Für diese Migranten geht es auch ohne Deutsch
Und niemand regt sich darüber auf. Liegt das daran, dass sie Geld haben?
Die breite Allee im Westen Düsseldorfs – zwischen Bürogebäuden, neu gebauten Apartmenthäusern und geschlossenen asiatischen Restaurants – ist am Sonntagnachmittag wie ausgestorben. Nur im modern eingerichteten Café Wakaba sind Gäste. Dessen Spezialität: Matcha-Tee – zu Pulver gemahlener Grüntee, der eigentlich für die japanische Teezeremonie verwendet wird und hier als Grundlage für Matcha-Macchiato oder Matcha-Bananen-Smoothie dient.
Es ist einer der Lieblingsorte von Yukari und Tatsuma Suzuki, die vor 5 Jahren aus Japan nach Deutschland gekommen sind. Sie erzählen von ihrem Leben hier auf Englisch, denn ihr Deutsch reicht gerade fürs Einkaufen und um Essen zu bestellen. Das geben sie selbst zu. Der 42-jährige Tatsuma Suzuki arbeitet als Manager, die 37-jährige Yukari Suzuki kümmert sich um Sohn und Tochter, die hier zur Schule und in den Kindergarten gehen. Mit nur wenigen Brocken Deutsch führen sie im Herzen Düsseldorfs ein ganz normales Familienleben.
Rund 36.000 Menschen,
Wie kann es sein, dass sich die öffentliche Debatte immer wieder um das Thema der misslungenen Integration von Menschen aus Afrika und Nahost dreht, sich aber niemand dafür interessiert, wie gut Japaner hierzulande Deutsch sprechen oder ob Buddhismus und Shintoismus mit der
Was will Integration?
Sozial- und Kulturwissenschaftler kritisieren dabei besonders den Integrationsbegriff, wie er von vielen Politikern benutzt wird. »›Integriert euch‹ heißt eigentlich ›Assimiliert euch‹«, sagt der Kulturwissenschaftler Werner Schiffauer,
Schiffauer und viele seiner Kollegen halten aber eine vollständige Integration in die Gesellschaft gar nicht für möglich, weil diese viel zu heterogen und die Lebensrealität zu unterschiedlich sei. Menschen könnten lediglich an Teilbereichen wie Wirtschaft, Kultur und Bildung teilhaben. Deshalb plädiert Schiffauer für einen umfassenderen Begriff, ähnlich wie ihn
Integration ist Teilhabe an Erziehung und Bildung, Zugang zum Arbeitsmarkt, Teilhabe am Sozialsystem bis hin zur politische Teilhabe.
Viele Japaner zieht es an den Rhein
Laut Angaben der Stadt Düsseldorf lebt die größte japanische Gemeinde Deutschlands in Düsseldorf und Umland.
Mit den entsandten Firmenangestellten und deren Familien seien weitere Japaner in die Stadt gekommen: Händler, die asiatische Lebensmittel verkauften, Köche und Kellner für Sushi-Restaurants sowie Lehrer und Erzieher, erzählt Christian Tagsold. Der Düsseldorfer Japanologe forscht zur japanischen Einwanderung, der von ihm herausgegebene Sammelband
In der Nähe des Hauptbahnhofes spielt sich das öffentliche Leben der Japaner ab. Teure, traditionell eingerichtete Sushi-Restaurants wechseln sich ab mit eher einfachen Imbissen, die sich den Ramen, einer deftigen Nudelsuppe, verschrieben haben. Mehrere asiatische Supermärkte in der Gegend verkaufen Fertignudeln in quietschend bunten Tüten, Fisch und Meeresfrüchte oder Reiskocher in allen möglichen Farben.
Das nicht öffentliche Leben der Japaner findet vor allem auf der anderen Rheinseite statt, in den Stadtteilen Ober- und Niederkassel, die zu den teuersten Adressen in Düsseldorf gehören. Hier leben mit Abstand die meisten von ihnen. Auch Tatsuma und Yukari Suzuki haben hier eine Wohnung gefunden. »Ich habe es nicht weit zur Arbeit«, erzählt der Familienvater begeistert, in Tokio musste er jeden Tag 3 Stunden pendeln.
