Wie Volt und DiEM25 die europäische Demokratie revolutionieren wollen
Bürokraten haben heute in Europa das Sagen. Die Ideen dieser jungen Wilden sprengen das System.
95 Minuten –
Will sie das wirklich? Knapp 500 Menschen haben das Video angeklickt. 500 von 511,8 Millionen EU-Bürgern. Dass viele von ihnen die unbeholfen-steife Inszenierung bis zum Ende durchgehalten haben: eher unwahrscheinlich. Es sind 95 Minuten Langeweile. Vielleicht muss man sich solche Veranstaltungen aber anschauen, um zu verstehen, warum das Interesse an den Europawahlen eher gering ausfällt.
- Bei den ersten Europawahlen im Jahr 1979 machten noch rund 62% ein Kreuz, seitdem werden es bei jeder Wahl weniger.
- Spitzenreiter in Sachen Beteiligung sind von jeher die Belgier: Im Jahr 2014 gingen hier 89,64% der Bürger an die Wahlurnen. Am wenigsten interessierten sich die Menschen in Tschechien (18,2%) und der Slowakei (13%) für die Zusammensetzung des nächsten EU-Parlaments.
- Deutschland lag bei den letzten Wahlen mit 48% Beteiligung einige wenige Prozentpunkte über dem EU-Durchschnitt.
2 junge, transnationale Bewegungen wollen diese Zahlen in die Höhe treiben.
Volt: Elektroschocks gegen Apathie und Langeweile
Unser Ziel ist es, 2019
Die Mitglieder von Volt haben sich hohe Ziele gesetzt: Sie wollen langfristig auf allen politischen Ebenen aktiv werden,
Egal ob
Wir fanden es krass, dass sich keiner in unserer Generation wirklich politisch engagiert und versucht, etwas gegen nationalistische und populistische Trends zu unternehmen. Gegen die Angriffe auf ein gemeinsames Europa, das wir niemals anders kennengelernt haben.
Innerhalb eines Tages hätten sich 100 Freiwillige gemeldet, die Volt unterstützen wollten, erzählt Boeselager. Das Manifest traf einen Nerv.
Wo verortet sich Volt im politischen Spektrum?
Transparent, effizient, innovativ, mit diesen Vokabeln beschreibt Boeselager das ambitionierte Politik-Start-up Volt. »Hast du dir schon mal Diskussionen in einem Landesparlament angeschaut? Das sind sehr sinnlose, langwierige Prozesse, die man den Bürgern heute nicht mehr vermitteln kann.« Kurz gesagt: Das »Wie« steht für den 30-jährigen genauso im Mittelpunkt wie das »Was«.
Mit bislang 4.000 Freiwilligen aus 25 Ländern versteht sich Volt als paneuropäische Partei. Offiziell gibt es solche Parteien nicht, Volt muss es also über nationale Wahllisten in das Europäische Parlament schaffen. In Bulgarien, Belgien und Deutschland wurden dafür bereits Parteien gegründet, bis Juli sollen 8 weitere dazukommen, unter anderem in Italien und den Niederlanden. Ein europäisches Grundsatzprogramm mit 6 Schwerpunkten –
In Dänemark muss man nicht mit der Idee von einem Smart State ankommen, der effizient ist und seinen Bürgern dient. Dafür interessieren die sich nicht besonders, weil sie ohnehin bei allen Rankings in diesem Bereich ganz oben stehen. In Italien, wo viele unbearbeitete juristische Fälle liegen bleiben, oder in Bulgarien, wo Menschen oft mit Korruption zu kämpfen haben, ist das viel relevanter.
Was sie von anderen Parteien unterscheidet: Sie denken Europa zuerst. »Die Krisen der letzten Zeit haben gezeigt, dass lokale Themen einen europäischen Kontext haben. Migration ist da ein gutes Beispiel«, sagt Boeselager. »Es wird wichtig, die Übersetzungsleistung zu schaffen und zu sagen: Um dieses Problem zu lösen, brauchen wir die europäische Ebene.«
Wobei gerade hier der Knackpunkt für Volt liegen könnte. Das Beispiel Migration zeigt, dass sich nationale Interessen innerhalb der EU oft diametral gegenüberstehen. Polen will keine Geflüchteten aufnehmen, während Italien und Griechenland unter der Last unbearbeiteter Asylanträge ächzen.
