So leben Menschen zufriedener, erfüllter und erfolgreicher
Werden wir nach unserem Vermögen gefragt, denken wir zuerst an Geld. Dabei gibt es andere Dinge, die viel wichtiger sind, weiß Ökonomin Maja Göpel. In ihrem neuen Buch erklärt sie, welche das sind.
Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem Buch »Wir können auch anders« von Maja Göpel, das im September im Ullstein Verlag erschienen ist.
Im Jahr 2005 untersuchte das Magazin National Geographic die Frage, worin das
Für alle steht die Familie, stehen die Menschen, die ihnen am nächsten sind, an erster Stelle. Alle finden Sinn und Erfüllung darin, etwas für die Gemeinschaft zu tun. Alle sind in eine solche Gemeinschaft eingebunden. Für alle ist Bewegung, moderate körperliche Aktivität, fester Bestandteil ihres Lebens. Alle essen mäßig, ernähren sich vor allem pflanzlich, rauchen nicht, trinken aber ab und an ein Glas Wein und haben Rituale entwickelt, mit Stress umzugehen.
Ist es ein Wunder, dass diese Menschen zufrieden sind?
Ja, das finde ich auch nicht erstaunlich. Offenbar sind die Aktivitäten, die helfen, ein langes und gesundes Leben zu führen, oft solche, die ihre Qualität verlieren, sobald man versucht, sie zu stark zu beschleunigen und zu verdichten, also immer mehr von ihnen in derselben Zeit zu tun, ausreichend Sport, gesundes Essen, gute Rituale, zufriedenstellende Kontakte.
Das heißt aber nicht, dass es in diesen Gesellschaften keine Entwicklung gebe: Sie richtet sich nur nach einer anderen Bestimmung. Und was Menschen in der Blue Zone unternehmen, tun sie offensichtlich um ihrer selbst willen und nicht, um damit ihre Position gegenüber anderen zu verbessern. Was dadurch wächst, ist Lebenszeit, Gesundheit, Sinn. Wertschöpfung, die sich nicht in Geldwerten ausdrückt, mit denen die Ökonomen
Geht Wachstum auch anders?
Anders zu wachsen, muss also auch bedeuten, anders zu messen. Sonst kann der Wert, den wir messen, gar nicht erfassen, ob oder wie das Ziel erreicht ist. Auch Zahlen erzählen Geschichten. Und verändern sich die Geschichten, folgen die Innovationen, Technologien, Regeln und Kooperationen – und schaffen ein anderes Erleben der Welt und des Selbst.
Ich denke da an ein Erleben, das der ungarisch-amerikanische Psychologe und Glücksforscher Mihály Csíkszentmihályi Flow genannt hat. In den 1970er-Jahren fragte er sich, was in Menschen vorgeht, wenn sie in ihrer Aufgabe vollkommen aufgehen. Einen Zustand, den wir alle kennen, oft nur kurz aufrechterhalten können, aber immer wieder nach ihm streben, wenn wir ihn einmal erfahren haben.
Csíkszentmihályi nannte ihn
Wenn Mensch und Aufgabe, Anforderung und Fähigkeit zusammenpassen, kann Flow bei allen Tätigkeiten entstehen, allein und in der Gruppe. Tätigkeiten, mit denen wir Güter und Dienstleistungen erstellen und konsumieren zum Beispiel. Nur eben nicht hundert Stunden die Woche wie bei
Sorge und Angst stoppen den Flow
Sowohl die Sorge um sich selbst als auch die Angst vor der Bewertung durch andere stoppen den Flow übrigens sehr effektiv. »Es gibt zwei gegensätzliche Tendenzen in der Evolution«, schreibt Csíkszentmihályi, »Veränderungen, die zur Harmonie führen, zum Beispiel die Fähigkeit, Energie durch Kooperation zu gewinnen und indem man neue oder verbrauchte Energie nutzbar macht; und Veränderungen, die zur Entropie führen, das heißt, egoistische Methoden der Energiegewinnung, bei denen andere Organismen ausgebeutet werden und die schließlich in Konflikt und Chaos enden.«
Wie Mill, Keynes oder
Im Flow entsteht nicht nur Glück aus dem Tun selbst – was dem Gedränge um Vergütungen, Statussymbole und Machtpositionen ein Schnippchen schlägt –, es entstehen oft auch Spitzenleistungen, Kreativität, Talententwicklung, Produktivität, Stressresilienz und Selbstachtung. Das verleiht Csíkszentmihályis scheinbar individuellem Ansatz eine gemeinschaftliche Dimension.
Wenn der oder die Einzelne über sein oder ihr Tun in Einklang mit sich selbst kommen kann, steigen die Chancen, dass eine Gesellschaft, die aus vielen solcher
Woran denkst du, wenn du nach deinem Vermögen gefragt wirst?
Würden wir an solche Momente des Über-sich-Hinauswachsens denken, wenn uns jemand nach unserem Vermögen fragt? Wahrscheinlich würden wir zunächst an unser Bankkonto denken, an Sparpläne oder Aktienpakete und dann versuchen, die Marktwerte der Besitzstände zu schätzen, die wir möglicherweise haben. Ein Auto, eine Wohnung, ein Grundstück, ein Haus zum Beispiel.
Wenn das Gegenüber fragt, ob das wirklich unser ganzes Vermögen sei, würden wir womöglich noch zu erwartende Einkommen aus dem Job oder Mieten und Pachten angeben. Und vielleicht argumentieren,
Denn mehr Geld zu haben
Ein neues Bruttoinlandsprodukt
Inzwischen gibt es viele Ansätze, die versuchen, das Konzept »Bruttoinlandsprodukt« so zu ergänzen, dass sie gesellschaftliches Wohlergehen, Wellbeing genannt, besser zu fassen bekommen. Und zwar nicht nur als eine Momentaufnahme, sondern auch mit Blick darauf, wie die Grundlagen für zukünftiges Wohlergehen aussehen.
