiter.
Aber wie sieht die Lage mit Blick auf Deutschland aus? Offizielle Wanderungsstatistik des Statistischen Bundesamtes Im »Krisenjahr« 2015 wanderten mehr als 2 Millionen Ausländer nach Deutschland ein.
»Ob wir schon in dem Stadium sind, wo die Lawine im Tal unten angekommen ist oder ob wir in dem Stadium im oberen Ende des Hanges sind, weiß ich nicht.« – Finanzminister Wolfgang Schäuble vergleicht im November die Ankunft von Flüchtlingen mit einer Naturkatastrophe
Insgesamt 12 Mal wurde seit 1965 laut Statistischem Bundesamt die Millionenmarke bei Zuwanderungen geknackt Zuwanderungszahlen von weit über 1 Million Migranten sind in der deutschen Geschichte keine Seltenheit: 1992 kamen mehr als 1,5 Millionen Zuwanderer, viele von ihnen aus der ehemaligen Sowjetunion und Jugoslawien. Die größte Migration von Kriegsflüchtlingen erlebte Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. 12,5 Millionen Vertriebene aus Ostpreußen oder ethnisch deutschen Enklaven in osteuropäischen Ländern
Hätte Deutschland 2015 besser vorbereit sein können? Ja, denn die Bundesregierung war von dem möglichen Kollaps der Aufnahmeeinrichtungen in Südeuropa gewarnt worden. Schon 2009 stoppte das Bundesverfassungsgericht Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nachdem diese gegen die unmenschlichen Bedingungen in den dortigen Aufnahmeeinrichtungen geklagt hatten. Im September 2013 forderte zum Beispiel Sherif Elsayed Ali von Amnesty International die Aufnahme von syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen in europäischen Ländern wie Deutschland sowie mehr finanzielle Mittel zur Versorgung der Geflüchteten in den Nachbarländern Syriens (englisch) Insbesondere die dramatische Situation syrischer Geflüchteter führte schon lange vor 2015 zu der Aufforderung verschiedener Organisationen, dass Staaten wie Deutschland legale Wege zur Aufnahme von Flüchtlingen eröffnen sollten.
von Asylbewerbern nach Griechenland,Weder die weltweite Zahl der Geflüchteten noch die konkrete Zuwanderung nach Deutschland stellt somit eine »Krise« dar. Wenn eine Krise vorliegt, dann ist es eine der deutschen Migrationspolitik, die über Jahre systematisch
nicht nachgekommen ist und trotz vieler Warnungen die deutsche Bevölkerung und Bürokratie nicht auf die Möglichkeit einer stärkeren Zuwanderung vorbereitet hat.Das Ergebnis war die Überforderung der deutschen Asyl-, Sozial- und Schulsysteme 2015, die nur durch einen aufopfernden Einsatz von vielen Freiwilligen bewältigt werden konnte. Lehrer, kommunale Angestellte und andere Berufsgruppen mussten und müssen jeden Tag eigentlich unzumutbare Herausforderungen meistern. Eine staatliche Aufgabe, die Fürsorge für Geflüchtete, fiel damit auf einmal in die Hände von Privatmenschen, die darauf weder vorbereitet noch dafür ausgestattet waren. Es hätte in der Macht der Politik gelegen, diese Zustände zu verhindern.
– Papst Franziskus, in einer Rede im Januar 2017
Irrtum 2: Deutschland akzeptiert besonders viele Flüchtlinge
Deutschland leistet viel für die Aufnahme und Versorgung von Geflüchteten – allerdings nur seit 2015 und im direkten Vergleich zu anderen europäischen Staaten und den USA.
Nach Pakistan und der Türkei belegt Deutschland den 6. Platz unter den Ländern, die weltweit die meisten Geflüchteten aufgenommen haben.
3 Sichtweisen auf die Aufnahme von Geflüchteten.
Mit einem Geflüchteten pro 69 Bewohner kommt Deutschland auf Platz 14, wenn man die Gesamtbevölkerung zum Maßstab macht.
Noch drastischer muss Deutschlands Beitrag nach unten korrigiert werden, wenn man die Zahl der akzeptierten Geflüchteten ins Verhältnis zur Wirtschaftsleistung setzt. Hier belegt die Bundesrepublik nur den 57. Platz, hinter fast allen afrikanischen Nationen und vielen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens, aber vor dem Rest der EU.Vor 2015 tat die Bundesregierung zudem ihr Bestes, die Zahl der Geflüchteten in Deutschland so klein wie möglich zu halten.
