Im Jahr 2015 verbreitete sich über den Internetdienst Whatsapp eine Sprachnachricht. Die Sozialmitarbeiterin Aischat Inaeva kritisierte darin, dass ein Großteil der tschetschenischen Bevölkerung in Armut lebe, die Regierung aber reich sei. Sie beschwerte sich, dass ein Teil ihres Gehalts im Voraus für Elektrizität und kommunale Dienste einbehalten werde, und klagte, dass dies vielen Menschen in Tschetschenien schwer falle.
»Was ist schon groß dabei?«, fragst du jetzt vielleicht. In Deutschland darf jeder die Regierung kritisieren, in Tschetschenien aber bezahlt man für solchen Mut mit der eigenen Ehre:
Das wurde im Fernsehen gezeigt, und seitdem will niemand mehr mit Inaeva zu tun haben.
Öffentliche Demütigungen und Bedrohungen als Racheakte für die harmloseste Kritik an der Politik gehören in Tschetschenien zum Alltag.
Im vergangenen Jahr hat Deutschland einen starken
Im Jahr 2015 waren es knapp 4.500. Doch nur wenige (4,3%) dürfen als politische Geflüchtete bleiben. Alle anderen müssen entweder nach Tschetschenien oder in das Land zurückkehren, in dem sie erstmals EU-Boden betraten, also meist nach Polen. Die Regierung in Warschau beruft sich jedoch darauf, dass in Tschetschenien kein Krieg herrscht, und schiebt die meisten Geflüchteten
Tschetschenien ist eine autonome Teilrepublik des von der EU sanktionierten Russlands – das macht den Umgang mit Geflüchteten aus dem Landesteil nicht gerade einfacher. Was kann getan werden, um die Situation der Tschetschenen zu verbessern?
Einer von ihnen ist Aslanbek Ismailow, zumindest nennen wir ihn in diesem Text so. Er stammt aus einem kleinen Dorf unweit der Stadt
Aslanbek fühlt sich unbehaglich, obwohl er in Sicherheit ist: Er sitzt in einem großen altehrwürdigen Zimmer voller Gemälde, antiker Möbel und Bücherstapel im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Zu DDR-Zeiten trafen sich hier heimlich
Der zweite
Seit 2011 wartet die Familie Ismailow darauf, dass Deutschland ihr Asyl gewährt. Das Leben der Familie reduziert sich immer mehr auf den zähen Briefwechsel mit dem Bamf – der Asylantrag der Familie wurde schon 2-mal abgelehnt, jetzt müssen sie auf den Härtefall-Antrag hoffen, der die Abschiebung des Sohns Ilman doch noch verhindern soll. Weil seine
»Das verstehe ich auch nicht, wie man einen Menschen ohne Familie nach Tschetschenien ausweisen kann. Sie haben dort nichts, sogar in ihrem Haus wohnen schon lange andere Menschen«, seufzt Ekkehard Maaß, während er Tee für Aslanbek kocht. Der 66-Jährige unterstützt als Vorsitzender der Deutsch-Kaukasischen Gesellschaft seit vielen Jahren Geflüchtete aus Russland und dem Kaukasus.
Obwohl es um Tschetschenien still geworden ist und selten Nachrichten über Anschläge oder die jüngsten Aktivitäten der örtlichen Machthaber bis nach Deutschland dringen, spiegelt diese Stille nicht die Situation vor Ort wider. Es ist Ramsan Kadyrow, dem Präsidenten der Tschetschenischen Teilrepublik, gut gelungen, das Land zu isolieren und gleichzeitig die Bevölkerung so stark einzuschüchtern, dass wenig Kritik nach außen gelangt.
Sarah Reinke, Leiterin der Gesellschaft für bedrohte
Daraufhin stürmten Anhänger des tschetschenischen Präsidenten, so genannte
Besonders junge Männer im Alter zwischen 15 und 30 Jahren werden unter Druck gesetzt und zur Mitarbeit in Kadyrows Armee oder dem Geheimdienst verpflichtet – und verschleppt, wenn sie sich weigern. Auch Ekkehard Maaß, Präsident der Deutsch-Kaukasischen Gesellschaft, hat schon von vielen tschetschenischen Geflüchteten gehört, nach welchem Muster solche Aktionen ablaufen: Bewaffnete, vermummte Geheimdienstler kommen in Dörfer und zwingen Männer, als Kämpfer in die Ukraine oder nach Syrien zu gehen. Wer sich widersetzt, wird bedroht.
