Diese Politikerin will NRW zurück an die Spitze bringen
Für die Integration dort ist Serap Güler verantwortlich. Sie ist die einflussreichste CDU-Politikerin mit Migrationshintergrund. Macht das sie zur geborenen Staatssekretärin für Integration?
Man bekommt ja immer nur mit, wenn etwas schief läuft mit der Integration. Wenn jemand einfach nur hierherkommt, Deutsch lernt, einen Job findet und sich inmitten unserer Gesellschaft ein Leben aufbaut, erfährt das außer dem direkten Umfeld niemand. Und deshalb werden über Integration immer dann Debatten geführt, wenn sie gescheitert ist – und häufig deswegen Menschen zu Schaden gekommen sind. Die Kölner Silvesternacht war das erste derartige Beispiel nach im Jahr 2015. Seitdem ist in puncto Integration viel passiert – aber viele Herausforderungen sind geblieben, wie das Beispiel der zeigt.
Köln und Essen liegen beide in Nordrhein-Westfalen, dem bevölkerungsreichsten Bundesland. – Sie zu integrieren, ist der Job von Serap Güler: Die 38-Jährige ist seit dem vergangenen Sommer Staatssekretärin für Integration. Güler gehört der CDU an, ihr Chef im Landesministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration, Minister Joachim Stamp, ist FDP-Mitglied. Ein großer Punkt auf ihrer To-do-Liste ist unter anderem die »Integrationsstrategie 2030«, in der Fachmenschen aus verschiedenen Richtungen konkrete Ziele vereinbaren sollen.
Zukunftsorientiert, verständlich, werbefrei. Dafür stehen wir. Mit Wohlfühl-Nachrichten hat das nichts zu tun. Wir sind davon überzeugt, dass Journalismus etwas bewegen kann, wenn er sowohl Probleme erklärt als auch positive Entwicklungen und Möglichkeiten vorstellt. Wir lösen Probleme besser, wenn wir umfassend informiert und positiv gestimmt sind – und das funktioniert auch in den Medien. Studien haben gezeigt, dass Texte, die verschiedene Lösungen diskutieren, zu mehr Interesse führen, positive Emotionen erzeugen und eine erhöhte Handlungsbereitschaft generieren können. Das ist die Idee unseres Konstruktiven Journalismus.
Wer soll eigentlich integriert werden?
Frau Güler, wer soll eigentlich integriert werden?
Serap Güler:
Das ist eine gute Frage. Wenn man über Integration spricht, meint man in den letzten 2 Jahren vor allem die Gruppe der Flüchtlinge. Das ist natürlich viel zu kurz gegriffen, denn wir sehen bei den alteingesessenen Menschen mit Einwanderungsgeschichte auch nach wie vor Herausforderungen. Von Integrationsmaßnahmen profitieren nicht nur Menschen mit Einwanderungsgeschichte. Ein Beispiel: Wenn Sie die Sprachförderung für Vorschulkinder nehmen, profitieren davon natürlich nicht nur Kinder mit Migrationsgeschichte, sondern auch andere. Damit meine ich autochthone Deutsche, die Sprachprobleme haben.
Entschuldigung, welche Deutschen?
Serap Güler:
Autochthone Deutsche – das sind die, die umgangssprachlich auch als bezeichnet werden.
Also
Serap Güler:
Das ist die große gesellschaftliche Herausforderung, die wir im Moment haben und in unterschiedlichen Debatten mitbekommen. Es darf nicht zu einer Neiddebatte führen, mit der wir uns in den letzten Jahren immer wieder beschäftigt haben. Das merken Sie nicht nur bei autochthonen Deutschen. Auch viele Migranten, die seit vielen Jahren im Land leben, sprechen von Verdrängung, wenn sie sagen: »Es geht nur noch um Flüchtlinge und nicht mehr um unsere Belange.«
Wie schnell so eine Diskussion total aus dem Ruder läuft, konnten wir erst kürzlich beim Thema Essener Tafel beobachten: Kaum war bekannt, dass die Einrichtung neue Kundenkarten nur noch an deutsche Bürger vergibt, echauffierte sich halb Deutschland – wahlweise über den angeblichen Rassismus der Tafel oder über die Bundesregierung, die angeblich Deutsche schlechterstelle als Geflüchtete. Was haben Sie aus dieser Debatte gelernt?
