Interventionen in Syrien: Legal, illegal, voll egal?
Die USA bombardiert, Russland interveniert, Assad massakriert. Dürfen die das?
Stelle dir vor, russische Militärpolizisten würden in Hamburg patrouillieren. Schleswig-Holstein stünde unter Kontrolle der türkischen Armee. In Hannover würden tausende islamistische
Ungefähr so kann man sich die Situation in Syrien vorstellen, das wohlgemerkt nur etwa halb so groß ist wie die Bundesrepublik.
Im Syrienkrieg mischen viele Länder mit. Aber welches von ihnen hat eigentlich das Recht dazu, zu intervenieren? Gibt es angesichts hunderttausender Toter in dem seit 6 Jahren tobenden Krieg gar die juristische Pflicht zur Einmischung?
Das Völkerrecht bezweckt, auch im Chaos des Krieges Antworten auf diese Fragen zu finden. In der Praxis ist das verhältnismäßig junge Rechtsgebiet oft nur so stark, wie die Staaten es zulassen. Auf manch eine Frage gibt es auch in der Theorie – noch – keine klaren Antworten. Dennoch zeigt ein völkerrechtlicher Blick auf den Syrienkrieg: Längst nicht alles, was legal scheint, ist es auch.
Wer sagt, was recht ist?
Die völkerrechtliche Einordnung ist wichtig, weil das Völkerrecht die Grundlage für das zwischenstaatliche Miteinander bildet und seine Entwicklung die Weltpolitik maßgeblich beeinflusst. Ganz praktisch sehen ließ sich das im Jahr 2011. Damals berief sich der UN-Sicherheitsrat auf ein zuvor etabliertes völkerrechtliches Konzept, um die Intervention gegen das Regime von Muammar al-Gaddafi in Libyen zu rechtfertigen. Die Maßnahmen des UN-Sicherheitsrats wurde von vielen Seiten als Regime-Change kritisiert, weil im Rahmen des eigentlichen Auftrags – Zivilisten zu schützen und Gewalt einzudämmen –
Zu den Schwächen des Völkerrechts zählt der hohe Aufwand, das Recht durchzusetzen.
Mit Blick auf Syrien zeigt sich:
Doch wer darf dann überhaupt eingreifen? Und
Diese Fragen diskutiere ich mit dem Völkerrechtler Christian Schaller von der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Was wir in Syrien sehen, ist ein Bürgerkrieg mit einem erheblichen Ausmaß an Gewalt. In so einem Stadium ist es völkerrechtlich umstritten, ob ein Staat noch externe Hilfe anfordern darf, da er sich bereits in einem bewaffneten Konflikt mit Aufständischen befindet. Zum anderen ist auch nicht ganz klar, ob nicht das
Prinzipiell gibt es Völkerrechtler, die sagen, dass das Verbot direkter militärischer Hilfe von außen in einem Bürgerkrieg in Bezug auf alle Kriegsparteien gilt. Es gibt auch solche, die sagen, die Regierung dürfe immer Hilfe anfordern. In diesem Zusammenhang wird jedoch eingeräumt, dass die Grenzen verschwimmen. Wenn 2 Gruppierungen um den Regierungsstatus kämpfen, ist es Auslegungsfrage, wer Regierung ist und wer nicht. Dafür gibt es keine festen Kriterien.
Das Konzept der völkerrechtlichen Schutzverantwortung besagt, dass die internationale Gemeinschaft einschreiten soll, wenn Staaten dazu nicht mehr willens oder in der Lage sind. Über die Folgen dieses Ansatzes herrscht nach wie vor kein Konsens. Die Schutzverantwortung fußt auf 3 Säulen:
- Zuerst die primäre Verpflichtung zum Schutz der Bevölkerung.
- Die zweite Säule bezieht sich auf die Frage, wie man Staaten dabei unterstützen kann, ihre Bevölkerung zu schützen
- Die dritte Säule ist der kontroverseste Punkt: Ist die internationale Gemeinschaft unter bestimmten Umständen verpflichtet einzugreifen? Gibt es möglicherweise ein Recht auf
Theoretisch ist es zwar nicht ausgeschlossen, so zu argumentieren, im Fall Syriens sind die Verstöße des Regimes gegen Menschenrechte und das Völkerrecht aber zu offensichtlich, um eine Intervention als »Capacity Building« deklarieren zu können. Ohnehin macht man sich im Fall Syriens gar nicht erst die Mühe, solche Rechtfertigungen heranzuziehen.
