Deine Klamotten sind nicht das Problem. Was du über Mikroplastik wissen musst
Medien dramatisieren das Thema Mikroplastik oft. Darum schätzen die meisten Menschen dessen Risiken höher ein, als sie es laut Forschung sind. Das wissen wir wirklich über die kleinen Plastikpartikel.
Auf dem Tisch vor mir liegt eine volle Windel. Sie stinkt nicht und ist auch nicht dreckig, denn sie ist nur mit Leitungswasser gefüllt. Dieses habe ich zuvor vorsichtig mit einem Messbecher auf die Einlage geschüttet. Fast einen Liter Wasser hat sie bisher aufgesaugt, wie ein Schwamm. Fasziniert hebe ich die Einwegwindel hoch, drehe sie um. Sie ist prall und schwer, doch nichts läuft aus. Auch nicht, als ich leicht draufdrücke. Da geht also noch etwas. 1.000, 1.200, 1.300 Milliliter – immer mehr Flüssigkeit verschwindet in der Einlage. Erst bei knapp 1,6 Litern perlen die ersten Tropfen ab.
Menschen mit Kindern kennen das Phänomen sicher. Einwegwindeln, auch Wegwerfwindeln genannt, können
Die bis zu 1 Millimeter großen Kunststoffkügelchen kommen in Einweg- sowie vermeintlichen
Zu Mikroplastik in Kosmetik und Hygieneartikeln habe ich schon viel gelesen, in Windeleinlagen hätte ich es jedoch nicht erwartet – bis ich das anfänglich beschriebene Experiment im Rahmen eines Kunststoffworkshops der Universität
Medien und Umweltverbände betonen oft die schädlichen Auswirkungen von Mikroplastik und stellen das Material als »hochgiftig« dar. Häufig zu Recht, aber nicht immer. Deswegen schätzt die große Mehrheit der Menschen das Risiko der Folgen von Mikroplastik in der Umwelt und auf ihre Gesundheit höher ein, als es derzeit durch wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt werden kann. Das hat ein Forscherteam des Instituts für sozial-ökologische Forschung (ISOE) im Februar durch eine
Mikroplastik ist tatsächlich ein Umwelt- und ein potenzielles Gesundheitsproblem, worüber wir noch viel zu wenig wissen. Seine Auswirkungen und Risiken werden erst seit wenigen Jahren erforscht. Umso wichtiger ist es, dass wir die verfügbaren Fakten richtig einordnen.
Was ist Mikroplastik und wo kommt es zum Einsatz?
Mikroplastik sind Kunststoffpartikel, die kleiner sind als 5 Millimeter – also ungefähr so groß wie grober Sand. Bis zu 2 Millimetern kannst du sie noch mit dem bloßen Auge erkennen, danach brauchst du zumindest eine Lupe. Mikroplastikpartikel, die sich in unserem Trinkwasser befinden oder zusammen mit Plankton von Fischen gefressen und in die Nahrungskette aufgenommen werden, sind jedoch so mikroskopisch klein, dass sie nur mit speziellen Hilfsmitteln wie UV-Lampen erkennbar sind.
Die Plastikteilchen werden entsprechend ihrer Herkunft in 2 Kategorien eingeteilt:
- Primäres Mikroplastik ist Kunststoff, der bewusst so klein produziert wird. Die Plastikkügelchen werden als Superabsorber in Windeln benutzt, als Peeling-Kügelchen in Kosmetika oder als Plastikpellets für die Kunststoffindustrie. Letzteres sind Rohplastikstücke, die dann zu Gegenständen verarbeitet werden.
Auch in diese Kategorie gehören die Plastikteilchen, die sich erst von größeren Kunststoffobjekten abreiben, wenn du sie benutzt. Der Abrieb von Reifen, Fahrbahnmarkierungen, von Verpackungen und Klamotten. Plastik kommt heutzutage fast überall zum Einsatz, alles davon sondert beim Gebrauch kleinste Stückchen in die Umwelt ab. Das gilt auch für die Plastikflasche, die mit Trinkwasser befüllt ist. - Sekundäres Mikroplastik bezeichnet die Teilchen, die dann entstehen, wenn Plastikmüll an Land oder im Meer den Elementen ausgesetzt ist und langsam zerfällt. So gelangt das meiste Mikroplastik in die Umwelt.
