So macht der Hass das Internet kaputt (und diese 5 Ideen sollen das ändern)
Doch nur 3 davon helfen wirklich.
Ein digitaler Sturm der Entrüstung entlud sich über die Berliner
So etwas wie Dankbarkeit darf man von dieser dummdreisten, arroganten, ja größenwahnsinnigen Zicke natürlich nicht erwarten.
Mit Dir will ich keinen Dialog. Du bist ein Schlag in die Fresse für alle guten Migranten.
Ein typischer »Shitstorm« eben. Dass das Uhren-Foto mehrere Jahre alt war, Kleidung Privatsache ist
Diese 5 Ideen sollen das Gift im Netz eindämmen – doch nur 3 davon haben wirklich gute Chancen.
Idee 1 – Ein Gesetz gegen Hass: das NetzDG
Können wir nicht ein Gesetz gegen digitalen Hass erlassen? So naiv ist die Frage nicht, tatsächlich gilt
Die Bilanz nach fast einem Jahr fällt aber ernüchternd aus. Noch immer toben auf Facebook giftige Posts, wie Sawsan Cheblis Fall zeigt. Stattdessen hat das NetzDG dieselben grundsätzlichen Probleme, die alle Gesetze haben,
- Willkür: Die großen sozialen Netzwerke löschen
- Overblocking: Die hohen Strafen, die durch das NetzDG drohen, verleiten die Netzwerke dazu, auch harmlose Nachrichten zu sperren;
Dazu greift das NetzDG nur bei »offenkundig rechtswidrigen« Inhalten wie
Das Giftige sind ja nicht nur direkte, meist plumpe Beleidigungen wie ›Du dummer Idiot.‹ Das sind einfach Beleidigungen die wenig nachhaltig wirken. Giftig ist es, wenn versucht wird, Realitäten vor dem Hintergrund nichtexistierender Fakten zu verdrehen und damit entsprechende Diskussionen zu forcieren.
Damit lässt sich der Hass auch gar nicht staatlich kontrollieren, ohne die
Wir haben ja nicht ohne Grund mit unserem Grundgesetz einen klaren Rahmen, der unsere Meinungsfreiheit erhält.
Das Dilemma bleibt: Menschen können die Fülle giftiger Kommentare im Netz nicht überprüfen, künstliche Intelligenz wiederum kann die Gratwanderung zwischen Hassrede und freier Meinung nicht stemmen.
Wenn aber Gesetze wie das NetzDG nicht greifen, was kann ein Staat sonst gegen das digitale Gift tun?
Idee 2 – Steuer auf soziale Medien: Uganda macht’s
»Größenwahnsinnige Zicke!« ist heute als Post schnell abgesetzt. Denn was sie da ins Smartphone tippen, darüber machen sich viele Nutzer einfach keine Gedanken – soziale Medien sind schließlich kostenlos und immer verfügbar. Könnte man da nicht mit einer Social-Media-Steuer dafür sorgen, dass Menschen bei jedem einzelnen Post einen Moment länger darüber nachdenken, ob er ihnen das wert ist?
In Uganda ist diese Idee seit Juli 2018 Realität. Präsident Yoweri Museveni führte eine Steuer auf soziale Medien ein, um das Land einerseits am Profit der US-Unternehmen zu beteiligen und um andererseits gegen »Lügen, Boshaftigkeit, Vorurteile und Beleidigungen«
Heute kostet jeder Tag auf Facebook, Twitter
Doch das macht Ugandas Bürger nur noch wütender – und das aus gutem Grund. Denn sie sind vergleichsweise
Ob sich die neue Steuer in Uganda halten wird, ist fraglich. Doch selbst wenn, ist sie alles andere als eine gute Lösung: Soziale Medien sind nämlich auch der Kanal, über den sich in Uganda die vom Präsidenten
Lösung 3 – Nur zum Thema beitragen: Quizfragen aus Norwegen
Eines ist klar: Viele Nutzer haben kaum fundiertes Wissen über die Wirkung ihrer Aussagen, die sie online lautstark kundtun. Vor allem in den Kommentarspalten von Online-Zeitungen geht es nur selten um den eigentlichen Beitrag – stattdessen überschütten Kommentatoren sie mit themenfremdem digitalen Gift und steigern sich regelmäßig in Beleidigungsschlachten, sogenannte »Flamewars«, hinein.
Das brachte das Technologie-Portal von Norwegens staatlicher Rundfunkgesellschaft (NRKBeta) auf eine einfache Idee: Leser müssen in einem einfachen Quiz Fragen zum Artikel beantworten, um kommentieren zu dürfen.