Über das UNHCR-Umsiedlungsprogramm, das eine Möglichkeit zur legalen Umsiedlung geben soll, wurden 2012 bis 2014 jährlich sogar nur 300 Antragssteller akzeptiert. 2013 und 2014 wurde zusätzlich 20.000 Syrern die legale Einreise ermöglicht,Diese Darstellung soll die persönliche Leistung der vielen Freiwilligen und auch der staatlichen Behörden, die sich zum Teil schon lange vor 2015 um die Belange von Geflüchteten gekümmert haben, nicht schmälern.
In der Aufregung um die vielen illegalen Grenzübertritte seit einigen Jahren ist zudem völlig untergegangen, dass es von Seiten der Bundesregierung zuvor keinerlei Bemühungen gab, den Migrationsdruck auf Länder im globalen Süden oder an den Emron Feroz schreibt über Kinder, die bei der Flucht nach Europa verschwunden sind Außengrenzen der EU auf legalen Wegen zu mindern. Eine geregelte Zuwanderung über einen längeren Zeitraum hätte von der deutschen Gesellschaft erheblich einfacher kompensiert werden können.
– Frank-Walter Steinmeier und Paolo Gentiloni in der Frankfurter Rundschau im November 2014. Steinmeier ist inzwischen Bundespräsident, Gentiloni Premierminister.
Irrtum 3: Deutschland kann »Fluchtursachen im Ausland bekämpfen« oder die europäischen Grenzen gegen ungewollte Einwanderung schließen
Um der unkontrollierten Einwanderung von Vertriebenen Herr zu werden, verfolgt die deutsche Politik vor allem 2 Ansätze. Zum einen sollen Fluchtursachen bekämpft, also Kriege verhindert und beendet sowie Armut in der Welt beseitigt werden. Zum anderen investiert Deutschland zusammen mit den anderen EU-Mitgliedstaaten massiv in eine stärkere Sicherung der Außengrenzen. Darunter fallen auch politische Abkommen mit wichtigen Transitländern, damit Geflüchtete gar nicht erst an den EU-Außengrenzen ankommen.
»Was wir jetzt noch brauchen, ist ein Regelwerk, eine Art Garantie, wie sich der Zustrom von Flüchtlingen künftig drastisch begrenzen lässt.« – CSU-Chef Horst Seehofer im September 2016
Um es kurz zu machen: Beide Ansätze sind zum Scheitern verurteilt, wenn ihr Ziel die Verhinderung unkontrollierter Migration sein soll.
Am wenigsten aussichtsreich ist die Bekämpfung von Fluchtursachen im Ausland. Diese Idee beruht auf der Theorie, dass europäische Länder durch finanzielle, politische und militärische Mittel die innenpolitische und wirtschaftliche Lage anderer Staaten maßgeblich beeinflussen können. Präventive Diplomatie soll den Hier schreibe ich darüber, wie Krisen vorhergesagt und verhindert werden können Ausbruch von Kriegen verhindern, Friedenstruppen und Interventionen Konflikte beenden und Entwicklungshilfe wirtschaftliche Perspektiven schaffen. Einen Nachweis, dass dies in der Praxis auch gelingt, gibt es nicht.
Besonders bei Konflikten, die den größten Teil der nach Europa Fliehenden hervorbringen, wird die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit deutlich. In Somalia hilft die EU seit 2007 beim Aufbau einer afrikanischen Interventionsarmee und der Streitkräfte der somalischen Regierung, um das Bürgerkriegsland aus der Krise zu führen. Allein die Soldaten der Mission der Afrikanischen Union in Somalia AMISOM unterstützt sie derzeit mit 20 Millionen Euro im Monat. Insgesamt hat die EU 1,3 Milliarden Euro in AMISOM investiert.

Der Erfolg ist mäßig. Zwar konnten Teile des Landes aus den Händen der
befreit werden, aber die Zahl der als Geflüchtete anerkannten Somalier ist in diesem Zeitraum gestiegen, nicht gesunken.Es gibt natürlich auch Beispiele für erfolgreiche militärische und wirtschaftliche Interventionen. Der Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg und der anschließende Marshallplan, mit dem der europäische Wiederaufbau nach Kriegsende teilweise finanziert wurde, hatten enorme und langfristige positive Auswirkungen. Das ließen sich die USA aber auch Einiges kosten: 16,1 Millionen amerikanische Soldaten waren während des Kriegs im Einsatz, von denen Statistiken des Recherchedienstes des amerikanischen Kongresses zu den US-Verlusten im Zweiten Weltkrieg (englisch) 405.000 starben. Der Marshallplan und andere Hilfsprogramme konnten inflationsbereinigt auf U.S. News über die Geschichte US-amerikanischer Hilfe für Europa (englisch) 182 Milliarden US-Dollar Kapital zurückgreifen, die auf 16 europäische Länder verteilt wurden.