Der Großteil des Mikroplastiks wird nach wie vor aus Erdöl hergestellt und ist nicht biologisch abbaubar, so auch der Superabsorber.
Wie gelangt Mikroplastik in die Umwelt?
Die Forschung kennt vermutlich noch nicht alle Wege, über die Mikroplastik in die Umwelt gelangt. Der größte ist jedoch bekannt: Plastikmüll, der nicht richtig entsorgt wird und sich dann durch Umwelteinflüsse in (sekundäres) Mikroplastik zersetzt. In Deutschland wird Müll beispielsweise zuweilen illegal in Wäldern und im Meer entsorgt oder auf andere Länder abgewälzt. Viele Länder haben jedoch kein Entsorgungs- und Recyclingsystem, wie wir es kennen, sondern arbeiten mit Deponien.
Auf unserer Website habe ich über eine Umfrage danach gefragt, wie das meiste (primäre) Mikroplastik in die Umwelt gelangt, und euch 4 Auswahlmöglichkeiten gegeben: Durch Abnutzung von Fischereiausrüstung, durch synthetische Fasern beim Waschen, durch die Müllentsorgung oder durch Reifenabrieb.
Über 1.200 Mitglieder haben teilgenommen, als ich diese Zeilen schreibe. Die meisten von euch (36%) haben sich für den Faserabrieb beim Waschen entschieden – so, wie ich bis vor ein paar Wochen auch noch getippt hätte, da das Thema in den Medien sehr präsent ist. Die richtige Antwort lautet jedoch »durch Reifenabrieb«. Der Faserabrieb von Textilwäsche liegt erst auf Platz 10 von 30 der größten Quellen für
Hier sind die Top 5, die das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik geprüft und
- Abrieb von Reifen (von Autoreifen bis Skateboard)
- Freisetzung bei der Abfallentsorgung (Kunststoffrecycling, Kompost, Zerkleinerung von Bauschutt)
- Pelletverluste (das Granulat für die kunststoffverarbeitende Industrie kann leicht beim Transport verloren gehen)
- Verwehungen von Sport- und Spielplätzen (Kunstrasen, Wettkampfbahnen)
Mikroplastik in Kosmetik liegt erst auf Platz 17, und die
Wie gefährlich ist Mikroplastik für Menschen und andere Tiere?
Nachgewiesen wurden die winzigen Kunststoffteilchen schon in vielen Lebewesen, in Plankton und Würmern, Fischen, Muscheln und Vögeln. Außerdem an vielen Orten: in den Tiefen der Ozeane, im Schnee der Arktis, sogar in Bier, Speisesalz, Trinkwasser, in der Luft und im Regen über unseren Städten. Jüngst haben es Forscher:innen sogar in den
Pro Woche nimmt ein Mensch etwa 5 Gramm Mikroplastik auf – so viel, wie eine Kreditkarte wiegt. Das ist das Ergebnis einer gern zitierten Studie der University of Newcastle in Australien, die im
»Wir verwenden Plastik schon seit Jahrzehnten, und wenn es etwas wirklich Giftiges wäre, hätten wir schon seit Längerem einen Zusammenhang zum Wohlbefinden festgestellt«, sagt Peter Wick, Zell- und Molekularbiologe der Schweizer Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt,
Was zu viel Plastik mit Lebewesen macht
Was eine hohe Plastikkonzentration in Lebewesen anrichten kann, zeigen Hunderte von Laborstudien an anderen Tieren. Vor allem Meeresorganismen setzen die kleinen Plastikteilchen bereits sehr zu. Nehmen sie Mikroplastik auf, verlieren sie ihren Sexualtrieb, werden unfruchtbar oder verhungern an den nährstofflosen Teilchen, die ihren Magen füllen. Sind die Teilchen winzig genug (Nanoplastik), um in Zellen oder in das Gewebe einzudringen, können sie diese durch ihre bloße Anwesenheit reizen
Die Ergebnisse der Untersuchung sind jedoch nicht auf den Menschen übertragbar und nur schwer zu interpretieren, da Mikroplastik in vielen Formen, Größen und chemischen Zusammensetzungen vorkommt.
