Die Bürger außen vor – während in der EU Gesetze gemacht werden. Lasst sie mitspielen!
EU-Gesetze gehen uns alle an – allerdings werden sie von nur sehr wenigen gestaltet. Weil ihnen das offizielle Verfahren zu lange dauert, handeln die Gesetzgeber lieber in Hinterzimmern Kompromisse aus. Doch die EU-Bürgerbeauftragte setzt sich für Transparenz ein.
Mit diesen Worten hat Emily O’Reilly, die Bürgerbeauftragte der Europäischen Union, am vergangenen Donnerstag ihre Untersuchungsergebnisse verkündet. In Zeiten von Brexit, CETA und TTIP, in Zeiten von weit verbreiteten Zweifeln an der EU hat sie sich mehr als ein Jahr mit den Abläufen der EU-Gesetzgebung beschäftigt und gefragt: Wie können sie transparent werden?
Doch fangen wir vorne an. Warum sollte uns europäische Gesetzgebung überhaupt interessieren?
Weil sie sich direkt auf unser Alltagsleben als EU-Bürger auswirkt:
Wenn wir Schuhe im Internet bestellen, können wir sie wegen wieder zurückschicken. Wenn wir unseren Kindern Spielzeug schenken, muss dieses den gerecht werden. Wie sauber das Wasser sein muss, das wir trinken, wird durch geregelt. Wenn wir atmen … Die EU entscheidet, welches Wasser wir trinken und welche Luft wir atmen Tja, tatsächlich entscheiden auch darüber, welche Luft wir in Europa atmen.
Zukunftsorientiert, verständlich, werbefrei. Dafür stehen wir. Mit Wohlfühl-Nachrichten hat das nichts zu tun. Wir sind davon überzeugt, dass Journalismus etwas bewegen kann, wenn er sowohl Probleme erklärt als auch positive Entwicklungen und Möglichkeiten vorstellt. Wir lösen Probleme besser, wenn wir umfassend informiert und positiv gestimmt sind – und das funktioniert auch in den Medien. Studien haben gezeigt, dass Texte, die verschiedene Lösungen diskutieren, zu mehr Interesse führen, positive Emotionen erzeugen und eine erhöhte Handlungsbereitschaft generieren können. Das ist die Idee unseres Konstruktiven Journalismus.
Auch politisch sehr umstrittene Themen wie Vorratsdatenspeicherung oder werden auf der europäischen Bühne verhandelt. Im April dieses Jahres wurde auch die seit Jahren heftig umkämpfte verabschiedet, die jeden betrifft, der sich zum Beispiel in videoüberwachten Geschäften, Bussen oder auf Bahnhöfen bewegt, zum Arzt geht, ein Konto hat oder das Internet nutzt – sprich: praktisch jeden.
Der Einfluss der EU-Gesetze auf unser Leben als Europäerinnen und Europäer ist offensichtlich groß.
Gerade weil dieser Einfluss so groß ist, müssen EU-Gesetze auf demokratische Weise entstehen. Wir müssen sie also durch Wahlen beeinflussen können. Um das zu gewährleisten, sind in den verschiedene Gesetzgebungs-Verfahren vorgesehen.
Wie in der EU Gesetze gemacht werden … sollten
Das wichtigste ist das sogenannte Dabei schlägt die einen Gesetzentwurf vor. Anschließend entscheidet das gemeinsam mit dem ob und in welcher Form sie den Entwurf annehmen wollen.
Im Parlament wandert der Entwurf zunächst in den zuständigen Ausschuss, welcher öffentlich darüber verhandelt. Das bedeutet: Jeder kann und sich sein eigenes Bild machen. Danach verhandelt auch das Plenum öffentlich über den Entwurf und fasst am Ende einen Beschluss. Anschließend berät und entscheidet der Ministerrat ebenfalls über den Gesetzentwurf; auch dabei kann die Öffentlichkeit zuschauen. Falls sich Rat und Parlament auch nach 2 Lesungen noch nicht einig sind, was mit dem Gesetzentwurf geschehen soll, wird ein Vermittlungsausschuss einberufen. Darin diskutieren Vertreter beider Institutionen miteinander, bis es zu einer endgültigen Abstimmung kommt.
Die Öffentlichkeit kann bei diesem förmlichen Verfahren genau verfolgen, welche neuen Regelungen geplant sind und wer dabei welche Interessen vertritt.
Die Praxis sieht anders aus
Soweit die Theorie. In der hat dieses vorgesehene Verfahren allerdings Stattdessen nehmen Rat und Parlament lieber die informelle Abkürzung: 79% der Gesetze wurden in der ersten Lesung beschlossen und 97% vor dem Ende der zweiten Lesung. Das bedeutet aber nicht, dass die Gesetzgeber sich gleich einig sind, sodass das Hin und Her der verschiedenen Lesungen nicht nötig wäre – vielmehr wird die Auseinandersetzung einfach in informelle Gespräche verlagert.
