Unter diesen Krankheiten leidet jeder fünfte Mensch
Ein kleines afrikanisches Land zeigt, wie wir sie besiegen können.
Kennst du die Krankheit Elephantiasis? Hat dir dein Arzt schon einmal Flussblindheit diagnostiziert? Und wurde ein lieber Mensch aus deinem Umfeld schon mal mit Buruli-Ulkus infiziert? Nein? Das liegt vermutlich daran, dass es diese Krankheiten mit den fantasievollen Namen in Mitteleuropa so gut wie nicht gibt. Sie gehören zu den 20 sogenannten
Weltweit sind allerdings mehr als 1,4 Milliarden Menschen von NTDs betroffen – das ist jeder fünfte Weltbürger. Die Krankheiten, der Name verrät es, kommen praktisch nur in
Dass der typische NTD-Patient wenig Geld hat, trägt zur Bezeichnung »vernachlässigt« bei. Viele der Krankheiten sind entweder nicht heilbar, weil es keine wirksamen Medikamente gibt und es sich nicht lohnt, in die teure Erforschung der Erreger zu investieren. Oder es gibt Medikamente, die sich die armen und ländlich lebenden Patienten aber nicht leisten können. Es gibt jedoch ein Land, das sich dem Trend widersetzt: Sierra Leone. Obwohl die kleine Nation in Westafrika sich weder wirtschaftlich noch klimatisch von seinen Nachbarn unterscheidet, gehen die Erkrankungen hier seit Jahren zurück. Könnte das Land eine Blaupause sein für die 1,4 Milliarden Menschen, die noch immer unter den NTDs leiden?
NTDs sind vor allem ein Problem für Menschen in armen, sozial benachteiligten und schlecht erreichbaren Gemeinden
Die Weltgesundheitsorganisation WHO kennt 20 NTDs. Wir haben sie hier gesammelt. Achtung: für Hypochonder nicht geeignet!
Wenn man die Länder dieser Welt nach ihrer Gefährdung durch NTDs ordnet, findet sich Sierra Leone weit oben auf der Liste. Gleich mehrere Faktoren steigern die Bedrohung für das westafrikanische Land:
- Klima: Ganz Sierra Leone liegt in den Tropen, das ganze Jahr über fällt reichlich Regen. 7 große Flusssysteme schaffen ideale Brutbedingungen für Mücken, Fliegen, Schnecken, Würmer und andere Träger von Erregern und Parasiten.
- Infrastruktur: Ein Bürgerkrieg in den Jahren 1991–2002 hat sowohl das Gesundheitssystem als auch die Infrastruktur des Landes völlig zerstört. Im Jahr 2010 kam hier laut WHO ein Arzt auf 42.000 Menschen. In Deutschland gibt es etwa 240 Einwohner pro Arzt.
- Armut: 60% der 7 Millionen Einwohner leben unterhalb der Armutsgrenze, etwa der gleiche Anteil lebt in ländlichen Gebieten. Viele arme Menschen arbeiten in der Landwirtschaft oder im Bergbau, was das Risiko erhöht, von Parasiten befallen zu werden, die im Boden leben.
- Völkerwanderungen: Auf der Suche nach Arbeit oder um Familienmitglieder zu besuchen, überqueren viele Menschen regelmäßig die Grenze zu den Nachbarländern Guinea und Liberia oder ziehen in Sierra Leone selbst umher. Das macht eine dauerhafte medizinische Betreuung schwierig.
- Korruption: Die Politik ist in vielen Bereichen von Korruption und Inkompetenz geprägt. Vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen wird Sierra Leone seit dem Jahr 1990 zu den 10 am wenigsten entwickelten Ländern der Welt gezählt.
Sierra Leone, der Überraschungserfolg
Die Bedingungen stehen also denkbar schlecht für das kleine Land,
Zum Beispiel war kurz nach Ende des Bürgerkrieges im Jahr 2002 in allen Landesteilen (mit Ausnahme der Hauptstadt) mehr als die Hälfte der Bevölkerung mit einem Wurm infiziert, der Flussblindheit auslöst. In manchen Gegenden galt es als völlig normal, dass Menschen ab dem 30. Lebensjahr erblindeten.
»Fruchtbares Land wurde aufgegeben, weil die Menschen krank wurden«, erinnert sich Mustapha Sonnie.
Durch erfolgreiche Behandlungskampagnen war bis zum Jahr 2017 die Prävalenz des Erregers aber auf unter 2% der Bevölkerung gesunken, landesweit gab es keinen neuen Fall mehr, in dem jemand vollständig das Augenlicht verlor.
