So (un)wahrscheinlich ist ein Blackout in Deutschland wirklich
Wie sicher ist das europäische Stromnetz? Gehen in Deutschland bald die Lichter aus? Und wie sorgt die Bundesregierung vor? Antworten auf die 7 wichtigsten Fragen rund um das Risiko von Stromausfällen
Vom Computer und dem Licht in der Wohnung über die Türen und Kassen von Supermärkten bis hin zu Bankautomaten; von Melkmaschinen in der Landwirtschaft bis hin zu den hochempfindlichen Geräten in Krankenhäusern – es gibt so gut wie keinen Bereich in unserem heutigen Leben, der nicht abhängig von der Stromversorgung ist.
Was geschehen würde, wenn der Strom in Europa durch gezielte Hackerangriffe für mehrere Tage ausfällt, hat Marc Elsberg in seinem Roman Blackout bereits 2012 eindrucksvoll skizziert. Vergangenes Jahr brachte der Streamingdienst Joyn eine gleichnamige Serie heraus, die auf dem Bestseller basiert.
Es sind beängstigende Szenarien, die dort beschrieben werden und die unweigerlich die Frage nach sich ziehen: Kann so etwas auch in der Realität passieren?
Glaubt man zum Beispiel Stimmen, die sich kritisch zur Energiewende äußern, ist die Gefahr gerade so hoch wie nie: So als könnte das Licht jeden Moment ausgehen. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. warnte im Januar vor dem
In diesem Artikel wollen wir deshalb klären, wie das europäische Stromnetz überhaupt aufgebaut ist, welche Ursachen ein großflächiger Stromausfall haben kann und wie wahrscheinlich ein solches Ereignis in Deutschland ist. Kleine Entwarnung: Es ist alles viel weniger schlimm, als man denken könnte.
1. Wie ist unser Stromnetz aufgebaut?
Deutschland ist keine Insel, weder geographisch noch politisch oder wirtschaftlich. Wir sind in Europa mit unseren Nachbarländern auch über ein gemeinsames Stromnetz verbunden. Dieses europäische Verbundnetz (Union for the Co-ordination of Transmission Electricity, UCTE) reicht von Portugal über Polen und die Ukraine bis in die Türkei und von Dänemark bis Nordafrika – es ist wie ein Uhrwerk synchronisiert. Die Übertragungsnetzbetreiber überwachen das Stromnetz Tag und Nacht. Denn wie viel Strom verbraucht und wie viel eingespeist wird, muss sich immer ziemlich genau die Waage halten. Die Turbinen in ganz Europa schwingen im gleichen Takt mit einer Frequenz von 50 Hertz. Schwankt diese Netzfrequenz zu stark, kann es zu Störungen und im schlimmsten Fall zu einem Stromausfall kommen.
Die nationalen Stromnetze bestehen aus mehreren Ebenen: Das Höchstspannungsnetz (auch Übertragungsnetz genannt) verbindet Kraftwerke über weite Strecken miteinander. Über das Hochspannungsnetz wird die Energie grob in die Regionen verteilt, in denen sie benötigt wird. Schließlich bringen das Mittel- und Niederspannungsnetz den Strom in die einzelnen Orte und in die Steckdosen privater Haushalte.
2. Welche Gründe sind für einen Stromausfall denkbar?
Ein Stromausfall wird laut Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe definiert als »die Trennung von Verbrauchern oder Teilen des Stromnetzes vom restlichen Stromnetz« – sprich: Das Licht zu Hause geht aus, alle Steckdosen funktionieren nicht mehr. Dass es dazu kommt, kann viele unterschiedliche Gründe auf den verschiedenen Ebenen des Stromnetzes haben. Dazu gehören:
- Atmosphärische Einwirkungen, beispielsweise Gewitter, Unwetter, Eis oder Schnee
- Fremdeinwirkungen durch Dritte, Tiere, Flugobjekte oder Bauarbeiten
- Netzbetreiberinterne Gründe, wenn beispielsweise Betriebsmittel ausfallen, weil sie zu alt geworden oder überlastet sind
- Störungen außerhalb des eigenen Netzes oder auf einer höheren Spannungsebene
- Regional außergewöhnliche Ereignisse wie Flutkatastrophen oder Erdbeben
Und ja, es gibt diese Stromausfälle immer wieder – etwa vor wenigen Tagen in der nordrhein-westfälischen Stadt Hagen. Etwa 1.000 Haushalte waren zeitweise betroffen. Dazu fielen Mobilfunk, Ampelanlagen und Wasserpumpen aus. Grund war ein Kurzschluss im Umspannwerk. So etwas lässt sich auch nicht effektiv verhindern. Ein zweites Stromnetz, das bei Ausfällen anspringt, oder Notgeneratoren in jedem Haus wären
Wenn Politker:innen von der AfD aber von »Stromausfall« raunen, meinen sie etwas ganz anderes.
3. Was bedeutet »Blackout« wirklich?
Eine allgemeingültige Definition für Blackout gibt es nicht. Meist wird darunter allerdings ein großflächiger, viele Stunden bis Tage anhaltender Stromausfall verstanden. Durch die vage Definition kann der Begriff leicht für die politische Kommunikation benutzt und missbraucht werden.
Fakt ist jedoch: Nur in seltenen Fällen, wenn beispielsweise durch ein Unwetter das lokale Stromnetz stark beschädigt ist, dauert ein Stromausfall mehrere Stunden oder Tage.
