So sieht es aus, wenn Verbraucher tatsächlich die Macht übernehmen
Klauen für eine gerechtere Welt: Machen diese 4 radikalen Aktionen den Supermarkt zu einem besseren Ort?
Der moderne Mensch stimmt an der Kasse ab, heißt es. Wer für gute Tierhaltung und faire Arbeitsbedingungen ist, achtet penibel auf das
Wer was für das Klima tun will, kauft keine Äpfel mehr aus Neusee-, sondern aus dem Alten Land.
Aber unabhängig davon, ob wir unsere Kaufentscheidungen für politische Statements halten oder Shopping und demokratische Teilhabe strikt voneinander trennen wollen, ist klar: Die Auswirkungen unseres Konsums entlang der Lieferketten reichen bis in die letzten Winkel der Welt – und schaffen dort nicht nur Arbeitsplätze,
Wirtschaft und Politik schieben die Verantwortung für Abholzung, Artensterben und Ausbeutung gern den Verbrauchern in die Schuhe. Wie es aussieht, wenn wir die Sache tatsächlich in die eigene Hand nehmen, zeigen diese 4 Aktionen. Mit einer Mischung aus Kreativität und zivilem Ungehorsam setzen sie ein Zeichen gegen unfaire Produktionsbedingungen, Lebensmittelverschwendung, Plastikmüll und Verbrauchertäuschung.
Gegen unfaire Produktion: Deutschland geht klauen!
Die Tafel Schokolade steckst du schnell in die Jackentasche, die Bananen lässt du im Hosenbein verschwinden und das Pfund Kaffee landet ungesehen im Rucksack. Jetzt musst du nur noch unauffällig an der Kasse vorbeispazieren.
Das
Gil Schneider ist Mitglied des Peng!-Kollektivs und erklärt, dass der Name der Aktion nicht nur eine Aufforderung zum zivilen Ungehorsam ist, sondern auch eine Zustandsbeschreibung. Denn Deutschland gehe »kollektiv klauen«, indem wir hier billige Lebensmittel auf Kosten der Produzenten in Entwicklungsländern kaufen. »Wir treten den Rechtsstaat mit Füßen, damit er selbst wieder in die Pötte kommt!«
»Wir wollten die Rhetorik von der Verantwortung des Konsumenten einfach konsequent durchziehen und tun das, indem wir ebenfalls das Gesetz brechen.« Denn die heimischen Lebensmittelkonzerne sind für ihn und seine Mitstreiter »organisierte Kriminelle, denen wir als Konsumenten Geld geben, damit sie den Produzenten die Rechte klauen.«
Zwar habe das Kollektiv während der Aktion, die im Frühjahr 2018 lief, nach eigenen Angaben »nur« rund 2.000 Euro zusammenklauen können, das eigentliche Ziel sei aber erreicht worden: Während der Aktion haben zahlreiche große Medien über das Projekt und die ethischen Probleme der Produktion berichtet.
Natürlich wäre es dem Peng!-Kollektiv lieber, die Politik würde diese Arbeit erledigen, etwa durch die Einführung eines »Gesetzes zur Unternehmenshaftung bei Menschenrechtsverletzungen«,
Selbst der renommierte US-Ökonom und ebenfalls Verfechter fairer Handelsbedingungen
Gegen Verbrauchertäuschung: Händler abmahnen!
Spätestens seitdem sie die Durchsetzung der Fahrverbote für schädliche Dieselfahrzeuge in deutschen Städte eingeklagt hat, ist die Deutsche Umwelthilfe (DUH) vielen Deutschen ein Begriff. Es waren Jürgen Resch und seine Mitstreiter,
Die
Beispiele gibt es viele. Die Deutsche Umwelthilfe
- bezichtigte ALDI und REWE, sogenannte
- hat die weltgrößte Möbelkette IKEA dazu gezwungen, Elektroschrott zurückzunehmen und seine Kunden darüber zu informieren. Gegen Saturn, MediaMarkt und weitere große Elektrohändler laufen die Verfahren noch.
Geben die Gerichte der Umwelthilfe Recht, müssen die Unternehmen nicht nur die Abmahngebühren tragen – sondern bei erneuten Vergehen auch hohe Strafen berappen. Mit den Abmahnungen setzt die Deutsche Umwelthilfe Gesetze durch, die von staatlicher Seite aus selten kontrolliert werden.
Die Unternehmen oder Hersteller machen teilweise immer wieder die gleichen Fehler und verstoßen wiederholt gegen geltende Vorschriften – in einigen Fällen sogar dann noch, wenn Sie bereits (mehrfach) von uns auf einen Verstoß hingewiesen worden sind. Warum die Unternehmen trotz Kenntnis über die Rechtlage (wiederholt) gegen Vorschriften verstoßen, ist für uns nicht nachvollziehbar. Wir sehen es nicht ein, dass die Verletzung von Verbraucherschutz- und Umweltschutzvorschriften in vielen Bereichen folgenlos bleiben soll. Daher gehen wir konsequent dagegen vor.
