Die Reise ins Zentrum der Macht
25.000 Lobbyisten soll es in Brüssel geben. Sie sind dabei, wenn die EU über Glyphosat oder Diesel-Tests entscheidet. Unterwegs mit Stadtführerinnen, die Transparenz fordern.
Ein eisiger Wind pfeift durch das Brüsseler Europaviertel. Elegant gekleidete Frauen beeilen sich, ihre Rollkoffer durch die Drehtüren am Hintereingang des EU-Parlaments zu bugsieren. Die Männer machen weite Schritte auf der schmalen Rue Wiertz, deuten am Eingang lässig auf ihre Zugangspässe und schnauzen auf Französisch, Tschechisch, Deutsch in ihre Telefone. Klingt enorm wichtig. Gern wüsste man mehr.
Gehören sie zu den 751 Parlamentariern, die
Die Chancen für Letzteres stehen nicht schlecht. Mehr als 25.000 Lobbyisten arbeiten in der Europa-Hauptstadt. Das schätzt zumindest die deutsche Organisation
Station 1: »Lobbyismus gehört zur Demokratie«
Die erste Spur findet sich direkt am Treffpunkt neben dem Hintereingang des
Gestiftet hat ihn die durchaus wetterfeste Society of European Affairs Professionals, ein Lobby-Verband, der auf diese Weise sehr subtil sein Revier im Europaviertel markiert. Subtil mögen die Lobbyisten. So weit passt das Klischee von dubiosen Deals unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Allein: Lobby-Arbeit ist keine schwarze Magie, ausgeübt von dunklen Mächten – sondern schlicht ein Job, der seinen eigenen Regeln folgt. In
»Lobbyismus gehört zur Demokratie«, kommentiert auch Katzemich den Baum an der Auffahrt zum Parlament. Problematisch sei allerdings das krasse Ungleichgewicht zwischen Konzern- und Industrielobby auf der einen und Vertretern der Zivilgesellschaft auf der anderen Seite.
Woher wissen Organisationen wie LobbyControl, wer wie viel in Lobby-Aktivitäten investiert? Auch wenn die Unternehmen damit nicht hausieren gehen: Wer sich dafür interessiert, findet im
Allerdings hat auch das Brüsseler Register ein großes Manko: Die Einträge sind freiwillig. Das heißt, nicht alle, die bei den EU-Institutionen Lobby-Arbeit betreiben, tauchen darin auf. Katzemich erklärt, warum das Register trotzdem wichtig ist: »Kommissare treffen sich nur mit registrierten Lobbyisten.« Tatsächlich findet sich dieser Hinweis sogar in
Bei aller Kritik an der EU, gerade im Vergleich zu Deutschland, geht es voran. Es gibt ein Lobby-Register, die Akteure lassen sich von uns bewegen. Wenn man nur laut genug ist, passiert immer mal wieder etwas.
Theresa Crysmann vom Corporate Europe Observatory ist noch skeptisch, ob die EU-Transparenzinitiative wirklich etwas bringt. »2014 hat Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker einen Leitfaden für seine Kommissare und deren Kabinettsmitglieder herausgegeben, in dem sie unter anderem dazu angehalten werden, ihre Lobby-Meetings doch einigermaßen auszugleichen zwischen den verschiedenen Interessenvertretern – vor allem zwischen der Zivilgesellschaft und Konzernen. Das ist jetzt gut 4 Jahre her. Dass viele Kommissare diesen Ratschlag in ihre Arbeitspraxis eingebunden hätten, kann man leider nicht sagen.«
Lobbyisten lieben Abkürzungen. ECDPM steht für »European Centre for Development Policy Management«, hinter EFPIA verbirgt sich die »European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations« und AFME ist die »Association for Financial Markets in Europe«.
Station 2: Wer sind eigentlich die Lobbyisten?
Zu denjenigen, die gern unauffällig agieren, gehört die Anwaltskanzlei Sidley Austin. Ihre Mitarbeiter sitzen knapp 500 Meter vom EU-Parlament entfernt in der Rue Montoyer und verdienen gutes Geld mit
Schiedsgerichts-Verfahren erlauben es Unternehmen, Regierungen zu verklagen, wenn diese Gesetze im öffentlichen Interesse erlassen, die einen (potentiellen) Gewinnverlust für das Unternehmen verursachen.
