»Das Internet ist kaputt!«, sagt sein Erfinder
Mit diesen 2 Ideen können wir es reparieren. Vielleicht.
Glaubst du, dass das Internet noch sicher ist?
Wenn deine Antwort »Nein« lautet, bist du nicht allein. In einer Umfrage des Pew-Forschungszentrums sagten
Anfang Dezember informierte die beliebte
Wohin die Daten verschwunden sind, weiß oft niemand. Und es geht um mehr als nur Klarnamen: So gelangen auch immer wieder Telefonnummern, Adressen, politische Gesinnung, Beziehungen, Vorlieben, Gewohnheiten und sogar Kreditkartendaten in die falschen Hände.
Doch nicht nur
George Orwell bekäme heute beim Gedanken ans Internet wohl das Schaudern.
Aber was lässt sich tun, um dir, mir und allen Nutzern im Netz die Sicherheit zurückzugeben? Kurz gesagt, gibt es 2 vielversprechende Lösungswege dafür: neue Gesetze oder neue Technik.
Die 10 Gebote des Internets
Wenn überhaupt noch jemand Kontrolle über das Internet hat, dann wohl am ehesten die US-Tech-Gurus von Google, Facebook und Co.
Und genau diese Unternehmen wollen US-Politiker nun mehr in die Verantwortung nehmen. Kein Wunder, denn in den USA ist das Internet ein Reizthema, seit herauskam, dass ein IT-Unternehmen fragwürdig erbeutete Daten von 50 Millionen Facebook-Profilen nutzte,
So veröffentlichte der demokratische Kongressabgeordnete für Kalifornien, Ro Khanna, im Oktober 2018 seinen Vorschlag
Natürlich 10 – so wie die Bill of Rights als 10 Ergänzungen zur US-Verfassung oder die christlichen Gebote. Und Ro Khannas Vorschläge klingen erst mal wünschenswert und richtig. Doch halten sie auch einem genaueren Blick stand?
Keine Lust, dich mit der »Internet Bill of Rights« im Detail auseinanderzusetzen?
Dann klicke hier!
- Jeder Nutzer soll Zugang zu den Daten haben, die Unternehmen von ihm sammeln! Ähnliches ist in Deutschland schon so in der EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) geregelt, die seit Mai 2018 in Kraft ist. Danach darf jeder Nutzer ein Unternehmen innerhalb von 30 Tagen zu einer Auskunft darüber zwingen, welche Daten es speichert. Für große Unternehmen ist das kein Problem – Websites wie
- Ohne Zustimmung der Nutzer sollen keine persönlichen Daten gesammelt und mit Drittunternehmen geteilt werden! Hier liegt der Teufel in der Auslegung. Denn »keine Daten« würde eng gesehen auch den Namen eines Anrufers umfassen, etwa wenn ein Telefongespräch durchgestellt werden soll. Und gilt ein Notizzettel für den Chef schon als »gesammelt«? Solche Fälle müssten dann von Gerichten geklärt werden.
- Wenn es der Prozess zulässt, sollen Unternehmen das Löschen oder Ändern von Daten übernehmen, die sie von anderen Unternehmen erhalten haben! Ein schwer umsetzbarer Punkt. Denn in der Praxis hieße das sehr viel mehr Kommunikation unter Unternehmen bei jeder Nutzeränderung.
- Wenn ein Unternehmen ein Sicherheitsleck entdeckt, sollten Nutzer, deren Daten vielleicht betroffen sind, zeitnah benachrichtigt werden! Eine solide Forderung, da gerade Facebook und Co. solche Lecks gern unter den Tisch kehren. Hier müssen die Unternehmen tatsächlich zur Transparenz verpflichtet werden.
- Nutzer sollten die Möglichkeit haben, alle persönlichen Daten von einem Netzwerk zu einem anderen mitzunehmen! Das wäre natürlich bequem, doch die Übertragung von Daten ist in der Praxis gar nicht so leicht. Was etwa ist mit Chats und persönlichen Nachrichten? Unternehmen nutzen zur Datenspeicherung unterschiedliche Software und die ist nicht immer kompatibel. Und würdest du dich wirklich sicherer fühlen, wenn am Ende ein Praktikant per Hand deine Daten abtippt?
- Jeder Nutzer sollte das Internet nutzen können, ohne dass Internetanbieter Datenpakete bevorzugen oder benachteiligen: Dies trifft nur auf die USA zu, wo durch die Trump-Regierung Ende 2017 die »Netzneutralität« aufgehoben
- Unternehmen sollten nur die Daten sammeln dürfen, die für ihre Angebote nötig sind oder deren Verarbeitung die Nutzer zusätzlich zugestimmt haben: Ähnliches wurde durch die DSGVO innerhalb der EU eingeführt. Das Ergebnis: Auf den meisten Internetseiten erschienen in den vergangenen Monaten Zustimmungsabfragen, die kaum jemand gelesen hat und noch weniger Nutzer durchschaut haben, bevor sie auf »Annehmen!« klickten. Fakt ist: Ohne leicht verständliche Aufschlüsselung scheitert dieses Recht an der Praxis und Bequemlichkeit von wohl 99% aller Nutzer.