Gegen Plastikmüll: Plastik-Attacke!
Wie sehr das Thema Plastikmüll die Verbraucher mittlerweile umtreibt, musste jüngst die Supermarktkette real erfahren. Ein Kunde hatte ein Foto davon gemacht, wie ein Mitarbeiter Kirschen aus ihrer Plastik-Verpackung befreite und ordentlich aufhäufte. Die Kunden sollten offensichtlich den Eindruck gewinnen, es handle sich um verpackungsfreie, lose Ware. Ähnlich hoch wie die Kirschen türmte sich daneben aber der Plastikmüll, der natürlich schnell beiseite geräumt wurde.
Mit »Plastic Attacks« drehen Kunden den Spieß einfach um: In klassischer
Bilder von HELDEN e. V. copyright
Angefangen hat das Ganze im Jahr 2017 in einem kleinen Dorf in England, wo sich eine Gruppe von Supermarkt-Kunden spontan zu dieser Aktion entschloss und ein Video davon ins Netz stellte. Christophe Steyaert, Betreiber der Am 15. September findet der »World Plastic Attack Day« statt.
»Freunde von mir und ein paar Künstler haben das gesehen und übernommen, und es ist durch die Decke gegangen. Wir haben dann begonnen, Plastik-Attacken auf Facebook zu planen. Seitdem haben wir über 200 davon in über 19 verschiedenen Ländern veranstaltet, die meisten davon in Belgien.« Am 15. September findet sogar der »World Plastic Attack Day« statt, an dem
Und was halten die Betreiber der Supermärkte davon? »Wir können bestätigen, dass eine »Plastic Attack« in einer unserer Filialen in Köln stattgefunden hat«, schreibt eine Mitarbeiterin von ALDI SÜD per E-Mail. »Die Aktion ist sehr friedlich abgelaufen und wurde von uns nicht unterbunden.«
Das deckt sich mit den Erfahrungen von Christophe Steyaert: »Wir haben einige [Filialen] gefragt, ob wir Plakate zu den Aktionen aufhängen dürfen. Das haben sie erlaubt. Einige waren auch sehr hilfsbereit und haben Mülltonnen bereitgestellt, damit wir den Müll direkt sortieren konnten. Von den anderen Kunden waren einige überrascht und manche haben sich auch beschwert. Aber die meisten haben die Aktion unterstützt!«
Gegen Lebensmittel-Verschwendung: Containern!
Um gegen diese Verschwendung vorzugehen – aber auch, um kostenlose Lebensmittel zu erhalten –, gehen viele Menschen »containern«. Im Schatten der Dunkelheit schlüpfen sie in die großen Mülltonnen, die meist hinter den Supermärkten stehen, wühlen sich durch den vermeintlichen Abfall und erbeuten mit Gurken, Brot oder Joghurt Nahrung, die noch tagelang satt macht.
Die Profis unter den Essensrettern kennen die Pläne der Müllabfuhr, wissen, an welchen Wochentagen Frischware geliefert wird, und finden
Die Kasse ist nicht der einzige Weg, dem Handel ein Signal zu senden.
Die Supermärkte sehen die Praxis allerdings nicht gern. LIDL zum Beispiel weist auf Nachfrage darauf hin, dass Lebensmittel, die sich dem Verfallsdatum nähern, mit Rabatt verkauft oder an Tafeln gespendet werden. So würde die Lebensmittelverschwendung bereits auf ein Minimum reduziert. Aus hygienischen Gründen sei das »Containern« zudem nicht sicher – und Übriggebliebenes werde in Biogasanlagen immerhin noch energetisch verwendet. Auch ALDI SÜD weist darauf hin, dass Lebensmittel, die in der Tonne landen, »grundsätzlich nicht mehr zum Verzehr geeignet sind.«
Nach deutschem Recht ist das Containern gegen den Willen der Ladenbetreiber Diebstahl und häufig auch Hausfriedensbruch. Weil das eigentliche Verbrechen in den Augen der Container-Community jedoch die Verschwendung brauchbarer Lebensmittel ist, wollen sie eine Gesetzesänderung. Die Aktion »Containern ist kein Verbrechen« will durch Öffentlichkeitsarbeit erreichen, dass das Entwenden von Lebensmitteln aus Mülltonnen nicht mehr als Diebstahl gilt. Über 126.000 Menschen haben dieses Ziel bei einer Online-Petition im Jahr 2017 unterstützt.
Eine politische Haltung kann eine Kaufentscheidung verändern. Wer containert, auspackt, abmahnt und klaut, zeigt aber: Die Kasse ist nicht der einzige Weg, dem Handel ein Signal zu senden.
Korrektur: In der ursprünglichen Fassung war beim Containern vom möglichen Tatbestand des Landfriedensbruchs die Rede. Korrekt ist Hausfriedensbruch.
Weitere Informationen zu dieser Förderung findest du hier!
Titelbild: Ariel Levin - copyright