Würdest du im Urlaub Kopftuch tragen?
Ich bin Feministin. Das hätte mich fast von einer Reise in den Iran abgehalten. Warum es gut war, dass ich trotzdem gefahren bin.
Bis zum Abflug ist es noch gut eine Woche und ich bin jetzt schon im Stress. Normalerweise stopfe ich meine Sachen erst kurz vor der Reise in meinen Rucksack. Dieses Mal ist es anders. Ich fahre in den Iran. Und mein Kleiderschrank gibt wirklich wenig her, was den strengen Vorschriften der Islamischen Republik gerecht würde.
– Peter Trescher: Reiseführer Iran (2018)
Während ich auf der Suche nach sittsamer Kleidung Wie wirkt sich mein Klamotten-Konsum auf Näherinnen in Bangladesch aus? Dieses Interview gibt Antworten durch die Fußgängerzone hetze, muss ich an Shara denken. Auf dem Gymnasium verbrachten wir jede Woche 2 Stunden miteinander. Wir waren nicht gut befreundet, aber beide vom christlichen Religionsunterricht befreit. Ich bin ungetauft, Sharas Familie kommt aus dem Iran. Einmal erzählte Shara mir davon, dass sie dort ein Kopftuch tragen muss, wenn sie mit ihren Eltern ihre Verwandten besucht. Als Jugendliche in der schwäbischen Provinz ging das nicht in meinen Kopf: Altklug wollte ich ihr etwas von In diesem Teamtext haben wir Ideen für neue Traditionen gesammelt Traditionen und Kultur erklären, die den Frauen das Kopftuch bestimmt indirekt aufzwingen würden. Dass es wirklich irgendwo auf der Welt ein Gesetz gibt, das Frauen zum Tragen des Kopftuchs zwingt – das konnte ich mir schlicht nicht vorstellen.
Knapp 20 Jahre später weiß ich es besser. Als sich mir die Gelegenheit bietet, selbst in den Iran zu fahren, frage ich mich: Ist das eine gute Idee? Hier empöre ich mich darüber, dass dein Bauch auch in Deutschland immer noch nicht dir gehört (wenn du eine Frau bist) Frauenrechte und Feminismus sind mir wichtig. Will ich wirklich Urlaub in einem Land machen, in dem Frauen per Gesetz als eingestuft werden?
Schließlich überwiegt meine Neugier auf das Land. Und auch darauf, was es mit mir macht, wenn ich mich 2 Wochen an die Kleidervorschriften einer islamischen Republik halten muss.
Er frotzelt: »Ihr Touristinnen verhaltet euch überkorrekt«
Auch Ausländerinnen müssen im Iran den Ali Sadrzadeh schreibt im Iran Journal über den staatlichen Kleiderzwang (2018) Es gilt der Artikel 368 des iranischen Strafgesetzbuchs: Dieser sieht eine Haftstrafe von mindestens 10 Tagen bis zu 2 Monaten und eine geringe Geldstrafe dafür vor, wenn sich eine Frau nicht den Vorschriften entsprechend kleidet. Reiseführer versichern zwar, dass Touristinnen keine Angst haben müssten, im Gefängnis zu landen, und im schlimmsten Fall wohl des Landes verwiesen würden. Aber auch das ist eine Erfahrung, die – vor allem im Urlaub – wohl keine machen möchte.
tragen, es gibt keine Ausnahmen.Dazu kommt: Es würde ganz schön viel Mumm erfordern, das Kopftuch einfach so abzunehmen, wenn es um einen herum alle tragen. Das wird mir zum ersten Mal im Landeanflug auf Teheran bewusst, als alle weiblichen Fluggäste in der Maschine der ukrainischen Fluglinie anfangen, in ihren Taschen zu kramen. Kurzhaarschnitte, rote Mähnen, blonde Strähnchen – alles verschwindet nach und nach unter einer Lage Stoff. Das sieht bei manchen besser aus als bei anderen und schnell wird deutlich, wer hier Übung hat. Ich fühle mich albern mit meinem provisorisch um den Kopf gewickelten Schal. Schon beim Betreten des Flughafens stehen auffällig unauffällig 2 Männer in der Gangway, die besonders die ankommenden Passagierinnen mustern.
