Wo die EU aufhört, darf der Frieden nicht enden
Nach dem Brexit wird quer durch Irland eine EU-Außengrenze verlaufen. Das gefährdet den Frieden im Norden – aber Brüssel und London sitzen bereits an der Lösung.
Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten – oder?
Mit der deutsch-deutschen Teilungsgeschichte im Hinterkopf ist die Anspannung etwas leichter zu begreifen. Nehmen wir an, auf der A2 zwischen Marienborn und Helmstedt würde plötzlich wieder jeder seinen Pass zeigen müssen. Und wir müssten auf jede Gewürzgurke und für jede Banane zwischen Ost und West plötzlich wieder Zoll zahlen.
In Deutschland ist das reine Fiktion. Ganz reale Zukunftsängste plagen jedoch Nordirland, seitdem das Vereinigte Königreich seinen
Das alles an einer Grenze, die den
Bevor dir der Kopf schwirrt vor lauter Politik und Geschichte, mache ich dir ein Angebot: Ich erkläre dir auf unserer Reise durch Nordirland alles von Anfang an. Wenn du schon einiges über den Konflikt weißt, kannst du diese Erläuterung einfach ausblenden.
Zur Auffrischung: Was du über den Nordirlandkonflikt wissen musst, um diese Geschichte zu verstehen
Mal ganz von vorne: Was du über den Nordirlandkonflikt wissen musst, um diese Geschichte zu verstehen
Diese Akteure auf beiden Seiten solltest du dir für die nächsten Minuten gut einprägen:
- Republikaner (auch: irische Nationalisten) – der überwiegend katholische Teil der Bevölkerung, der sich zur Republik Irland zugehörig fühlt. Wichtigste republikanische Partei ist Sinn Féin, wichtigste militante Gruppe auf republikanischer Seite ist die
- Unionisten (auch: Loyalisten, Royalisten) – der überwiegend protestantische Teil der Bevölkerung, dessen Vorfahren meist aus Großbritannien übergesiedelt waren und der loyal zur britischen Krone ist. Wichtigste Partei ist die Democratic Unionist Party (DUP), wichtigste militante Gruppe sind die Ulster Volunteer Forces (UVF).
Die Vorgeschichte beginnt vor gut 400 Jahren, als protestantische Engländer und Schotten systematisch den nördlichen Teil der von Katholiken bewohnten irischen Insel, die Provinz Ulster, besiedeln. Zu diesem Zeitpunkt hat Irland ein eigenes Parlament, das jedoch dem britischen
Als Sinn Féin im Jahr 1918 etwa 80% der irischen Sitze im Londoner Unterhaus gewinnt, bleiben die Abgeordneten in Irland und bilden dort ein eigenes Parlament. London erkennt dieses Parlament jedoch nicht an; Irland schlittert in einen Unabhängigkeitskrieg. Er endet im Jahr 1921 mit einer Schlichtung, in der der größere südliche Teil der Insel zu einem Freistaat wird und der Nordosten ein britischer Landesteil bleibt – es handelt sich um die übrigen 20% der Wahlkreise, die im Jahr 1918 nicht an die republikanische Partei Sinn Féin, sondern an protestantische
Einige protestantische Unionisten in Nordirland befürchten im Jahr 1966, die IRA könnte zum 50. Jahrestag des Osteraufstands Anschläge verüben. Also gründen sie die Ulster Volunteer Force (UVF), die ihrerseits Anschläge auf republikanische Katholiken verübt.
Zeitgleich zum
Es geht weiter mit einem Referendum über den Anschluss an die Republik Irland, das die meisten Katholiken jedoch
In den 1980er-Jahren höhlen die Briten katholische und protestantische Splittergruppen aus, indem sie Mitgliedern als Kronzeugen Straffreiheit gewähren, wenn sie gegen ihre Organisation auspacken. Nach ein paar verhältnismäßig ruhigen Jahren schaukeln sich Gewalt und Bomben wieder hoch, bis die Irish Republican Army (IRA)IRA im Jahr 1996 eine
- Militante Gruppen beider Seiten legen die Waffen nieder.
- Nordiren können gleichzeitig sowohl die britische als auch die irische Staatsbürgerschaft annehmen.
- An der nordirischen Regionalregierung sind immer republikanische und unionistische Parteien beteiligt.
- Die Republikaner in Nordirland, aber auch die Republik selbst akzeptieren den Status als Teil des Vereinigten Königreichs, solange sich nicht eine Mehrheit der Nordiren und der Iren für eine Angliederung an die Republik aussprechen. Dann müssten London und Belfast dem Wunsch Folge leisten.
Seitdem herrscht – eine Handvoll
- Die Politik, die derzeit sehr mit sich selbst beschäftigt ist, muss bei allen Machtkämpfen besonnene Entscheidungen treffen, anstatt weiter zu spalten.
