Beginnt hier der nächste afrikanische Aufbruch?
Der Senegal will ab dem Jahr 2035 kein Entwicklungsland mehr sein. Für die Regierung läuft vieles nach Plan – für die Bevölkerung auch?
Schon beim Landeanflug auf den Flughafen von Dakar, der Hauptstadt des Senegals, wird mir klar: Hier tut sich etwas! Als ich im Jahr 2014 zum letzten Mal hier war, landete ich noch auf dem alten Stadtflughafen. Jetzt schwebe ich auf den neuen Flughafen
Bei meinem letzten Besuch stand
Warum der Senegal wichtig ist
Der Senegal ist nicht das einzige afrikanische Entwicklungsland, das den Weg in die Wohlstandsgesellschaft sucht. Für mich ist es aber das vielleicht interessanteste, denn schaut man sich das Land und die Gesellschaft an, drängt sich die Frage auf: Wenn es hier nicht funktioniert, wo dann?
- Senegal ist eine gefestigte Demokratie. Seit der Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1960 finden hier freie Wahlen statt.
- Vor der Küste liegen einige der reichsten Fischgründe der Welt. Klima und Flusssysteme sorgen für großes landwirtschaftliches Potenzial. Sonne und Strand laden zum Baden ein. Es gibt Gold, Phosphat und andere Bodenschätze, aber nicht in so dramatischen Mengen, dass sie dem Rest der Wirtschaft die Luft abschnüren könnten.
- Fast alle der gut 15 Millionen Einwohner sprechen
Natürlich gibt es zu jedem dieser Punkte auch eine pessimistische Perspektive. Der Senegal steht vor vielen Problemen und Herausforderungen. Aber auf der Suche nach funktionierenden Entwicklungsstrategien hat kaum ein Land in Afrika bessere Ausgangsbedingungen.
Diamniadio, die zweite Hauptstadt?
Kaum ein Thema ist den Planern von der senegalesischen Regierung so wichtig wie Infrastruktur. Hierzu gehört der von einem türkischen Unternehmen gebaute und betriebene Flughafen ebenso wie die von einem französischen Konzern gebaute und betriebene Autobahn, die ihn mit der Innenstadt von Dakar verbindet. Bis zum Jahr 2030 sollen insgesamt 800 Kilometer Autobahn gebaut, der Hafen von Dakar generalüberholt, Solarparks errichtet und eine neue Bahnstrecke von Dakar ins Nachbarland Mali konstruiert werden. Der Senegal soll so zum wichtigsten Knotenpunkt der Region werden, finanziert durch Steuergelder, Kredite der Weltbank und Entwicklungshilfe sowie durch Kooperationen mit
Doch das vielleicht wichtigste Prestigeprojekt ist Diamniadiao. Nur wenige Kilometer vom neuen Flughafen entfernt ragen halbfertige Stahlgerüste und Kräne in die Luft.
»Diamniadiao wird die zweite Hauptstadt des Senegals. Ministerien, UN-Organisationen, alle werden dorthin umziehen«, sagt Mayacine Camara, Koordinator der staatlichen
Realitätscheck in Diamniadiao: Noch grasen hier Kühe zwischen einigen halbfertigen Baustellen. Ob sich die Träume der Regierung von einer dynamischen Retortenstadt erfüllen werden, muss die Zeit zeigen. Ein lokaler Journalist erzählt von Investoren, denen das Bauen hier zu teuer war. Der Untergrund sei sehr lehmig, die daraus entstehenden Kosten würden durch die Nähe zum Flughafen nicht kompensiert.
Und dann gibt es da noch das andere Diamniadiao, die alte Gemeinde gleichen Namens. Dicht an dicht pressen sich Lastwagen und Minibusse durch die Hauptstraße. Sie vermeiden die Autobahn, denn die Maut wollen sich viele Menschen nicht leisten. Sie kostet vom Flughafen in die Innenstadt
Alteingesessene können sich hier wegen Grundstücksspekulationen inzwischen kein Haus mehr leisten. Und während in der Entwicklungszone Universitäten und Kliniken entstehen sollen, beklagt der Stadtrat des alten Diamniadiao, dass die Regierung kein Geld für den Entwicklungsplan in seiner Gemeinde übrig hat.
Für den Rapper und Aktivisten Thiat ist Diamniadiao ein Ausdruck der Hybris der regierenden Elite. Im Hauptquartier der Jugendorganisation
Für Diamniadiao hat er wenig Sympathie. »Die Regierung spricht davon, dass Dakar dadurch wieder atmen kann. Aber sie bauen das Projekt direkt vor den einzigen Eingang zur Stadt und schnüren ihr so die Luft ab.«
Tatsächlich konzentrieren sich die Infrastruktur-Investitionen vor allem auf die Hauptstadt, die so noch mehr Menschen anziehen wird. Andere Regionen drohen dadurch vernachlässigt zu werden, obwohl es dort weder an Problemen noch an Potenzial mangelt.
