Diese 3 globalen Trends könnten die Erde retten
Ende des Jahrhunderts werden wir fast alle in Städten leben. Die Landflucht läutet ein völlig neues Zeitalter für die Menschheit ein – und eine große Chance für die Natur.
Die Nächte verliefen immer gleich: 2 Stunden, bevor die Gezeitentabelle für die Nacht Hochwasser vorhersagte, schnürte ich die Stiefel und machte mich auf, unter klarem Sternenhimmel den Strand an der mittelamerikanischen Pazifikküste entlang zu stapfen. In guten Nächten hatte ich 1- oder 2-mal Glück: Dann war ich der Erste, der eine der nistenden Meeresschildkröten bei der Eiablage entdeckte, ihre knapp 100 tischtennisballgroßen Eier direkt eintütete und
Die meisten Eier nahmen jedoch einen anderen Weg: In den Taschen der Männer, die ich auf der nächtlichen Strandpatrouille noch freundlich gegrüßt hatte – man kannte sich –, gelangten sie in die Küchen wohlhabender Hauptstadtbewohner. Diese trinken die Eier bevorzugt mit Orangensaft als »potenzsteigerndes« Mittel – und verhindern so, dass sich die Schildkröten selbst fortpflanzen können.
Die Globalisierung stellt alles in den Schatten
Diese 10 Jahre alte Geschichte kommt mir in den Sinn, als Joe Walston, Vize-Präsident der New Yorker
Wir Umweltschützer denken vor allem darüber nach, was wir tun, was unser Handeln bewirkt. Das ist alles großartig und hat einen hohen Wert, ich mache das ja selbst. Der Punkt ist aber: Die Kraft der globalen Veränderungen ist heute so enorm, dass sie alles, was wir tun, in den Schatten stellt.
Auf jedes Ei, das ich damals rettete, kamen wohl 10 Eier, die die Dorfbewohner trotz besseren Wissens wilderten und verkauften. Es war genau das, was Walston mir jetzt beschreibt: Gegen die Kraft der Armut, die Millionen Menschen zu umweltschädlichem Handeln zwingt, können auch 1.000 wohlmeinende
Deshalb müssen wir zuerst anerkennen, dass diese Veränderungen existieren, und verstehen, wie sie funktionieren. Und das Zweite, was wir dann ganz konkret tun müssen: dafür sorgen, dass unsere Städte funktionieren!
Was haben Städte mit Schildkröten und Naturschutz zu tun? Sehr viel – so die Hauptaussage des
Ihre These: Die großen 3 Kräfte, die Umweltschutz heute so schwierig und überhaupt erst nötig machen, die zum Artensterben und zur Rohstoffausbeutung führen, sind
- die Verstädterung
- der Bevölkerungszuwachs und
- die weltweite Armut.
Doch genau diese Kräfte sind es auch, die unsere Umweltprobleme schon bald lösen und eine »Renaissance der Natur« ermöglichen werden. Der Reihe nach:
Die Macht der Städte
Die vielleicht wichtigste Kraft sehen Walston und seine Kollegen im Wachstum der
Wichtig ist die Urbanisierung aus verschiedenen Gründen. Zunächst, weil sie wie ein Katalysator für die anderen Kräfte wirkt: Menschen ziehen in die Städte, weil sie
- beim Job,
- bei der Bildung,
- der
- den hygienischen Bedingungen.
Diese Punkte wiederum führen dazu, dass Frauen und Familien selbstbestimmter über Familienzuwachs entscheiden können, weniger Kinder bekommen und mit der Armut auch das Bevölkerungswachstum ein Ende findet.
Das zweite Argument für die Städte: Wenn sich Menschen einmal in ihrer neuen Nachbarschaft zurechtgefunden haben, leben sie in der Regel wesentlich umweltfreundlicher als ihre Mitbürger auf dem Land.
Wenn man jemanden, der in New York lebt, mit jemandem im ländlichen Ohio mit demselben Wohlstand vergleicht, hat der New Yorker einen weitaus niedrigeren Umwelt-Fußabdruck.
An dritter Stelle rangiert, was Walston und seine Kollegen als »Ideenfindung« bezeichnen. Es seien die vernetzten Städte, in denen das Bewusstsein für die Probleme der Umwelt steige und die Ideen für den Umgang damit entstünden. Die urbane Mittelklasse treibe die Umweltdebatte letztendlich voran:
Die sagen: Ich habe Geld, ich habe Einfluss und ich will nicht, dass meine Kinder mit diesen Problemen aufwachsen. Ich übe jetzt Druck auf die Regierung aus und stimme, bezahle und setze mich ein für bessere Umweltbedingungen.
Gut zu erkennen sei das zum Beispiel an der derzeitigen Situation in den USA: Während sich die vor allem von ländlicher Bevölkerung gewählte Regierung um Präsident Donald Trump darum bemüht, möglichst viele Gesetze zum
Das Ende der Armut
Wenn Menschen die Städte erreichen, finden sie Wohlstand. Das ist einer der Hauptgründe dafür, dass die Zahl der Menschen in Armut in den vergangenen 30 Jahren rapide gesunken ist.
Noch vor ein paar Jahrzehnten wäre es lächerlich gewesen, vom Ende der Armut zu sprechen.
