Nach diesem Text sitzt du nicht mehr still
Ob Couch-Kartoffel oder Sportskanone, wir sitzen dauernd und riskieren damit viel. Das muss nicht sein.
Mitten in der Abitur-Vorbereitung hatte ich einen
Bei wenigen Dingen beweisen wir so viel Ausdauer wie beim Sitzen.
Und das, obwohl wir immer häufiger Warnungen wie
Doch auch wenn die Wehwehchen und Schmerzen beginnen, bleiben wir häufig sitzen. Warum fällt es uns so schwer, uns mehr zu bewegen?
Der ganze Wirbel ums Sitzen ist bisher noch an dir vorbeigegangen? Dann
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Du weißt schon alles darüber, was unsere Sitzkultur mit dir macht? Dann lies einfach weiter.
Das macht das Dauersitzen wirklich mit dir
Die Warnungen à la »Sitzen ist das neue Rauchen!« kommen nicht von ungefähr:
Kurzfristige Folgen: Bereits nach wenigen Minuten statischem Sitzen passiert, ohne dass du es bewusst wahrnimmst, eine Menge in deinem Körper:
Dein
- Dein
- Du beanspruchst manche Muskeln zu wenig oder sehr einseitig.
- Deine Wirbelsäule wird übermäßig belastet. Dabei gilt: Je angespannter und gekrümmter du sitzt (oder stehst), desto mehr
- Wenig Bewegung und eine geringe Muskelspannung verringern die Durchblutung in deinem gesamten Körper. Darüber hinaus wird die Bauchatmung erschwert.
- Als Resultat der geringeren Sauerstoffversorgung leidet deine Konzentration: Du wirst müde.
Mittel- und langfristige Folgen:
Die sitzende Haltung an sich ist nicht die einzige Herausforderung für den Bewegungsapparat. Wer sich beim Sitzen genau beobachtet, kann erkennen, dass er dazu tendiert, in einer bestimmten Position unbewegt zu »versacken«. Du belastest einzelne Muskelgruppen, Bänder und Gelenke übermäßig – und nutzt manche überhaupt nicht. Das führt auf Dauer zu
Eine typische Folge des Dauersitzens: Der stärkste Hüftbeuger ist bei Ausdauer-Sitzern verkürzt. Auch der große Brustmuskel steht bei vorgebeugtem Sitzen dauerhaft unter Spannung und verkürzt so. Solche muskulären Dysbalancen verändern unsere Haltung und bringen unseren Bewegungsapparat aus der Balance, wodurch die Muskeln weiter verkürzen – ein Teufelskreis.
Wie quälend Rückenschmerzen sind, zeigen Studien, die knapp 300 psychische und körperliche Erkrankungen hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf unsere Lebensqualität
und -dauer
Neben dem Klassiker Rückenschmerzen fördert exzessives Sitzen aber auch Herzerkrankungen, Diabetes,
Insgesamt bedeutet das: Sitzt du dauernd und ununterbrochen, schadest du deiner Gesundheit und senkst deine
Die gesellschaftlichen Folgen: Auch hier sprechen die Zahlen für sich. Muskel-Skelett-Erkrankungen sind für die meisten Arbeitsunfähigkeitstage
Warum wir trotzdem nicht aufstehen wollen
Sitzen war während des akuten Bandscheibenvorfalls unmöglich. Monatelang war ich aufs Stehen, Gehen und Liegen beschränkt. Ich fühlte mich sozial isoliert, musste viel improvisieren, erklären und absagen. Ich bemerkte zum ersten Mal, wie sitzlastig mein Alltag wirklich ist. Und mir wurde auf schmerzhafte Weise klar,
Es gibt mindestens 5 Antworten auf die Frage, warum sich unser Sitzfleisch trotzdem so hartnäckig hält:
- Bequemlichkeit: »So viel sitze ich ja nicht …«
Evolutionär ist der Mensch darauf ausgelegt, Energie zu sparen. Da wir im Sitzen weniger Energie verbrauchenEin leidenschaftlicher Raucher, der immer wieder von der Bedeutung der Gefahr des Rauchens für seine Gesundheit liest, hört in den meisten Fällen auf – zu lesen.