Zum Vergleich: Statistiken zur »Offiziellen Entwicklungshilfe« (ODA) von der OECD (englisch) Die 30 wichtigsten Geberländer leisten zurzeit 146 Milliarden US-Dollar Entwicklungshilfe pro Jahr – verteilt auf alle anderen Länder weltweit. Wollte Deutschland tatsächlich im nennenswerten Umfang Fluchtursachen im Ausland bekämpfen, müsste die Bundesregierung ihren Entwicklungsetat vervielfachen und die dauerhafte Entsendung großer Truppenzahlen in gefährliche Krisengebiete durchsetzen. Persönlich bin ich für eine solche Übernahme von mehr internationaler Verantwortung. Politisch ist es aber sowohl auf nationaler, als auch auf europäischer Ebene völlig unrealistisch.
»Er muss den illegalen Grenzübertritt verhindern, notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch machen. So steht es im Gesetz.« – Frauke Petry, Parteisprecherin der AfD auf die Frage, wie ein Grenzpolizist einen illegalen Grenzübertritt verhindern soll.
Auch eine stärkere Sicherung der Grenzen bringt letztlich inakzeptable politische, finanzielle und menschliche Kosten mit sich. 2016 verfügte allein die
fast 3 Mal so viel wie noch 2009. Trotzdem haben im überquert – fast 5 Mal so viele wie 2002.Wer nicht bereit ist, Hilfesuchende an Europas Außengrenzen zu erschießen, der muss sich eingestehen, dass die physische Sicherung der Grenzen gegen Zuwanderung ein hoffnungsloses Unterfangen ist.
Wohl auch, weil sich Europas Regierungen das insgeheim eingestehen, versucht die EU derzeit intensiv, Abkommen mit Transitländern zu schließen, damit Geflüchtete gar nicht erst vor Europas Außengrenzen ankommen oder sie schnell wieder in »sichere« Drittländer abgeschoben werden können.
Im Visier der europäischen Unterhändler sind vor allem die Maghreb-Staaten und Länder in der Sahelzone.
Human Rights Watch über die Pläne der EU, mit Drittstaaten Abkommen zur Begrenzung der Migration abzuschließen (englisch) Für die Fliehenden bringt diese Art der Abschottung enormes Leid mit sich. So berichtet der deutsche Botschafter im Niger in einem geleakten Bericht, »Die Welt« über die Zustände in libyschen Flüchtlingslagern dass in Libyen »Exekutionen nicht zahlungsfähiger Migranten, Folter, Vergewaltigungen, Erpressungen sowie Aussetzungen in der Wüste an der Tagesordnung« seien. Durch die Abwehrmaßnahmen der EU werden Fliehende auf immer gefährlichere Routen gedrängt. Allein im Mittelmeer kamen 2016 laut der Internationalen Organisation für Migration mehr als Statistiken zu Sterbefällen von Migranten weltweit von der Internationalen Organisation für Migration (englisch) 5.000 Migranten ums Leben, ein trauriger Rekord.
Gänzlich abschotten lassen sich Europas Grenzen durch großzügige Zugeständnisse an menschenrechtsverachtende Autokraten ohnehin nicht. Die EU und damit Deutschland wird damit leben müssen, dass auf absehbare Zeit Millionen von Vertriebenen den Weg über die Außengrenzen Europas suchen werden, im Zweifel wie bisher auch mit illegalen Mitteln.
– Frank Henkel (CDU), Innensenator Berlins im Juli 2016
Irrtum 4: Geflüchtete sind mehr/weniger/gleich kriminell wie Deutsche und ein Sicherheitsrisiko
Geflüchtete begehen Straftaten und zumindest einige dieser Verbrechen sind äußerst schwerwiegend. Wie stark sie die Sicherheit gefährden, darüber wird hitzig debattiert.
Ein hervorragender Artikel in der ZEIT über die Probleme mit der Interpretation der Kriminalitätsstatistik in Bezug auf Geflüchtete und Asylbewerber Ob Flüchtlinge im Durchschnitt krimineller sind als Deutsche, das lässt sich statistisch nicht klären. Für einen sauberen Vergleich müsste man hierzu etwa gleiche soziale Gruppen gegenüberstellen, die sich in Bezug auf ihren Bildungsstand, ihre Familienverhältnisse und ihr Einkommen ähneln. Eine geeignete Vergleichsgruppe zum Beispiel für minderjährige und allein reisende Flüchtlinge gibt es hierzulande aber nicht. Zudem ist die Gruppe der Geflüchteten und Asylsuchenden so divers, dass man ohnehin keine allgemeinen Aussagen über sie treffen sollte. Ein aus Syrien geflohener Akademiker, ein von Taliban bedrohter afghanischer Lokalpolitiker und ein homosexueller Nigerianer haben außer ihrer Menschlichkeit und Schutzbedürftigkeit kaum etwas gemein.
