Braucht Berlin ein Internetministerium?
Deutschland muss digitaler werden. Doch das muss auch jemand koordinieren.
Eigentlich willst du nur schnell online ein Buch bestellen. Aber zuerst fluchst du, weil dein Internet so lahm ist. Dann, weil dein Lieblings-Buchhändler gar keinen Online-Shop hat, und plötzlich wird der Bildschirm schwarz. Ist dein Computer gehackt worden?
Dass der Breitbandausbau noch nicht bei dir angekommen ist, darüber kannst du dich beim Verkehrsministerium beschweren. Die Digitalisierung des Einzelhandels liegt im Wirtschaftsressort, und Cybersicherheit ist ein Thema für den Innenminister. Alles wichtige Ministerien – aber während dein Bildschirm schwarz bleibt, drängt sich der Verdacht auf: Solange die mit Autobahn-Maut, Globalisierung und Terrorgefahr beschäftigt sind, wird das nix mehr mit deinem online gekauften Buch.
Das ist natürlich eine dreiste Übertreibung, aber trotzdem fordern viele, dass es endlich ein Internetministerium geben soll. Die Idee bietet große Vorteile – besonders, wenn man sich das Zuständigkeits-Wirrwarr von heute anschaut.
Was bremst die Digitalisierung aktuell?
Federführend bei der Digitalisierung ist die Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries. Ihr Haus ist nicht nur für die wirtschaftlichen Aspekte zuständig, sondern koordiniert auch die Zusammenarbeit mit den anderen Ministerien, die für die Digitalisierung wichtig sind. So fand beispielsweise am 13. Juni ein Digitalgipfel in Ludwigshafen statt. Der wichtige Teilbereich der digitalen Infrastruktur – also
Außerdem ist Justizminister Heiko Maas (SPD) häufig mit Netzpolitik
Die Digitalpolitik der Bundesregierung in Kürze: Die Wirtschaft unterstützen und machen lassen, aber das Vertrauen der Bürger nicht verlieren – irgendwie. Wozu es führen kann, wenn jeder Minister nur seinen eigenen Vorgarten im Blick hat, zeigte sich zuletzt auf dem Digitalgipfel,
Die Debatte kenne ich nicht. […] Na ja, es ist auch nicht mein Job, um ehrlich zu sein. Das ist Sache des Bundesinnenministers, fragen Sie den mal.
»Diese ganzen Ministerien stehen in Konkurrenz, deshalb sind wir nicht so richtig vorangekommen«, sagt Tabea Rößner, die in der Grünen-Fraktion im Bundestag für
Konkurrenz statt Koordination – das lässt sich auch aus dem
- E-Governance: Hier hat Deutschland besonderen Nachholbedarf. Grundsätzlich geht es darum, Verwaltungsprozesse zu digitalisieren. Das soll nicht nur den Beamten Zeit sparen, sondern auch für den Bürger bequem sein – zum Beispiel mit dem
- Breitbandausbau: Im Koalitionsvertrag ist das Versprechen verankert,
- Telemediengesetz: Dieses regelt seit dem Jahr 2007 den
- Digitale Bürgerrechte: Die aktuellste Baustelle ist die Bekämpfung von Hatespeech und Fake News im Netz. Hier verabschiedete die Bundesregierung erst kürzlich
Diese Herausforderungen lassen sich mit vereinten Kräften besser anpacken, findet auch Gesche Joost. Die Design-Professorin vertritt Deutschland als
Deutschland braucht eine Vision, wo es netzpolitisch hinwill – und einen starken Akteur, der sie mit voller Kraft umsetzt. Bühne frei für den
Vernetzt besser gestalten: Das Internetministerium
Die Idee eines
Die Empfehlung der Kommission, einen ständigen Ausschuss für Internet und digitale Gesellschaft im Parlament fest zu verankern, [halte ich] für eines der wichtigsten Ergebnisse unserer Arbeit.
4 Jahre später, bei der Bundestagswahl 2017, könnte das Internetministerium wieder möglich werden. Und das sind die besten Gründe dafür:
- Eindeutige politische Verantwortlichkeit
Die zerstückelten Zuständigkeiten bremsen die Digitalisierung in Deutschland aus. Das findet auch Joachim Bühler, Mitglied der Geschäftsleitung Politik & Wirtschaft beim Branchenverband Bitkom. Als Lösung fordert der Verband einen Staatsminister im Bundeskanzleramt.