Serap Güler:
Ich persönlich fand die Diskussion zu hoch aufgehängt. Manche sind mit ihrer Kritik an der Tafel ziemlich übers Ziel hinausgeschossen. Ich glaube, die Tafel hat viel daraus gelernt – hätte sie ihre Kommunikation nach außen am Anfang etwas anders gestaltet, wären die Dinge gar nicht erst so hochgekocht. Ich bin davon überzeugt, dass keine böse, diskriminierende oder rassistische Absicht dahintersteckte.
Aber: Bei der Tafel arbeiten Ehrenamtler – und keine Kommunikations-Profis. Man hätte insgesamt etwas gelassener damit umgehen sollen.
Wie können die Debatten hierzulande wieder besonnener werden?
Serap Güler:
Wir alle müssten täglich nach Antworten auf die Frage suchen: Wie kann man eigentlich dazu beitragen, dass bestimmte Dinge mit etwas mehr Gelassenheit oder ein bisschen mehr Tiefe in die Welt getragen werden? Das ist vielleicht an diesen Tagen auch sehr menschlich, dass man – siehe die jüngste Islam-Debatte – eher auf die Schlagzeile als auf die inhaltliche Auseinandersetzung Wert legt.
Wie bunt ist die Politik?
Ist damit jetzt erst mal der Ton gesetzt für Ihre Zusammenarbeit mit der neuen Bundesregierung?
Serap Güler:
Machen wir uns nichts vor: Keiner der Koalitionspartner hat sich die GroKo gewünscht. Aber unabhängig von der Schwierigkeit dieser Konstellation darf man auch innerhalb einer Koalition um Standpunkte streiten. Das tut gut, weil sie dadurch dem Vorwurf, die Volksparteien würden sich immer weiter ähneln, entgegentreten können.
Zu viel Streit kann letztendlich aber auch zu Politikverdrossenheit führen. Gerade jetzt, nachdem die Regierungsbildung doch erstaunlich lange gedauert hat, erwarten viele Menschen auch, dass endlich die inhaltliche Arbeit auf Sachebene losgeht und dass der Wahlkampfmodus jetzt erst mal ausgeschaltet bleibt. Ich habe allerdings die Befürchtung, dass dieser Modus mindestens bis zur Landtagswahl in Bayern noch bleiben wird.
Ist dieses Detail Ihrer Biografie nützlich für den Job einer Integrations-Staatssekretärin?
Serap Güler:
Ich vergleiche das oft damit: Wenn eine Lehrerin Schulpolitik macht, weiß sie für gewöhnlich ziemlich genau, wovon sie spricht – oder wenn eine Landwirtin Agrarpolitik macht. Das ist dann alles so naheliegend. Wenn jemand mit Migrationsgeschichte Integrationspolitik macht, heißt das aber nicht, dass das jemand ohne Migrationsgeschichte nicht gut machen kann.
Mit einer Migrationsgeschichte erfüllt man stärker die Brückenfunktion, weil man gegenüber der Migranten-Community fordernder auftreten kann, ohne in eine Ecke gerückt zu werden. Andererseits kann man auf der Seite der Mehrheitsgesellschaft auch für bestimmte Forderungen oder Bedürfnisse der Community werben. Das ist vielleicht der Pluspunkt, den jemand mit Migrationsgeschichte mitbringt.
Ist es dann ein Rückschritt, dass die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Annette Widmann-Mauz heißt und nicht mehr Aydan Özoğuz?
Serap Güler:
Ich würde das nicht als Rückschritt bezeichnen. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, neben all der parteipolitischen Querelen: Aydan Özoğuz hatte zwar eine Migrationsgeschichte, aber sie war keine gute Staatsministerin für Integration. Denn ich habe sie ehrlich gesagt kaum bei dem Thema wahrgenommen in den letzten Jahren.
Meine eigentliche Kritik ist aber: Im kompletten Bundeskabinett gibt es niemanden, der eine Migrationsgeschichte hat. Zu denken, Menschen mit Migrationsgeschichte könnten nichts außer Integrationspolitik, ist zudem zu einfach gedacht. Ich hätte mir auch auf einem anderen Posten jemanden gewünscht.
