Wie viel Grammatik musst du beherrschen, um Rechte zu haben?
Macht und Sprache hängen eng zusammen. Wer nicht »richtig« spricht, wird abgewertet. Wenn wir das ändern wollten, müssten wir auch unser Verhältnis zu Tieren überdenken, meint der Dichter Jan Škrob.
Unsere – »europäische« – Linguistik ging sehr lange davon aus, dass manche Sprachen komplex, entwickelt und »vollwertig« sind, andere hingegen primitiv. Es ist kein Zufall, dass als Maßstab zur Reife einer Sprache Latein, Griechisch und Deutsch herangezogen wurden: Die Pioniere der europäischen Linguistik wollten in ihren Vorstellungen von Hierarchien und Entwicklungsstufen der Sprachen natürlich sich selbst an der Spitze sehen.
Als hochentwickelt galt also die indoeuropäische Grammatik und falls eine andere Sprache ihre Legitimität und ihr Existenzrecht verteidigen wollte, so musste sie das mithilfe der indoeuropäischen Terminologie tun. In der Praxis führte das zu bizarren Situationen. Ein gutes Beispiel führt die Forscherin Rachael Gilmour in ihrem Buch Grammars of Colonialism an: den britischen Missionar Henry Hare Dugmore, der sich dem Studium der südafrikanischen Sprache
Das »primitiv« und »entwickelt« ziemlich relative Konzepte sind, zeigt das folgende Beispiel: Die traditionelle Linguistik nach Ferdinand de Saussure, die die indoeuropäischen Sprachen an die Spitze einer vorgestellten Rangfolge stellte, ging von der Annahme aus, dass hochentwickelte Sprachen flektierende Sprachen seien – also solche, die sich durch ausgeprägte grammatische Beugungen auszeichnen.
Titelbild: Daniel Cano - CC0 1.0