Wenn du an Depression denkst, solltest du dieses Bild im Kopf haben
Hilflos und verzweifelt – so werden Menschen mit Depression meist dargestellt. Warum und wie wir das ändern können.
Ich starre in einem kühlen Arztzimmer auf ein farbenfrohes Gemälde an der Wand gegenüber. Ich fühle mich wie betäubt. Die Morgensonne verirrt sich in den Raum, doch ich will nur zurück ins Bett. Meine Gedanken kreisen um die Sinnlosigkeit des Lebens, während die Ärztin ihre Unterlagen durchsieht. Mich hierher zu schleppen, hat bereits all meine geistige Kraft für den Tag verbraucht. 2 Jahre ist es her, als sie zu mir sagt:
»Sie haben eine Depression.«
Hast du das auch gespürt? Das unwohle Gefühl, das dieses Wort in dir auslöst? Keine Sorge: In diesem Text wird es vor allem um Mut gehen – genauer gesagt um die
Was haben Depressionen mit einer Fahrradtour zu tun?
Einmal im Jahr fahren bei der Mut-Tour Menschen mit und ohne Depression gemeinsam auf Tandems durch Deutschland. Trägerverein der Tour ist die
Das ist dringend nötig, wenn man bedenkt, dass weltweit fast jeder Fünfte einmal in seinem Leben an einer Depression erkrankt. Eine durchschnittliche Depression bleibt 6–8 Monate, aber bei 15–25% wird sie chronisch. In Deutschland sind es aktuell mehr als 4 Millionen Menschen,
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Wie erkennst du eine Depression?
Jeder ist mal traurig oder niedergeschlagen, jeder fühlt sich manchmal energielos oder erschöpft. Das hat wenig mit einer Depression zu tun und viel mit den normalen Höhen und Tiefen des Lebens. Erst wenn verschiedene
- Konzentrationsstörungen
- mangelndes Selbstwertgefühl
- Schuldgefühle
- pessimistische Zukunftsperspektiven
- Suizidgedanken
- Schlafstörungen
- Appetitverminderung
zusammen vor, wird eine
Wie entsteht eine Depression?
Warum Menschen depressiv werden, hat viele Gründe; die Wissenschaft hat noch keine definitive Antwort, welche Faktoren wie zusammenspielen. Sicher ist, dass es
Ist das heilbar?
Eine Therapie setzt meist an 2 Punkten gleichzeitig an: Medikamente (Antidepressiva) kümmern sich auf direktem Wege um die
Es ist okay, wenn nicht immer alles okay ist
2011 merkte ich, dass ich meinen Alltag nicht mehr meistern konnte. Ich schlief kaum noch und verlor meinen Antrieb, obwohl das Wetter schön war – sogar im Urlaub. Ich hatte damals konkrete Suizidgedanken. Aber mir diese Schwäche einzugestehen, zu sagen ›ja, ich bin krank‹, war sehr schwer für mich – und ist es auch heute noch.
Anna weiß, dass sie Glück hatte: Ihr Hausarzt erkannte die Krankheit und verwies sie an eine Psychotherapeutin. Im Schnitt warten Patienten in Deutschland 3 Monate auf eine Behandlung, bei Anna waren es nur 2 Wochen. 2 Jahre später wurde sie aus der Therapie entlassen, doch depressive Episoden kehren auch heute noch immer wieder zurück.
Ich habe bis heute schwere Phasen – meine Depression scheint mich zu begleiten. Inzwischen fällt es mir jedoch leichter, um Hilfe zu bitten. Enge Freunde und meine Familie wissen davon.
Auch wenn sie inzwischen offen mit ihrer Krankheit umgeht und Menschen ermutigt, denen es ähnlich geht, macht sie deutlich: Es braucht Zeit, um wieder im Alltag anzukommen. Eine große Herausforderung für viele Depressive. In der Arbeitswelt wird das Thema häufig verschwiegen, weil es unmöglich erscheint, Schwäche zu zeigen. Vielleicht ist es nur ein »kleiner Burn-out« und es liegt sicher an der vielen Arbeit und dem Stress. Anna kennt den Konflikt zwischen Transparenz und Stigmatisierung. Selbst eingeweihte Personen reagieren oft mit Vorwürfen.
›Du bist selber schuld. Stelle dich nicht so an!‹, hörte ich damals von meiner Vorgesetzten. Bis heute kann ich über manche Reaktionen nur den Kopf schütteln.
Diese 4 Gründe tragen zum Unverständnis bei
Dass psychische Erkrankungen bei vielen Menschen noch immer mulmige Gefühle auslösen, hat mehr als einen Grund.
- Unsichtbar: Wie sieht eigentlich ein Depressiver oder ein Schizophrener aus? Das lässt sich kaum über Äußerlichkeiten beschreiben.