Häufig wählen wir lieber Scheinlösungen, um den - Gewohnheit: »Ich mache das immer so …«
Unser Alltag besteht aus unzähligen Routinen und Gewohnheiten, die uns durch das Leben navigieren. Die Sitz-Haltung ist dabei wie ein roter Faden durch den Tag: Die meisten Handlungen führen wir schließlich sitzend durch; Sitzplätze finden sich überall in unserer Umwelt. Jede Sitzgelegenheit und jede sitzende Person sind Erinnerungen und potenzielle Auslöser für unsere schlechte Angewohnheit. Sie sagen uns ständig: »Nimm Platz!«
Natürlich wollte ich etwas verändern. Doch dafür hätte ich viele selbstverständliche Routinen infrage stellen und ersetzen müssen. Ich hätte häufiger aufstehen und es mir nicht immer sofort gemütlich machen können. Ich hätte im Privaten häufiger um Kompromisse bitten müssen – »Ist heute statt Kaffeetrinken auch ein Spaziergang ok?« - Sitzkultur: »Setzen Sie sich doch!«
Am Schreibtisch, am Arbeitsplatz, im Café, im Kino – wer heute am öffentlichen, privaten oder beruflichen Leben teilnehmen möchte, der sitzt gezwungenermaßen einen
Manchmal habe ich es als belastend empfunden, dass die anderen mir meine Beschwerden nicht direkt ansehen konnten. Rückenschmerzen sind halt (fast) unsichtbar. Die Angst wuchs, als - Gesellschaftlicher Druck: »Schmerz ist für Schwächlinge!«
In unserer Leistungsgesellschaft gelten Schmerzen und Einschränkungen als Schwäche und als Abweichung vom Normalzustand. Konzepte wie »Vorsorge« oder gar - Fehlendes Körpergefühl: »Ich und mein Fremdkörper«
Wir tendieren dazu, subtile Signale unseres Körpers zu überhören. Dabei sagt er uns häufig ziemlich genau, was ihm gut tut: zum Beispiel Bewegung. Die ist genauso ein körperliches Bedürfnis wie Essen, Trinken und
Es ist also völlig »normal«, wenn es dir schwerfällt, regelmäßig aufzustehen. Bevor du gegen die inneren und äußeren Hindernisse angehst, bleibt noch die Frage, was genau unserem Körper gut tut – und helfen würde –, denn auch hier gibt es viele falsche Annahmen und gefährliches Halbwissen.
Das braucht dein Körper wirklich – sagt die Wissenschaft
Ich war irritiert: Ich hatte mich immer als einigermaßen fit und gesund bezeichnet, hatte die meiste Zeit meines Lebens irgendeine Art von Sport getrieben. Außerdem habe ich mich darüber informiert, was da »in meinem Rücken kaputt« war. Ich wusste aber trotzdem nicht, was meinem Körper fehlte.
Die vielleicht beliebteste Ausrede von Vielsitzern lautet: »Ich treibe ja regelmäßig Sport als Ausgleich.« Reicht das?
Tatsächlich empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Erwachsenen, 5-mal pro Woche
Unserem Körper fehlt Bewegung – und das ist nicht dasselbe wie Sport, auch wenn beides gern
Bewegung heißt nicht, dass ich mich direkt in Sportkleidung werfe und einen Marathon laufen muss. […] Körperliche Aktivität bezieht sich auf jegliche körperliche Bewegung, bei der Energie verbraucht wird, egal ob Gehen, Treppensteigen oder Radfahren.
Wer Sport treibt, tut das meist nur für einen Bruchteil des Tages. Unser Bewegungsapparat ist aber für mehr geschaffen: Körperliche Aktivität schließt unterschiedlichste Handgriffe, Aktivitäten und Positionswechsel ein, die viel subtiler sind, zum Beispiel Mittagessen kochen, kurz spazieren gehen oder morgens eben strecken und recken.
So plakativ es klingen mag: Jede Bewegung zählt.
Nur noch zu stehen oder eine Haltung, egal ob es Sitzen oder Stehen ist, komplett zu vermeiden, ist also nicht die Lösung. Viel wichtiger ist es, fließend zu wechseln: Die nächste Haltung ist die beste Haltung.
Dafür brauchst du keinen Trainingsplan, sondern
Schaff dir deine eigene Bewegungskultur
Bis ich wieder ein besseres Körpergefühl und weniger Schmerzen hatte, gab es viel »Trial and Error«, Motivationsschwankungen mit einigen Momenten, in denen ich alles hinschmeißen wollte, lange Gespräche und gefühlt unzählige Arzt- und Physiotherapie-Termine. Die vielleicht wichtigste Konfrontation war aber die mit meinen eigenen Gefühlen: Angst, Wut, Resignation und übertriebene Motivation wechselten sich ab. Es war ein emotionaler Kraftakt, mich der gesellschaftlichen Sitznorm, den persönlichen Alltagsvorbildern und meinen faulen Gewohnheiten zu stellen.