- Nutzer sollten Zugang zu einer Auswahl an erschwinglichen Internetanbietern mit transparenten Preismodellen haben: Das klingt nett, verliert aber jeden Wert in der Formulierung. Denn was »erschwinglich« ist, kann für viele Menschen sehr unterschiedlich sein. Günstigere und transparentere Preismodelle sind immer wünschenswert – doch in der Praxis dürfte ein solches Recht kaum mehr als ein frommer Wunsch werden. Auch müsste hier in letzter Konsequenz der Staat einspringen, falls sich manche Modelle nicht in der freien Wirtschaft rentieren. Wenn schon der Staat in der Pflicht ist, wäre da aber noch viel mehr drin: Warum nicht gleich kostenloses Internet mit geringer Geschwindigkeit für alle?
- Nutzer sollten nicht aufgrund ihrer persönlichen Daten ausgenutzt oder diskriminiert werden: Das ist einleuchtend und schützt vor allem gesellschaftliche Minderheiten wie Menschen mit Behinderung oder LGBTQI-Personen. Aber was heißt dieses Recht konkret? Und warum reichen dafür die bestehenden Gesetze gegen Diskriminierung nicht aus? Da bleibt Ro Khanna eine Antwort schuldig.
- Nutzer sollten sich darauf verlassen können, dass Unternehmen, die Daten sammeln, dies mit verantwortungsvollen Geschäftsmodellen tun und die Privatsphäre der Nutzer schützen: Das letzte Gebot ist eine schöne Utopie, doch die Geschäftspraktiken mancher Unternehmen am Rand der Legalität sprechen eine andere Sprache. Letztendlich kann dem Nutzer die Verantwortung nicht abgenommen werden, sich über das Unternehmen zu informieren, dem er seine Daten anvertraut – frei nach dem Motto: Vertrauen ist gut, Recherche ist besser.
Du willst die »Internet Bill of Rights« doch lesen?
Dann klicke hier!
Den vorgeschlagenen Rechten liegen die richtigen Ideen zugrunde – und doch kränkeln sie alle an denselben Stellen: Sie sind zu schwammig formuliert und lassen sich nur schwer mit der Praxis im Netz vereinbaren, geschweige denn in den USA durchsetzen. So wurde ein ähnlicher Vorstoß für mehr Konsumentenrechte von Ex-US-Präsident Barack Obama
Also alles nur Schall und Rauch? Böse gesagt könnte man die »Internet Bill of Rights« für einen
Ein Glück, dass jemand Berühmtes schon an einer technischen Lösung arbeitet …
So will der Erfinder des World Wide Web das Internet retten
Wenn der Name Tim Berners-Lee im Netz fällt, dann bekommen
Ich will ein Netz, in dem ich nicht ausspioniert werde und in dem es keine Zensur gibt
Seine Lösung: die Kontrolle über die Daten ganz in die Hände der Nutzer legen. Und der Informatiker handelte, pausierte seine Stelle am Massachusetts Institute of Technology, gründete eine Softwarefirma und entwickelte ein brandneues System namens
Dahinter verbirgt sich eine zentrale Schaltstelle für Internetnutzer. Jeder kann bei Solid eigene Datencontainer – sogenannte »Pods« – anlegen und in ihnen Daten wie Kalender, Adressen, Bankdaten, Gesundheitsinfos oder Fotos speichern. Und da diese nicht mehr auf Serverfarmen großer IT-Konzerne liegen, besitzt jeder Nutzer die absoluten Rechte über sie. Er darf auch entscheiden, wo er sie lagert: auf einem eigenen Server, bei Solid oder auf den Servern anderer Anbieter.
Statt auf jeder neuen Seite mit ellenlangen AGB zum Zustimmen erschlagen zu werden, kann jeder Nutzer in seinen Pods genau und einfach einstellen, wer was mit den Daten tun darf – etwa wenn ein Internetportal die Kreditkartennummer auslesen will. Und der Nutzer kann diese Rechte in seiner Schaltzentrale mit einem Klick jederzeit wieder entziehen.
Das klingt erst mal gut, doch noch hat Tim Berners-Lee ein Problem, seine Technik an den Mann zu bringen. Das Silicon Valley ist einfach nicht bereit, sich auf den dezentralen Datenspeicher in Nutzerhand einzulassen, denn zu viele Tech-Riesen machen heute mit Daten ihr Geld. Bevor also Google oder Facebook bei Solid anklopfen, dürfte wohl eher der Atlantik zufrieren. Doch ohne etablierte IT-Partnerunternehmen müssen Anwendungen für Pods erst neu und mühsam entwickelt werden – und ihre Nutzer finden.
Wir alle müssen das Internet retten
Weder 10 Gebote noch neue Technologien in Kinderschuhen können derzeit das Internet »sicher« machen. Aber sie zeigen immerhin, dass einige Politiker und Entwickler die Nutzer nicht den Konzernen, Geheimdiensten und Datendieben überlassen wollen.
Und sie haben noch einen anderen, verborgenen Wert: Sie bieten den Anlass, politisch und öffentlich über ein Thema zu diskutieren, das zu viele von uns heute nur als lästig ansehen: Datenschutz.
Weißt du wirklich, wo überall deine Kreditkartennummer gespeichert ist?
Wenn dadurch einige Nutzer wachgerüttelt werden und anfangen, Praktiken von Unternehmen zu hinterfragen, endlich ihre Laptop-Kameras abkleben und aufhören, Daten willkürlich ins Netz rauszuschleudern, dann haben Ro Khanna und Tim Berners-Lee schon jetzt etwas bewirkt – bis ihre Lösungen eines Tages im großen Stil greifen und das Netz für alle besser und sicherer machen.
Mit Illustrationen von Adrian Szymanski für Perspective Daily