In den ersten Tagen in Teheran komme ich mir seltsam verkleidet vor – und sehe wohl auch so aus. Neben den schicken Hauptstädterinnen mit ihren taillierten Mänteln und den farblich perfekt abgestimmten Tüchern mache ich keine besonders gute Figur. Darüber wird auch später einer der Gastgeber unserer kleinen Reisegruppe Witze reißen: »Ihr Touristinnen denkt ja immer, ihr müsstet euch komplett verschleiern. Bei den meisten Iranerinnen sieht man viel mehr!«
– Bita, Studentin der Deutschen Literatur in Teheran
Viele Iranerinnen – dazu zählt auch meine Reisebegleiterin
– gehen tatsächlich ziemlich locker mit dem Gesetz um. Das Tuch sitzt so lässig, dass es ab und zu vollständig vom Kopf rutscht.»Wir hassen es!«, sagt eine andere neue Bekannte, die auch zu denen gehört, die ihrem Haar wann immer möglich Frischluft gönnt. Mir kommt der Gedanke: Ich empfinde das Tragen des Kopftuchs vor allem deshalb als degradierend, weil es so albern ist, sich die ganze Zeit um dieses Stück Stoff auf dem Kopf sorgen zu müssen – auch wenn man keinerlei religiöse Gefühle damit verbindet.
Damit ich und alle, denen es ähnlich geht, das Kopftuch in der Öffentlichkeit trotzdem nicht abnehmen, gibt es die
In Isfahan begegne ich ihr zum ersten Mal.Die strengen Blicke der Moralpolizei
Isfahan löst alles ein, was sich an Assoziationen im Kopf ansammelt, wenn man an das
denkt: Mit kunstvoll bemalten Kacheln verzierte Moscheen, Paläste wie aus 1001 Nacht, unendlich verwinkelte Basare, auf denen die Händler Kupfer klopfen.Es ist schon dunkel, der stimmungsvoll beleuchtete Platz des Imams ist aber noch voller Leben. Damit das alles nicht ausartet, hat sich an einer Ecke
postiert; die weiblichen Sittenwächter tragen schwarzen und haben einen strengen Blick aufgesetzt. Einerseits habe ich ein etwas mulmiges Gefühl: Was denken die Beamten über mein Outfit? Falle ich auf? Andererseits vermischen sich diese Gedanken aber auch schon mit einem Funken innerer Rebellion: Sollen sie doch meckern, wenn ihnen etwas nicht passt! Ich gehe unbehelligt weiter.Auf einmal sticht eine elegant gekleidete junge Frau aus der Masse hervor. Mit theatralischer Geste streift sie ihr Kopftuch ab und schreitet wie auf einem Laufsteg in Richtung Basar. Ihre Freundin filmt jeden ihrer Schritte mit dem Smartphone. Die Sittenwächter haben davon nichts mitbekommen, aber auch sonst scheint niemand die Frau zu belästigen.
Meine Reisebegleitung Bita hatte schon erzählt, dass es eine neue Bewegung von Frauen gibt, die Bilder und Videos von sich
verbreiten – ohne Kopftuch. Als Statement, jeden Dienstag. Es ist nicht die erste Kampagne dieser Art.Der weiße Mittwoch, die heimliche Freiheit und ich
Unabhängig davon begannen Frauen im Dezember 2017 damit, auf Stromkästen, Parkbänken oder einfach am Straßenrand stehend stumm ihre Kopftücher zu schwenken. Das Regime griff hart durch: Medien berichteten im Februar Al Jazeera berichtet über die Verhaftungen (englisch, 2018) von mindestens 29 Verhaftungen.
Schon im Jahr 2015 rief die Exil-Iranerin und Journalistin In der Washington Post schreibt Masih Alinejad über Morddrohungen als Reaktion auf ihre Kampagnen (englisch) Masih Alinejad die Bewegung My Stealthy Freedom (»Meine heimliche Freiheit«) ins Leben. Hier geht es zur Facebook-Seite Die dazugehörige Facebook-Seite hat inzwischen über eine Million Fans, bis heute postet Alinejad hier und auf Instagram täglich neue Videos und Bilder von Frauen im ganzen Land, die ihr Kopftuch in der Öffentlichkeit abnehmen. Oft sind es die ihre Frauen filmen und damit ihre Unterstützung für die Bewegung signalisieren.
Zum Weltfrauentag 2017 haben Juliane Metzker und Maren Urner einen Text auch für Männer geschrieben Neben den Männern solidarisiert sich auch so manche überzeugte Kopftuchträgerin mit denjenigen, die den Hijab am liebsten ablegen würden. Die jüngste von Masih Alinejad initiierte Kampagne unter dem Hashtag #WhiteWednesdays zeigt Frauen, die mittwochs ein weißes Kopftuch tragen – und auf diese Weise ihre Unterstützung der Wahlfreiheit demonstrieren, ohne selbst Haar zu zeigen.
