Diese Frau will KiK zur Verantwortung ziehen
Erstmals beschäftigt sich ein deutsches Gericht mit den Arbeitsbedingungen in Pakistan. Ein Etappensieg für faire Mode – egal wie der Prozess ausgeht.
5.786 Kilometer Luftlinie sind es von Karatschi nach Dortmund. Eine ziemlich normale Distanz ist das für ein T-Shirt, das dort einer Näherin umgerechnet 10–15 Cent einbringt und hier für 4,99 Euro erhältlich ist. Für die Pakistanerin Saeeda Khatoon war es ein weiter Weg, den sie nun schon zum zweiten Mal auf sich genommen hat. Sie ist nach Dortmund gekommen, um Schadenersatz für ihren Sohn zu fordern, der in einer Kleiderfabrik geschuftet hatte. Bis die Fabrik mit ihren vergitterten Fenstern und nur einer einzigen Treppe im Jahr 2012 abbrannte und für viele Menschen darin zur Todesfalle wurde. 259 Menschen starben, darunter auch Saeeda Khatoons 18-jähriger Sohn Ejaz.
Saeeda Khatoon hat erreicht, was noch niemand vor ihr geschafft hat.
Khatoon hat erreicht, was noch niemand vor ihr geschafft hat: Wegen ihrer Klage muss sich ein deutsches Unternehmen für die Produktionsbedingungen bei seinen asiatischen Subunternehmern vor einem deutschen Gericht verantworten. Sie ist eine von 4 Klägerinnen, die für den Prozess von einer NGO unterstützt werden. Die Entscheidung steht noch aus, aber bereits die Zulassung der Klage hatte eine hohe Signalwirkung. Denn so wurde aktenkundig, dass sich die Konzerne am Ende der Lieferkette durchaus mit den Menschen beschäftigen müssen, die für sie produzieren.
Das Dilemma
Die Umsätze der Mode-Einzelhändler in Deutschland steigen stabil, bei Ketten mit starkem Fokus auf Eigenmarken wie H&M, Primark und Zara war das Plus zuletzt
»Die Öffentlichkeit ist stärker sensibilisiert für die Thematik.«
»Die meisten Menschen sind sich bewusst, dass das Produkt, das sie kaufen, nicht fair hergestellt ist«, sagt Gisela Burckhardt, die mit ihrem Verein
Für Verbraucher besonders demotivierend ist das Wissen, dass das teurere Kleidungsstück weder unbedingt besser produziert wurde, noch den Nähern bessere Löhne brachte als ein billiges. »Teure Marken sind kein Garant dafür, dass faire Arbeitsbedingungen herrschen«, sagt Burckhardt. »Für mein Buch ›Todschick‹ habe ich nachgewiesen, dass Hugo Boss in den gleichen Fabriken produzieren ließ wie H&M oder C&A.«
Kleider shoppen hat seine Unschuld verloren, spätestens seit dem
Das Inferno
Das Feuer in Pakistan, bei dem auch Saeeda Khatoons Sohn Ejaz starb, ereignete sich schon ein halbes Jahr früher, am 11. September 2012. Deshalb wird der Brand in der Hafenstadt Karachi auch als »9/11 der Textilbranche« bezeichnet. Im Erdgeschoss der Fabrik von Ali Enterprises gerieten Garnbestände in Brand, das Feuer breitete sich rasch auf alle 5 Etagen des Fabrikgebäudes aus, in dem sich etwa 800 Menschen aufhielten. Etliche wurden verletzt, 259 verloren durch das Feuer ihr Leben. Ermittler sprachen später von einer gezielten Brandstiftung.
Als die Fabrik brannte, war sie zu 75–100% mit Aufträgen von KiK ausgelastet.
Zum Zeitpunkt des Brandes war die Produktion in der Fabrik von Ali Enterprises mit Aufträgen des deutschen Billigmode-Händlers KiK ausgelastet – zu 75–100%. Heutzutage streut KiK seine Aufträge stärker, heißt es aus der Konzernzentrale. Damals zahlte das Unternehmen 1 Million US-Dollar Soforthilfe, nach eigenen Angaben, damit die Betroffenen Arzt- und Beerdigungskosten decken konnten. Nach einem langwierigen Berechnungsverfahren überwies KiK im Jahr 2016 weitere 5,15 Millionen Dollar. Auf eine PD-Anfrage, ob die schnellen Soforthilfen auch das Ziel hatten, weitere Forderungen der Betroffenen kleinzuhalten,
Die Fabrik in Karachi hatte erst kurz vor dem Brand ein Sicherheitszertifikat erhalten.
