Seit gut 2 Monaten kann ich meiner unsäglichen Wut im Bauch ganz spontan freien Lauf lassen, wann immer ich will. Seitdem hängt ein Boxsack neben meinem Schreibtisch, die Handschuhe liegen daneben im Regal. Die Idee, mir den grauen Sack zu schenken, hatte ein Mann.
Ich habe mich noch nie als Feministin bezeichnet und finde den Begriff – wie viele andere auch – irgendwie anstrengend und ausgetreten, ein bisschen wie Nachhaltigkeit oder Innovation. In letzter Zeit komme ich aber ins Zweifeln.
Angefangen hat es wohl mit der Podiumsdiskussion in der Stadtbücherei vor knapp 3 Jahren: Ich bin die einzige weibliche Teilnehmerin und mit Abstand die Jüngste in der Runde. Das genügt dem gestandenen Journalisten 2 Stühle weiter offenbar, mich zu duzen – nur mich. Irgendwie sollte er es als Homosexueller besser wissen, schießt es mir ganz
»Mädchen, verrenn dich nicht!« – ehemaliger Deutschlandradio-Intendant bei einem gemeinsamen Seminar an der Universität Münster
Weiter geht es in den nächsten Monaten mit diversen mittelalten Chefredakteuren und Dozenten, die mir immer wieder erklären wollen, wie Journalismus funktioniert – ja, wie Menschen generell funktionieren. Und dabei in regelmäßigen Abständen unter Beweis stellen, dass sie gerade
Den Vogel abgeschossen hat dabei vielleicht der Leiter einer Journalistenschule.
Also: Ich habe mich noch nie als Feministin bezeichnet. Aber die einzige Gemeinsamkeit, die ich zwischen den Urhebern der genannten Anschuldigungen, Unterstellungen, ungefragten Vorträge und Tiraden feststellen kann, ist, dass sie alle Männer waren. Und das lässt mich zweifeln.
Denk an den Menschen, der dir zuletzt etwas erklärt hat, was du besser wusstest. – War er männlich?
Ganz wichtig, und damit ich es auf jeden Fall gesagt habe: Damit gilt nicht automatisch, dass alle Männer sich Frauen gegenüber immer beschissen verhalten! Ich würde behaupten, dass die meisten Frauen viele Männer kennen, die ganz wunderbare, empathische Menschen sind. Vielleicht leiden diese Männer sogar selbst unter überheblichen Männern, die sich selbst für den Mittelpunkt des Universums halten und für die meisten Übel dieser Welt verantwortlich sind.
Beginnen wir mit der Frage der Kompetenz – oder der Überlappung von Selbstüberschätzung und Ahnungslosigkeit.
Frauen, die in
Die Menschen gehen automatisch davon aus, dass ich die Sekretärin bin oder eine weniger technische Aufgabe habe, weil ich weiblich bin. Das erschwert es mir, ein fachliches Netzwerk aufzubauen, um meine Arbeit erledigen zu können. Nicht ich werde gefragt, sondern meine männlichen Kollegen.
Dabei ist häufig das Gegenteil der Fall:
Und trotzdem sind
Woran liegt das? Haben die männlichen Kollegen dieser Welt – egal ob Chefredakteur oder Mathematiker – einfach das größere Selbstbewusstsein? Drückt sich das dadurch aus, dass sie – egal ob begründet oder nicht –
Männliche Gewalt ist der längste Krieg auf Erden.
Meine Handschuhe hämmern drauflos und der graublaue Boxsack an der silbernen Stahlkette schwenkt so weit aus, wie es geht. Denke ich. Bis ein Mann draufhaut. Ich bin wütend und komme über eine Frage nicht hinweg: Haben Männer in allen gesellschaftlichen Bereichen im Jahr 2018 noch immer die Oberhand, weil sie körperlich stärker sind?
Natürlich gibt es gewalttätige, aggressive Frauen, Gefängnisinsassinnen, weibliche Vergewaltiger und Kriegerinnen. Aber wenn uns die Geschichte und Gegenwart eines zeigt, ist es Folgendes:
Die amerikanische Autorin Rebecca Solnit, der häufig
Wir haben in diesem Land [den USA] und auf dieser Erde so viele Vergewaltigungen und Gewalt gegen Frauen. Dennoch wird dies fast nie als eine zivilrechtliche oder menschenrechtliche Angelegenheit behandelt, oder als eine Krise, oder wenigstens ein Muster. […] Niemand erklärt dieser Art des Terrors den Krieg.
