Warum es in Syrien mehr als einen Schuldigen geben muss
Auch weit entfernt von Syrien prallen die Meinungen aufeinander, wer eigentlich Schuld an dem Krieg hat. Geht es auch moderater?!
Gegensätzlicher könnte der mediale Ton gegenüber dem syrischen Machthaber nicht sein. Die Extrempositionen zu der Frage, wer eigentlich Schuld an dem seit 6 Jahren tobenden Krieg in Syrien hat, finden sich in und außerhalb der Berichterstattung.
Tatsächlich bezeichnen einige deutsche Medien
Seine Informationen bezieht er aus einem Netzwerk von Bürgerjournalisten und Aktivisten in Syrien. Diese Art der Berichterstattung
Während die eine Seite das Narrativ eines emanzipativen Volksaufstands gegen einen brutalen Diktator pflegt, macht die andere Seite die westliche Interventionspolitik im Mittleren Osten verantwortlich und ist sich sicher: Das Ziel ist ein herbeigeführter Machtwechsel in Syrien, so wie bereits im Irak und in Libyen geschehen.
Dieses Lagerdenken reduziert die Syrien-Debatte auf nur eine Frage:
Warum wird die Debatte so heftig geführt?
Das ist vor allem durch die Assad-Dämonisierung in den ›Mainstream-Medien‹ bedingt. Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen hat es auf beiden Seiten gegeben. Das Ausmaß der einseitig verzerrten Schuldzuweisung in der Berichterstattung über einen internationalen Konflikt hat jedoch beim Thema Syrien eine Dimension erreicht, die wir seit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr erlebt haben.
Der Nahostwissenschaftler betont, dass eine politische Lösung in Syrien nur mit dem Assad-Regime ermöglicht werden könne. Die USA hingegen hätten seit der Invasion im Irak 2003 mit ihrer erklärten Politik des Regimewechsels in den Staaten, die sich nicht den Wünschen der Regierenden in Washington fügten, die gesamte Region ins Chaos gestürzt. Trotz aller Unberechenbarkeit von Trump biete seine politische Annäherung an Putin jedoch die bisher größte Chance für ein Ende des Krieges in Syrien.
Kristin Helberg findet ebenfalls, dass die westliche Nahostpolitik der vergangenen Jahrzehnte von Doppelmoral und Verlogenheit geprägt ist. Die Journalistin, die viele Jahre in Damaskus gelebt hat, betont jedoch, dass sich die Situation in Syrien wesentlich von Fällen wie der militärischen Einmischung in
Das Problem ist, dass manche Leute meinen, in Syrien passiere das Gleiche. Dabei findet dort kein Regimewechsel von außen statt, sondern ein Aufstand von Teilen des syrischen Volkes gegen ein Willkürregime. Zu behaupten, die CIA hätte die Proteste gezielt ausgelöst und von Anfang an Aktivisten bewaffnet, ist nicht nur lächerlich, sondern extrem paternalistisch – als ob die Syrer nicht in der Lage wären, aus eigener Kraft eine Revolution zu starten. Schauen Sie sich die Massendemos vom Sommer 2011 auf Youtube an – Millionen Syrer haben damals friedlich demonstriert. Weil Obama Assad stürzen wollte? Quatsch.
»Das erste Opfer eines jeden Krieges ist die Wahrheit«
Dieser Ausspruch von
Vielen Menschen missfällt die offenkundige Doppelmoral des Westens. Seien es die USA, die von transatlantischer Freundschaft sprechen, während ihre Geheimdienste gleichzeitig die Bundesrepublik ausspähen, oder aber die Bundesregierung, die demokratische Werte hochhält, während sie in großem Stil Waffen in Krisengebiete exportiert.
Kritik an den Machtinteressen westlicher Systeme ist berechtigt und wichtig. Gleichzeitig ist es gefährlich, die Situation in Syrien nur aus der Perspektive zu betrachten, die sich aus der Kritik an den Strukturen der westlichen Politsysteme speist. So läuft man Gefahr, blind für innere Konflikte zu sein, die für den Krieg in Syrien mindestens genauso ursächlich sind wie internationale Machtpolitik.
