Wenn du an Depression denkst, solltest du dieses Bild im Kopf haben
Hilflos und verzweifelt – so werden Menschen mit Depression meist dargestellt. Warum und wie wir das ändern können.
Ich starre in einem kühlen Arztzimmer auf ein farbenfrohes Gemälde an der Wand gegenüber. Ich fühle mich wie betäubt. Die Morgensonne verirrt sich in den Raum, doch ich will nur zurück ins Bett. Meine Gedanken kreisen um die Sinnlosigkeit des Lebens, während die Ärztin ihre Unterlagen durchsieht. Mich hierher zu schleppen, hat bereits all meine geistige Kraft für den Tag verbraucht. 2 Jahre ist es her, als sie zu mir sagt:
»Sie haben eine Depression.«
Hast du das auch gespürt? Das unwohle Gefühl, das dieses Wort in dir auslöst? Keine Sorge: In diesem Text wird es vor allem um Mut gehen – genauer gesagt um die Hier geht es zur Website der Mut-Tour Mut-Tour. Und um ihr erklärtes Ziel, Vorurteile gegenüber abzubauen.

Was haben Depressionen mit einer Fahrradtour zu tun?
Einmal im Jahr fahren bei der Mut-Tour Menschen mit und ohne Depression gemeinsam auf Tandems durch Deutschland. Trägerverein der Tour ist die Die Deutsche DepressionsLiga ist ein eingetragener Verein und vertritt deutschlandweit an Depressionen erkrankte Menschen Deutsche DepressionsLiga, die unter anderem vom ADFC, der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und der Barmer unterstützt wird. In den vergangenen 5 Jahren sind 126 Menschen in 41 Etappen insgesamt 22.000 Kilometer geradelt. Übernachtet wird in Zelten. Route und Verpflegung planen die Teilnehmer selbst. Nebenbei geben sie Interviews, sodass schon fast 1.500-mal darüber berichtet wurde. Artikel über Depression deprimieren – Artikel über die Mut-Tour machen Menschen mit Depressionen Mut und holen ihre Krankheit aus dem Unangenehmen heraus.
Das ist dringend nötig, wenn man bedenkt, dass weltweit fast jeder Fünfte einmal in seinem Leben an einer Depression erkrankt. Eine durchschnittliche Depression bleibt 6–8 Monate, aber bei 15–25% wird sie chronisch. In Deutschland sind es aktuell mehr als 4 Millionen Menschen, The Washington Post hat eine Weltkarte zum Vorkommen diagnostizierter schwerer Depressionen (englisch, 2013) was im globalen Vergleich verhältnismäßig gering ist. Das Land mit den aktuell meisten diagnostizierten Depressionen ist Afghanistan,
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Wie erkennst du eine Depression?
Jeder ist mal traurig oder niedergeschlagen, jeder fühlt sich manchmal energielos oder erschöpft. Das hat wenig mit einer Depression zu tun und viel mit den normalen Höhen und Tiefen des Lebens. Erst wenn verschiedene
mindestens 2 Wochen vorliegen, besteht ein begründeter Verdacht auf eine Depression. Liegen alle diese 3 Hauptsymptome und mindestens 4 Nebensymptome wie- Konzentrationsstörungen
- mangelndes Selbstwertgefühl
- Schuldgefühle
- pessimistische Zukunftsperspektiven
- Suizidgedanken
- Schlafstörungen
- Appetitverminderung
zusammen vor, wird eine
– wie schwer sie ist, wird an der Anzahl von Haupt- und Nebensymptomen definiert. Depressionen gehören wie die Bipolare Störung und die Manie zu den bei denen Stimmung und Antrieb Betroffener sehr stark schwanken. In den schlimmsten Fällen endet eine Depression mit demWie entsteht eine Depression?
Warum Menschen depressiv werden, hat viele Gründe; die Wissenschaft hat noch keine definitive Antwort, welche Faktoren wie zusammenspielen. Sicher ist, dass es Die Suizidunterschiede zwischen Männern und Frauen zeigt der deutsche Männergesundheitsbericht (2013) Männer 3-mal so häufig Suizid begehen.
sondern häufig hinzukommen. Dazu zählen und aber auch das Geschlecht: wobeiIst das heilbar?
