Islam macht Mode: Ist das Kopftuch für alle da?
Ein Blick unter den neuen Modetrend.
»Darf es vielleicht ein bisschen mehr sein?« Eine Frage, die seit dem 1. Oktober 2017 in Österreich per Gesetz von nun an mit einem klaren »Nein!« beantwortet wird. Der religiösen Vollverschleierung geht es dort an den Kragen. Die Regierungsparteien in Österreich verabschiedeten im Mai dieses Jahres das
Breite, kuschelige Schals können zum Verhängnis werden
Das Gesetz regelt, dass das Gesicht vom Kinn bis zum Haaransatz erkennbar sein muss. Jetzt dürfen Musliminnen nicht mehr mit
Während in unserem Nachbarland Österreich bereits Nägel mit Köpfen gemacht werden, entfacht in Deutschland die Debatte um Musliminnen und ihr Kopftuch immer wieder neu. Eine Diskussion, die in der Endlosschleife steckt.
Muslimische Frauen mit Kopftuch gelten schnell pauschal als rückständig und unterdrückt. An der Debatte um das Kopftuch sind sie kaum gleichberechtigt beteiligt. Sie sind gebrandmarkt als Frauen ohne eigene Meinung und ohne Selbstbewusstsein.
#Hijabistas – Islam trifft Fashion
Während andere über die muslimischen Frauen mit Kopftuch hinweg diskutieren und Gesetze verabschieden, setzen am Rand der aufgeladenen Debatte Musliminnen selbstbewusste und modische Akzente. Dafür wird geshoppt, gestylt und geschneidert. Mondän, selbstbewusst und stilsicher wollen sie ihr Kopftuch tragen und das in verschiedenen Variationen. Hijabistas nennen sie sich selbst – eine Wortkreation aus dem arabischen Wort »Hijab« (deutsch: Kopftuch) und »Fashionistas«, der Bezeichnung für modeaffine Frauen. Für sie bedeutet das Leben mit Religion und Mode keinen Widerspruch. Selbstbewusst wollen Hijabistas religiöse Werte leben und diese mit modernem Lifestyle verbinden.
Die Szene der Hijabistas und die damit verbundene Modestilrichtung Modest Fashion sind in Deutschland bisher noch wenig bekannt. In den USA, in New York, Los Angeles und Washington, finden sich die Ursprünge der internationalen
Lange waren Musliminnen vom Modemarkt ausgeschlossen und wurden als potenzielle Kundengruppe nicht berücksichtigt. Doch auch das Modehaus H&M oder die Luxusdesigner Dolce & Gabana haben das Kundenpotenzial der modeaffinen Hijabistas und Modest Fashion als Modestilrichtung entdeckt. Seit 2015 wurden sogenannte
»Modest« steht für schlicht, bescheiden, zurückhaltend. Somit kann Modest Fashion als »zurückhaltende Mode« übersetzt werden und gilt als Stilrichtung des Modedesigns, das die Freude am Verhüllen feiert. Für Hijabistas bedeutet der Einzug von Modest Fashion in den Mode-Mainstream
Vom Koran auf die Straße
Sage den gläubigen Frauen, sie sollen den Blick niederschlagen und ihre Blöße wahren und ihre Zierde (ziynet) nicht zeigen, außer dem, was äußerlich sichtbar ist, und ihre Brüste bedecken mit ihren Bedeckungen (hmar). […]
Als religiöse Grundlage für das Bedecken der Frauen wird hauptsächlich die
Wenn wir im Koran lesen, dass die Blöße der Frau zu bedecken ist, dann muss erst einmal geklärt werden, was unter Blöße zu verstehen ist. Viele Muslime kommen hier zu dem Schluss, dass die Blöße auch die Haare meint. Wieder andere meinen, dass zur Blöße auch Gesicht und Hände gezählt werden.