Nehmen wir das Beispiel der das wohl umstrittenste EU-Gesetz der vergangenen Jahre. Auch hier haben Rats- und Parlamentsvertreter unter Ausschluss der Öffentlichkeit direkt miteinander verhandelt, bis sie zu einem Kompromiss gelangten. Diesem haben Rat und Parlament anschließend zugestimmt.
Solche Verhandlungen, in denen Parlament, Rat und Kommission unter Ausschluss der Öffentlichkeit die Gesetze besprechen, werden als bezeichnet.
Die Triloge entstanden, als in den vergangenen Jahrzehnten das Parlament mehr Rechte und Befugnisse erhielt, um die EU demokratischer zu machen. Von Beginn an wurden sie als intransparent kritisiert.
Dabei haben sie durchaus Vorteile, schließlich müssen sich Parlament und Rat einig werden, damit ein Gesetz verabschiedet werden kann.
In einer bezeichnen Rat und Parlament das Trilog-System als »leistungsfähig und flexibel«. Es habe die Möglichkeiten einer frühen Einigung »wesentlich verbessert«.
Die Gesetzgebung geht dadurch deutlich schneller. Derzeit dauert es durchschnittlich 17 Monate, bis ein Gesetz in der ersten Lesung verabschiedet wird. Gesetze, die zu Beginn der zweiten Lesung beschlossen werden, brauchen fast doppelt so lange.
Transparenz ist der Sauerstoff der Demokratie
Dieses schnelle Verfahren kann aber leicht dazu führen, dass all die Vorschriften für sicheres Kinderspielzeug, sauberes Wasser und saubere Luft in Wirklichkeit gar nicht in unserem Interesse verhandelt werden – und wir das nicht einmal bemerken. Gut auf den Punkt gebracht hat es der damalige am Europäischen Gerichtshof, Pedro Cruz-Villalón, als eine Transparenz-Initiative auf Einsicht in Gesetzgebungs-Dokumente klagte: »›Gesetze erlassen‹ ist definitionsgemäß eine gesetzgeberische Tätigkeit«, in seinen Schlussanträgen, »die in einer demokratischen Gesellschaft nur im Rahmen eines öffentlichen und in diesem Sinne ›transparenten‹ Verfahrens ausgeübt werden kann. Anderenfalls wäre es unmöglich, dem ›Gesetz‹ die Eigenschaft zuzuschreiben, Ausdruck des Willens derer zu sein, die es zu beachten haben.« Wie sollen wir als Wähler die Abgeordneten des EU-Parlamentes und die nationalen Regierungen zur Verantwortung ziehen, wenn wir gar nicht wissen, welche Interessen sie in den Verhandlungen vertreten? Um es mit den Worten der Rechtswissenschaftlerin Deidre Curtin von der Universität Amsterdam auszudrücken: – Information ist der Sauerstoff der Demokratie.
Was passiert im Hinterzimmer?
An diesem Sauerstoff mangelt es bei den Trilog-Verhandlungen. Informationen darüber, ob, wann, welche und wie viele Triloge stattfinden oder stattgefunden haben, sind schwer bis gar nicht zu finden. Von Details aus den Verhandlungen ganz zu schweigen.
Andreas Maurer ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck. Er hat sich intensiv mit den informellen Verhandlungen beschäftigt. Maurer ist der Ansicht, dass die Trilog-Verfahren aufgrund ihrer Intransparenz dazu führen, dass sich Parlament und Ministerrat »gegenseitig über den Tisch ziehen, ohne dass für uns als End-User der Gesetzgebung noch nachvollziehbar bleibt, wer sich dabei eigentlich gegen wen durchgesetzt hat.«
Weniger drastisch es der ehemalige britische Europa-Abgeordnete Malcolm Harbour (Christdemokraten/Konservative), der selbst an zahlreichen Trilog-Verhandlungen teilgenommen hat. Die Abläufe seien sehr organisiert und die Gesetze würden dort lediglich vorbereitet. Aus seiner Sicht trifft die eigentlichen Entscheidungen weiterhin das Parlament im Plenum.
Aber: Auch, wenn das Parlament den Trilog-Kompromiss vor der Plenarabstimmung debattiert, ändert es in der Regel nichts mehr daran, sondern Das Gesetz wird also de facto während der inoffiziellen Verhandlungen gemacht.
Das lange Verfahren hat den klaren Vorteil, dass auch Menschen außerhalb von Brüssel rechtzeitig vom entsprechenden Gesetzentwurf erfahren können.
Dies betont auch der Greenpeace-Europe-Direktor Nur dann können wir uns mit dem Vorschlag auseinandersetzen, uns organisieren und gewählten Vertretern im Parlament unsere Anliegen mitteilen. Die Öffentlichkeit habe insgesamt ein Interesse an »guten Gesetzen«, sagt Riss, die nämlich aus allen Blickwinkeln betrachtet worden seien.