Ganz in der Nähe besucht die 4-jährige Tochter den Kindergarten, der Sohn mit seinen 8 Jahren geht um die Ecke auf die japanische Schule, die im Jahr 1971 gegründet wurde. Sowohl in der Kita als auch in der Schule wird fast ausschließlich Japanisch gesprochen, erzählen die Eltern. Lediglich 2 Stunden in der Woche wird Deutsch unterrichtet. Der 8-Jährige versteht zwar etwas, traut sich aber nicht zu sprechen.
Die Zeit in Deutschland bestimmt der Arbeitgeber
»Die einzigen Deutschen, mit denen ich zu tun habe, sind mit Japanern zusammen.« – Yukari Suzuki
Tatsuma Suzuki wurde von seinem Arbeitgeber nach Deutschland geschickt, für Fujifilm arbeitet der studierte Chemiker als technischer Manager. »Das war eine große Chance«, sagt der 42-Jährige. Da die Firma mittlerweile den meisten Umsatz außerhalb Japans macht, wird von den Angestellten erwartet, dass sie bereitwillig ins Ausland gehen. »Wir machen das, was unsere Firma sagt«, erklärt Suzuki. Da in Düsseldorf die Europa-Zentrale ist, wird neben Japanisch vor allem Englisch gesprochen. Das Team ist international aufgestellt, auch deutsche Kollegen sind dabei. Es ist der einzige regelmäßige Kontakt Suzukis zu Deutschen. Seine Frau Yukari Suzuki dagegen hat fast gar keinen Kontakt zu Deutschen. Es sind vor allem andere japanische Eltern, die sie aus dem Kindergarten und der Schule kennt. »Die einzigen Deutschen, mit denen ich zu tun habe, sind mit Japanern zusammen«, erzählt sie.
Wie die Familie Suzuki sind viele Japaner nach Düsseldorf entsandte Mitarbeiter zumeist großer Firmen und ihre Angehörigen. Die Angestellten verdienen in der Regel gut, da sie zusätzliche Boni bekommen, und bleiben 3 oder 6 Jahre, also einen oder 2 klassische Entsendezyklen. Doch das ändert sich gerade. »Immer mehr Japanerinnen und Japaner bleiben deutlich länger oder womöglich für immer«, erklärt der Japanologe Tagsold. Die Gründe seien sehr vielfältig: Einwanderer fänden hier einen Partner und heirateten, sie gewöhnten sich an das Leben, oder die Kinder wollten bleiben. »Gesandt wurden Arbeitskräfte, und es kamen Menschen«, sagt der Japanologe, ein berühmtes Zitat von Max Frisch abwandelnd.
Auch Tatsuma und Yukari Suzuki würden nach 5 Jahren gern länger in Deutschland bleiben. »Hier ist es sicher, mit viel Grün drumherum, und die Leute sind ehrlich«, sagt der Familienvater. Dass die Aussage nicht nur der Höflichkeit geschuldet ist, merkt man, wenn er über seinen Alltag spricht: »In Tokio würde ich wegen der langen Arbeitszeiten und der Fahrerei meine Kinder kaum sehen, hier habe ich Zeit für meine Familie«. Samstags hat der Sohn meist ein Fußballspiel, sonntags fahren sie in einen der vielen Parks oder an den Rhein, und einmal pro Woche geht es in ein japanisches Restaurant. Während sie in den ersten Jahren viel in Europa gereist sind, fahren sie jetzt vor allem nach Süddeutschland in den Urlaub. Und hier stimmt einmal ein Klischee: Von Schloss Neuschwanstein ist Yukari Suzuki ganz begeistert. Doch die Entscheidung, wie lange die Familie noch in Deutschland bleibt, hängt letztlich vor allem von der Firma ab.