Und tatsächlich offenbart ein Blick auf ein paar Statistiken in fast erschreckender Deutlichkeit, wie männlich Gewalt ist:
Auch hier gilt nicht die Verallgemeinerung, dass alle Männer gewalttätig sind. Es geht auch nicht darum, sich genüsslich zurückzulehnen und
Mein rechtes Knie blutet, der linke Ellenbogen ist aufgekratzt – nicht vom Boxen, sondern vom Fußballspielen. Ich beiße die Zähne zusammen und spiele weiter. Schon in der Grundschule habe ich als einziges Mädchen mit den Jungs auf dem Schulhof und der Straße Fußball gespielt, später dann viele Jahre im Verein gegen andere Mädchen und Frauen. Wenn ich beim Cowboy- und Indianerspiel einmal an den Kirschbaum gebunden wurde, wollte ich viel lieber mit auf die Jagd gehen – nicht nur wegen der (Stock-)Pferde.
Ich selbst habe schon als Kind viele Geschlechterrollen spielerisch ignoriert. Doch sicher haben meine Eltern mich anders behandelt als meinen Bruder, auch aufgrund unserer
Wollen wir verstehen, wo die männliche Gewalt herkommt, kommen wir um die wichtigste aller Fragen in der biologischen Psychologie nicht herum: Gene oder Erziehung?
Jetzt eine Abhandlung über Testosteron und den Einfluss von anderen Hormonen aufs menschliche Verhalten zu schreiben, bringt uns bei der Suche nach einer Antwort aber nicht weiter. Es sei denn, wir wollen Männer »verbieten«. Schauen wir also, was die Erziehung uns über die Ursachen verrät: Ein Teil dessen, was für uns erfolgreiche Männlichkeit ausmacht und wie wir diese weitergeben, scheint die Selbstüberschätzung und das herablassende Verhalten gegenüber Frauen zu fördern. Notfalls muss »Mann« sich die Frau eben mit Gewalt untertänig machen und sie bestrafen, wenn sie fordert, gehört zu werden, gesellschaftlich teilzunehmen oder gar
Freundlichkeit und Güte hatten noch nie ein Geschlecht, ebenso wenig Empathie.
Wie kommen wir also dahin, dass Frauen für Jungs und Männer jederzeit und überall als ebenbürtig gelten? Keine fertigen Antworten, aber doch Hinweise geben diese Ergebnisse:
Die Ergebnisse lassen vermuten, dass die Unterschiede – egal ob es um allgemeine Rechte oder Lohngefälle geht – weniger mit unserer Biologie und mehr mit sozialpsychologischen Faktoren zu tun haben. Studienergebnisse sind das eine, Beispiele aus dem Leben das andere. Was alle gemeinsam haben: Sie zeigen, wie wichtig es ist, dass Richter, Chefs, Männer und Menschen auf der ganzen Welt
»Ich bin schwanger, nicht arbeitsunfähig.« – Jacinda Ardern, neuseeländische Premierministerin
Ich bin keine Senatorin, Premierministerin oder Kanzlerin. Und du wahrscheinlich auch nicht. Doch ein Zeichen setzen kann jeder, nicht nur weil es sich gut anfühlt, sondern weil es die Welt wirklich verändern kann. Überall gehen seit Donald Trumps Wahl Frauen und Männer für Frauen in »Women’s Marches« auf die Straße und haben damit vielleicht einen Einfluss auf unser Wahlverhalten. Nachdem die amerikanische Teaparty 2009 in Scharen durch die Städte zog,
Die Befreiung der Frauen wird oft als eine Bewegung skizziert, die beabsichtigt, in die Rechte von Männern einzugreifen oder ihnen die Macht zu nehmen, so als ob […] immer nur ein Geschlecht zu einem bestimmten Zeitpunkt frei und mächtig sein kann. Aber wir sind zusammen frei oder wir sind zusammen Sklaven. […] Wie viel mehr Zeit und Energie wir doch für andere wichtige Dinge hätten, wenn wir uns nicht so sehr ums Überleben kümmern müssten.
Wer noch nie auf so einen graublauen Sack eingeschlagen hat, weiß nicht, wie anstrengend das ist. Nach ein paar Punches schlägt das Herz schneller und die Wangen gewinnen an Farbe. In Wahrheit stammt die Idee für den Sack natürlich von mir. Besorgt hat ihn ein Mann, der mir aufmerksam zugehört hat.
Mit Illustrationen von Michael Szyszka für Perspective Daily
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