Kadyrow hat eine Diktatur errichtet, die auch die Privatsphäre der Menschen stark verletzt. Ekaterina Sokirianskaja von der International Crisis Group erzählt, dass sich alle Einwohner von Tschetschenien an die islamischen Regeln halten müssten, die Kadyrow aufgestellt hat. Bewaffnete Sicherheitskräfte kontrollieren, ob Frauen sich züchtig genug kleiden. Ihr selbst sei der Zutritt zur Universität in der Hauptstadt Grosny verwehrt worden, weil sie kein Kopftuch getragen hat.
Die russische Aktivistin Swetlana Gannuschkina von
Im
»Es ist eine regelrechte Verfolgungskampagne gegen Schwule«, sagt Aktivistin Swetlana Gannuschkina. Bei ihrem Treffen mit Wladimir Putin
Kurz gesagt: Die Menschen in Tschetschenien sind der Willkür Ramsan Kadyrows ausgeliefert, mit deren Zunahme sich in letzter Zeit wieder verstärkt Menschen auf den Weg nach Europa begeben. Deswegen kann diese Situation nicht mehr innere Angelegenheit der tschetschenischen Republik und Russlands bleiben – solange Putin und Kadyrow an der Macht sind, gibt es keine politischen Optionen für die Beseitigung der Fluchtgründe.
»Die soziale Lage der tschetschenischen Flüchtlinge hier ist sehr schwierig, trotzdem ist Deutschland damals und jetzt das Ziel für viele tschetschenische Flüchtlinge«, ist die Erfahrung von Ekkehard Maaß von der Deutsch-Kaukasischen Gesellschaft. Viele müssen die Abschiebung
Sarah Reinke von der Gesellschaft für bedrohte Völker e. V. findet die geltende Regelung unfair: »Mit dieser erkennungsdienstlichen Behandlung bei der Einreise, der Fixierung der Fingerabdrücke, stellen die Geflüchteten automatisch in Polen einen Asylantrag. Wenn sie ohnehin nach Deutschland wollen, müssen sie ein Visum beantragen, was selten möglich ist, wenn die Menschen fliehen.«
Auch Ekkehard Maaß von der Deutsch-Kaukasischen Gesellschaft kritisiert die aktuelle Situation: »Tschetschenische Flüchtlinge landen in einem sozialen Chaos. Flüchtlinge aus Syrien, dem Maghreb, Afrika, die innenpolitisch Vorrang haben, bekommen die hohe Schutzquote, Asylverfahren der Tschetschenen werden hingegen nur sehr schleppend
Maaß fordert, dass Geflüchtete leichter in Deutschland
Sarah Reinke ist der Meinung, dass das Auswärtige Amt stärker die Einschätzung von Menschenrechtlern und unabhängigen Beobachtern einholen müsste, wie die Lage in Tschetschenien aussieht. »Tschetschenien war und ist aus der deutschen Außenpolitik ausgeblendet«, sagt Reinke. Das heutige Tschetschenien ist die Folge der russischen Politik, aber diese russische Politik wurde auch von Deutschland unterstützt.« Reinke kritisiert, während des zweiten Tschetschenienkrieges habe der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder seinen Freund Wladimir Putin kaum verurteilt: »Über Tschetschenien gab es damals fast kein Wort, als ob es diesen Krieg nicht gäbe.«
Heute ist Zeit, die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen. Obwohl Tschetschenien eine schwer zugängliche und zumeist in sich geschlossene Region ist, können die deutsche Politik und Öffentlichkeit 3 Dinge tun, um die Situation der Menschen in Tschetschenien zu verbessern:
Titelbild: European Commission DG ECHO - CC BY-SA 3.0
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