Warum wir diesem Lächeln alles glauben wollen
Charismatikern gehört die Welt. Was uns in ihren Bann zieht und wie wir uns davor schützen.
Als am 18. November 1978 die Mitglieder der
Rund 20 Jahre zuvor hatte
Doch dann begann Jones
Das »Erfolgsrezept« von Jim Jones’ Macht: sein sagenhaftes Charisma.
Charisma ist wie Feuer
Nicht nur Jones’ Anhänger ließen sich vom Charisma mitreißen. Wir alle sind ihm ausgesetzt – oder wirken auf andere mit unserem eigenen Charisma. Um seinen Einfluss besser verstehen zu können, sollten wir kurz klären, was wir eigentlich meinen, wenn wir von Charisma sprechen.
Charisma ist das Produkt von 3 Elementen: (1) ein Funke – ein Anführer mit charismatischen Merkmalen, (2) brennbares Material – Anhänger, die empfänglich für das Charisma sind, und (3) Sauerstoff – eine Umgebung, die Charisma fördert. Charisma ist nicht der Funke. Nicht das brennbare Material. Und nicht der Sauerstoff. Charisma ist das Produkt ihrer Vereinigung. Charisma liegt in der Beziehung zwischen einem Anführer […] und seinen Anhängern
Charisma ist also keine Eigenschaft, die jemand besitzt, sondern wird einem von anderen zugeschrieben. Klar ist auch: Charisma ist etwas sehr Subjektives. Ob es Menschen in seinen Bann zieht, hängt vor allem von der persönlichen Lebenssituation und gemeinsamen Werten ab.
So gibt es Republikaner, die Barack Obama jegliches Charisma absprechen. Andere wiederum schwärmen vom Charisma Donald Trumps.
»Da Charismatiker häufig den Status quo in Frage stellen, mit der Gegenwart also unzufrieden sind, versprechen sie eine bessere Zukunft«, beschreibt Jochen Menges die Anziehungskraft von charismatischen Führungspersonen.
»Wer mich als Gott sieht, dem bin ich ein Gott.« – Jim Jones, Gründer der Sekte »Peoples Temple«
Der Charismatiker als Retter in der Not. So verwundert es auch nicht, dass Charisma früher als
Der aktuelle Duden liefert eine eher nüchterne Definition:
Aussehen:
- Gesichtsform: Menschen mit symmetrischen Gesichtern erwecken mehr Vertrauen. Ein kindlicheres, weniger markantes Gesicht empfinden wir zwar oft als warm, dafür aber als weniger kompetent. Das kann sogar Wahlen beeinflussen:
- Haare und Kleidung: Hier zählt vor allem die Farbe. Rothaarige Frauen versprühen mehr Kompetenz, rot gekleidete Männer mehr Stärke. Weiß hingegen verbinden wir mit Moral und Reinheit.
- Körpergröße: Generell wirken große Menschen dominanter.
Verhalten:
- Rhetorik:
- Stimme: Studien in den USA zeigen, dass Menschen, die
- Mimik und Gestik: Auch bei der
Umwelt:
- Position: Auch die erhöhte Position einer Person, die eine Rede hält, lässt sie mächtiger erscheinen.
- Licht: Die Lichteinstellungen können jemanden als moralische Person inszenieren.
- Temperatur: Wärme verstärkt das Gefühl der Ähnlichkeit.
Das sind eine ganze Menge Faktoren – von denen natürlich nicht alle zutreffen müssen, damit jemand charismatisch wirkt. Adolf Hitler etwa war eher klein, dominant wirkte er trotzdem.
Die gute und vielleicht auch schlechte Nachricht: Jeder kann daran arbeiten, charismatischer wahrgenommen zu werden – und dabei ein paar Tricks nutzen.
Charisma für Dummies
Der ehemalige französische Präsident Nicolas Sarkozy trug gern Schuhe mit erhöhtem Absatz, stellte sich auf die Zehenspitzen und ließ sich bei einem Werksbesuch
Wie schnell wir charismatische Verhaltensweisen lernen können, führte
Dass viele charismatisch wirkende Eigenschaften lernbar sind, hat auch einen anderen Effekt:
Führungspersönlichkeiten können es zur Spitze schaffen, ohne die nötigen Fähigkeiten dafür zu besitzen – einfach weil sie sich wie ein Anführer verhalten
Der ehemalige Postbote
Charismatiker blenden uns
Auch wenn Sarahs Gesicht von außen betrachtet seltsam neutral wirkte, bedeutet das nicht, dass sie keine Emotionen erlebte. Vor lauter Bewunderung zeigte Sarah sie nur nicht. »Wir unterdrücken also nicht das Gefühl, sondern den Ausdruck des Gefühls«, erläutert Menges. Das kann die Emotionen und damit auch die Macht des Charismatikers verstärken.