Heute ist genau dieses Ziel in Sicht: War es im Jahr 1990 noch jeder Zweite, so sind es heute weniger als 10% der Menschen, die mit weniger als 2 US-Dollar am Tag leben müssen. Tendenz weiter fallend.
Abgesehen von der »moralischen Pflicht«, die die Weltgemeinschaft gegenüber den Ärmsten habe, ist der Sieg über die Armut auch aus Sicht des Naturschutzes eine gute Nachricht.
Die Umweltkosten, die entstehen, wenn man Menschen aus der Armut befreit, sind insgesamt eine wesentlich bessere Investition in die Natur, als wenn man versucht, die Menschen daran zu hindern, die Natur zu verbrauchen.
Laut Walston ist es aber weder die Armut noch der Wohlstand allein, die der Natur zu schaffen machen. Es sei vor allem der Übergang, wenn Menschen der wirtschaftliche Aufstieg gelingt:
Der größte Verbrauch an Naturgütern geschieht, wenn Menschen sich aus der Armut in die Mittelklasse bewegen, bei diesem Übergang. Gibt man einer armen Person einen Dollar, investiert sie ihn wahrscheinlich größtenteils in den zusätzlichen Konsum natürlicher Ressourcen, etwa Brennholz oder Nahrung. Gibt man jemandem wie mir oder dir einen Dollar, wird nur ein Bruchteil des Geldes in natürliche Güter investiert; wir würden es vielleicht sparen oder eine Dienstleistung in Anspruch nehmen.
Die Zahlen des Beispiels
Wenn man die fantastische Befreiung aus der Armut in China ansieht, wird klar: Da findet der große Abbau für die Natur statt. Sobald dieser Prozess durch ist, hat steigender Wohlstand nur noch wenig Auswirkung auf den Fußabdruck.
Das Ende des Bevölkerungswachstums
Das Ende der Armut führt zum Ende des Bevölkerungszuwachses. Noch vor 30 Jahren lebten auf der Erde rund 5 Milliarden Menschen, heute sind es rund 7,6 Milliarden. Jährlich kommen rund 80 Millionen Menschen hinzu, ungefähr so viele, wie es Einwohner in Deutschland gibt. Und etwa so viele, wie in den ersten 1.000 Jahren seit Beginn der Zeitrechnung hinzukamen. Der Punkt ist klar: Niemals in der Menschheitsgeschichte ging es mit der Bevölkerung so rasant nach oben wie heutzutage.
Die Jüngeren unter uns könnten aber noch eine zweite Weltneuheit miterleben, was die Bevölkerungszahlen angeht: Das Ende des Bevölkerungszuwachses und vielleicht sogar den ersten größeren Rückgang, der nicht durch Katastrophen ausgelöst worden sein wird, sondern durch eine fallende Geburtenrate. Je nach Szenario könnte das Maximum gegen Mitte oder Ende dieses Jahrhunderts erreicht werden und dann bei einer Zahl von 8–11 Milliarden Menschen stagnieren – oder bis zum Jahr 2100 auch wieder auf bis zu 6 Milliarden fallen.
Wie viele Menschen kann die Erde verkraften?
Das ist die falsche Frage, meint Walston. Wichtiger als ihre Anzahl ist der Lebenswandel der Menschen. Und die einfache Tatsache, dass sie aufhört zu wachsen:
11 Milliarden Menschen, die raus aus der Armut sind und in einer städtischen, gut vernetzten Welt leben, haben einen wesentlich niedrigeren Umwelt-Fußabdruck und bedeuten weniger Stress für die Umwelt als 8 Milliarden Menschen in relativer Armut, die vor allem in ländlichen Regionen leben. Das zweite der beiden Szenarien ist weitaus zerstörerischer.
Es kommt also weniger darauf an, wie viele Menschen auf der Erde leben, als
Eine Chance, die man nutzen muss
Joe Walston möchte seinen Artikel nicht als naiven Optimismus oder als Aufmunterung verstanden wissen, »das war überhaupt nicht unsere Absicht.« Sie hätten einfach die Daten analysiert und eben festgestellt, dass sich eine Chance auftue. Sie trete in 30–50 Jahren auf, wenn wir den »Flaschenhals« der Entwicklung durchquert haben, also die gigantischen Transformationen der Verstädterung, des Bevölkerungswachstums und der Abschaffung der Armut größtenteils hinter uns hätten. Dann könne sich die Natur erholen und regelrecht neu erblühen.
Sicher, dass es so kommen werde, sei es keinesfalls, auch
In Europa und Nordamerika passiert das heute schon, Wölfe und Luchse kommen zurück. Wenn ich nach Nordost-China gehe, sehe ich massive Entvölkerung auf dem Land, leere Dörfer. Hier kommen zum ersten Mal seit Jahrzehnten Tiger zurück in manche Regionen. Und vor einigen Jahrzehnten haben wir ein paar amerikanische Bisons hier im Zoo in der Bronx aufgenommen, weil es nur noch wenige Hunderte in freier Wildbahn gab. Heute sind es wieder über eine halbe Million in freier Wildbahn.
Damit diese guten Beispiele erst der Anfang sind und wir die Chance erfolgreich nutzen, empfiehlt Walston vor allem eines:
Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Städte funktionieren. Das ist das Beste, was die Welt jetzt tun kann!
Titelbild: James Zwadlo / Aurelien Designatic - CC0 1.0