»Wer Geld hat, ist ökonomisch integriert«
Doch selbst Japaner, die schon länger als Familie Suzuki in Deutschland leben, nicht nach Japan zurückkehren und trotzdem kein Deutsch sprechen, würden gesellschaftlich nicht als Problem wahrgenommen, so Tagsold. »Es mag Probleme und offene Fragen wie die nach einer guten und angemessenen Betreuung im Alter geben. Doch insgesamt nimmt das japanische Beispiel aus den Integrationsdebatten viel Luft.«
Der Japanologe sieht als ausschlaggebenden Faktor die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse, in denen viele Japaner in Düsseldorf leben. Sie sind in vielen Bereichen erfolgreich, auch wenn sie kein Deutsch sprechen. So haben sie Zugang zu gut bezahlten Jobs, ihre Kinder besuchen Kindergärten und eine Schule, die sich an den anspruchsvollen Lehrplänen Japans orientiert, sie wohnen in beliebten und teuren Stadtvierteln und haben mit dem japanischen Generalkonsulat eine einflussreiche Vertretung.
»Wer Geld hat, ist ökonomisch integriert«, erklärt Migrationsexperte Werner Schiffauer. Und das verschaffe Zugang zu vielen anderen Bereichen. Und so bleiben Japaner von wesentlichen Benachteiligungen, wie sie andere Einwanderer bei der Wohnungs- und Jobsuche erleben, verschont.
Die ökonomische Klasse wird in der Integrationsdebatte häufig ignoriert. Einfach gesagt: Wenn viel Geld im Spiel ist, sind Kultur und Sprache auf einmal uninteressant.
Wenn Einwanderer Geld haben, werden Sprache und Kultur vor allem als Bereicherung gesehen. So wird die Lebensweise der Japaner und Japanerinnen regelrecht gefeiert: Einmal im Jahr organisiert die Stadt Düsseldorf den Japan-Tag, ein großes Volksfest mit Cosplay – einer Art Modenschau, bei der sich Fans aufwendig als Comic- oder Computerspielfigur verkleiden –, Trommelkonzerten sowie einem riesigen Feuerwerk am Rheinufer. Hunderttausende Besucher kommen und das Fernsehen überträgt live.
Doch das bedeutet im Umkehrschluss: Das »Anderssein« der Migranten – das zum Beispiel anhand von Sprache und Religion bestimmt wird – wird in der öffentlichen Debatte überbetont, andere Fragen wie nach ökonomischen Möglichkeiten und sozialer Teilhabe kommen dagegen zu kurz. Oder ganz einfach ausgedrückt: Wenn niemand Angst hat, dass ein anderer ihm etwas wegnimmt, ist Einwanderung auf einmal kein Problem mehr. Und wenn er noch Geld bringt, ist er sogar hochwillkommen.
Das Leben kommt dazwischen
Auch die Suzukis fühlen sich willkommen, gleichzeitig aber isoliert. »Es ist eine Schande, dass wir so wenig Kontakt zu Deutschen haben«, es gebe hier nun einmal so viele Japaner, sagt Tatsuma schulterzuckend. Und sich mit Deutschen anzufreunden, ohne die Sprache zu sprechen, sei schwierig. Als er und Yukari Suzuki nach Deutschland zogen, wollten sie die Sprache lernen, doch dann kam das sprichwörtliche Leben dazwischen. Seine Frau war bereits schwanger und musste sich um den kleinen Sohn kümmern, weit weg von Verwandten und Freunden. Es war eine schwierige Zeit, erzählen sie. Und Tatsuma war völlig ausgelastet mit der neuen Stelle und seiner Familie. Später fehlte dann der Zwang, Deutsch zu lernen, weil es mit Japanisch und Englisch auch gut ging.
Als wir ausgetrunken haben, verabschiedet sich Familie Suzuki und fährt nach Hause, nach Niederkassel, Stadtbezirk 4, Düsseldorf, Nordrhein-Westfalen, Deutschland.