Der Prozess
Weil Ali Enterprises zum Zeitpunkt des Brandes fast ausschließlich für KiK produzierte, wiegt in diesem Fall die Verantwortung besonders schwer –
Ende November, im bis auf den letzten Platz besetzten Gerichtssaal, ging es jedoch erst einmal um die Frage, ob nach pakistanischem Recht die Schadenersatzansprüche von Saeeda Khatoon und den anderen nicht bereits verjährt sind. Die KiK-Anwälte hatten sich darauf berufen – damit wäre der Prozess bereits vorbei, ehe er so recht begonnen hat. Deshalb hat das Gericht den britischen Rechtsgelehrten Ken Oliphant mit einem Gutachten beauftragt. Offenbar kommt Oliphant zum Schluss,
Die Folgen
Aber auch wenn der Prozess in Dortmund enden sollte, ist der Rechtsweg noch nicht ausgeschöpft. Den Klägern bliebe die Möglichkeit, vor dem Oberlandesgericht Hamm in Berufung zu gehen, oder gleich vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg ein Grundsatzurteil anzustreben – selbst wenn es an beiden Gerichten
So oder so hat der Prozess schon einiges bewirkt, glaubt Carolijn Terwindt vom ECCHR:
Interviews mit Textilfirmen zeigen, dass die Firmen diese Klage auf dem Schirm haben. Die juristische Argumentation in der Klage ist von Rechtswissenschaftlern in Deutschland, Großbritannien und auch in anderen Ländern in mehreren Aufsätzen aufgegriffen worden. Die Weiterentwicklung des Rechts ist daher auf der Agenda.
Wie die Verantwortung für globale Lieferketten besser in internationales Recht gegossen werden kann, berät seit dem Jahr 2015 eine Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen beim sogenannten UN-Treaty-Prozess. Spruchreife Ergebnisse gibt es bislang nicht, aber Entwicklungen wie jüngst in Dortmund schaffen den benötigten öffentlichen Druck, dass es hier vorangeht. Gisela Burckhardt von FEMNET erkennt bereits seit dem Rana-Plaza-Unglück eine steigende Aufmerksamkeit für das Thema: »Ich gebe mindestens einmal in der Woche Interviews«, sagt sie.
»Ohne den permanenten Druck passiert gar nichts, nur durch den Druck, der von außen kommt und den wir innerhalb des Textilbündnisses machen, kommt etwas voran.« Das
Frankreich schützt mit einem weltweit einzigartigen Gesetz die Arbeiter entlang der Lieferkette.
Ein Ziel von FEMNET, das bislang noch in weiter Ferne liegt, ist ein Gesetz, das inländische Unternehmen für Produktionsbedingungen im Ausland haftbar macht, auch bei Subunternehmern.
Deutschland setzt hingegen weiter auf den Mechanismus der freiwilligen Selbstverpflichtung. Die Bundesregierung hat im Jahr 2016 einen
Im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung fällt zwar das Stichwort »fairer und nachhaltiger Handel«, und auch der Aktionsplan aus der vorherigen Legislaturperiode soll weiter umgesetzt werden. Ein Gesetz, das in seiner Klarheit mit dem französischen mithalten kann, ist aber bislang nicht in Planung – erst einmal wird evaluiert, ob die Unternehmen freiwillig ihrer Verantwortung nachkommen. Trotzdem haben viele Akteure Lob für Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) übrig. Er hat im Jahr 2014 das Textilbündnis überhaupt erst ins Leben gerufen und setzt anspruchsvolle Ziele für die Transparenz bei Unternehmen. Auch in der
Sollte die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen nicht ausreichen, muss der Gesetzgeber handeln. Das gilt auch für Handelsverträge. Jede Ware, die nach Europa importiert wird, muss garantiert frei von ausbeuterischer Kinderarbeit und Sklaverei sein, ob Schokolade, Kaffee oder Textilprodukte.
So werden sich die Arbeitsbedingungen in den Sweatshops dieser Welt nicht daran entscheiden, ob Saeeda Khatoon und die 3 anderen Kläger nun je 30.000 Euro Schmerzensgeld von KiK bekommen. Nach dem Gerichtstermin, bei dem sie nicht zu Wort kam, sitzt Khatoon auf einer Holzbank im Vorraum des Sitzungssaals. Über ihren Dolmetscher frage ich, wie sie sich fühlt: »Sehr enttäuscht.« Nach und nach kommen andere Journalisten hinzu, bald ist Saeeda Khatoon von Fernsehkameras und Mikrofonen umringt. Auf die Frage eines Kollegen ließ sie den Dolmetscher antworten: »Wenn sie mit Ihnen allen und anderen Menschen aus der Zivilgesellschaft spricht, dann ist sie froh, weil alle ihr Leiden und ihre Gefühle verstehen. Sie ist froh, nicht allein zu sein.«
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Titelbild: David Ehl - copyright