Nushin Atmaca ist Vorsitzende des
Auch die
Nushin Atmaca plädiert weiter für einen Austausch zum Thema Kopftuch und den verschiedenen Positionen innerhalb der muslimischen Gemeinden. »Für den Diskurs finde ich wichtig, dass mit Blick auf die verschiedenen Positionen zum Tragen oder Nichttragen des Kopftuches keine gesellschaftlichen oder religiösen Abwertungen einhergehen. Wir müssen gemeinsam aushalten, dass es unterschiedliche Positionen gibt. Das darf jedoch nicht zum Verlust der Zugehörigkeit führen.«
Eine gewünschte und akzeptierte Vielfalt ist eine der Herausforderungen innerhalb der muslimischen Communities. Vor der gleichen Herausforderung steht auch die mehrheitlich nicht-muslimische Gesellschaft in Deutschland: »Wir alle reden von Diversität und davon, dass wir genau das wollen. Dem entgegen steht aber die Idee, dass es nur einen richtigen Weg geben kann. Damit kippen wir alles Positive, indem wir das Verschiedensein einfach aberkennen und abwerten«, so Nushin Atamca abschließend.
Spot on! Religion auf dem Laufsteg
Meriem Lebdiri lässt den Bleistift nur für einen Moment lang ruhen. Dann beginnt sie von vorne. Der Stift kratzt dabei seicht und schwungvoll über den Skizzenblock. Ihr Blick huscht jedem gezeichneten Strich auf dem Papier hinterher. Wenn die Modedesignerin den Stift akzentuiert über ihren Skizzenblock schwingt, entsteht ein Kunstwerk, das zur Mode werden könnte.
Die Designerin für Modest Fashion hat sich 2010 mit ihrem Modelabel Mizaan selbstständig gemacht. Sie ist eine der wenigen Designerinnen für diese Moderichtung in Deutschland.
Die Markenzeichen von Lebdiri sind fließende Stoffe, ihre Leidenschaft für Seide und andere hochwertige Stoffe ist sichtbar und fühlbar. 2012 hat die 30-Jährige erfolgreich ihre erste Kollektion auf ihrer
Der arabische Labelname Mizaan bedeutet Balance und Ausgewogenheit und findet sich in den Arbeiten der Designerin wieder. So treffen auffällige Stoffe auf schlichte Schnitte oder andersherum.
Ich bin grundsätzlich davon überzeugt, dass ein Stück verarbeiteter Stoff weder gläubig noch religiös sein kann.
Meriem Lebdiri ist selbst Muslimin und modebewusst. Sie zeigt mit ihren Kollektionen und auch mit ihrem eigenen Lifestyle, dass Mode und Glaube nicht nur
Sie geht jedoch noch einen Schritt weiter: »Wenn ich etwas entwerfe, beziehe ich mich nicht auf eine bestimmte Religion. Begriffe wie muslimische Mode existieren für mich somit überhaupt nicht. Es ist vielmehr ein Etikett und es hat lange Zeit gedauert, mich davon zu lösen. Außerdem bin ich grundsätzlich davon überzeugt, dass ein Stück verarbeiteter Stoff weder gläubig noch religiös sein kann«, so die Designerin.
Ist Modest Fashion für alle da?
Wenn es nach Meriem Lebdiri geht, können also auch nicht-muslimische Frauen ihre Mode tragen: »Es geht einfach um Frauen, die an dieser Art Mode Gefallen finden. Mit Modest Fashion müssen sie sich nicht am Mode-Mainstream orientieren oder sich danach richten, welche Trends gerade aktuell sind.«
Lebdiri und andere könnten dem Diskurs eine ganz neue Richtung geben, wenn sie Mode für alle machen. Aber kann Modest Fashion wirklich eine Modestilrichtung für alle Frauen sein, unabhängig von der Religion, Herkunft und der kulturellen Prägung? Hijabistas und Modest-Fashion-Designerinnen wie Meriem Lebdiri tragen zumindest dazu bei, muslimische Frauen nicht länger eindimensional wahrzunehmen, sondern sie als individuelle Persönlichkeiten zu begreifen, die ihren ganz eigenen Weg gehen, wie alle anderen Frauen auch.
Ein Stück Stoff, um dessen Deutungshoheiten gerungen wird, repräsentiert sicher so einiges, jedoch in keinem Fall die verschiedenen Lebenswirklichkeiten von muslimischen Frauen. Denn auch Musliminnen, die ihre religiöse Identität anders ausdrücken und dabei kein hippes muslimisches Gewand tragen, gehören zum Bild des muslimischen Lebens in Deutschland, genauso wie solche ohne Kopftuch.
Titelbild: Ali Moeez - copyright