Eine Therapie setzt meist an 2 Punkten gleichzeitig an: Medikamente (Antidepressiva) kümmern sich auf direktem Wege um die Maren Urner schreibt über Angststörungen, deren Behandlung der Therapie gegen Depressionen ähnelt Angststörung wird oftmals eine Hier findest du Hintergrundinformationen zur kognitiven Verhaltenstherapie kognitive Verhaltenstherapie eingesetzt, in der der Patient gelernte, ungesunde Verhaltensmuster wie zum Beispiel den ständigen Gedanken »Ich bin nicht genug!« analysiert und versucht, dies in einen positiveren Gedanken umzudenken.
während eine Verhaltens- und Psychotherapie dem Erkrankten bei langfristigen Veränderungen hilft. Wie bei einerHier findest du eine wissenschaftliche Einordnung zur Rückfallprophylaxe bei Depression (2008) Nach einer einzelnen depressiven Episode beträgt das Rückfallrisiko 50%, Über Fakten wie diese versucht die Mut-Tour durch ihre Öffentlichkeitsarbeit zu informieren.

Es ist okay, wenn nicht immer alles okay ist
ist Mitte 40, arbeitet im sozialen Bereich und ist als ehrenamtliche Helferin schon 3-mal bei der Mut-Tour mitgefahren. Ich treffe sie online für ein Interview und sie erzählt mir ihre Geschichte.
– Anna
Anna weiß, dass sie Glück hatte: Ihr Hausarzt erkannte die Krankheit und verwies sie an eine Psychotherapeutin. Im Schnitt warten Patienten in Deutschland 3 Monate auf eine Behandlung, bei Anna waren es nur 2 Wochen. 2 Jahre später wurde sie aus der Therapie entlassen, doch depressive Episoden kehren auch heute noch immer wieder zurück.
– Anna
Auch wenn sie inzwischen offen mit ihrer Krankheit umgeht und Menschen ermutigt, denen es ähnlich geht, macht sie deutlich: Es braucht Zeit, um wieder im Alltag anzukommen. Eine große Herausforderung für viele Depressive. In der Arbeitswelt wird das Thema häufig verschwiegen, weil es unmöglich erscheint, Schwäche zu zeigen. Vielleicht ist es nur ein »kleiner Burn-out« und es liegt sicher an der vielen Arbeit und dem Stress. Anna kennt den Konflikt zwischen Transparenz und Stigmatisierung. Selbst eingeweihte Personen reagieren oft mit Vorwürfen.
– Anna
Diese 4 Gründe tragen zum Unverständnis bei
Dass psychische Erkrankungen bei vielen Menschen noch immer mulmige Gefühle auslösen, hat mehr als einen Grund.
- Unsichtbar: Wie sieht eigentlich ein Depressiver oder ein Schizophrener aus? Das lässt sich kaum über Äußerlichkeiten beschreiben.
Eine der Studien zum Zusammenhang zwischen Entzündungen und Depression (englisch, 2016)
als ein gebrochenes Bein oder eine Virusinfektion.
Manche Menschen glauben sogar, eine Depression sei keine echte Krankheit.
- Unbekannt: Gerade weil sie unsichtbar sind, wissen viele Menschen wenig über Depressionen und andere psychische Erkrankungen. Hinzu kommt, dass viel Halbwissen und Unfug kursiert, der dann zu Schuldzuweisungen führt. In die Schlagzeilen schafft Depression es nur, wenn sie Prominente wie Schauspieler
Die britische Kampagne von »Time To Change« liefert alternative Bilder für die Berichterstattung über psychische Krankheiten (englisch)
helfen nicht dabei, dem entgegenzuwirken.