Die standardsetzende Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) beispielsweise arbeitet heute mit
Humankapital zielt auf die Fähigkeiten und die Gesundheit des einzelnen Menschen ab. Sozialkapital dagegen meint soziale Normen, geteilte Werte und Institutionen, die Zusammenarbeit untereinander fördern. Sie alle bilden die Vermögensbestände einer Gesellschaft, aus denen Informationen, Kompetenzen, Ressourcen und Investitionen in die Gestaltung der Gesellschaft fließen können.
In einer verbesserten Art, wie Bedürfnisse der Menschen befriedigt werden, liegt heute viel Potenzial dafür, diese Vermögensbestände nicht weiter runterzuwirtschaften, sondern zu regenerieren und qualitativ weiterzuentwickeln. Wie sehr sich ein erweiterter Vermögensbegriff lohnt, konnte man zuletzt auch an der Studie zur Biodiversität sehen, die
Das Ökosystem als Dienstleister
Dabei unterscheidet das Forschungsteam 3 Arten von Ökosystemdienstleistungen: die Bereitstellung von Materialien und Energie, die wir als Nahrung, Süßwasser, Biochemikalien, Pharmaka oder genetische Ressourcen alltäglich in Anspruch nehmen. Regulierung und Erhaltung spielen sich eher im Hintergrund ab und umfassen die Erdsystemprozesse, die Konzepte wie Planetare Grenzen zu greifen versuchen, den Kohlendioxidkreislauf, die Reinigung von Wasser, die Kompostierung von Müll, die Sauerstoffproduktion oder das Nährstoffrecycling.
Kulturelle Dienstleistungen wiederum sind nicht wirklich zu beziffern, sondern haben mit Erholung, Inspiration, religiösen Ritualen und spirituellen Erfahrungen zu tun. All diese Leistungen vermögen natürliche komplexe Systeme nur zu erfüllen, weil auch sie im Fluss – im Flow – sind, verbunden durch Nährstoffzyklen und Energie. So können sie über die Zeit immer wieder einen immensen Reichtum für menschliches Leben bereitstellen.
Allerdings orientiert sich ihr Rhythmus dabei nicht am menschlichen Bedarf nach positionalen Gütern oder in Euro gemessenen Lebensstandards, sondern an der Geschwindigkeit, mit der Organismen bestäuben, zersetzen, filtern, spülen, transportieren, umwandeln oder neu sortieren können. Wer sich vom Wert dieser Prozesse keinen Begriff macht, weil er dafür keine Indikatoren hat, der kann sie auch nur schwer wertschätzen. Das erklärt vielleicht, warum wir dauernd stolz darauf schauen, dass sich das globale Bruttoinlandsprodukt in den Jahren zwischen 1992 und 2014 pro Kopf verdoppelt hat. Und dabei übersehen, dass der Vorrat, der uns pro Kopf an Natur zur Verfügung steht, im selben Zeitraum um 40% geschrumpft ist.
»Und so sieht es aus, als lebten wir in der besten und schlimmsten aller Zeiten« schreiben die Forscher:innen der Dasgupta-Studie. Und wie sehen unsere politischen Strategien dazu aus? Nehmen wir die Getreideengpässe, die der Krieg gegen die Ukraine auslöst. Wie lautet die aktuelle Ansage? Ziele zum Schutz der Biodiversität aussetzen, die Flächen sofort für Anbau verwenden – aber bloß nicht die Tierbestände reduzieren, deren Mägen wir in Deutschland mit 60% dieser benötigten Erzeugnisse füllen und für die
Um 1 Kilogramm Rindfleisch zu erhalten, brauchen wir dann rund 25 Kilogramm Futter – Mais, Soja, Rüben –, und von den darin enthaltenen Proteinen gehen
So deuten wir Vermögen so um, dass es allen nutzt
Um dem Begriff des Vermögens eine dem 21. Jahrhundert angemessene Bedeutung zu geben, sollten wir also zuerst ehrlich hinschauen, was wie und wie lange wachsen kann – und welche Emissionen und Verschmutzungen wie lange wo wieder umgewandelt werden können.
Deshalb ist es so wichtig, dass eine schnell zunehmende Anzahl von Initiativen, Unternehmen, Kommunen und Ökonom:innen dabei ist,
Ja, die tatsächliche Lage ist erschreckend. Stimmt. Aber nur aus ehrlichem Hinschauen können die Antworten entstehen, mit denen wir diese Vermögensbestände wieder aufbauen können. Sodass der zukünftige Handlungsfreiraum wächst und nicht schrumpft. Längst spricht auch das Geldzählen dafür: Für Waldflächen zum Beispiel
Würden wir auf »naturpositiv« schalten – ein Begriff, der dafür steht, die Art der Bewirtschaftung der Ökosysteme so umzustellen, dass menschliche Aktivitäten genau darauf abzielen, ihre Bestände und Kreisläufe wieder zu stärken –, ließen sich laut Weltwirtschaftsforum
Was, wenn die Politik hinterherhinkt? Dann braucht sie aus der Gesellschaft mehr Rückenwind. Also obliegt es allen Wirks, klar zu sagen, welche Vermögensbestände in Zukunft wachsen sollen und welche Weichen wir dazu brauchen.
So, wie es von
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Die zentralen Treiber dafür zu identifizieren, ist die Aufgabe von Wissenschaft.
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily