Warum alternative Fakten sich in deinem Gedächtnis so gut festsetzen
Einmal gespeicherte Informationen können wir nur schwer vergessen. Selbst wenn wir wissen, dass sie falsch sind. Daher vorab eine Warnung: Dieser Text enthält Falschinformationen.
Ende Januar erzählt die Trump-Beraterin
Es dauert nicht lang, bis sich das angebliche Massaker als erfunden herausstellt. Conway rudert zurück und bezeichnet ihre Aussage via Twitter als einen
Eine Woche später stimmen 51% der Trump-Unterstützer folgender Aussage zu: »Das Bowling-Green-Massaker zeigt, warum
Moment! Nicht so schnell.
Bevor du weiterliest, lies dir selbst folgende 15 Wörter laut vor:
Tür – Glas – Scheibe – Schatten – Sims – Haus – offen – Gardine – Rahmen – Blick – Brise – Flügel – Blende – Jalousie – Aussicht
Korrekturen haben es schwer in unserem Kopf
Angesichts der
Unser Gehirn kann Informationen nicht einfach löschen.
So einfach ist das aber leider nicht: Denn unser Gehirn löscht die falschen Informationen nicht einfach, wenn wir sie als falsch enttarnen – sondern hält beharrlich an ihnen fest.
Die Menschen, die weiterhin an das Bowling-Green-Massaker glauben, sind nicht einfach dumm. Seit vielen Jahren erforschen Wissenschaftler, wie wir mit Korrekturen von Falschinformationen umgehen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass wir ganz anders funktionieren, als wir uns erhoffen.
»Notruf aus einer Lagerhalle eingegangen« – so beginnt der kurze Zeitungsartikel, den
Allen Versuchsteilnehmern werden anschließend weitere Nachrichten zum Brand vorgelegt. Eine Gruppe erfährt, dass sich die Polizei geirrt habe; es wurden weder Gasflaschen noch Farbeimer gefunden. Der Vorwurf der Nachlässigkeit wird zurückgezogen. Für die übrigen Versuchsteilnehmer bleibt es dabei.
Werden die Versuchsteilnehmer im Anschluss nach dem Grund für die giftigen Flammen gefragt, nennen beide Gruppen gleich häufig »brennende Farbe«. Gleiches gilt für andere Fragen, die indirekt die Anwesenheit der Gasflaschen und Farbeimer überprüfen. Werden die Teilnehmer allerdings konkret nach dem Grund des Feuers gefragt, nennen nur ca. 30% der Gruppe, die die Korrektur erhalten hat, Farbeimer und Gasflaschen. Zum Vergleich: Knapp 80% der anderen Gruppe (ohne Korrektur) gibt diese Antwort. Fast alle können sich
Das bedeutet: Obwohl ein Großteil der Teilnehmer eine Korrektur abspeichert, nutzen viele weiterhin die nicht vorhandenen Farbeimer und Gasflaschen als Argumentationsgrundlage. Irgendetwas ist im Gedächtnis durcheinandergeraten.
Wie hätte wohl die Antwort der Trump-Unterstützer ausgesehen, wenn sie gefragt worden wären, ob es ein Massaker in Bowling Green gegeben habe?
Das bringt uns zurück zur Wörterliste: An welche Wörter erinnerst du dich von der ersten Liste? (Merk sie dir oder schreib sie auf.)
Jalousie – Haus – Schlaf – Matte – Balkon – Fenster – Küche – Schrank – Gardine – Sofa– Dusche – Blick – Scheibe – Bett – Glas
Fertig? Dann lies weiter.
Unser Gedächtnis ist keine Aufnahme der Realität
Wir suchen nach
Unser Gedächtnis funktioniert nicht wie eine Kamera, die alles um uns herum aufzeichnet. Wenn wir uns an etwas erinnern, drücken wir nicht einfach einen mentalen Wiedergabe-Knopf, sondern basteln uns basierend auf all unseren Erfahrungen und Mustern ein Bild zusammen.
Das kann auch dazu führen, dass Versuchsteilnehmer – wenn sie direkt gefragt werden – wissen, dass keine Farbe in der Lagerhalle gefunden wurde. Sich aber gleichzeitig mit der »nicht vorhandenen Farbe« das heftige Feuer erklären. Weil sie wissen, dass Farbe gut brennt. Und irgendwo was von Farbe geschrieben stand. So puzzeln sie sich eine logische – aber falsche – Erinnerung zusammen.
Wenn der Schuss nach hinten losgeht
Im schlimmsten Fall können Korrekturen sogar nach hinten losgehen und den Glauben an Falschinformationen – und eigene fehlerhafte Erinnerungen – verstärken. Das kann schwerwiegende Folgen haben, zum Beispiel, wenn es um gesellschaftliche Themen wie Gesundheit geht.
