Kann die Umwelt eine Wahl entscheiden?
Immer mehr Menschen sehen Umweltschutz als die wichtigste Aufgabe an. Dafür wählen gehen sie aber nicht. Selbst wenn sie wie die Libanesen im Müll ersticken würden?
Grün, weltoffen und politisch – so sehen wir den modernen Klima- und Umweltschützer. Falsch gedacht! Wer Umweltschutz als Priorität sieht, geht seltener wählen als die, die andere Themen nach vorne bringen wollen. Das hat der
Eine weitere Erkenntnis: Die, die ihr Kreuzchen für die Umwelt setzen, sind meistens auch selbst von Umweltproblemen betroffen. In Entwicklungsländern, wo sich diese Probleme und der Klimawandel bereits katastrophal auswirken, müsste also immer mehr grün gewählt werden. Doch passiert das auch? Was, wenn eine Nation, die in einer der weltweit größten Müllkrisen versinkt, wählen geht?
Das stinkende Finale
Inzwischen ist der Unrat von den Straßen verschwunden, lagert heute aber auf illegalen Müllkippen in Vororten, in Wäldern oder treibt bereits
Möwenmord als Lösung für die Müllkrise?
Eines muss man der libanesischen Regierung lassen: An Kreativität mangelt es ihr nicht. Das zeigte sich, als der Müll sogar die sichere Landung von Flugzeugen am Beiruter Flughafen gefährdete. Möwenschwärme kreisten über einer überladenen Müllkippe in der Einflugschneise und drohten, in die Turbinen der ankommenden Maschinen zu fliegen. Mit einer Stellenausschreibung warb der Staat um Jäger,
Vogelmassaker auf der Müllkippe
Dabei gäbe es so viel bessere und vor allem effektivere Lösungen, gegen die Mülllawinen anzukommen. »Wir können die Krise in nur 24 Stunden lösen!«, behauptet Paul Abi Rached. Er ist der Direktor
Der Plan umreißt
Die Regierung will Verbrennungsanlagen. Um die zu bekommen, wollen sie den Libanesen weismachen, dass es keine andere Möglichkeit gebe.
Müll bedeutet Geld. Viel Geld. Für jede entsorgte Tonne Müll kann jedermann im Libanon umgerechnet
Mit Verbrennungsanlagen verschwindet zwar der Müll, aber der Korruption wird kein Riegel vorgeschoben. Auch aus ökologischer Sicht ist das Verbrennen von Müll keine Ideallösung, denn es setzt Schadstoffe frei.
Mehr Frauen, mehr Umwelt – keine leichte Wahl
Wenn Politiker Lösungen ablehnen, dann müssen neue Politiker her. Und der beste Zeitpunkt für Veränderung wäre bei den anstehenden Parlamentswahlen. Über das besondere politische System im Libanon und die Wahlen im Jahr 2018 solltest du ein paar Dinge wissen:
Wer regiert den Libanon?
- Herrschaftsform: Der Libanon ist eine parlamentarische Demokratie.
- Parlament: Christen und Muslime leben im Libanon zusammen und haben sich auf eine 50:50-Repräsentationsquote im Parlament geeinigt.
- Ämter: Der Präsident muss immer ein Christ, der Premierminister ein Sunnit und der Parlamentssprecher ein Schiit sein.
- Regierung: Die stärksten politischen Kräfte kamen bisher aus der prowestlichen »Allianz des 14. März« (mit vorwiegend säkularen, sunnitisch-muslimischen und christlichen Parteien) und der prosyrischen
Was ist neu bei den Wahlen im Jahr 2018?
- Wahlen: Die Libanesen haben seit 9 Jahren nicht gewählt. Das Parlament lehnte Wahlen zu einem früheren Zeitpunkt
- Wähler:
- Wahlrecht: Ein
- Frauenquote: 974 Kandidaten haben sich aufstellen lassen, darunter sind
- Kandidaten: Für die Wahlen im Jahr 2018 schicken neue progressive, säkulare Gruppen ihre Kandidaten ins Rennen.