Wie positioniere ich mich als Touristin – die ebenfalls gezwungen wird, Hijab zu tragen – in diesem Konflikt? Im Nachhinein muss ich zugeben: nicht besonders kritisch. Auf dem Basar in Teheran kaufe ich mir erst mal ein schickeres Tuch, grinse mit meinem ungewohnten Kopfschmuck für Selfies in die Kameras und nach einigen Tagen sitzt alles auch schon ein bisschen lässiger.
Wie positioniere ich mich als Touristin im Konflikt um das Kopftuch? Ich muss zugeben: nicht besonders kritisch.
Ich meine sogar, langsam auch Vorteile zu erkennen: Bad Hair Day? Mir doch egal! Das alles rührt nicht daher, dass ich meine feministischen Positionen über Nacht vergessen habe. Aber mich hat schließlich niemand zum Urlaub im Iran gezwungen. Dann sollte ich mich auch an die Regeln im Land halten. Oder?
Masih Alinejad sieht das offenbar anders. Masih Alinejad im Interview mit The Independent (englisch, 2016) Vor 3 Jahren rief die Initiatorin von My Stealthy Freedom westliche Touristinnen dazu auf, es den iranischen Frauen gleichzutun, das Kopftuch in der Öffentlichkeit abzulegen und die Kampagne so zu unterstützen.
– Masih Alinejad im Interview mit The Independent
Nicht alle fühlen sich eingeschränkt
Auch wenn man sich ein Stück weit daran gewöhnt: Ich fühle mich durch den Hijab eingeschränkt. Es nervt, dass ich mir jedes Mal ein Tuch umwickeln muss, selbst wenn ich nur im Innenhof des Hostels einen Tee trinken will. Aber abgesehen von meiner Gefühlswelt: Wie viele Frauen im Iran fühlen sich tatsächlich durch den Hijab in ihren Rechten beschnitten?
Die Frauen, die in diesem Text vorkommen, gehören der Mittelschicht an, studieren oder leben in Deutschland bzw. den USA. Keine von ihnen ist besonders religiös.Aber es gibt natürlich auch Han Langeslag und Maren Urner schreiben hier darüber, wie wenig es braucht, damit uns die anderen egal sind die anderen. Die Geschichte Irans bis zum Jahr 1979 bei der Bundeszentrale für politische Bildung Die Islamische Revolution im Jahr 1979 hätte keinen Erfolg gehabt, wäre sie nicht von einer breiten Bewegung getragen gewesen, die sich auch – im Gegensatz zur radikal-modernistisch orientierten Schah-Diktatur – eine größere Rolle der Religion im gesellschaftlichen Alltag wünschte.
Du willst ein bisschen mehr über die Hintergründe der Islamischen Revolution lesen? Klicke hier!
Am 1. April 1979 stimmte eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung (nach offiziellen Angaben 98%) für die Errichtung der Islamischen Republik unter dem aus dem französischen Exil zurückgekehrten
Seitdem haben Kleriker im Iran das Sagen, es gilt das Rechtssystem der islamischen Normenlehre – derKhomeini und seine Anhänger stürzten Mohammad Reza Pahlavi, den letzten Schah von Persien. Dessen Vater hatte den Tschador in der Öffentlichkeit im Jahr 1936 verboten, sein großes Vorbild war Kemal Atatürk und die säkulare Republik, die dieser in der Türkei errichtet hatte. Es war eine erzwungene Emanzipation, die unter seinem Nachfolger und Sohn, Tobias Mayer im Deutschlandfunk über die Emanzipation unter Zwang Manche gingen angeblich nur noch nachts aus dem Haus, weil sie sich nicht unverschleiert zeigen wollten.
fortgeführt wurde und die den Bewegungsradius einiger tiefreligiöser Frauen nicht erweiterte, sondern sogar einschränkte.Die »Der neue Iran« von Charlotte Wiedemann bei buch7 Publizistin Charlotte Wiedemann schreibt, dass sich das Tschadorverbot des Schahs, auch wenn es später wieder aufgehoben wurde, tief in die politische Kultur eingeprägt hat.
– Charlotte Wiedemann: Der neue Iran
Nach der Revolution hätten sich viele von ihnen das erste Mal als gleichwertige Bürgerinnen empfunden. Auch viele nichtreligiöse Frauen solidarisierten sich und schwangen sich bei Demonstrationen zu diesem Zweck auch mal selbst einen Tschador über.
Mit der Islamischen Revolution pendelte das System im Vergleich zur westlich inspirierten Express-Modernisierung der vergangenen Jahrzehnte also in ein anderes Extrem: Fortan durften sich Frauen in der Öffentlichkeit nicht mehr unverschleiert zeigen. Gegen diese Bevormundung kam es Hengameh Golestan fotografierte im Jahr 1979 Frauen, die gegen den Kopftuchzwang auf die Straße gingen (englisch, 2015) seit der Islamischen Revolution im Jahr 1979 immer wieder zu Protesten.