Der Testlauf im Jahr 2017 war ein Erfolg: Hass und Wut verschwanden, die Kommentare wurden auch bei Reizthemen konstruktiver und Leser verlinkten einander
Deshalb setzt NRKBeta das Quiz heute nur noch gezielt bei Reizthemen ein. Doch auch wenn eine solche Schranke die Kommentarspalten eines Online-Portals durch ein kurzes Innehalten friedlicher macht, hilft das nicht, wenn Hass und Häme sich in sozialen Medien wie Facebook und Co. sammeln.
Lösung 4 – Gegenhalten: So funktioniert Counterspeech
Wenn es kein gutes technisches System gegen Hatespeech gibt, müssen wir vielleicht selbst dagegenhalten. Das dachte sich auch Unternehmensberater Hannes Ley, als er #ichbinhier
»ichbinhier steht für konstruktiven Dialog in sozialen Medien. Ohne Hass, ohne Hetze, ohne Fake News.« – Disclaimer der Facebook-Gruppe
Mit 44.000 Mitgliedern ist das Projekt zu einer digitalen Bürgerbewegung geworden. Gemeinsam zeigen sie auch Opfern und friedlichen Mitlesenden, dass sie nicht allein sind und ein ziviles Miteinander im Netz möglich ist.
Und eine koordinierte Gegenrede gegen Hass wirkt; das zeigt auch der Fall von Sawsan Chebli. Denn als die Politikerin attackiert wurde, sprangen ihr Politiker aller Fraktionen digital zur Seite:
Das Ergebnis:
Auch Jörg Müller-Lietzkow hat sich im Fall Chebli per Twitter solidarisiert: »Natürlich ist es wichtig, in so einem Fall Haltung zu zeigen – warum soll die Dame denn ihr Geld nicht so ausgeben, wie sie es möchte? Bleibt der ganze Hohn und Hass unkommentiert stehen, dann fühlen sich diese Hater im Sinne einer stille Zustimmung bestätigt und die Aggression schaukelt sich wohlmöglich noch weiter auf. Und, da dann auch Ebenen vermengt und verwechselt werden, zusammenhanglose Zusatzkommentierungen erfolgen, entsteht ein kruder, aber eben schädlicher Unsinn.«
Gegenrede ist daher wichtig, aber für die beste Lösung gegen das Gift im Netz hält Müller-Lietzkow das nicht – denn geduldige Gegenrede geht auch immer auf Kosten der Zeit und Aufmerksamkeit der Beteiligten. Sie können sich einfach, während sie gegen Hass und Häme anschreiben, nicht auch auf eigene Aufgaben und Herausforderungen
In solchen Fällen ist also zu hoffen, dass Gegenrede den Hass schnell abklingen lässt. Wenn da nicht die Medien aufspringen …
Lösung 5 – Einordnen, aufklären, Ruhe bewahren: die Rolle der Medien
Können die Medien einen besseren Job machen, wenn es um das Gift im Netz geht? Das können sie, sagt Jörg Müller-Lietzkow und erklärt genau, was bei Sawsan Cheblis letztem Shitstorm schief lief:
Es ist schon abenteuerlich, dass deutsche Leitmedien auf diese ganze Sache so eingegangen sind und den Privatbesitz einer Uhr diskutieren. Da wurden Professionalitätsstandards der Hintergrundrecherche völlig vernachlässigt und die Medien müssen sich mal fragen: Sind wir noch auf der Seite der Aufklärung – oder skandalisieren wir der Reichweite wegen. Allein die Nicht-Relevanz des Themas ist schon ein Ausschlusskritierum der Berichterstattung. Stattdessen machen sich aber einige Medien somit zum Resonanzkörper von Hatespeech.
Die Kritik an der Reaktion mancher Medien ist berechtigt. Journalisten müssen entscheiden, was sie aus den Tiefen des Netzes zum Thema machen, welche Hashtags und Begriffe sie weiterreichen und möglicherweise damit verstärken. Denn flüchtige Phänomene wie Shitstorms erhalten auch dadurch gesellschaftliche Relevanz, dass – und wie – darüber berichtet wird.
Böse gefragt: Gab es in der Woche der
Noch komplizierter wird es für die Medien,
»Don’t feed the troll!« – Internetsprichwort zum Umgang mit Nutzern, die Unruhe verbreiten wollen
Auch Jörg Müller-Lietzkow weiß: »Die eine gute, einfache Lösung gegen Hass im Netz gibt es nicht. Das ist einfach schwierig und da kommt unser freiheitliches System manchmal auch an seine Schmerzgrenze.« Wenn aber klare und sachliche Gegenrede, Solidarität, guter Journalismus und wachsende Medienmündigkeit zusammenkommen, hat der digitale Hass weniger Chancen – ohne dass wir unser Recht auf freie Meinungsäußerung aufgeben müssen.
Mit Illustrationen von Tobias Kaiser für Perspective Daily