- Ausgeschlachtet: Was haben
Hier findest du die Zusammenfassung der Analyse zur medialen Stigmatisierung (2016)
Tatsächlich zeigte eine Untersuchung der Zeitungsartikel
über den Flugzeugabsturz, Eine solche Berichterstattung führt dazu,
Untersuchung zur Wahrnehmung von Depressionen nach dem Flugzeugabsturz in Deutschland (englisch, 2015)
dass viele Menschen Erkrankte für unberechenbar und gefährlich
- Überzeichnet: Für den gemeinen Bösewicht einer Story braucht es wenig. Man nehme eine psychische Krankheit und zaubere so eine perfekte Motivation für seine Gräueltaten herbei. Sie begegnen uns so als SPON berichtet über die Funde von Eva-Maria Fahmüller im deutschen Fernsehen sind psychisch Kranke häufig gewalttätige und unberechenbare Täter oder Verdächtige. Die Mut-Tour setzt sich gezielt für den Abbau solcher Stigmata ein. oder – alle 3 leiden zwar nicht an Depressionen, sind aber psychisch krank. Besonders gewalttätig werden Patienten Auch in der deutschen Filmlandschaft inklusive hoher Krimi-Dichte
– Anna
Nach einer Depression wieder fest im Sattel sitzen
Bevor es losgeht, treffen sich alle zu einem »Mut-Wochenende«, um sich kennenzulernen und Workshops über Depression und Öffentlichkeitsarbeit zu belegen. Jeder, der ein Belastungs-EKG besteht und psychisch und körperlich fit ist, kann sich bewerben und mitradeln. Immer 6 Menschen mit und ohne Depressionserfahrung fahren auf Tandems
durch Deutschland.Das Radeln hat den Vorteil, dass sich nicht nur die Teilnehmer austauschen, sondern auch Passanten einbezogen werden und Infostände entlang der Route organisiert werden können. Wer nicht live dabei ist, liest vielleicht in seiner Lokalzeitung davon.
Zelte und Verpflegung sind im Gepäck.
Wenn kein Interview auf dem Terminkalender steht, schlagen die Radler die Zelte dort auf, wo es ihnen gefällt. Da schläft die Sportmanagerin schon mal gemeinsam mit der Rentnerin in einem Zelt. Oder es kocht der junge Krankenpfleger mit dem gestanden Architekten das Abendessen. Die Teilnehmer sind den ganzen Tag im Freien und sammeln täglich neue Erfahrungen. Zur psychischen Herausforderung kommt die körperliche, denn abends stehen immer 60 Kilometer auf dem Tacho. Die Kontinuität gibt den Teilnehmern Halt.Hinzu kommt, Meta-Studie zu den positiven Auswirkungen von Bewegung auf Depressionen (englisch, 2004) dass Bewegung mittlerweile häufig als Therapieform gegen Depressionen und andere psychische Krankheiten eingesetzt wird, bis die verbesserte Fitness die innere Stimme stummschaltet, die dem Depressiven leise zuflüstert: »Du kannst nichts«.
– Anna
Niemand wird zurückgelassen, aber Schwäche ist erlaubt. Als eine Teilnehmerin in Annas Gruppe nicht mehr kann und die anderen das mitbekommen, ändert der Trupp am Abend die geplante Route. Am nächsten Tag gibt es einen Schlenker zum nächsten Bahnhof, sodass die Teilnehmerin mit dem Zug zum Tagesziel fahren kann – ein Begleitauto gibt es nicht.
– Anna

Natürlich ist die Mut-Tour nur ein Puzzleteil in einem verbesserten Umgang mit Depressionen und psychischen Krankheiten. Sie verändert den Umgang der Teilnehmer damit, sie gibt dem Mann auf der Straße, der der Gruppe begegnet, eine neue Perspektive auf die Krankheit und verändert vielleicht auch die Berichterstattung des Journalisten, der Anna interviewt hat.
Vielleicht verändert sie auch dich, während du gerade im Zug zur Arbeit, am Frühstückstisch oder auf dem Sofa liegend diesen Artikel liest.
– Anna
Vor 2 Jahren litt ich an einer Krankheit, die mein Leben verändert hat. Heute weiß ich, dass ich mich für meine Depression nicht schämen muss. Und obwohl heute meine Monster wieder unterm Bett und nicht in meinem Kopf schlafen, ist diese Krankheit ein Teil von mir und das ist okay.
Titelbild: Mut-Tour - copyright
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