Heute sind Frauen trotz Diskriminierung per Gesetz und dem Zwang zum Hijab überall im Alltag präsent: Hier geht es zum Report (englisch, 2017) Platz 140 von 144. Aber es gibt auch Lichtblicke, gerade an den Schulen und Universitäten. Ladan Rahbari: Women in Higher Education and Academia in Iran (englisch, 2016) Eine Langzeiterhebung ergab, dass 68% der Bachelor-Absolventen, 52% der Master-Absolventen und immerhin noch 35% aller Promovierenden in den Jahren 1993–2003
oder als Taxifahrerin im Verkehrschaos Teherans, als feilschende Basar-Händlerin oder mit Freundinnen diskutierend bei einer Zigarette im Park. Im jährlich erscheinenden Gender Gap Report des Weltwirtschaftsforums schneiden dennoch nur wenig Länder in Sachen Gleichstellung schlechter ab als der Iran:Was hatte ich eigentlich erwartet?
Im westlichen medialen Diskurs ist das Bild der unterdrückten muslimischen Frau omnipräsent. Was hatte ich also erwartet, als ich mich auf die Reise machte? Die Vorstellung vom Straßenchaos in Teheran war ziemlich akkurat. Darüber hinaus hatte ich aber eine angespannte Atmosphäre befürchtet: eingeschüchterte Frauen, die sich in ständiger Angst vor der Regelüberschreitung und deren Konsequenzen durch den Alltag bewegen. Und auch, dass das auf mich abfärben könnte. In den ersten Tagen verhalte ich mich sehr vorsichtig. Als ein guter Freund, der zufällig auch gerade im Iran auf Reisen war, mich in Teheran umarmt, ist es mir richtig unangenehm. Ist das nicht verboten?!
Ich beobachte viel und stelle besonders meiner Reisebegleiterin Bita viele Fragen: Ist es ihr unangenehm, wenn ihr das Kopftuch mal vom Kopf rutscht? Macht sie sich Sorgen, was die anderen von ihr denken? »Nicht so richtig. Im Moment ist die Stimmung im Iran nicht besonders streng, die Generation vor mir hatte es viel schwerer.«
Allmählich entspanne ich mich. Das eigene Erleben auf dem Weg von Teheran nach Schiras im Süden des Landes ersetzt Stück für Stück Hier schreibt Juliane Metzker über Fremdbilder die Bilder, die ich vor der Reise im Kopf hatte. Der Iran wird für mich ein Land, in dem Menschen wie überall ihren Alltag leben. Mit Bita spreche ich über Politik und Frauenrechte, aber genauso über Kafka, unsere Lieblingsautoren und ihren Uni-Alltag. Auch wenn es in diesem Text um das Kopftuch und die Benachteiligung von Frauen geht: Dieser Aspekt der Reise macht selbstverständlich nur aus.
Der Liberalismus der Gesellschaft, der in vielen Gesprächen und auch im Straßenbild deutlich wird, steht für mich im krassen Gegensatz zum
das bei Widerstand streng durchgreift und sämtliche Proteste der letzten Jahre immer wieder unter Kontrolle bekommen hat. Der oberste Vertreter Ajatollah Chamene’i blickt nebst seinem Vorgänger Khomeini streng von jeder zweiten Hauswand. Einige meiner Gesprächspartner unterwegs sind der Meinung, dass das System in seiner jetzigen Form keine Zukunft hat. Eine neue Revolution wünschen sich meine Zufallsbekanntschaften im Iran trotzdem nicht. »Es wird sich Schritt für Schritt ändern«, höre ich mehr als einmal. Was die iranischen Frauen angeht: Sie dehnen die Grenzen des Erlaubten jeden Tag so weit, dass sich diese Grenzen früher oder später unvermeidlich weiter verschieben werden.Mitgenommen habe ich in den Iran neben knielangen Cardigans und viel Neugier auch einige Fremdbilder. Was bringe ich mit zurück? Ich kann nicht reklamieren, dass ich nun weiß, wie »Frauen im Iran« fühlen und leben – dazu gibt es schließlich genauso viele Wahrheiten wie Frauen. Aber einen Aspekt ihrer kollektiven Realität habe ich 2 Wochen lang am eigenen Körper erlebt. Als ich mir nach der Reise die Bilder von Frauen anschaue, die bei My Stealthy Freedom Videos von ihrem Protest posten, spüre ich neben Bewunderung für ihren Mut auch ein Gefühl der Solidarität. Wäre ich eine von ihnen, würde ich im Iran leben? Daran möchte ich zumindest glauben.
Titelbild: Anton Fuchsloch - copyright
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