Es gibt
Natürlich muss Digitalisierung in Zukunft in allen Ministerien eine Rolle spielen und wird in alle Ressorts eingreifen. Aber gerade bei regulatorischen Themen wie Datenschutz könnte eine Bündelung eine gezieltere und effizientere Politik ermöglichen. Aktuell können sich die 3 Minister dabei noch den Schwarzen Peter gegenseitig zuschieben, - Politische Gestaltungsmacht stärken
Digitalisierung ist vom Umfang und der Bedeutung in der Politik in den letzten Jahren enorm gestiegen. Dass ein solches Thema andere politische Interessen berührt, ist nur natürlich. Doch um hier Minimalkompromisse zu vermeiden, muss sich ein starker Akteur durchsetzen – etwa beim Breitbandausbau oder bei der
Ein Minister mit einem Ministerium im Rücken hätte hier mehr Macht, die eigene Politik durchzusetzen – und auch für den Bürger Partei zu ergreifen, etwa gegen Vorratsdatenspeicherung oder Staatstrojaner. Da reicht allein ein Ausschuss oder auch ein koordinierender Staatsminister nicht aus, um ein so großes Thema zu durchdringen und politisch durchschlagskräftig zu vertreten. - Internationale Koordination
Auf dem G20-Gipfel im Juli in Hamburg steht zum ersten Mal die Digitalisierung auf der Agenda – aus gutem Grund. Immerhin lassen sich viele Herausforderungen nur international lösen. Auch eine gemeinsame Absprache mit der EU ist vor allem bei neuen Gesetzen und Richtlinien notwendig – ganz zu schweigen davon, eine globale Digitale Agenda zu entwerfen. Bisher fehlt aber der internationale Ansprechpartner in Deutschland.
Da treten wir aktuell mit ganz unterschiedlichen Figuren auf. Eine direkte Ansprechperson wäre auch für das Ausland hilfreich, um internationale Projekte voranzubringen und auf Konferenzen zu sprechen.
- Signalwirkung
Digitalisierung ist noch nicht in allen Gesellschaftsbereichen angekommen.
Politik setzt Zeichen und zeigt, welche Themen von Rang und Gewicht sind. Digitalisierung ist ein Thema mit allumfassender Bedeutung. Eine Institution wäre hier ein richtiges und wichtiges Zeichen. Alle bedeutenden politischen Themen haben eine eigene Verankerung im Kabinett.
Digitalisierung auf Polnisch: Ministerstwo Cyfryzacji
Von Berlin aus muss man gar nicht so weit fahren, um herauszufinden, wie ein Internetministerium zugeschnitten sein könnte: In Polen gibt es eins seit dem Jahr 2011.
In seiner
Damit wollte Ministerin Anna Streżyńska aufräumen – und brachte Polen innerhalb eines Jahres im EU-Vergleich um 3 Plätze nach vorne.
Wie realistisch ist ein Bundesministerium für Digitales?
Worauf warten wir also noch, auch in Deutschland ein Digitalministerium einzurichten? Der Kanzlerkandidat der SPD im Jahr 2013, Peer Steinbrück, hatte in seinem Schattenkabinett bereits eine Digitalministerin eingeplant:
»Wenn es nach unserer Wirtschaftsministerin geht, ist der Zug abgefahren«, sagt Gesche Joost heute. Allerdings werde die Digitalagentur sehr offensiv vorangetrieben. Statt eines vollwertigen Ressorts könnte es auf einen Staatsminister hinauslaufen, glaubt Gesche Joost: »Je nach Wahlausgang gibt es da Spielräume für die Umsetzung.«
Auch der Verband Bitkom fordert einen Staatsminister als Lösung. Er steht formell nur wenig unter dem Rang eines Ministers – im Außenministerium gibt es Staatsminister, damit in wichtigen internationalen Verhandlungen der Minister nicht alles selbst regeln muss. Weiterhin gibt es derzeit nur drei Staatsminister unter der direkten Obhut der Bundeskanzlerin:
Ein vollwertiges Ministerium würde viel weiter gehen – da würde man ja ganze Abteilungen aus anderen Ministerien zusammenführen.
Bei einem Internetministerium sieht die Grünen-Sprecherin für digitale Infrastruktur, Tabea Rößner, Nachteile gegenüber einem Staatsminister-Posten, der nur die Koordination zwischen Ressorts übernimmt:
Jeder muss in der Digitalisierung seine Hausaufgaben machen in seinem Bereich, und gleichzeitig sollte es eine koordinierende Stelle geben. Das sollte direkt im Kanzleramt erfolgen, weil es dort eine andere Bedeutung hat, als wenn es unter einem einzelnen Ministerium koordiniert wird.
Die meisten Befürworter eines Internetministeriums kommen aus den Reihen der Union: CSU-Minister Alexander Dobrindt brüskiert mit dieser Forderung regelmäßig seine
Auf Landesebene hat die CDU in diesem Jahr bereits einmal ein Internetministerium gefordert:
Dieses Beispiel zeigt: Die Meinungen zum Internetministerium verlaufen nicht unbedingt parallel zu den Parteilinien. Bei Union, SPD und Grünen gehen die Meinungen auseinander. In der FDP,
Ob es dann einen Internetminister geben wird oder »nur« einen Staatsminister für Digitales, hängt stark vom Wahlausgang ab. Die Chancen stehen aber gut, dass dann jemand hauptberuflich am Kabinettstisch sitzt, um die Digitalisierung von A bis Z zu koordinieren. Vielleicht ist bis dahin auch das Buch angekommen, das du im Internet bestellt hast.
Mit Illustrationen von Malte Zirbel für Perspective Daily