Wenn wir unsere Gefühle unterdrücken, zehrt das an unseren kognitiven Ressourcen. In dem Moment haben wir diese nicht mehr für andere Prozesse zur Verfügung. Die Folge: Wir sind nicht mehr so gut in der Lage, uns an Dinge zu erinnern, Aussagen zu prüfen, schlagkräftig zu antworten oder neue Ideen zu entwickeln.
So konnte Sarah zwar bezeugen, dass sie Obamas Rede »awesome!« fand, aber nicht erklären, was genau sie so beeindruckt hatte. Wie weit eine solche Hingabe ohne inhaltliche Prüfung gehen kann, zeigt
Jochen Menges wollte es genauer wissen und untersuchte den Ehrfurchtseffekt
- Charismatiker betäuben ihre Anhänger: Die Wissenschaftler baten 63 Personen, sich 10 Minuten lang mit einer inspirierenden Führungspersönlichkeit – also
- Charismatiker können die Betäubung auch aufheben: In einem weiteren Experiment bekamen 260 Menschen einen Text zu lesen, der eins von 8
In dem Moment, in dem der Charismatiker einer Person individuelle Aufmerksamkeit schenkt, wirklich zuhört und seine Unterstützung anbietet, verringert sich die Statusdifferenz zwischen den beiden, sodass sich diese Person viel eher öffnet.
Bei Obamas Auftritt erlebte der Wissenschaftler das auch persönlich: Nach seiner Rede ging der amtierende US-Präsident zu den Menschen in der ersten Reihe und hörte Sarah zu. In dem Moment, als er sie sogar umarmt, beginnt die junge Frau zu weinen.
Wie Charismatiker uns im wahrsten Sinne des Wortes in den Kopf steigen, untersuchte eine neurowissenschaftliche
Wie Hitler den Ehrfurchtseffekt nutzte
Möglicherweise
Seine Anhänger hinterfragten Hitler nicht mehr. Außerdem nahmen sie ihn nicht nur als starken Führer, sondern auch als
Wie also lernen wir einen besseren Umgang mit Charisma?
Der Weg zu gutem Charisma
Du bist für andere ein inspirierendes Vorbild? Dann nutze die wissenschaftlichen Ergebnisse, um besser mit deinem eigenen Charisma umzugehen:
Bewusstsein: Mach dir bewusst, dass die Macht deines Charismas nicht mit dem Enthusiasmus deiner Anhänger endet. Um den Folgen des Ehrfurchteffekts entgegen zu wirken, solltest du auf die Personen, auf die du möglicherweise diesen einschüchternden Effekt hast, persönlich eingehen und ihnen zuhören. Auch wenn es je nach Situation unterschiedlich schwierig ist, spielt es sowohl in Führungsebenen von Unternehmen, in Lehrer-Schüler-Beziehungen als auch in der Politik eine wichtige Rolle. Vergiss nicht, dass der Ehrfurchtseffekt nicht nur zu unkritischen und treuen Anhängern führt, sondern auch vergesslicher und unkreativer macht.
Größenwahn: Dein eigenes Charisma kann dir auch selbst zum Verhängnis werden. Hitlers Größenwahn führte beispielsweise zu militärischen Fehlentscheidungen. Kritische Selbstreflektion und Hinterfragen der Worte und Taten der Anhänger können dem entgegenwirken.
Wir sind nicht machtlos gegen die dunkle Seite des Charismas. Doch auch die helle Seite sollten wir nicht vergessen: Ohne den charismatischen Bundeskanzler Willy Brandt wäre es vielleicht nie zur deutschen Einheit gekommen. Und wer weiß, wie der Kalte Krieg ohne John F. Kennedy an der Spitze der US-Regierung geendet hätte?
Titelbild: U.S. Government / The White House Obama by Lawrence Jackson - CC BY-SA 3.0