»Die Lösung ist ein föderaler europäischer Staat« – Damian Boeselager, Mitgründer von Volt
Probleme kann man nur gemeinsam lösen. Aber was, wenn der Wille zur Einigung fehlt? »Wir wollen Interessenkonflikte innerhalb der Partei bearbeiten. Um damit zu Lösungen zu kommen, die erst aus europäischer Sicht gedacht sind und dann aus nationaler. Heute haben wir das Problem, dass die europäischen Parlamentarier sich auch oft als nationale Vertreter fühlen.« Die Mitglieder von Volt wollen langfristig in einem föderalen europäischen Staat leben, »der dafür sorgt, dass die richtigen Entscheidungen auf der richtigen Ebene getroffen werden.«
Wie Damian Boeselager von Volt glauben auch die Aktivisten bei DiEM25 daran, dass Probleme, die sich lokal auswirken – Armut, Jugendarbeitslosigkeit, Ungleichheit – auf europäischer Ebene diskutiert werden müssen. Der zentrale Unterschied: DiEM25 will Politik nicht neu erfinden. Auf Initiative von Yanis Varoufakis, seines Zeichens ehemaliger griechischer Finanzminister und Brüsseler Beamtenschreck, und Srećko Horvat, kroatischer Philosoph und Autor, berappelt sich unter dem Label DiEM25 gerade eine europäische Linke.
Hier kommt die linke Alternative für Europa: DiEM25
DiEM25 steht für Democracy in Europe Movement 2025. Außerdem spielt der Name auf den lateinischen Ausspruch Carpe Diem! an: Nutze den Tag. Und zwar für die Demokratisierung der EU bis zum Jahr 2025. Varoufakis und seine Mitstreiter wollen dem EU-Establishment an den Kragen.
Obwohl sich die Mächtigen in Europa so um ihre weltweite Wettbewerbsfähigkeit, um Migration und Terrorismus sorgen, jagt ihnen nur eines wirklich Angst ein: die Demokratie!
Bei DiEM25 ist der Ton kämpferisch, getrieben vom griechischen Austeritätstrauma. Die Bewegung gibt es seit 2 Jahren,
Gerade entstehen die
DiEM25 wähnt laut Manifest die EU heute fest im Griff »kurzsichtiger Politiker, ökonomisch naiver Beamter und in Finanzdingen inkompetenter Experten« und zeichnet ein düsteres Szenario: Wenn jetzt nichts passiert, gibt es keine gemeinsame Zukunft.
Die EU muss demokratischer werden, sonst wird sie zerfallen. Wenn sich nichts ändert, werden die europakritischen Kräfte stärker. Leute wählen Populisten, weil sie das Gefühl haben, sie haben die Kontrolle verloren. Da wollen wir ansetzen.
Das langfristige Ziel: Bis zum Jahr 2025 soll eine europäische Verfassung stehen, die aus der EU »eine voll entwickelte Demokratie mit einem souveränen Parlament macht, das die nationale Selbstbestimmung respektiert und die Macht mit den nationalen Parlamenten, mit Regionalversammlungen und Gemeindeparlamenten teilt.«
Bei den Europawahlen 2019 will DiEM25 mit einer transnationalen Liste antreten, die The European Spring (Der Europäische Frühling) getauft wurde. Eigentlich gibt es diese Listen gar nicht. Im Februar lehnte das EU-Parlament einen Vorschlag ab,
»Wir versuchen diese transnationale Liste zu simulieren, indem wir in den verschiedenen europäischen Ländern einen einheitlichen Wahlkampf führen und ein einheitliches Programm haben«, erklärt Robin Scheben die Strategie von DiEM25.
Es wächst schon längst ein Europa von unten
Daphne Büllesbach sucht – genau wie Volt und DiEM25 – nach Alternativen für Europa. Sie ist Politologin und Direktorin von
In diesen Formaten arbeitet Daphne Büllesbach an Lösungen für die EU der Zukunft, die den breiten Spagat schaffen muss: zwischen drängenden Problemen und Identitäten in Stadt und Land, nationalen Interessen sowie dem großen Europäischen Ganzen, ohne das eigentlich kein lokales Thema mehr denkbar ist.
Wie schätzt sie die Chancen von Volt und DiEM25 bei den Europawahlen 2019 ein?
Ich finde es gut, dass diese Bewegungen versuchen, von unten etwas umzusetzen. Das ist ein avantgardistischer Akt. Man greift etwas vor, das natürlich noch keine Mehrheiten hat. Indem man Dinge denkt, bringt man sie in die Welt. Und indem man sie diskutiert und ausspricht, setzt man einen Anker und sagt: Wir glauben, dass das richtig ist, dass das die Zukunft ist und deshalb fangen wir jetzt damit an.
Die
Eine echte Beteiligung heißt ja auch, dass es einen transparenten Prozess gibt, wie vorgeschlagene Ideen oder Forderungen auch umgesetzt werden. Ohne eine Umsetzungsstrategie kann man Bürger so viel befragen, wie man will.
Volt und DiEM25 wollen nicht länger darauf warten, dass sich die Brüsseler Beamten ein Herz fassen. Sie legen jetzt einfach mal los.
Titelbild: Riley Mccullough - CC0 1.0