Chaos am Strand der Fischer
100 Kilometer südlich von Dakar brennt die Sonne auf den Strand von Joal, auf dem sich Hunderte Menschen drängeln. Farbenfroh bemalte Pirogen – nicht zu verwechseln mit der polnischen Teigspezialität; es handelt sich um traditionelle Holzboote – dümpeln im Wasser. Körbe voller Fisch und Muscheln werden kreuz und quer über den Sand geschleppt, der an vielen Stellen komplett mit den Überresten früherer Fänge bedeckt ist.
Der Chef der örtlichen Fischer-Genossenschaft Karim Sall kann Ordnung im Chaos erkennen. »Die Fischer verkaufen ihren Fang am Wasser an Händlerinnen. Die verarbeiten die Fische und Muscheln, wenn nötig, und verkaufen sie dann in den Gebäuden hier oben weiter. In der linken Halle werden die Geschäfte mit Europa gemacht, rechts mit Asien. Und einiges wandert natürlich auch auf den lokalen Markt.« Schon im Jahr 2014 hat Sall mich hier herumgeführt. Der Ort Joal ist einer der größten Umschlagplätze für Fisch im Senegal, der von sogenannten Kleinfischern gefangen wird.
»Fischerei hat im Senegal eine lange Tradition. Die Kleinfischerei beschäftigt 600.000 Menschen direkt und Fisch ist der wichtigste Eiweißlieferant für die meisten Senegalesen«, berichtet Sall. Bis zu 2 Wochen am Stück sind die Fischer in ihren Holzbooten auf dem Atlantik unterwegs. In die internationalen Schlagzeilen kommen die Pirogen-Boote, weil sie auch immer wieder für die illegale Migration auf die Kanarischen Inseln genutzt werden.
Laut Sall liegt es am geringen Einkommen der Fischer, dass vor allem die jüngeren oft den Weg nach Europa oder Dakar suchen. Trotz der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedeutung der Kleinfischerei könne davon allein kaum jemand gut leben, weil die Fischbestände überfischt sind und nicht genügend abwerfen. Verantwortlich macht er dafür die Regierung. Die habe die Fischbestände schlecht verwaltet. Zwar gibt es Fangquoten auch für Kleinfischer, doch die werden nicht durchgesetzt, denn die Fischer stellen eine wichtige Wählergruppe dar.
Und dann sind da noch die ausländischen Fangflotten. »Hier fischen Schiffe aus der EU, Asien und Russland. Die fangen uns die Fische weg«, beklagen neben Sall auch andere Fischer.
Mayacine Camara von der Planungskommission der Regierung relativiert diese Kritik: »Die ausländischen Fangflotten bekommen nur Lizenzen für Arten, die von den Kleinfischern traditionell nicht gefangen werden.« Eine direkte Konkurrenz gebe es nicht. Außerdem würden die Fänge der Ausländer in Dakar angelandet und dort verarbeitet, wodurch Arbeitsplätze entstünden. Für Karim Sall zählt dieses Argument nicht. »Warum investiert die Regierung nicht in eine senegalesische Fangflotte, die diese Bestände befischt?«, will er wissen. Was die Regierung nicht direkt sagt (und was beim Blick in die Bilanzen klar wird): Für den Staat sind die Fanggebühren, die die Ausländer zahlen, eine wichtige Einkommensquelle,
Im »Plan Sénégal Emergent« sucht man nach solchen Plänen vergeblich. Überhaupt bleibt auch nach Gesprächen mit Regierungsvertretern unklar, wie Kleinfischer den Sprung zum Schwellenland mitmachen sollen.
Für den Senegal und besonders die Fischer ist das eine gefährliche Situation. Überfischte Fischbestände neigen dazu, innerhalb kurzer Zeit zu kollabieren. Wenn so ein Schock-Ereignis den Senegal heimsuchen würde, hätte das für die Gesellschaft katastrophale Konsequenzen.
Der einsame Biobauer
70 Kilometer landeinwärts von Joal, nahe der Kleinstadt Fatick, gibt es keine Fischer, aber die Probleme sind ähnlich. Stolz zeigt mir Abdoulaye Diouf das Areal, das schon sein Vater bestellt hat und mit dem er heute seine 11 Kinder ernährt.
Heute ragt hier ein Dutzend mächtige Mangobäume in den Himmel. Zwischen ihnen baut Diouf verschiedene Feldfrüchte an. Zu dieser Jahreszeit vor allem Zwiebeln. »Ich beginne jeden Tag damit, die Zwiebeln zu wässern. Dafür brauche ich etwa 190 Gießkannen«, erklärt Diouf und deutet auf die beiden Brunnen, aus denen er das Wasser mittels Seil und Eimer ans Tageslicht befördert.
Diouf ist im Senegal ein Ausnahmebauer, aber nicht wegen seiner körperlichen Leistungen. Etwa 70% der arbeitenden Bevölkerung sind in der Landwirtschaft tätig, fast alle auf kleinen Bauernhöfen ohne Landmaschinen. Während aber die meisten Kleinbauern auf Monokulturen setzen und etwa ausschließlich Erdnüsse oder Reis anbauen, kombiniert Diouf unterschiedliche Feldfrüchte miteinander. Und er verzichtet komplett auf Kunstdünger und Pestizide. »Ich dünge ausschließlich mit organischem Dünger wie Kuhdung und Kompost«, erzählt er.