Auch im CDU-Bundesvorstand sind Sie das einzige Mitglied mit Migrationsgeschichte.
Serap Güler:
Mittlerweile ja. Als ich angefangen habe, waren wir und Im Moment bin ich die Einzige – wir hatten aber bis zur letzten Wahl noch eine weitere Frau mit Migrationsgeschichte im Präsidium.
Brauchen die Parteien eine Migrationsquote?
Serap Güler:
Ich halte von der Frauenquote schon wenig, und auch eine Migrationsquote wäre nicht zielführend. Insgesamt müssen sich alle Parteien Migranten gegenüber öffnen.
Wie soll das gehen?
Serap Güler:
Natürlich sind Menschen mit Einwanderungsgeschichte in verschiedenen Parteien willkommen. Aber es findet keine gezielte Ansprache statt, und da sind wir alle, egal welches Parteibuch wir haben, gefordert, die eigene Partei stärker in die Verantwortung zu nehmen. Damit meine ich nicht, dass wir unser Parteiprogramm auf Türkisch oder Russisch abdrucken müssen, sondern den Menschen das Signal senden: Wir sind an einer Zusammenarbeit interessiert, willst du nicht bei uns mitmachen? Selbiges gilt auch bei Frauen.
Hat NRW mehr Integrations-Erfahrung?
Schon im 19. Jahrhundert siedelten Polen ins Ruhrgebiet über, um in der Schwerindustrie zu arbeiten. Hat Nordrhein-Westfalen wegen seiner langen Zuwanderungsgeschichte einen Vorsprung gegenüber anderen Bundesländern?
Serap Güler:
Die polnischen Zuwanderer nannte man im Ruhrgebiet auch Ruhrpolen. Als sie sich ansiedelten, gab es einige Dinge, die im Ruhrgebiet negativ wahrgenommen wurden: Die polnische Community hatte ihre eigene Zeitung, eine eigene Bank, eigene Vereine, gehörte der katholischen Glaubensgemeinschaft an … Heute geht es beim Thema Integration nicht mehr um diese Gruppe. Aber damals gab es Debatten, die den heutigen gar nicht so unähnlich sind.
Heißt das, dass wir als Gesellschaft nichts dazugelernt haben?
Serap Güler:
Ich glaube, eine Gesellschaft lernt immer wieder dazu. Wir stehen heute insofern besser da, als dass wir den Menschen, die heute zu uns kommen, von Anfang an andere Angebote machen können. Mein Vater hat keinen Integrationskurs besucht, den gab es damals nicht. Er hätte die Möglichkeit gehabt, einen freiwilligen Deutschkurs zu besuchen – aber wenn Sie 10–12 Stunden arbeiten, besuchen Sie keinen freiwilligen Deutschkurs mehr. Er ist ja gekommen, um zu arbeiten. Bei den Menschen, die heute kommen, wird gleich zu Anfang verlangt: Du musst die deutsche Sprache schnell lernen und dich in das System integrieren. Es gibt auch nach wie vor eine großartige Unterstützung von ehrenamtlichen Helfern, die diese Menschen unterstützen.
Dass es so viele Angebote gibt, ist erst seit der großen Flüchtlingsbewegung im Jahr 2015 so. Deutschland hat es im Großen und Ganzen geschafft, sehr viele Menschen zu registrieren, sie unterzubringen und zu versorgen. Was sind die aktuellen Herausforderungen bei den Geflüchteten?
Serap Güler:
Wie Sie sagen: Die Unterbringung haben wir irgendwie gemeistert –
Deshalb würde ich das so sagen, wie es auch in unserem Koalitionsvertrag steht: Sprachvermittlung, Arbeit, Wertevermittlung – das sind die zentralen Aufgaben, die wir bei den neu Zugewanderten haben.
Aber all die Diskussionen um Türkeistämmige in den letzten Jahren machen deutlich: Auch da müssen wir noch mal ran. Da würde ich es vielleicht eher Demokratievermittlung nennen; was macht unsere Demokratie eigentlich aus und was sind die demokratischen Spielregeln in Deutschland, für die es sich lohnt, auf die Straße zu gehen?