Ein bekanntes Beispiel ist der Mythos, dass die Mumps-Masern-Röteln-Impfung (MMR) Autismus auslösen könne. Der Grund für diesen Irrglauben ist
Das Gehirn macht uns manchmal einen Strich durch die Rechnung – weil es »zurückfeuert«.
Wenn eine Beraterin des US-Präsidenten also über einen ausgedachten Anschlag wie das Massaker in Bowling Green spricht, passt diese Information in zahlreiche bereits existierende Denkmuster, zum Beispiel:
- Die Vorstellung, Migranten seien gefährlich
- Die Annahme, die Presse berichte nicht über das, was passiert
Die Assoziation mit diesen Mustern ist bei manchen Menschen so stark, dass die nachträgliche Richtigstellung nicht ausreicht. Die bestehenden Denkmuster sind im Gehirn so fest verankert, dass ein einziger Korrekturversuch dagegen nicht ankommt. Ein Kampf gegen Windmühlen.
Auf geht’s zur Schadensbegrenzung.
Rücksicht nehmen und das Gehirn austricksen
Um Falschinformationen nicht zu hartnäckigen Mythen werden zu lassen, sind wir alle gefragt – egal ob als Gesprächspartner, Politiker oder Journalisten.
- Wiederholungen machen es schlimmer – besonders in Überschriften
Je öfter eine falsche Information wiederholt wird, umso besser bleibt sie hängen. Daraus ergibt sich besonders für die Berichterstattung häufig ein schwieriger Spagat. Denn um eine Falschinformation korrigieren zu können, müssen wir sie benennen. Wenn sie allerdings
Hinzu kommt, dass ein
Solche Überschriften also lieber vermeiden:
Stattdessen besser so:
Später im Beitrag – also dort, wo die meisten »Leser« nicht mehr ankommen –
Das würde Menschen wie Trump, die häufig Falschinformationen verbreiten, Wind aus den Segeln nehmen – und damit vielleicht auch die Frequenz solcher Behauptungen verringern. - Warnungen helfen
Ähnlich wie bei explosiven oder giftigen Stoffen können wir auch Aussagen mit einem Warnhinweis versehen. Die sind besonders effektiv,
Wie sähe eine solche Kennzeichnung wohl für Werbung aus? »Folgendes Video enthält frei erfundene Behauptungen, die dich dazu verführen sollen, …« - Das Prinzip der Bullshit-Asymmetrie
Der Aufwand, um Bullshit zu widerlegen, ist 10-mal so hoch wie der Aufwand, um ihn zu produzieren. Das ist in einem Satz
Das bedeutet, eine kleine Richtigstellung auf Seite 15 rechts unten oder am Ende eines Gesprächs reicht nicht aus. Es gilt, dranzubleiben, wenn wir mit Mythen aufräumen wollen – auch um den Backfire-Effekt zu überwinden. - Lücken wieder füllen
Ein Tisch auf 3 Beinen wackelt – so ähnlich wie unser Gedächtnis, wenn jemand versucht, einen Mythos zu widerlegen, und dort eine Lücke hinterlässt.
Als die Versuchsteilnehmer der Studie mit dem Feuer in der Lagerhalle gesagt bekommen, dass weder Farbeimer noch Gasflaschen vorhanden waren, entsteht eine Erklärungslücke. Irgendetwas muss schließlich den Brand befeuert haben.
Tatsächlich wird einem Teil der Studienteilnehmer ein Lückenfüller angeboten. Sie lesen, dass ein Brandstifter für das Feuer verantwortlich sei. Ausgestattet mit einem neuen mentalen Tischbein beziehen sich diese Teilnehmer in ihren Antworten weniger häufig auf Gasflaschen und Farbeimer.
Alternative (ursächliche) Erklärungen sind nicht immer vorhanden oder lassen sich einfach beschreiben. Es spricht aber alles dafür, dass wir diese – wann immer sie verfügbar sind – erwähnen sollten. Andernfalls bleibt die Option, darüber nachzudenken, die »Quelle« der Falschinformationen zu ersetzen.
Wo also anfangen? Vielleicht bei uns selbst und der Unzulänglichkeit unseres eigenen Gedächtnisses. Dafür müssen wir nur an die Gardine zurückdenken, an die wir uns fälschlicherweise erinnert haben. Die uns gezeigt hat, wie einfach unser Gedächtnis uns täuscht. Vielleicht müssen wir anerkennen, wie wenig Kontrolle wir über Falschinformationen, …
Dies ist der zweite Text von uns beiden, in dem wir uns »kritisch mit dem Kritischen Denken« auseinandersetzen – und dabei als Neurowissenschaftler den Einfluss unseres Gehirns auf (politische) Debatten und Entscheidungen untersuchen. Nächste Woche sprechen wir darüber, was unser Weltbild und politische Themen mit dem Backfire-Effekt zu tun haben.
Mehr davon? Dieser Text ist Teil unserer Reihe zum Kritischen Denken!
Mit Illustrationen von Robin Schüttert für Perspective Daily