Selbst die Einschränkung auf Religionszugehörigkeit, Alter, Geschlecht, Nationalität oder eine Kombination dieser Merkmale hilft bei der Analyse des Gefahrenpotenzials kaum weiter.
»Mit einem Migrationshintergrund haben diese Taten nichts zu tun.« – Jan Korte (Die Linke)
So besitzen nach Angaben der Polizei überdurchschnittlich viele »Intensivstraftäter« die Staatsangehörigkeit eines nordafrikanischen Landes, sind jung und männlich. Dass Menschen aufgrund solcher Statistiken Angst vor dieser Gruppe Zuwanderer entwickelt haben, ist verständlich.
Hier kann man die detaillierte Ausländerstatistik des Statistischen Bundesamtes herunterladen Allerdings leben derzeit knapp 48.000 nordafrikanische Männer und männliche Jugendliche im Alter zwischen 15 und 35 Jahren in Deutschland. Auch wenn »überdurchschnittlich« viele von ihnen sind, Die ZEIT über die Verwendung des Begriffs »Nafri« durch die Kölner Polizei Alle jungen nordafrikanischen Männer zum Ziel verstärkter Polizeiarbeit zu machen wäre darum nicht nur verfassungswidrig, es würde Deutschland auch unsicherer machen. Denn die Zeit, die die Sicherheitsbehörden mit der Überwachung unschuldiger Familienväter aus Marokko oder arbeitssuchender Hochschulabsolventen aus Tunesien verbringen würde, fehlt bei anderen Ermittlungen
Die Diskussion über das Sicherheitsrisiko, das diese oder jene Gruppe darstellt, kann aus diesen Gründen zu nichts führen und ist in erster Linie ein
Sie verstellt den Blick auf eine unbedingt notwendige Diskussion darüber warum einzelne Menschen, auch solche mit Flucht- und Migrationshintergrund, strafffällig werden und wie das verhindert werden kann.
– Bundesinnenminister Thomas de Maizière am 11.01.2017
Irrtum 5: Ab jetzt wird alles besser
Es herrscht Aufbruchsstimmung im Flüchtlingsland Deutschland. Die Lübecker Nachrichten über die Reduzierung der Containerunterkünfte wegen Leerstands Containerdörfer werden abgebaut, Ein Bericht der Tagesschau über leerstehende Notunterkünfte Notunterkünfte in Turnhallen sind bundesweit halb verwaist. Presseerklärung des Bundesministeriums des Innern zu den Flüchtlingszahlen 2016 Die Flüchtlingszahlen sind 2016 gegenüber 2015 stark gefallen und 2017 setzt sich dieser Trend bisher fort. Die deutsche Bürokratie scheint nach anfänglicher Überforderung langsam die Oberhand über die entstandenen Aktenberge gewonnen zu haben. Haben wir’s
Allein in der Geschichte der Bundesrepublik wurden die politisch Verantwortlichen schon mehrfach von Flüchtlingsbewegungen überrascht. Das hat die erste hier diskutierte Fehlannahme gezeigt. Wir drohen, dieselben Fehler wieder zu begehen,
Situationen wie 2015 können sich jederzeit wiederholen. Was würde passieren, wenn Ägypten, das bevölkerungsreichste Land Nordafrikas, ähnlich wie das Nachbarland Libyen oder Syrien kollabieren sollte? Was, wenn das türkische Regime entscheidet, dass eine Destabilisierung der EU vorteilhafter ist als politische und finanzielle Zugeständnisse? Wer weiß schon, ob organisierte Kriminalität und politische Interessen nicht weiteren Millionen Binnenvertriebenen die Flucht ins Ausland ermöglichen oder sie erzwingen?
Die aktuelle Migrationspolitik der Bundesregierung und der EU steht damit in einem unauflösbaren Spannungsverhältnis. Wir wollen den Zuzug von Geflüchteten verhindern, damit unsere Gesellschaften nicht verunsichert und unser politisches System nicht destabilisiert wird. Aber was, wenn sich der Zuzug nicht verhindern lässt?
Der Weg zu einer neuen Debatte über Vertreibung und Europas Rolle im Umgang mit Geflüchteten führt über eine neue Würdigung der Faktenlage, von der ein Teil in diesem Artikel zur Sprache gekommen ist.
Für Perspective Daily ist dieser Artikel deshalb nur der erste Schritt. Ein ausführlicher Text zu Möglichkeiten der Neugestaltung der deutschen und europäischen Migrationspolitik ist geplant.
Titelbild: Frontex - copyright
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