Ähnliche Erfolge wurden auch für andere Krankheiten erzielt. Moderate und schwere Infektionen mit Bilharziose wurde im Jahr 2009 noch bei gut 1/4 aller Kinder festgestellt. Im Jahr 2012 war der Anteil der Infektionen auf weniger als 1/5 gesunken. Gegen die 5 Krankheiten, bei denen eine massenhafte Verteilung von Medikamenten wirksam und kosteneffektiv ist, erreicht das NTD-Programm der Regierung inzwischen mehr als 80% der gefährdeten Bevölkerung regelmäßig mit entsprechenden Medikamenten. Das ist der viertbeste Wert aller Länder, die mit NTDs zu kämpfen haben.
»Ich bin den Pharmaunternehmen sehr dankbar.«
Für den Erfolg von Sierra Leone gibt es einige gute Gründe:
- Erfahrung: Trotz der Zerstörung durch den Bürgerkrieg kann das Land auf eine lange Geschichte in der Bekämpfung und Erforschung tropischer Krankheiten zurückblicken. Schon im Jahr 1899 gab es hier erste Versuche, Malaria zu kontrollieren, und an der Universität von Njala forschen seit dem Jahr 1970 einheimische Mediziner an NTDs.
- Organisation: Nach dem Bürgerkrieg machte die Regierung die Bekämpfung von NTDs zur nationalen Priorität. Entsprechende Programme wurden gebündelt und direkt dem Gesundheitsministerium unterstellt. Ein nationaler Aktionsplan wurde erarbeitet, der nicht nur allen Aktivitäten eine Richtung gab, sondern auch die Grundlage für die effektive Unterstützung durch westliche Entwicklungshilfe und Hilfsorganisationen bildete.
- Effizienz: Durch das Engagement der Regierung konnte Sierra Leone optimal von Hilfsgeldern profitieren. Im Jahr 2006 verkündete der damalige US-Präsident George W. Bush
Ihre volle heilende Kraft entfalten die 3 Punkte in Kombination: »Ich bin unseren Partnern, insbesondere den Pharmaunternehmen, sehr dankbar«, sagt Mustapha Sonnie. »Ohne sie wären die Programme in Sierra Leone nicht finanzierbar.« Dass die externe Hilfe richtig eingesetzt werden kann, liegt vor allem an der kompetenten Programmleitung durch die Regierung und den 29.000 Freiwilligen, die unter der Anleitung von 1.500 Gesundheitsarbeitern die Kampagnen in dem föderal organisierten Land durchführen.
Diese Strukturen sind auch stabil genug, um echte Krisen zu überstehen. Die Ebola-Epidemie, die in den Jahren 2014 und 2015 in Liberia, Guinea und Sierra Leone mehr als 11.000 Menschen tötete und das Gesundheitssystem der betroffenen Länder vor eine enorme Belastungsprobe stellte, konnte dem NTD-Programm nur wenig anhaben.
Ein Jahr lang konnten wir keine Medikamente austeilen, weil alle Ressourcen des Gesundheitssystems auf Ebola konzentriert werden mussten. Aber weil die entsprechenden Strukturen vorhanden waren, konnten wir direkt nach der Krise wieder anfangen und unsere vorherigen Erfolge haben dafür gesorgt, dass sich NTDs während dieser Zeit nicht weiter ausbreiten konnten.
Wie sich das »N« streichen lässt
Das Gesundheitsprogramm in Sierra Leone hat schon jetzt demonstriert, dass mit der richtigen Strategie, dem richtigen Einsatz und der richtigen Unterstützung auch innerhalb weniger Jahre große Erfolge im Kampf gegen NTDs erzielt werden können. Erfolge, die das Leben von Millionen Menschen positiv beeinflussen. In Sierra Leone wird schon über die nächsten Schritte nachgedacht, etwa wie die Regierung dauerhaft die Finanzierung der Programme sicherstellen und die Ursachen für viele NTDs, etwa
Noch konzentriert sich der Kampf gegen NTDs aber auf jene Krankheiten, gegen die es schon effektive und erschwingliche Medikamente und Behandlungsmöglichkeiten gibt. Um die Bürde der NTDs dauerhaft auslöschen zu können, braucht es dringend medizinische Innovationen. Aktuell ist es für Pharmaunternehmen finanziell deutlich attraktiver, die Potenzprobleme einer relativ kleinen globalen Elite zu lösen, als an Medikamenten zu forschen, die das Leben von mehr als einer Milliarde armer Menschen deutlich verbessern würden. Was diese Länder tun können, bis sich das ändert, macht Sierra Leone vor.
Titelbild: Olivier Asselin für das Sabin Vaccine Institute - copyright