Obwohl solche Verfahren ein wichtiges Lobby-Instrument für Unternehmen sein können, verzichtet Sidley Austin auf den Eintrag im Transparenzregister.
Der Stopp bei der Kanzlei zeigt: Lobbyisten ziehen in Brüssel unterschiedliche Register, je nachdem, in welcher Phase sich ein Entscheidungsprozess – zum Beispiel über die Wiederzulassung von Glyphosat oder die Durchsetzung von Datenschutz-Richtlinien – befindet und wer gerade für Input offen ist.
Diese Akteure mischen mit, wenn in Brüssel Politik gemacht wird:
- Unternehmen: Microsoft, Google, Daimler, Siemens – viele Großunternehmen unterhalten Büros in Brüssel, oft nur wenige Gehminuten von Kommission oder Parlament entfernt. Das ist praktisch, wenn sich die dort akkreditierten Lobbyisten mit Mitgliedern des Europaparlaments zum Arbeitsfrühstück, Mittagessen oder auch mal auf einen Cocktail verabreden wollen – so sieht Lobby-Arbeit laut Theresa Chrysmann in der täglichen Praxis aus. »Ganz wichtig ist, dass man als Lobbyist die Mitarbeiter der Abgeordneten in den Griff bekommt, die werden auch sehr häufig eingeladen.« Wenn man im jeweiligen Mitgliedstaat ein wichtiger Arbeitgeber sei, habe man besonders gute Argumente, um Treffen zu organisieren.
Die Kommission nutzt die Expertise der Unternehmen zudem in - Industrie- und Wirtschaftsverbände: Mit
- Lobby-Beratungsunternehmen: Wenn einmal etwas nicht so läuft wie gewünscht, macht man es wie in allen anderen Branchen: Man holt sich ein Beratungsunternehmen an Bord. In Brüssel heißen die großen Player Burson-Marsteller, Fleishman-Hillard oder Hill & Knowlton. Sie vermitteln Kontakte, arbeiten am grünen Image und initiieren bei Bedarf sogar eine »Bürgerbewegung«, die sich (zum Beispiel) für die
- Anwaltskanzleien: Für internationale Anwaltskanzleien wie Sidley Austin, Hogan Lovells oder Covington & Burling bietet Brüssel einen lukrativen Markt. Sie helfen ihren Mandanten, wenn EU-Richtlinien das Geschäft bedrohen, und ziehen auch gegen nationale Regierungen vor Gericht, wenn es sein muss. Ein Beispiel: Der schwedische Energiekonzern
- Nichtregierungsorganisationen und
Eine CEO-Studie zeigte 2014, dass allein der Finanzsektor jährlich über 120 Millionen Euro für EU-Lobby-Arbeit ausgibt, und damit 30-mal so viel wie NGOs und Gewerkschaften zusammen.
- Denkfabriken: Denkfabrik, das klingt seriös und neutral. Aber auch hier kommt es darauf an, wer am Ende die Rechnung oder eben Büromieten und Gehälter bezahlt. Bisweilen stecken handfeste Unternehmensinteressen hinter vermeintlich objektivem Akademiker-Sprech. Ein Beispiel ist die European Privacy Association (EPA), die im Transparenzregister noch immer als Denkfabrik verzeichnet ist. Nach einer
In der Brüsseler Blase sitzen all diese Akteure eng aufeinander. So teilen sich in der Rue Montoyer die Anwälte von Sidley Austin den unauffällig protzenden Büroturm in beige-schwarz unter anderem mit den Lobbyisten von Microsoft.
Weiter geht es zu der Industrie, die nicht nur in Deutschland tonangebend ist, sondern auch in Brüssel enormen Einfluss ausübt …
Station 3: VBI, VCI, VDA – Die EU liegt uns zu Füßen und wir stehen drauf!
Gleich um die Ecke, in der Rue Marie de Bourgogne stehen wir vor einem Klingelschild, das einem unweigerlich einen schlimmen Ohrwurm verpasst, den man den Rest des Tages nicht mehr loswird: BASF, BDA, BDI/BDSV-LLR-Deutsche Bauchemie/BAVC, VDA, Unternehmer NRW … MfG, mit freundlichen Grüßen, die Welt liegt uns zu Füßen und wir stehen drauf!