So wurden beispielsweise durch das Hochwasser im Ahrtal im Sommer 2021 weite Teile der lokalen Infrastruktur in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz zerstört. Bis alle Haushalte wieder an das Stromnetz angeschlossen waren,
Solche Stromausfälle sind für die betroffenen Menschen ohne Frage eine belastende Situation. Aber sie sorgen nicht dafür, dass die komplette Versorgung eines Landes zusammenbricht – also genau das Angstszenario, das meist mit »Blackout« gemeint ist. Präziser müsste man sagen: deutschland- bzw. europaweiter Blackout.
Ein solcher könne aber nur entstehen, wenn ein Fehler an einer Leitung oder der Ausfall eines einzelnen Kraftwerks zu einem kaskadierenden Ausfall führe, erklärt Dominik Möst, Professor für Energiewirtschaft an der Technischen Universität Dresden. »Das heißt, ein Element nach dem anderen wird durch ein (meist lokales) Ereignis überlastet und fällt damit der Reihe nach aus.« Solange ausreichend Kapazitäten zur Verfügung stünden, sei dies an sich extrem unwahrscheinlich, erklärt der Experte.
Denn in der Praxis gibt es für ein solches Ereignis die sogenannte (n − 1)-Sicherheit: Fällt ein Element im hochkomplexen Stromsystem aus, gibt es überregional immer ein Backup, das dafür kompensieren kann. Im Notfall wird das betroffene Netzgebiet zeitweise vom restlichen Verbundsystem abgetrennt. Der Stromausfall würde so wieder regional begrenzt – ein deutschlandweiter Blackout wäre abgewendet.
4. Gab es schon einmal einen deutschlandweiten Blackout?
Nein. Anfang Januar 2021 gab es in Europa aber einen
Insgesamt gab es in Europa in den vergangenen 20 Jahren nur sehr wenige Ereignisse, die dazu geführt haben, dass das Verbundnetz aufgesplittet werden musste.
5. Wie wahrscheinlich ist es, dass es in naher Zukunft einen Blackout in Deutschland gibt?
Eine konkrete Kennzahl, mit der sich das Risiko für einen Blackout in Deutschland beziffern oder gar ein Zeitpunkt dafür voraussagen lässt, gibt es nicht. Für eine seriöse Prognose ist das Stromnetz schlicht zu komplex. Die Bundesnetzagentur hält einen großflächigen Blackout auf Anfrage für »äußerst unwahrscheinlich«.
Prognosen zur Eintrittswahrscheinlichkeit von Ereignissen liegen Annahmen zu komplexen Ereignisketten zugrunde. Die Bundesnetzagentur macht sich solche Annahmen nicht zu eigen und beteiligt sich nicht an Aussagen auf Basis solcher Annahmen.
Die Gründe dafür sind vielfältig: Etwa, so die Bundesnetzagentur, sei die Versorgungssicherheit in Deutschland sehr hoch und Stromausfälle seien hierzulande sehr selten. Ein wichtiger Indikator hierfür ist der sogenannte System Average Interruption Duration Index (SAIDI-Wert), der die durchschnittliche Zeit eines Endverbrauchers ohne Strom innerhalb eines Jahres angibt. In Deutschland sank dieser Wert von 2019 auf 2020 um rund 1 1/2 Minuten auf rund 11 Minuten. Auch »die Energiewende und der steigende Anteil dezentraler Erzeugungsleistung haben bisher keine negativen Auswirkungen auf die Versorgungsqualität der Stromversorgung in Deutschland«, teilt die Pressestelle der Bundesnetzagentur mit.
Das ist eindeutig und damit laut Bundesnetzagentur genau das Angstszenario vom Tisch, das viele Kritiker der Energiewende umtreibt. Also nein, auch mehr abgeschaltete Kohlekraftwerke, die durch Ökostrom ersetzt werden, verursachen nicht automatisch einen Super-Blackout. Bevor ein Kraftwerk stillgelegt wird, überprüft die Bundesnetzagentur zudem immer, ob die Versorgungssicherheit
6. Was wird dafür getan, um einen Blackout in Zukunft zu verhindern?
Ein Blackout in Deutschland und Europa kann als sehr unwahrscheinlich angesehen werden – zumindest wenn man Expert:innen, Wissenschaftler:innen und
Und genau hier geht das Kernargument der AfD fehl, die in den vergangenen Monaten immer penetranter
Die deutschen Übertragungsnetzbetreiber bereiten sich derzeit intensiv auf den Umbau des Übertragungsnetzes der nächsten Jahre vor und reagieren damit auf den anstehenden
7. Was passiert, wenn es doch zu einem Blackout kommt?
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe schätzt einen großflächigen, langanhaltenden Stromausfall in Deutschland ebenfalls als zwar unwahrscheinliches, aber plausibles Szenario ein (Reasonable Worst Case Scenario). Da die Folgen dieses unwahrscheinlichen Szenarios so einschneidend wären, müssten Bund, Länder und Kommunen für den Fall der Fälle vorbereitet sein.
Besonders wichtig ist, dass die Betreiber Kritischer Infrastrukturen auf einen Stromausfall vorbereitet sind. Dazu gehört die Erstellung und Umsetzung von Notfallplänen, die Anschaffung von Notstromaggregaten und Übungen zu Stromausfallszenarien. Das Bewusstsein dafür ist laut Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in den letzten Jahren stark gestiegen. Für Unternehmen und Behörden gibt es Leitfäden, wie eine betriebliche Notstromversorgung für mindestens 72 Stunden Laufzeit