Doch was die Foscher:innen derzeit vielmehr sorgt als die alleinige Anwesenheit von Mikroplastik im Menschen und anderen Tieren, sind die Stoffe, mit denen
Aber auch hier ist noch unbekannt, wie schnell sich Giftstoffe aus dem Plastik herauslösen können und
In diesem Text stelle ich dir 3 hilfreiche Apps gegen die Plastikflut vor:
Was können wir tun, damit Mikroplastik nicht mehr in die Umwelt gelangt?
Die Antwort liegt eigentlich auf der Hand: weniger (Mikro-)Plastik produzieren und das, was sich im Umlauf befindet, »richtig« entsorgen. Nicht auf Deponien oder illegalen Müllkippen, sondern in geschlossenen Kreisläufen, in denen es wiederverwertet werden kann. Kunststoffe selbst sind vielseitige Materialien und aus manchen Lebensbereichen – wie der Medizin oder der IT –
Damit wir unseren Plastikeinsatz und somit auch das Mikroplastik, das in die Umwelt gelangt, reduzieren können, müssen wir zuerst wissen, in welchen Alltagsgegenständen es überhaupt drinsteckt. Das reicht vom Handmixgerät über die Schuhsohlen, die Babywindeln bis hin zu den Fensterrahmen und der neuen Zaunfarbe. Die Liste des Fraunhofer-Instituts über die verschiedenen Quellen von Mikroplastik gibt einen guten Überblick darüber, wo es anfällt und wie viel durch den
Natürlich lohnt es sich nicht, den funktionierenden Handmixer wegzuschmeißen oder die Fensterrahmen auszutauschen. Doch falls du etwas ersetzen musst oder eine Renovierung ansteht, ist es wichtig, einmal kurz über das Material nachzudenken. Ein kleinmaschiger Flusenfilter in der Waschmaschine
Noch wichtiger ist es, zu verhindern, dass größere Plastikteile in die Umwelt gelangen und dort erodieren. In diesem Punkt gibt es einige erfreuliche Entwicklungen: Die Europäische Union und viele andere Länder haben Einwegplastik den Kampf angesagt. Deutschland erhöht die Recyclingquoten jährlich, Kanada hat bereits im Jahr 2021 Plastik als »toxische Substanz« eingestuft und will den Verbrauch nach und nach herunterschrauben. Frankreich arbeitet zudem daran, verpackungsloses Einkaufen in möglichst vielen Supermärkten anzubieten. Und alle 175 Mitgliedsländer der Umweltversammlung der Vereinten Nationen wollen bis 2024 einen verbindlichen
Moment, dann ist da aber noch das Plastik, das sich in den Flüssen und Meeren bereits zersetzt und die Umwelt verschmutzt. Wie bekommen wir das wieder sauber?
So bekommen wir Mikroplastik aus dem Wasser
Auch dafür steht eine Lösung in den Startlöchern. Diese kommt von einem jungen Iren namens Fionn Ferreira, der 2019 mit seiner Idee die »Google Science Fair«, einen internationalen Wissenschaftswettbewerb, gewonnen hat. Sie ist denkbar einfach und könnte die Weltmeere von Mikroplastik befreien: Ferreira fügt einer Wasserprobe mit Mikroplastik Öl und magnetisches Pulver hinzu. Öl und Pulver bilden ein
Diese Methode kann bis zu 87% des Mikroplastiks aus dem Wasser filtern. Derzeit arbeitet Ferreira mit dem US-Unternehmen Stress Engineering zusammen, um seine Erfindung zu verfeinern und ein Gerät aus rostfreiem Stahl, Glas oder recyceltem Kunststoff zu entwickeln, das für größere Gewässer und Wasserreinigungsanlagen verwendet werden kann. Nebenbei arbeitet er an einer kleineren Variante für Verbraucher:innen, die auch zu Hause installiert werden kann. Er hofft, beide innerhalb der nächsten 2 Jahre auf den Markt bringen zu können.
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