Warum Kriegsverbrecher in Deutschland nicht sicher sind
Während in Syrien noch Krieg herrscht, könnte ausgerechnet deutsches Strafrecht für Gerechtigkeit sorgen. Damit Kriegsverbrechern hier der Prozess gemacht werden kann, riskieren syrische Anwälte ihr Leben.
Es ist sicher ein Albtraum,
Denn im Kampf gegen die Straflosigkeit in Syrien könnte Deutschland mit seinem besonderen nationalen Recht eine Schlüsselrolle spielen. Deutsche Anwälte stellten 2 Strafanzeigen gegen Mitglieder des syrischen Regimes – wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Syrische Anwälte halfen ihnen dabei.
Kritiker zweifeln daran,
Warum die Anzeige der Geflüchteten hier sogar erfolgreich sein könnte, habe ich mit Pauline Brosch vom
Warum gerade Deutschland?
Um darauf zu antworten, zäumen wir das Pferd einmal von hinten auf und fragen: Warum sollte sich Deutschland statt des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag eigentlich um Kriegsverbrechen in Syrien kümmern?
Allein der UN-Sicherheitsrat könnte daran etwas ändern, gäbe es da nicht die
»Eigentlich verlangt die Strafgewalt immer einen besonderen Anknüpfungspunkt zum Gerichtsstaat. Damit nicht jeder Staat Weltpolizei spielt und sich in die Angelegenheiten anderer Staaten einmischt«, sagt Pauline Brosch. Eigentlich – und das ist der springende Punkt: Denn das nationale Recht in Deutschland ermöglicht, Straftaten zu ermitteln, die auf den ersten Blick gar keinen Bezug zu uns haben. Wie funktioniert das?
- Völkerstrafgesetzbuch (VStGB):
Zeitgleich mit der Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs wurde in Deutschland 2002 das Völkerstrafgesetzbuch eingeführt. »Seitdem sind schwere Verbrechen des Völkerrechts auch in Deutschland ein Straftatbestand«, erklärt Pauline Brosch. Es benennt 4 grenzenlose Straftatbestände: Kriegsverbrechen, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und
- Weltrechtsprinzip:
Deutschland ist eines der wenigen Länder, in denen das Weltrechtsprinzip gilt. Es wird im ersten Paragraph des VStGB erklärt. Das Gesetz gilt auch dann,
Für Völkerstraftaten gilt das Weltrechtsprinzip, weil diese Straftaten als so schlimm eingestuft werden, dass sie sich nicht nur gegen das einzelne Opfer richten, sondern gegen die gesamte Menschheit.
- Generalbundesanwalt:
In Deutschland ist der Generalbundesanwalt (GBA) beim Bundesgerichtshof – aktuell ist das der Jurist Peter Frank – für die Strafverfolgung von Kriegsverbrechern verantwortlich. Dabei unterstützen ihn momentan 6 Staatsanwälte im Völkerstrafrechtsreferat, die für Völkerstraftaten weltweit zuständig sind. Die
Das erste Mal, dass in Deutschland das Weltrechtsprinzip gegenüber ausländischen Verbrechern zum Einsatz kam, ist noch gar nicht so lange her.
»Einseitiger Fokus auf die Verurteilung von Terroristen«
Übrigens sammelt die Generalbundesanwaltschaft bereits Beweise für Kriegsverbrechen in Syrien in
Pauline Brosch fordert weitere Schritte: »Der einseitige Fokus auf die Verurteilung von Terroristen allein und nicht auf die Aufarbeitung von staatlichen Verbrechen in Syrien ist ein Problem. Wir müssen uns klarmachen, dass in Deutschland nicht nur ansässige Kriegsverbrecher verurteilt, sondern auch Verfahren eingeleitet werden können, die reflektieren, was in Syrien passiert.« Doch damit die deutsche Justiz auch gegen das syrische Regime ermitteln könne, brauche es in Deutschland mehr Ressourcen, dazu gehöre auch die Personalaufstockung beim Generalbundesanwalt und dem BKA, so Brosch.
Rechtshilfe aus Syrien
Langfristige Ressourcen ließen sich dort ausmachen, wo der Kampf für Gerechtigkeit seit Beginn des Syrienkrieges gefochten wird. »Syrische Anwälte, Aktivisten und Menschenrechtsorganisationen können den deutschen Behörden helfen«, sagt Karim al-Aboud, der eigentlich anders heißt.
Der syrische Anwalt verteidigte Insassinnen eines Frauengefängnisses in Damaskus, die wegen terroristischer Aktivitäten angeklagt waren, weil sie 2011 gegen Präsident Assad demonstriert hatten. Dort dokumentierte al-Aboud sexuelle Gewalt als Mittel der staatlichen Unterdrückung gegenüber den Frauen, sammelte aber auch Beweise für die Verbrechen oppositioneller Gruppen.
Nur unter der Voraussetzung, dass sein Name und Aufenthaltsort geheim bleiben, erklärte er sich zu einem Interview bereit. 2014 musste er aus Syrien fliehen, nachdem er für seine legale Arbeit festgenommen, gefoltert und selbst mit einer Terror-Anklage bedroht wurde. Auch im Ausland riskiert er immer noch sein Leben, indem er die gesammelten Beweise der Kriegsverbrechen in Syrien und sein Wissen über die korrekte Dokumentation dieser Verbrechen weitergibt. Das tut er sowohl online als auch in Workshops vor Ort.