Für Mariam Sow sind Bauern wie Diouf ein Vorbild für die Landwirtschaft im Senegal. Sie ist die Präsidentin von
Aus Sicht der Regierung gab es für die Landwirtschaft des Senegals schon bei meinem letzten Besuch im Jahr 2014 vor allem 2 Prioritäten:
- Die Förderung des Erdnussanbaus und der Weiterverarbeitung zu Erdnussöl. Die Hülsenfrucht ist neben Fisch das einzige Exportgut, das in erheblichem Umfang Arbeitsplätze
- Die Steigerung der Reisproduktion. Seit der Einführung durch den Kolonialherren Frankreich ist Reis das wichtigste Grundnahrungsmittel. 2013 wurde nur etwa 1/4 des Bedarfs im Land selbst produziert, der Rest musste teuer importiert werden.
Tatsächlich konnte die Produktion für die beiden Feldfrüchte in den vergangenen Jahren stark gesteigert werden. Verantwortlich sind aber vor allem günstige Wetterverhältnisse. Bei der Verdoppelung der Reisproduktion seit dem Jahr 2014 dürften zwar auch staatliche Maßnahmen wie Kredite und Ausbildung für Bauern sowie Investitionen in neue Anbaugebiete eine Rolle gespielt haben. Doch die Regierung musste trotz günstiger Bedingungen das Ziel der Selbstversorgung mit Reis von 2017 auf 2019 verschieben.
Für Mariam Sow geht die Regierungsstrategie aber am eigentlichen Problem vorbei. Das Ziel der Selbstversorgung mit Reis sei sinnvoll, aber ansonsten orientiere sich die Regierung zu sehr an den Bedürfnissen von Agrarunternehmen und nicht an jenen der Millionen von Kleinbauern.
Zum Beispiel setze die senegalesische Regierung wie selbstverständlich auf den Einsatz von Kunstdünger und Pestiziden. Für Mariam Sow eine fatale Entscheidung, denn das lauge die durch jahrzehntelange Misswirtschaft ohnehin schon völlig zerstörten Böden nur noch weiter aus. Sie sieht die Zukunft in der ökologischen Landwirtschaft, denn diese könne auch die Rolle der Kleinbauern berücksichtigen.
Sie wünscht sich außerdem mehr Schutz für die lokale Wirtschaft. »Wir sollten viel mehr in lokale Wertschöpfungsketten investieren und unsere Bauern vor unfairer Konkurrenz schützen«, so Sow. Weder die Bauern noch die weiterverarbeitenden Betriebe im Senegal können mit der oft staatlich geförderten Konkurrenz aus Europa, den USA oder Asien mithalten. Genauso wie andere Interessensvertreter der Kleinbauern wünscht sich Sow einen protektionistischen Staat, der in die lokale Weiterverarbeitung und den Konsum der hier hergestellten Nahrungsmittel investiert.
Zurück in die Zukunft
Nach fast 2 Wochen im Senegal steht für mich fest: die Strategie der Regierung zur Entwicklung des Landes geht an vielen Stellen auf. Das Bruttosozialprodukt pro Einwohner wächst um
Das Problem: Diese Erfolge stehen auf wackeligen Beinen. Denn die Strategie der Regierung deckt sich an vielen Stellen nicht mit den Wünschen der Bevölkerung. Zudem folgt der Senegal der Entwicklungsstrategie von Staaten wie China, Indien und Singapur. Diese war zwar erfolgreich, musste sich auf dem Weg zum Schwellenland aber noch nicht mit Problemen wie Klimawandel, Ressourcenmangel und Nachhaltigkeit herumschlagen.
Mich beschleicht das Gefühl, 2 unterschiedliche Länder besucht zu haben. Im ersten lebt eine kosmopolitische Mittel- und Oberschicht – schon heute die Wohlstandsgesellschaft. Der Plan der Regierung ergibt für sie Sinn, denn er entspricht ihren Wünschen und Erfahrungen. Das zweite Land hat Potenzial ohne Ende, die Menschen hier warten aber immer noch auf eine Vision, in der auch sie eine Rolle spielen. Daran hat sich in knapp 4 Jahren nicht viel geändert. Welches Senegal ich wohl bei meinem nächsten Besuch vorfinden werde?
Diese Reportage ist während einer Recherchereise entstanden, die ich für den Berliner Verein journalists.network organisiert habe. Insgesamt 12 Journalisten nahmen an der Reise teil, die maßgeblich vom New Venture Fund und von Misereor finanziert wurde. Einfluss der Geldgeber auf die Gestaltung der Recherche vor Ort oder den Inhalt dieses Artikels gab es keinen.
Titelbild: Peter Dörrie - copyright