Und wer sind die Neuen in der Wahlkampf-Arena? Schon in Sachen Frauenquote haben progressive Gruppen mit Müllaktivisten, die bei diesen Wahlen zum ersten Mal antreten, den etablierten Parteien so einiges voraus. 1/3 der
Das Motto der politischen Newcomer ist Veränderung, und viele von ihnen waren eben auch bei den Müllprotesten ganz vorne mit dabei. Doch sie gehen nicht nur mit Umweltkampagnen an den Start.
»Es reicht nicht, nur als Müllaktivist zu kandidieren. Nicht Protest, sondern ein gutes Programm machen dich zum Teil der Lösung«, sagt Ramzi Ismaïl. Er ist Kampagnenkoordinator bei Madaniyya, einer kleinen progressiven Liste in Gemeinden in den Bergen nahe Beirut.
Wir glauben nicht, dass die Müllkrise die Libanesen bei ihrer Wahl beeinflussen wird – entscheidend wird eher das Bedürfnis nach Veränderung und der Kampf gegen Korruption sein.
Doch viele Themen, die im Wahlkampf dominieren, sind unmittelbar mit der Müllkrise verbunden. Neben Korruption ist da auch die Frage, wie mit der einen Million syrischer Geflüchteter im Land verfahren werden soll. Mittlerweile ist jeder Vierte im Libanon Syrer. Diese Situation belastet die Wirtschaft und die ohnehin marode Infrastruktur, zu der auch die Müllentsorgung gehört.
Parteien wie die schiitische Hisbollah geben den Syrern sogar die
Wählen die Libanesen grün?
Die »jungen Wilden« haben schon einmal bewiesen, dass sie Wähler von sich überzeugen können. In den Kommunalwahlen im Jahr 2016, kein Jahr nach Beginn der Müllkrise, trat die Gruppe Beirut Madinati mit Müllaktivisten und Technokraten an.
In ihrem Programm forderten sie neben transparenten politischen Prozessen auch mehr Grünflächen in der Hauptstadt. Das Ergebnis vor 2 Jahren: Insgesamt gingen bis zu
Die Generation Müllkrise
Heiß begehrte Stimmen sind in den anstehenden Parlamentswahlen die der 800.000 Libanesen,
Doch das bedeutet nicht, dass die Jungen automatisch für neue Politiker stimmen werden. Die meisten von ihnen werden wohl wie ihre Eltern nach religiöser Zugehörigkeit entscheiden, um den Einfluss der eigenen Konfession im Land zu sichern.
Die politische Loyalität für Parteien oder einzelne Kandidaten bleibt also unverändert stark. Das Prinzip »Eine Hand wäscht die andere« ist tief im System verankert.
Der Typ, der ins Meer pisst
Die sind ein bisschen so wie der Typ, der ins Meer pisst und denkt, den Meeresspiegel dadurch zu heben.
So äußerte
Doch auch wenn es Müllaktivisten nicht ins Parlament schaffen sollten, hat die Umwelt dadurch nicht automatisch verloren. Mit Blick auf das US-amerikanische Projekt zum Wahlverhalten von Umweltschützern ist es gar nicht wichtig, wer grüne Politik macht, Hauptsache, sie wird gemacht. Und tatsächlich imitieren einige etabliertere Parteien im Libanon bereits die Umweltprogramme der Newcomer, zumindest oberflächlich.
[Wir wollen] ein Gesetz zur Müllentsorgung weiterentwickeln, […] das die ökologischen und wissenschaftlichen Standards der europäischen Union berücksichtigt.
Auch wenn die Umwelt die Wahl nicht entscheiden wird, hat der Müll den Libanon verändert. Die Libanesen sind umweltbewusster geworden. Je mehr sie das zeigen, umso stärker wird das Thema auch in die Politik einsickern. Und das muss es. Denn momentan ist der ganze Staat »der Typ«, der Müll ins Mittelmeer ablässt und denkt, dass er damit niemandem schadet.
Titelbild: Pexels - Emmet - CC BY-NC-ND 2.0