Das Bild der idealen Gesellschaft ohne Dauersitzen ist schnell gezeichnet: Alle Arbeitsplätze haben verstellbare Stehtische, Sitzbälle warten in Bibliotheken und Meetings werden im Spazierengehen abgehalten. Bis wir soweit sind, kann schon mal jeder Einzelne anfangen:
- Alte Gewohnheiten sind hartnäckig – nutze sie!
Gute Vorsätze wie »mehr Bewegung« scheitern meist kurz nach der hochmotivierten Anfangsphase an alten Gewohnheiten. Diesen Effekt kannst du aber auch für dich nutzen, indem du gewohnte Reize mit neuem Verhalten verknüpfst. Mit der Zeit wird der verlässliche Auslöser der alten Gewohnheit so zum Trigger einer neuen, erwünschten Verhaltensweise.
Bei uns in der Redaktion wird täglich vor dem Mittagessen in die Runde gefragt, wer noch für Besorgungen los muss. Diese Frage habe ich anfangs genutzt, um automatisch für ein paar Minuten rauszukommen – auch wenn ich nichts kaufen wollte. - Verändere dich gemeinsam!
Suche dir eine Gemeinschaft und erhöhe damit die Chance, deinen Plan tatsächlich durchzuziehen. Verbindlichkeit übt sozialen Druck aus. Viel wichtiger ist aber das Gefühl, Teil einer – und sei es noch so kleinen –
- »Zwang hält nicht lang!«
Eine neue Verhaltensweise hat in deinem Alltag keine Chance, wenn sie nicht zu dir passt und du sie dir aufzwingst. Nicht jeder ist fürs Langstreckenlaufen oder Fußballspielen gemacht; sich dazu zu zwingen, weil es anderen Spaß macht, hat wenig Aussicht auf dauerhaften Erfolg. Der Schlüssel ist also, Aktivitäten in die einzubinden, die du ohnehin gern machst. So veränderst du die Perspektive: Aus Zwang wird Lust.
Als ich dachte »Och nee, halbe Stunde vorbei, ich muss schon wieder aufstehen!«, war ich meinen löblichen Vorsatz bald leid. Die ständigen Unterbrechungen wurden für mich erst dann zur willkommenen Bewegungspause, als ich sie mit etwas verbunden habe, das ich ohnehin noch erledigen wollte – einen Tee kochen, die Zimmerpflanze gießen oder den Kollegen nebenan etwas fragen. - Lerne die Sprache deines Körpers kennen
Dein Körper weiß oft, was er braucht – du musst nur lernen, ihm zuzuhören. Achte auf die Signale, die du sonst im Alltag unterdrückst. Für jeden ist es eine andere (Un-)Tätigkeit, die ihm dabei hilft, nachzuspüren.
Körper und Psyche sind untrennbar! Vor allem Rückenschmerzen sind oft ein Spiegel unseres seelischen Zustands. Dabei ist es wichtig, immer wieder auf die Signale unseres Körpers zu hören. Auch am Arbeitsplatz kann man regelmäßig einen kleinen Check-up durchführen und seinen Körper im Kopf von oben nach unten abgehen und bewusst spüren, wo man ein Unbehagen oder einen Schmerz verspürt.
Erst als ich mich in meinem Alltag wirklich bewegte, wurden die Schmerzen langsam besser. Meine neuen Gewohnheiten sind jetzt nicht mehr anstrengend, sondern Automatismen, die ich genauso wenig hinterfrage wie vorher die Sitzkultur: Ich starte meinen Tag mit Yoga – ohne jeden Leistungsanspruch, sondern um mal alles durchzustrecken. Manchmal frühstücke ich stehend an der Küchentheke. Bei kurzen Bahn- und Busfahrten setze ich mich gar nicht erst hin. Wenn viel Schreibtischarbeit ansteht, erinnert mich ein Wecker alle 25 Minuten daran, aufzustehen. So helfe ich meinem Körpergefühl auf die Sprünge. Pausen nutze ich für Spaziergänge oder Erledigungen. Und ich habe auch neue Freizeitaktivitäten entdeckt. Übrigens fanden Freunde, Familie und Kollegen meine veränderte Bewegungskultur weder störend noch seltsam. Meinen Bewegungsdrang finden viele eher ansteckend.
Mit Illustrationen von Karolin Ohrnberger für Perspective Daily