Besonders problematisch am Schnellverfahren ist, dass in den informellen Trilogen auch mehrere Gesetze gleichzeitig verhandelt werden, die nicht unbedingt miteinander zu tun haben. Das bietet Raum für unsachliche Kompromisse, ohne dass die Öffentlichkeit etwas mitbekommt. So wurde etwa bei den Trilogen zur der laut, sie sei für die Abschaffung der Mobilfunk-Roaming-Gebühren geopfert worden – 2 Themen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben, aber gleichzeitig verhandelt wurden.
Die Kritik zeigt Wirkung
In der deutschen Öffentlichkeit und selbst in Fachkreisen wird das Thema Triloge bisher kaum wahrgenommen. Auf europäischer Ebene wird die Trilog-Praxis jedoch seit Jahren heftig kritisiert und diese Kritik ist nicht ungehört geblieben:
Das Europäische Parlament hat in den vergangenen Jahren den Handlungsbedarf erkannt und 2008 einen für Triloge entwickelt, um die Transparenz zu verbessern. Seitdem muss von jeder Fraktion ein Vertreter an den Verhandlungen teilnehmen dürfen. Außerdem muss das Verhandlungsteam dem Parlamentsausschuss von den Treffen berichten. Seit 2012 stehen diese Vorschriften auch in der Geschäftsordnung des Parlaments, zusammen mit weiteren Vorgaben: Der zuständige Parlamentsausschuss muss zunächst beschließen, dass überhaupt ein Trilog stattfinden darf und ein genaues erteilen. Jedoch ist an dieser Entscheidung noch immer nicht das Plenum beteiligt und die Verhandlungen finden weiterhin im Geheimen statt.
Die anhaltende Kritik rief schließlich auch die Emily O'Reilly auf den Plan. Im Mai 2015 hat sie eine Untersuchung der Trilog-Verfahren eingeleitet und deren Transparenz überprüft. Parlament, Rat und Kommission sind zwar der Ansicht, dass sie das gar beantworteten aber trotzdem ihre Fragen und lieferten der aktuellen Trilog-Verfahren. Auch wenn eigentlich jedes Gesetz auf transparente Weise entstehen sollte, erstaunen doch gerade die sensiblen Themen, die auf diesen Listen zu finden sind: Unter welchen Voraussetzungen dürfen neue Lebensmittel zugelassen werden? Wie soll der Handel mit Gütern reguliert werden, die für Folter oder Todesstrafe verwendet werden können? Wie sollen Sorgfaltspflichten in Konfliktregionen geregelt werden? Auch Straf- und Strafverfahrens-Vorschriften gehören nicht ins stille Kämmerlein.
So könnte es transparenter werden
Auch O’Reilly kommt zu dem Schluss, dass die Trilog-Praxis nicht transparent genug ist. Die Bürgerbeauftragte kann zwar keine verbindlichen Reformen vorschreiben, aber sie hat den Gesetzgebern verschiedene gemacht, wie sie die Transparenz verbessern können. So sollen sie zum Beispiel in den Gesetzgebungs-Datenbanken darauf hinweisen, dass Triloge stattfinden, und deren Termine, Teilnehmer und Tagesordnungen veröffentlichen. Andere Dokumente sollen sie in einer Liste erfassen, damit interessierte Bürger sie nach den bestehenden anfordern können. Außerdem sollen Parlament und Rat vor einem Trilog ihre jeweiligen Standpunkte veröffentlichen, damit klar ist, was sie überhaupt verhandeln.
Und wie bei jedem denkbaren Problem der Menschheit gibt es natürlich auch für Triloge eine Der hat sie entwickelt, um den Entstehungsprozess der besagten Datenschutz-Grundverordnung transparenter zu machen. Darin werden die verschiedenen Standpunkte von Parlament, Rat und Kommission nebeneinandergelegt, um sie leicht vergleichen zu können. Über 4.000 Mal ist die App bereits heruntergeladen worden. Sie bezieht sich zwar nur auf dieses bestimmte Gesetzgebungs-Verfahren, aber das Parlament könnte sie weiterentwickeln. In jedem Fall ist sie ein Beispiel dafür, wie man auf kreative Weise die Transparenz verbessern kann – wenn nur der Wille da ist.
Wie der Wille von Parlament und Rat aussieht, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Bis zum 15. Dezember erwartet die Bürgerbeauftragte erste Maßnahmen.
Nikola beschäftigt sich mit den Grundregeln des menschlichen Zusammenlebens. Mit Schwerpunkt im Internationalen und Europäischen Recht hat sie in Berlin und Istanbul Jura studiert. Sie fragt: Wie kann man Recht so gestalten, dass alle möglichst selbstbestimmt und frei leben können?
Nikola war bis Dezember 2016 Stammautorin bei Perspective Daily und ist seitdem Gastautorin.