Schwester Luisa ist zwar keine Journalistin, doch als Mitarbeiterin einer Herberge im zentralen Mexiko hat sie dennoch viel über Recht und Unrecht in ihrem Land zu erzählen. Sie betreut Migrant:innen, die sich aus Mittel- und Südamerika auf den Weg in den Norden, zum amerikanischen Traum in den USA, aufgemacht haben und dabei nur schwer zu begreifenden Gefahren und Widrigkeiten ausgesetzt sind. Um mir von ihrer Arbeit und dem Leben der Menschen zu berichten, um die sie sich kümmert, lade ich sie wenige Tage nach dem Filmabend zum Interview in unsere Redaktion ein.
Felix Austen:
Lass uns erst mal ein bisschen über die generelle Situation der Fluchtbewegungen in Mittelamerika und Mexiko sprechen. Woher kommen denn die Menschen, die bei euch Unterschlupf suchen?
Schwester Luisa:
Es sind Flüchtende auf der Durchreise, die vor allem aus Mittelamerika kommen, die meisten von ihnen aus Honduras, Guatemala, El Salvador und Nicaragua. In jüngster Zeit sind es auch viele Venezolaner:innen und Haitianer:innen, aber es gibt auch Menschen aus Indien und Afrika, die diesen Weg einschlagen.
Warum verlassen die Menschen ihre Heimat?
Schwester Luisa:
Es gibt viele Gründe. Die meisten finden zu Hause keine Arbeit und fliehen einfach vor Umständen, die kein gutes Leben zulassen. 2018 gab es in Guatemala auch einen heftigen Vulkanausbruch, der das Zuhause vieler Menschen zerstört hat. Aber auch der Klimawandel macht sich bemerkbar: 2019 gab es heftige Hurrikans, die viele Menschen in Honduras getroffen haben.
Welche Rolle spielt die Kriminalität, die von Drogenhandel und Banden ausgeht?
Schwester Luisa:
Sehr viel Gewalt gibt es zum Beispiel in El Salvador, wo die »Maras« agieren. Das ist eine Bande, die ganze Gebiete in Beschlag nimmt und dort Schutzgeld kassiert, damit es ruhig bleibt und nicht zu Gewalt kommt. Die Maras sind für die Bevölkerung sehr gefährlich.
Was ist das Ziel der Flüchtenden?
Schwester Luisa:
Sie verlassen ihr Heimatland mit dem Wunsch, es in die Vereinigten Staaten zu schaffen. Dort wollen sie sich niederlassen und bessere Arbeit finden. Das leben, was man den amerikanischen Traum nennt.
Die Durchreise ist für die Migrant:innen sehr gefährlich, welchen Bedrohungen sind sie ausgesetzt?
Schwester Luisa:
Die Migrant:innen auf der Durchreise sind genau wie die Bevölkerung viel Gewalt vom organisierten Verbrechen ausgesetzt. Die Banden versuchen, die Flüchtenden für die Kartelle zu rekrutieren und sie als Drogenschmuggler, Arbeiter oder Dealer einzusetzen. Viele werden auch entführt und die Entführer fordern 500 oder 1.000 US-Dollar von ihren Familien, um sie wieder freizulassen. Das ist ein lohnendes Geschäft für das organisierte Verbrechen. Wenn die Familien nicht zahlen können, verkaufen sie die Entführten weiter an die Mafia, die sie auch als Schmuggler oder Drogenhändler einsetzt.
Sind Frauen besonders gefährdet?
Schwester Luisa:
Viele Frauen nehmen schon vor der Durchreise Verhütungsmittel, weil sie wissen, dass sie auf der Durchreise wahrscheinlich sexuelle Gewalt erfahren werden. Ich glaube aber, dass es für Männer inzwischen genauso gefährlich ist; sie sind ebenfalls Opfer des Menschenhandels. Früher wurden vor allem Frauen gehandelt, aber die Nachfrage nach Männern, die sich prostituieren, nimmt immer mehr zu.
Wie ist die Lage für die Kinder?
Schwester Luisa:
Es kommt häufig vor, dass sich Eltern aus Mittelamerika auf den Weg in die USA gemacht und ihre Kinder bei den Großeltern zurückgelassen haben, in der Hoffnung, sie dann nachholen zu können. Aber oft geht der Kontakt verloren und die Kinder machen sich selbst auf den Weg, um die Eltern zu suchen. Um diese Kinder kümmern wir uns.
Was heißt denn in diesem Fall kümmern?
Schwester Luisa:
Manche schicken wir weiter zu Einrichtungen, in denen sie bleiben können, bis ihre Situation geklärt ist. Dort können sie mehrere Monate oder sogar Jahre leben und auch zur Schule gehen. Die meisten wollen das aber nicht. Sie sagen: »Ich will meine Mama und meinen Papa finden!« Zu bleiben ist keine Option für sie. Wenn ich ihnen anbiete, in eine andere Herberge zu gehen, sagen sie Nein. Viele haben den unbedingten Willen, weiterzusuchen.
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