Gibt es bei all den Integrationskursen, die es im Land gibt, einheitliche Standards und so etwas wie eine Qualitätskontrolle?
Serap Güler:
So gut wie gar nicht. Und das ist das Problem, das wir bei den Integrationskursen des Bundes haben. Wir müssen gewisse Qualitätsstandards setzen – und das gilt natürlich auch auf Landesebene.
Wer ist Deutscher Meister in Integration?
In NRW gibt es als autochthone Deutsche. Die AfD hat kürzlich im Landtag einen Antrag gestellt, den Ausländeranteil an allen Schulen auf 20% zu reduzieren.
Serap Güler:
20% entspricht ja nicht einmal der Realität in NRW. Wir haben 25% Menschen mit Zuwanderungsgeschichte …
… 20% würde man also nur erreichen, wenn man Migranten von der Schulpflicht entbindet.
Serap Güler:
Genau. Wir haben Schulen, die teilweise einen Anteil von 95% Kindern mit Migrationsgeschichte haben. Das muss erst mal nichts Schlechtes heißen, aber wenn Sie dann schauen, an welchen Schulen das stattfindet – das sind ja keine Gymnasien, sondern oft Haupt- oder Grundschulen, oft in Vierteln, wo es eh einen hohen Migrantenanteil gibt … Das aufzuknacken, ist eine der größten Herausforderungen, wenn Sie Integration und Schulen zusammendenken. Ich hoffe, dass wir mit klugen Konzepten vor Ort da eine bessere Verteilung hinkriegen.
Ihre rot-grüne Vorgängerregierung hat deshalb am Ende der Legislaturperiode noch 5.700 neue Lehrerstellen geschaffen – wie viele davon sind mittlerweile besetzt?
Serap Güler:
Die alte Landesregierung hat zwar an den Schulen neue Lehrerstellen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise geschaffen, aber nicht dauerhaft im Haushalt abgesichert. Von den 5.979 zusätzlich geschaffenen Stellen wären nach einer gewissen Frist wieder weggefallen. Das ist keine nachhaltige Politik und nicht im Sinne der Kinder, die über eine längere Zeit in den Schulen unterrichtet werden. Die Landesregierung aus CDU und FDP hat bereits in ihrem ersten Haushalt 3.299 dieser Stellen entfristet. Im nächsten Haushalt wird sich das Schulministerium dafür einsetzen, weitere Stellen zu entfristen. Für gelingende Integration brauchen wir für die zugewanderten Kinder auch die Lehrerinnen und Lehrer, die sie unterrichten.
Merkt man der Integrationspolitik in Nordrhein-Westfalen an, ob sie von einer schwarz-gelben oder einer rot-grünen Landesregierung gemacht wird?
Serap Güler:
Wir haben seit 2001 einen integrationspolitischen Konsens im nordrhein-westfälischen Landtag, was nicht bedeutet, dass wir immer alle einer Meinung sind, aber dass sich alle im Klaren sind, was die Bedeutung des Themas ist, und dass es nicht zum Wahlkampfthema gemacht wird. Wir haben alle das gleiche Ziel, aber unterschiedliche Vorstellungen davon, was der Weg ist. Ich möchte, dass wir in Zukunft wieder an der Spitze der integrationspolitischen Bewegung im Bund stehen.
Welches Bundesland steht denn im Moment an der Spitze, wenn es um integrationspolitische Maßnahmen geht?
Serap Güler:
Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Man schimpft ja immer gerne auf die Bayern, aber wenn Sie sich deren integrationspolitische Konzepte mal anschauen, sind die wirklich gut. Die reden nur kaum darüber, sondern eher darüber, ob der Islam zu Deutschland gehört oder nicht.
Wenn Zugvögel im Schwarm fliegen, beeinflusst jedes einzelne Tier die Richtung aller – das hat David bei einer Recherche gelernt. Sonst berichtet er eher über Menschen, stellt sich dabei aber eine ganz ähnliche Frage: Welche Rolle spielt der einzelne Wähler und Verbraucher, welchen Einfluss hat jeder von uns auf die Gesellschaft? David recherchiert gern unterwegs, studiert hat er Musikmanagement, Englisch und Journalismus.