»Regierungen und Medien verlassen sich auf die Dokumentation der Kriegsverbrechen durch syrische Aktivisten«, verdeutlicht al-Aboud die Wichtigkeit seiner Arbeit. Dabei ist die Sicherung von Beweisen, auch für die Strukturverfahren in Deutschland, eine schwierige und in großen Teilen lebensgefährliche Aufgabe: »Die meisten Aktivisten können nicht in Syrien bleiben und müssen deshalb fliehen. Wir können uns glücklich schätzen, wenn wir die Hälfte davon dokumentieren können, was in Syrien passiert«, beschreibt al-Aboud.
Wie die Arbeit der Aktivisten innerhalb Syriens sicherer werden kann, darauf hat er keine Antwort. Für die Strafverfolgung in Europa sieht al-Aboud gute Möglichkeiten in der Zusammenarbeit zwischen syrischen und europäischen Anwälten vor Ort:
In Europa sollten geflohenen Anwälten, Richtern und Aktivisten die Chance gegeben werden, bei der Strafverfolgung von syrischen Kriegsverbrechern mitzuhelfen und Erfahrungen zu sammeln. Das Wissen, das wir aus diesen Prozessen mitnehmen, werden wir eines Tages in Syrien einsetzen können.
Denn er sieht nicht Deutschland oder andere europäische Staaten in der universalen Verantwortung, syrische Kriegsverbrechen zu verhandeln. »Am Ende sollen Kriegsverbrecher aus Syrien von einem syrischen Gericht verurteilt werden. Die Erfahrungen, die syrische Anwälte in Europa machen werden, wird ihnen helfen, die Verhandlungen in Syrien vorzubereiten«, betont al-Aboud.
Die Investition in die Ausbildung syrischer Juristen in Völkerstrafrecht und Menschenrechten in Deutschland wäre laut al-Aboud vor allen Dingen eine Investition in die Zukunft beider Staaten: »Nach dem Krieg wollen wir die Bürde der Verfahren von den Schultern der deutschen Justiz nehmen.«
Das jetzt gestartete Ermittlungsverfahren um die 9 Folteropfer in Deutschland begrüßt al-Aboud. Auch, dass syrische Menschenrechtsanwälte wie Anwar al-Bunni an der Strafanzeige beteiligt waren. Vor allem die Vernehmung von Zeugen, die selbst meist Geflüchtete sind, könne so erleichtert werden:
Syrische Anwälte können schnell Vertrauen zwischen deutschen Behörden und Zeugen schaffen. Das ist wichtig, denn in Syrien haben wir eher Angst vor Behörden, vor allem vor der Polizei.
Dieses Vertrauen und die wachsende Vernetzung von syrischen und europäischen Behörden sei wichtig, um Verbrecher, die aus Syrien fliehen, hier zu identifizieren. Mit Blick auf das Ermittlungsverfahren in Deutschland betont al-Aboud: »Es ist wichtig, sein Augenmerk nicht nur auf die Kämpfer von radikal-islamistischen Gruppen zu legen, sondern auch staatliche Akteure zur Rechenschaft zu ziehen. Das syrische Regime übt die mit Abstand schlimmste strukturelle Gewalt aus.«
Was sind die Resultate?
Doch was bringen Ermittlungsverfahren in Deutschland, wenn sie ins Leere laufen? Der Strafanzeige gegen Assad, die im November 2016 von 6 deutschen Anwälten gestellt wurde,
Selbstverständlich spielt auch die Frage der Immunität eine wichtige Rolle, die Assad noch vor einer internationalen Strafverfolgung schützt:
Es gibt keine geschriebenen völkerrechtlichen Regeln für Immunität. Wie mit Regierungschefs verfahren wird, ergibt sich aus dem Gewohnheitsrecht, und das wiederum speist sich daraus, was andere Gerichte entschieden haben und was Staatenpraxis ist. Immunität gilt nur für amtierende Staatsoberhäupter, also auch für Assad.
Messbar ist es also nicht, ob Ermittlungsverfahren gegen Kriegsverbrecher abschreckend wirken. Trotz der noch relativ geringen Chancen, jetzt an die wirklichen Peiniger der 9 Folteropfer heranzukommen, sind für Pauline Brosch über eine Million syrischer Geflüchteter in Deutschland Grund genug, Ermittlungsverfahren einzuleiten: »In Bezug auf Syrien halten sich in Deutschland mittlerweile viele syrische Zeugen auf. Da sehr viele Beweise vorhanden sind, können wir in dem Fall wirklich ermitteln«, sagt Brosch.
»Was andernorts passiert, kann hier verheerende Folgen haben.«
Dabei wäre es aber ebenso wichtig, nicht in Ermittlungsverfahren steckenzubleiben, sondern Resultate zu erzielen. Das könnten internationale Haftbefehle sein, die Verdächtige in ihrer Bewegungs- und Reisefreiheit einschränken. Sie wären in Deutschland und Europa nicht sicher vor Strafverfolgung. Gleichzeitig könnte aber auch eine gemeinsame Aufarbeitung mit Folteropfern in Deutschland stattfinden.
Karim al-Aboud sieht die Resultate der Strafanzeigen in Deutschland schon heute. Sein Schlussplädoyer: »Heute gleicht die Welt einem kleinen Dorf. Was andernorts passiert, kann hier verheerende Folgen haben. Was in Syrien geschah, hat sich auf die gesamte Welt ausgewirkt. Wer hätte jemals gedacht, dass so viele Syrer nach Europa kommen würden? In Syrien findet ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit statt. Es ist auch wichtig, den kommenden Generationen in Europa zu zeigen, dass die Europäer heute hinter den Menschenrechten stehen und sich für Gerechtigkeit stark machen.«
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