Depressionen können eben nicht einfach durch eine Blutabnahme diagnostiziert werden. Diese Ungewissheit macht vielen Menschen Angst.
- Unbekannt: Gerade weil sie unsichtbar sind, wissen viele Menschen wenig über Depressionen und andere psychische Erkrankungen. Hinzu kommt, dass viel Halbwissen und Unfug kursiert, der dann zu Schuldzuweisungen führt. In die Schlagzeilen schafft Depression es nur, wenn sie Prominente wie Schauspieler
Leider bleiben negative Berichte länger in unseren Köpfen. Wirft ein Mensch sich vor einen Zug, bleibt der Kommentar ›Wie kann man nur so egoistisch sein?‹ eher hängen als die Frage, was dieser Mensch wohl erleiden musste. So werden die Schuldzuweisungen und die Stigmatisierung immer stärker.
- Ausgeschlachtet: Was haben
- Überzeichnet: Für den gemeinen Bösewicht einer Story braucht es wenig. Man nehme eine psychische Krankheit und zaubere so eine perfekte Motivation für seine Gräueltaten herbei. Sie begegnen uns so als
Eine Depression ist belastend – für den Erkrankten sowie für die Mitmenschen. Aufklärung würde die Kommunikation verbessern, dabei ist wichtig zu wissen, was Depressionen sind, was es bedeutet, Depressionen zu haben, und wie Mitmenschen am besten helfen können. […] Wir versuchen, gemeinsam mit Journalisten und Interessierten die Stigmatisierung von Depressionen zu verändern.
Nach einer Depression wieder fest im Sattel sitzen
Bevor es losgeht, treffen sich alle zu einem »Mut-Wochenende«, um sich kennenzulernen und Workshops über Depression und Öffentlichkeitsarbeit zu belegen. Jeder, der ein Belastungs-EKG besteht und psychisch und körperlich fit ist, kann sich bewerben und mitradeln. Immer 6 Menschen mit und ohne Depressionserfahrung fahren auf Tandems
Das Radeln hat den Vorteil, dass sich nicht nur die Teilnehmer austauschen, sondern auch Passanten einbezogen werden und Infostände entlang der Route organisiert werden können. Wer nicht live dabei ist, liest vielleicht in seiner Lokalzeitung davon.
Zelte und Verpflegung sind im Gepäck.
Hinzu kommt,
Gemeinschaft, Struktur, Natur und Bewegung sind Grundsäulen der Mut-Tour. […] Wir sind keine Therapie – wir fahren mit keinen akut Erkrankten. Täglich kommen wir an körperliche Grenzen und wachsen über diese hinaus, das schaffen nicht alle.
Niemand wird zurückgelassen, aber Schwäche ist erlaubt. Als eine Teilnehmerin in Annas Gruppe nicht mehr kann und die anderen das mitbekommen, ändert der Trupp am Abend die geplante Route. Am nächsten Tag gibt es einen Schlenker zum nächsten Bahnhof, sodass die Teilnehmerin mit dem Zug zum Tagesziel fahren kann – ein Begleitauto gibt es nicht.
Es geht vielmehr um die Botschaft, dass wir es schaffen und mit der Krankheit leben können. Wir sind fähig, in einer Gemeinschaft zu agieren, halten uns an gewisse einfache Tagesstrukturen, um die körperliche Herausforderung zu meistern, und gehen offen damit um.
Natürlich ist die Mut-Tour nur ein Puzzleteil in einem verbesserten Umgang mit Depressionen und psychischen Krankheiten. Sie verändert den Umgang der Teilnehmer damit, sie gibt dem Mann auf der Straße, der der Gruppe begegnet, eine neue Perspektive auf die Krankheit und verändert vielleicht auch die Berichterstattung des Journalisten, der Anna interviewt hat.
Vielleicht verändert sie auch dich, während du gerade im Zug zur Arbeit, am Frühstückstisch oder auf dem Sofa liegend diesen Artikel liest.
Das Beste ist es, die Unsicherheit beim Umgang mit depressiven Menschen anzusprechen. Wenn ein Freund dir erzählt, dass er an Depression leidet, dann lieber ein ehrliches ›Ich weiß gar nicht, wie ich damit umgehen soll‹ als ein uninformierter Kommentar. Behandle Menschen, die an Depression erkrankt sind, ganz ›normal‹, weder mit gespieltem Fingerspitzengefühl noch mit Berührungsangst.
Vor 2 Jahren litt ich an einer Krankheit, die mein Leben verändert hat. Heute weiß ich, dass ich mich für meine Depression nicht schämen muss. Und obwohl heute meine Monster wieder unterm Bett und nicht in meinem Kopf schlafen, ist diese Krankheit ein Teil von mir und das ist okay.
Titelbild: Mut-Tour - copyright