Dass das nicht nur für die Fantastischen Vier, sondern auch für die deutsche Automobilindustrie gilt, daran lassen Theresa Crysmann und Nina Katzemich keinen Zweifel. Hinter einem der Klingelschilder verbirgt sich der Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA), der rund 600 Mitglieder aus der Branche in Brüssel vertritt.
Man könnte fast sagen, dass ein moderner Diesel in vielen Situationen sozusagen die Luft reinigt.
»Die Automobilindustrie ist extrem gut in den Beratungsgruppen der EU-Kommission vertreten«, sagt Nina Katzemich. »Der EU fehlt es an vielen Experten. Sie holt sich dafür sehr häufig Leute aus den Unternehmen und so kommt es, dass diese in Beratungsgruppen bei der Ausarbeitung von Richtlinien oder deren Überarbeitung enormen Einfluss nehmen können.« Im Klartext: Die Industrie schreibt ihre Regeln manchmal einfach selbst.
Katzemich nennt ein Beispiel: »Eine Beratungsgruppe, in der es um die Durchführung von Straßentests bei Diesel-Autos ging, war überwiegend mit Vertretern von Unternehmen besetzt. Das Ende der Geschichte: Die Tests wurden um Jahre verschoben.«
Auf welcher Basis empfehlen Beratungsgruppen der Kommission bestimmte Maßnahmen und lehnen andere ab? Welche wissenschaftliche Grundlage haben Entscheidungen der EU – zum Beispiel über die Re-Lizenzierung des Pestizids
Station 4: Die Glyphosat-Taskforce
Hume Brophy hält sich von allen Stationen der Brüsseler Lobby-Tour am meisten in Deckung. Kein Schild am Eingang mit den schlanken schwarzen Gitterstäben weist darauf hin, dass hier eine internationale Kommunikationsagentur ihren Sitz hat, die mit dem Slogan »Trust. Integrity. Results.« wirbt.
»Wer Hume Brophy braucht, weiß, dass die hier sitzen«, sagt Katzemich. Zu den Kunden der Agentur in der Rue de Science (man könnte es sich nicht schöner ausdenken) gehört Monsanto, für die Hume Brophy jüngst die
»Wissenschaftsbasierte Entscheidungsfindung ist ein Schlagwort der Industrie, das wir immer öfter hören«, sagt Theresa Crysmann. »Wir erleben aber immer wieder, wie mit
Wie sähe ein optimaler wissenschaftsbasierter Entscheidungsprozess aus? Für Lebensmittelsicherheit und die Zulassung von Pestiziden und Chemikalien ist die Europäische Aufsichtsbehörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zuständig. »Die
Theresa Crysmann wünscht sich eine Reform der EFSA und der Art und Weise, wie diese mit von Unternehmen bezahlten und durchgeführten Studien umgeht. »Natürlich sollten Unternehmen weiterhin die Finanzierung übernehmen, es ist ja in ihrem Interesse, diese Produkte auf den Markt zu bringen. Es wäre aber wünschenswert, dass die Unternehmen nicht die Wissenschaftler aussuchen, die ihre Studien durchführen.«
Theresa Crysmann erzählt noch, als plötzlich ein Windstoß Katzemich die Zettel mit den vorbereiteten Infografiken zum Einfluss der Unternehmen in Brüssel aus der Hand reißt. Während sie und die Reporter noch den Papieren nachjagen, öffnet sich die Gittertüre für einen Moment. Lautlos, smooth, schon ist sie wieder zu. Eine Dame in camelfarbenem Mantel und mit teuer aussehender Handtasche weht eilig davon, zum nächsten Termin, wer weiß, mit wem. Vielleicht sind Nina Katzemich und Theresa Crysmann ihr schon bald auf der Spur.
Wer beeinflusst wen? Wie? Und was heißt das eigentlich für dich? Damit habe ich mich in den letzten Wochen viel beschäftigt. Deshalb ist meine Lobby-Tour durch Brüssel auch noch nicht vorbei. Im nächsten Text frage ich, was Umwelt- und Verbraucherschützer von Konzernen lernen können – und wer ihnen dabei helfen kann.
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