Die Zuschreibung oder das Absprechen von Legitimität sind moralische Bewertungen, die letztlich über die Legalitätsfrage hinausgehen. Im Fall der syrischen Regierung kann man klar feststellen, dass einzelne Handlungen sehr schwere Völkerrechtsverletzungen darstellen. In dieser Hinsicht würde ich die Regierung als illegitim bezeichnen, es gibt für diese Beurteilung aber keine festgelegten Maßstäbe.
Setzen, 6?
Ganz schön viel Inhalt in diesen 6 Antworten. Fassen wir zusammen:
- Russland hat aus völkerrechtlicher Sicht keinen Freibrief für seine Militärkampagne in Syrien, obwohl das Assad-Regime die Intervention gutheißt.
- Die Unterstützung der USA für die YPG ist völkerrechtlich problematisch, weil die YPG eine Bürgerkriegspartei ist und nicht nur den IS bekämpft.
- Trotz der Menschenrechtsverletzungen durch das Assad-Regime hat der syrische Staat seine Souveränität nicht verloren. Jegliche militärischen Interventionen, die nicht vom Sicherheitsrat beschlossen wurden, stehen rechtlich auf äußerst wackeligen Beinen.
- Die Legitimität der Assad-Regierung misst sich nicht danach, auf welche Weise sie gewählt wurde oder ob ihre Vertreter Plätze in der UN-Generalversammlung besetzen, sondern danach, ob sie sich in einem hohen Maß völkerrechtswidrig verhält.
Die Ausführungen von Christian Schaller machen deutlich, wie unterschiedlich das Völkerrecht von den verschiedenen Akteuren im Syrienkrieg gemäß ihren Interessen ausgelegt wird –
Als ein Instrument, um Konflikte zu handhaben und Menschenleben zu schützen, hat das Völkerrecht samt seinen tragenden Institutionen im Fall Syriens versagt. Mehr als 400.000 Tote und andauernde Menschenrechtsverletzungen vonseiten aller Konfliktparteien lassen daran wenig Zweifel.
Das akute Versagen im Fall Syriens ist aber kein Beleg für die Bedeutungslosigkeit des Völkerrechts.
Der kleinste gemeinsame Nenner
Im Syrienkrieg spielt das Völkerrecht, trotz seines teilweisen Versagens, eine wichtige Rolle. Das zeigt sich ganz praktisch im Bereich der humanitären Hilfe. Hunderttausende Syrerinnen und Syrer
Solche Erfolge sind begrenzt und angesichts des immensen Leides in der gesamten Region kein Anlass für Luftsprünge. Doch sie existieren und die politischen Beziehungen der beteiligten Länder fußen auf Normen, die gemeinsam im Rahmen eines kollektiven Sicherheitssystems etabliert wurden.
Diese Normen sind in einer prinzipiell anarchischen Welt so etwas wie der kleinste gemeinsame Nenner und bilden den Rahmen für unverzichtbaren Dialog – ganz gleich, wie desillusionierend die Ergebnisse im Einzelfall aussehen mögen.
Der Glaube an die säkulare Erlösung
Nach wie vor ist das Völkerrecht das de facto effektivste Instrument zur Beilegung internationaler Konflikte. Und nach wie vor ist seine Wirkungsmacht oft ernüchternd.
Wie aber ließe sich daran etwas verbessern? Ein wichtiger Teil der Antwort auf diese Frage liegt in einem »Glauben an säkulare Erlösung«. Die britische Theoretikerin Margaret Canovan hat
Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Völkerrecht. Doch der Appell, den Glauben an das Völkerrecht und seine Unverzichtbarkeit zu stärken, klingt erst einmal schwammig.
Der Fall Libyens im Jahr 2011 hat gezeigt, dass es auf internationaler Ebene den Willen zur Schutzverantwortung durchaus gibt. Das überdehnte Mandat hat außerdem gezeigt, welchen Schaden das Völkerrecht und die UN nehmen können, wenn die gemeinsam entschiedenen Maßnahmen missbraucht werden. Solchen Missbrauch gilt es zukünftig zu verhindern.
Schon heute sind (in der Theorie) vor dem Völkerrecht alle Staaten gleich. In der Praxis ist es bis dahin noch ein weiter Weg. Der Krieg in Syrien zeigt: Jeder Schritt zählt.
Titelbild: flickr / U.S. Department of Defense - public domain