Als Leser hast Du die Wahl
Neben extremen Meinungen, die weder einem Faktencheck noch einer differenzierten Diskussion standhalten können, gibt es auch im deutschsprachigen Bereich moderate Positionen. Solche vertreten Kristin Helberg und Günter Meyer. Klicke auf ein Zitat, um das dazugehörige Interview zu lesen:
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Kristin Helberg: »Wer den Radikalen ideologisch das Wasser abgraben will, muss Assads Gewalt eindämmen.«
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Günter Meyer: »Der Westen hat die Assad-Gegner von Anfang an mit Waffen unterstützt.«
Ich habe in diesem System 7 Jahre als Journalistin gearbeitet. Die Geheimdienste müssen einem westlichen Besucher keinen Überwacher mitschicken, damit die Leute das sagen, was das Regime von ihnen erwartet, glauben Sie mir. Wer sich in Assad-kontrollierten Gebieten kritisch äußert, riskiert sein Leben. Deshalb müssen wir vorsichtig sein mit Einschätzungen, wer wirklich hinter Assad steht. Die Tatsache, dass die meisten Menschen in Regierungsgebieten leben, hat weniger mit ihrer Sympathie für Assad zu tun, als damit, dass sie dort vor dessen Luftangriffen sicher sind und von den UN versorgt werden.
Wer den Radikalen ideologisch das Wasser abgraben will, muss Assads Gewalt eindämmen. Denn erst wenn der Westen Angriffe auf Zivilisten sanktioniert und verhindert, sehen die Menschen in den Rebellengebieten, dass uns die Opfer dieser Luftangriffe nicht egal sind. Und dann brauchen sie nicht mehr den vermeintlichen Schutz durch Dschihadisten, deren Ideologie die meisten ohnehin ablehnen.
Deshalb wurden die islamistischen Extremisten der
Auch die Parlamentswahlen im vergangenen Jahr zeigten, dass die Alleinherrschaft der Baath-Partei beendet ist. Immerhin jeder fünfte Sitz wurde an Kandidaten vergeben, die nicht über die Einheitsliste angetreten waren. Es gibt durchaus eine innersyrische Opposition, die nach demokratischen Regeln agiert. Sie ist zwar noch schwach und das bisherige Regime ist nach wie vor autoritär, aber es ist ein wichtiger Hinweis darauf, dass unter Assad ein demokratischer Wandel möglich ist.
Es geht auch moderater
Kristin Helberg folgend muss also die vom Assad-Regime ausgehende Gewalt eingedämmt werden. Doch kann der Westen einerseits das Regime daran hindern Gewalt auszuüben, andererseits aber mit ihm zusammenarbeiten, um eine politische und friedliche Lösung zu erreichen, wie Günter Meyer es für notwendig erachtet? Prallen an dieser Stelle 2 moderate Meinungen unvereinbar aufeinander?
Teilweise tun sie das. Andererseits beanspruchen weder Günter Meyer noch Kristin Helberg die eine Wahrheit für sich, aus der sich die ultimative Lösung für den Krieg ableiten ließe. Daher lohnt es sich – wie der Moderator einer hitzigen Podiumsdiskussion – beide Perspektiven zu verbinden, damit sich die Gäste nicht nur an der Schuldfrage aufhängen.
[Es] findet dort kein Regimewechsel von außen statt, sondern ein Aufstand von Teilen des syrischen Volkes gegen ein Willkürregime.
Der Westen hat die Assad-Gegner von Anfang an mit Waffen unterstützt […].
2 wesentliche Faktoren haben die Eskalation des Krieges begründet und bedingen seine fortlaufende Existenz. Erstens sah sich das Regime in Damaskus mit Beginn der Proteste im Jahr 2011 und im Wissen über das Schicksal der autoritären Regime in Tunesien, Libyen und Ägypten in die Enge getrieben. Präsident Assad reagierte mit enormer Gewalt und entfesselte damit den Zorn weiter Teile der syrischen Bevölkerung.