- Besonders wichtig, vor allem für katholische Republikaner, sind die
Ist der Friedensprozess politisch bedroht?
Die Politik, weder in Belfast noch in London, ist gerade nicht besonders führungsstark. Im Gegenteil: In Belfast hakt die Bildung einer Regionalregierung, und in London bedroht ein schmieriger Deal das Karfreitagsabkommen.
Im Regionalparlament in Belfast müssen dem Karfreitagsabkommen gemäß immer Republikaner und Unionisten gemeinsam regieren. Nachdem die republikanische Sinn Féin im Januar dieses Jahres die Koalition aufkündigte, sind die Verhandlungen seit den Neuwahlen im März ergebnislos geblieben. Das Ultimatum ist am 29. Juni verstrichen und wurde mit letzter Gnadenfrist auf den 3. Juli vertagt. Über das Wochenende gab es zwar
In London hat es nach den vorgezogenen
Auch in Nordirland hat sich bei der britischen Unterhauswahl etwas getan: Die 18 Wahlkreise gingen –
Dass May ihre Macht nun ausgerechnet mit Stimmen aus Nordirland stützt, ist ein besonderes Politikum: Im Karfreitagsabkommen hatte sich die britische Regierung zu absoluter Neutralität verpflichtet – diese sieht die republikanische
Gefährdet ein schräger Deal über 1,5 Milliarden Pfund den Friedensprozess? Darüber gehen die Meinungen auseinander. Nur zur Erinnerung: Das Karfreitagsabkommen stellt den Nordiren ein Referendum in Aussicht, das mit der Zustimmung der Mehrheit einen Anschluss an die Republik ebnen würde. Elodie Fabre sagt: »Etwas Bedeutsames muss sich ändern, damit ein Referendum gerechtfertigt wäre.« Eine Klage allein ist noch kein bedeutsames Ereignis, das ein Nordirland-Referendum auslöst. Selbst wenn sie Erfolg hätte oder aus irgendeinem anderen Grund ein Referendum über die Zukunft Nordirlands ausgerufen würde, würde das nicht automatisch alles infrage stellen:
Laut den jüngsten Umfragen unterstützen rund 40% der Wähler die republikanischen Parteien. Sie alle müssten dafür stimmen, das Vereinigte Königreich zu verlassen. So ziemlich alle Unionisten müssten für einen Verbleib stimmen … Wenn wir morgen ein Grenz-Referendum hätten, glaube ich nicht, dass es zu einem geeinten Irland käme.
Wobei sowohl die jüngsten britischen Unterhauswahlen als auch
Offene Grenzen, freier Handel
Frieden in Nordirland ist, wie fast überall in Europa, auch ein Ergebnis offener Grenzen: Sie sorgen für Wohlstand und damit Arbeitsplätze auf beiden Seiten. Nordirlands Wirtschaft ist zwar stark nach Großbritannien ausgerichtet, aber immerhin jeder sechste Export-Euro geht nach Irland oder ins übrige EU-Ausland.
Der »harte Brexit«, den Theresa May anstrebt, führt fast zwangsläufig zu Grenzkontrollen – sie will nicht nur aus der EU,
Elodie Fabre rechnet nicht damit, dass der Brexit kurzfristig ein Erfolg werden kann, sondern allenfalls mittel- oder langfristig. Aus wirtschaftlicher Sicht wäre eine Teilung der miteinander verbundenen irischen Teilstaaten schlecht für beide Beteiligten. Viele Bürger rüsten sich bereits für den Grenzübertritt:
Briten raus, Grenzen dicht?
Niemand will eine Grenze – weder die EU noch die britische Regierung. Dass Nordirland keine Regierung hat, ist nicht weiter schlimm, weil es keines weiteren Drucks bedarf.
Fassen wir zusammen: Nicht nur der Friedensprozess, sondern auch die Wirtschaft ist auf offene Grenzen angewiesen. Die Politik in Großbritannien und Nordirland steckt im Chaos – aber praktischerweise werden die wirklich wichtigen Entscheidungen zum Brexit sowieso in Brüssel getroffen. Die extrem komplizierten Verhandlungen zwischen Brexit-Minister David Davis und EU-Unterhändler Michel Barnier haben
- Der Status der gut 3 Millionen EU-Bürger im Vereinigten Königreich,
- die finanziellen Forderungen der EU gegenüber London,
- die Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland.
Das kleine Nordirland als Top-Priorität – die Verhandlungsführer in Brüssel und London wissen, wie sensibel der Brexit dort ist. Deshalb arbeiten sie an einem speziellen Abkommen.
Wie das konkret ausgestaltet sein wird, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht seriös zu beantworten. Aber
Titelbild: David Ehl - copyright