Zweitens erhielt der Konflikt rasch eine bedeutende internationale Dimension. Westliche Regierungen, die Golfstaaten sowie die Türkei glaubten an den baldigen Sturz Assads und forcierten diesen. Genauso schnell schlug sich der Iran auf die Seite des Präsidenten und begann bereits 2012 mit dem Aufbau einer landesweiten
Die von der UN-Untersuchungskommission zu Syrien nachgewiesene gezielte Bombardierung von Krankenhäusern […] produziert jeden Tag mehr Terroristen.
Nach Aussagen von Michael Flynn, dem damaligen Chef des DIA, gehen die Entstehung und Ausbreitung des IS maßgeblich auf eine Entscheidung der US-Regierung zurück […].
Diese Internationalisierung führte dazu, dass alle syrischen Akteure in Abhängigkeit von der Gunst ausländischer Geber gerieten. So strömten
Diese extremen Ideologien waren einerseits so erfolgreich, weil die mehrheitlich sunnitischen
Substantielle Politik scheuend konzentrierten sich die westlichen Regierungen unter Führung der USA ab 2014 auf den Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat, dessen Existenz jedoch keinesfalls
Die Folgen dieser Politik sind dramatisch und führen zu der vertrackten jetzigen Situation, in der die politische Opposition zwar nach wie vor Tausende Kämpfer unter dem Banner der
Auch wenn Assad Rückhalt genießt: Er und seine Verbündeten sind für den Tod Hunderttausender Menschen verantwortlich. Dieses Ausmaß an Gewalt hat einen feindlichen Block zementiert, der den Kampf fortführen wird und dabei auf einen riesigen Pool durch den Krieg entwurzelter junger Männer zurückgreifen kann.
Wer den Radikalen ideologisch das Wasser abgraben will, muss Assads Gewalt eindämmen.
Es gibt durchaus eine innersyrische Opposition, die nach demokratischen Regeln agiert. Sie ist […] ein wichtiger Hinweis darauf, dass unter Assad ein demokratischer Wandel möglich ist.
Vertreter der
Die Rahmenbedingungen zu ändern gestaltet sich schwierig, weil in dem vielschichtigen Konflikt einzelne Akteure nur begrenzten Einfluss auf seinen Fortgang haben. So würde beispielsweise ein Rückzug des Westens die Opposition nicht maßgeblich schwächen, sondern dazu führen, dass die Lücken
Allein die Person Assads zu entfernen würde keinen Schritt hin zum Frieden darstellen. Denn sein Regime und das Personal in den staatlichen Institutionen könnte nicht komplett ausgetauscht werden und die Konfliktlinien so fortbestehen.
»Wie kann es weitergehen?«
In einer so festgefahrenen Situation braucht es pragmatische Lösungsansätze. Dazu gehört der Schutz von Zivilisten, von denen die meisten durch Luftangriffe ums Leben kommen. Möglich sind hier die
Das wären meine Antworten auf die Frage »Wie kann es weitergehen?«. Doch um die Beantwortung ging es mir gar nicht so sehr, sondern eher um den Weg dahin. Er zeigt: Im Syrien-Krieg gibt es für Beobachter keine 2 Ringecken, von denen es sich eine auszusuchen gilt. Was es gibt, sind unterschiedliche Perspektiven auf Ursachen, die eine friedliche Lösung verhindern.
Es lohnt sich also, viele dieser Perspektiven – von extremen Meinungen bis hin zu moderaten Ansätzen – ausgiebig und möglichst unvoreingenommen aufzunehmen und dadurch die Komplexität auszuhalten. Auf diesem Weg finden sich Schnittstellen und neue Konzepte, die der Vielschichtigkeit des Krieges in Syrien gerecht werden.
Titelbild: Nic McPhee / VOA Arrott / Freedom House - CC BY-SA 3.0